Unter den Anbietern zeitgenössischer Kunst auf dem deutschsprachigen Auktionshausmarkt hat das Wiener Dorotheum stets eine der vielseitigsten Mischungen. Anders als die Konkurrenz etwa im Kinsky beschränkt man sich nicht im Wesentlichen auf die österreichische Heimat, sondern greift weit aus in die Kunst anderer Länder. Eine der ersten Losnummern der kommenden Versteigerung ist mit dem Amerikaner Robert Indiana besetzt. Eine große rote „8“ malte er 1965 in Öl auf die gebräunte Leinwand, so dass ein höchst reizvoller Kontrast zweier eigentlich ganz inkompatibler Farben entsteht. 100.000 bis 150.000 Euro will das Dorotheum für dieses Ziffernspiel sehen. Später gesellen sich diesem Pop Art-Produkt noch einige Arbeiten Andy Warhols hinzu wie die kleine bedruckte und bemalte Leinwand mit dem titelgebenden „Parrot“ von 1983 für 60.000 bis 90.000 Euro oder die „25 Cats name(d) Sam and one Blue Pussy“ in seiner frühen Mappe von Offsetlithografien um 1954 für 75.000 bis 85.000 Euro. Fremden Stoffen, insbesondere Zeitungen, überließ Robert Rauschenberg 1973 in „For + with Jack + by with“ die farbige Gestaltung einer großen Papierbahn und sicherte ihnen damit zugleich ihre dauerhafte Präsenz: Immerhin als Abdrücke haben sie sich überliefert. Hier stehen 60.000 bis 80.000 Euro auf dem Etikett. Recht direkt geht Tom Wesselmann in seiner Zeichnung „Nude Masturbation Drawing (Brunette)“ von 1974 für 32.000 bis 38.000 Euro zur Sache.
Auch von italienischen Künstlern findet Manches seinen Weg nach Wien. Mario Schifano ist hier zu nennen mit der reliefartig strukturierten, weitgehend dunkelgrauen Leinwand „N. 6“ von 1960 für 70.000 bis 100.000 Euro oder der in umso freundlicherem Gelb erstrahlenden „Solare“ von 1970 für 50.000 bis 70.000 Euro. Dadamaino ergänzt das Ziffernspiel um Indiana und Schifano mit seiner schwarzen Leinwand „Volume“ von 1958 mit zwei querovalen Löchern, die man abermals als eine „8“ lesen könnte (Taxe 25.000 bis 35.000 EUR). Alberto Burri rückt sich mit seiner kleinen aufgebrochenen Kalklandschaft „Bianco Cretto“ von 1971 in die Nähe von Piero Manzonis Kaolinbildern (Taxe 110.000 bis 140.000 EUR), wie auch Enrico Castellanis von hinten strukturierte „Superficie Bianca“ auf trapezförmig verzogener Leinwand von 1988 gewissermaßen mit einer – wenn auch sehr gepflegten – Mondlandschaft konfrontiert (Taxe 100.000 bis 160.000 EUR).
Noch den eher konservativen Begriff der älteren Abstrakten mit ihrer Sorge um Schönlinigkeit und harmonische Farbkomposition offenbaren dagegen Afro Basaldellas „Scilla“ von 1951 (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR), Piero Dorazios relativ frühe, mosaikartige Struktur „Tante diversità tante passioni“ von 1956 (Taxe 40.000 bis 60.000 EUR) und eine unbetitelte Farbverzahnung aus der Serie „Fiori dipinti da me e da altri al 100%“ Tancredis aus dem Jahr 1962 (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR). Die italienische Suite abstrakter Malerei bereichern etwa noch Salvatore Scarpittas nicht mehr erkennbaren „Uomo al limite (Ricordo Harlem)“ von 1955 (Taxe 10.000 bis 15.000 EUR), Roberto Crippas feines Liniengespinst „Spirale“ von 1950 über schwarzweißen Farbverläufen mit drei farbigen Punkten (Taxe 12.000 bis 16.000 EUR), Conrad Marca-Rellis Collage aus angesengten weißen Stoffbahnen mit schwarz-roter Übermalung von 1986 (Taxe 20.000 bis 30.000 EUR) oder Carla Accardis freundlich-verspielte Temperamalerei „Rosa-viola-bianco“ von 1988 (Taxe 6.000 bis 8.000 EUR). Auf Antoni Tàpies’ schwarzgrauer, gestischer „Composition n. 8“ von 1966 findet sich dann wieder eine Acht (Taxe 50.000 bis 70.000 EUR).
