| | Max Liebermann, Selbstbildnis, 1909/1910 | |
„Ich hatte zu viele Feinde, ich bot ja auch drei Angriffsflächen. Ich war erstens Jude, zweitens reich, und drittens hatte ich auch Talent. Eines davon hätte doch genügt.“ Mit diesem Satz hat der Berliner Maler Max Liebermann sein Leben und Wirken ebenso treffend wie selbstironisch zusammengefasst. Hineingeboren in eine wohlhabende jüdische Textilunternehmerdynastie, beginnt der junge Max zunächst ein Studium der Chemie, wird aber wegen „Studienunfleiß“ kurz darauf wieder exmatrikuliert. Sein wahres Interesse gilt der Malerei. Nach einigem Hin und Her finanzieren ihm die Eltern schließlich das Studium an der Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule in Weimar. Eine kluge Entscheidung, denn ihr talentierter Sohn wird in den kommenden Jahrzehnten zum führenden, immer aber auch umstrittensten Maler Preußens aufsteigen.
Liebermanns zentrale Rolle für die progressive Erneuerung der Malerei im konservativ-wilhelminisch geprägten Deutschland und der Weimarer Republik zeichnet jetzt die Ausstellung „Max Liebermann. Wegbereiter der Moderne“ in der Hamburger Kunsthalle nach. Rund 100 Gemälde aus allen Schaffensphasen des Künstlers sind zu sehen, darunter so berühmte Bilder wie „Die Netzflickerinnen“ oder „Der zwölfjährige Jesus im Tempel“, ein Bild, das 1879 aufgrund seiner naturalistischen Darstellung des jungen Jesus in der zerschlissenen Tracht eines jüdischen Straßenkindes einen antisemitisch geführten Bilderstreit auslöste. Porträts, Bilder aus dem Arbeitsleben von Bauern oder Fabrikarbeiterinnen und Darstellungen bürgerlicher Vergnügungen ergänzen die Ausstellung. Referenzwerke von Paul Cézanne und Pierre-Auguste Renoir verorten Liebermann vor der Folie des französischen Impressionismus. Die Schau war zuvor schon in der Bonner Bundeskunsthalle zu sehen. In Hamburg jedoch wird sie noch um etliche Werke, insbesondere Pastelle mit Hamburger Motiven, ergänzt. „Neben Berlin ist Hamburg die Stadt Max Liebermanns. Hier wurden der Ruhm und der Nachruhm Liebermanns geschmiedet“, ruft Kunsthallendirektor Hubertus Gaßner die Rolle seines Vorgängers Alfred Lichtwark in Erinnerung, der Liebermann in seiner Amtszeit von 1886 bis 1914 nach Kräften förderte.
Die Hamburger Kunsthalle sei das Haus, das die meisten Werke Liebermanns besitze. Über den etwas vollmundigen Untertitel „Wegbereiter der Moderne“, so Gaßner, sei er gerne bereit zu streiten. Ob Max Liebermann nun im internationalen Vergleich Avantgarde oder sogar „Derriere Garde“ gewesen sei, darüber gebe es unterschiedliche Ansichten. Entscheidend aber sei seine Rolle in Deutschland. Sicherlich sei ein „Hinterherhinken hinter der Pariser Avantgarde um gute zehn Jahre“ festzustellen. „In Deutschland aber war Liebermann ein ganz Moderner“, so der Kunsthallendirektor. In Bonn hat die Ausstellung alle Erwartungen übertroffen und 206.000 Besucher angezogen. Gaßner sieht das als Herausforderung und hofft, diese Zahl noch zu übertreffen: 220.000 Besucher, so sein optimistisches Ziel, sollen bis Mitte Februar 2012 in die Kunsthalle kommen.
Die Hamburger Ausstellung, die im erstmals komplett grün gestrichenen Sockelgeschoß der Galerie der Gegenwart stattfindet, zeichnet Liebermanns Weg weitgehend chronologisch nach. Wo es Sinn macht, werden bestimmte Fragestellungen in Themenräumen vertieft. Darstellungen vom Alltag in Amsterdamer Mädchenwaisenhäusern zeigen, so Co-Kurator Markus Bertsch, dass es Max Liebermann keineswegs, wie so oft behauptet wird, bloß um das Malerische gegangen sei. Armut und Sozialfürsorge etwa seien entscheidende Themen in seinem Werk.
Eine von der Provenienzforscherin Ute Haug zusammengestellte Schau in der Schau beleuchtet anhand zahlreicher Briefe und Originaldokumente die allmähliche Entfernung der Liebermann-Werke aus deutschen Museen und seinen Ausschluss vom deutschen Kulturleben im NS-Deutschland. Bereits zwölf Wochen nach Hitlers Machtergreifung sah sich Max Liebermann im Mai 1933 gezwungen, seine Mitgliedschaft in der Berliner Akademie der Künste, deren Präsident er zwölf Jahre lang war, niederzulegen: „Nach meiner Meinung hat Kunst weder mit Politik noch mit Abstammung etwas zu tun“, kritisierte er die kurz zuvor erfolgte Aufnahme des „Arierparagraphen“ in die Statuten der Akademie. Die deutsche Presse strafte ihn mit Zynismus. Solidarität wurde ihm nicht zuteil. Nur sein Malerkollege Oskar Kokoschka meldete sich aus dem Pariser Exil mit einem offenen Brief, in dem er betonte, Liebermann habe die deutsche Kunst überhaupt erst international konkurrenzfähig gemacht. Ohne noch einmal öffentlich aufzutreten, starb Max Liebermann am 8. Februar 1935 in seinem Wohn- und Atelierhaus am Brandenburger Tor.
Die Ausstellung „Max Liebermann – Wegbereiter der Moderne“ läuft vom 30. September bis 19. Februar 2012. Die Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle hat täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags zusätzlich bis 21 Uhr geöffnet. An Heiligabend und am ersten Weihnachtstag bleibt sie geschlossen, an Silvester ist von 10 bis 15 Uhr und an Neujahr 12 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 12 Euro, ermäßigt 5 Euro. Der Katalog ist im DuMont Buchverlag erschienen und kostet in der Ausstellung 29,95 Euro. |