Auf französischer Seite stehen Jean Fautrier mit einem kleinen Linienschwung von 1961 (Taxe 75.000 bis 95.000 EUR), Serge Poliakoffs rot-grüne „Composition abstraite“ von 1960 (Taxe 60.000 bis 70.000 EUR) und Hans Hartungs vertikale Strichwand „T 1961-13“ von 1961 (Taxe 33.000 bis 45.000 EUR). Im deutschsprachigen Raum kaum bekannt, hat der Name des türkischstämmigen Malers Mübin Orhon in seiner französischen Wahlheimat durchaus einen guten Klang. Mit einem grauen Nebel über einem Farbgrund aus den späten 1950er Jahren versucht es das Dorotheum nun bei 60.000 bis 80.000 Euro. Reichlich vertreten sind Arbeiten des ungarischstämmigen, der Op Art zuzurechnenden Malers Victor Vasarely, darunter die beiden eiförmig aus würfelförmigen Prismen sich herausschälenden Formen in „Ker-III“ von circa 1992 für 40.000 bis 60.000 Euro. Auch der Italiener Mario Nigro stellt den Betrachter mit einem kleinteilig strukturierten Raster aus schwarzen Linien mit roten Quadraten auf blauem Grund 1959 vor ein optisches Verwirrspiel (Taxe 25.000 bis 35.000 EUR). Klare Strukturen in typischen Farben der frühen 1970er Jahre – Orange gegen Violett – herrschen dagegen in dem Querformat „Ayara“ des Schweden Olle Bærtling vor (Taxe 30.000 bis 40.000 EUR).
Aus österreichischen Gefilden kommen vor allem Klassiker der älteren Szene, allen voran Friedensreich Hundertwassers 1956 datiertes Ölbild „Globulant“ mit einer Komposition aus umeinander fließenden Farbflächen für 220.000 bis 280.000 Euro. Arnulf Rainer besticht durch ein frühes Beispiel seiner postsurrealen Phase, als er abstrakt zu malen begann: Unübersehbar orientierte sich der annähernd 23jährige in seiner „Konstruktion TRR“ 1952 am abstrakten Expressionismus amerikanischer Provenienz, etwa eines Franz Kline (Taxe 120.000 bis 160.000 EUR). In späteren Jahren schuf Rainer eine große Anzahl übermalter Kreuze. Ein solches Werk von 1988, allein schon seiner äußeren Form wegen meditativ wirkend und mit einem Gummihandschuh versehen noch um eine besondere Komponente gebrochen, soll einer US-amerikanischen Privatsammlung nun 100.000 bis 140.000 Euro einbringen. Der heute etwas in den Hintergrund gedrängte Alfons Schilling gehörte in den 1960er Jahren zu den führenden Köpfen der ungegenständlichen Szene in Österreich mit starkem Einschlag in die Malerei des Informel. Aus dieser Zeit stammt eine großformatige Arbeit mit rotbraunen und schwarzen Pinselschwüngen auf weißer Baumwolle für 90.000 bis 130.000 Euro.
Ein rotes Schüttbild Hermann Nitschs von 1983 mit zarter Binnenstruktur auf Normalmaß von zwei mal drei Metern wird aus einer israelischen Privatsammlung für 50.000 bis 70.000 Euro abgegeben. Otto Zitko gehört zu den Abstrakten einer jüngeren Künstlergeneration, wenn er 2006 schwarze Linienknäuel über breiten blauen Pinselbahnen malt (Taxe 24.000 bis 30.000 EUR), ebenso Herbert Brandl mit seinen schwarz-gelben Nebelschleiern von 1997 (Taxe 30.000 bis 40.000 EUR). Ein frühes Werk Birgit Jürgenssens noch ohne direkten Selbstbezug ist die querformatige Malerei „Allegorie um ein weißes Pferd“ von etwa 1985 (Taxe 30.000 bis 40.000 EUR). Mit 45.000 bis 60.000 Euro kann man sich bei Günter Brus’ Bildgeschichte „Variationen ohne Thema“ von 1989 engagieren, einer elfteiligen Serie aus unikaten Blättern mit schwarzweißen Zeichnungen, auf denen die Kopfform dominiert. Keine große Begabung zum Hintersinn erfordert Erwin Wurms lebensechte, allerdings kopflose Figur eines korpulenten, spießig gekleideten Herrn unter dem Titel „Anger bump“ von 2007, dessen erigierter Penis sich unter der hellen Hose abzeichnet (Taxe 60.000 bis 90.000 EUR).
Eine kleine Zusammenstellung mit zeitgenössischer Fotokunst bereichert die Auktion. Hier stehen sich die kitsch-süßliche, von Gartenzwergen umringte Puppenschönheit „Blanche neige“ des französischen Künstlerduos Pierre et Gilles von 1990 (Taxe 20.000 bis 25.000 EUR) und das prosaische Landstraßendiptychon „Campagna emiliana“ von 1989 aus Luigi Ghirris Serie „Strada provinciale dell’Anime“ gegenüber (Taxe 9.000 bis 11.000 EUR). Ein vergleichbares Gegensatzpaar findet sich in William Egglestons Klohäuschen, 1971 aufgenommen des Nachts in den amerikanischen Weiten (Taxe 10.000 bis 12.000 EUR), und in dem verklärten, aber auch seelenlosen Kindergesicht „Kirsten star“ von Inez van Lamsweerde und Vinoodh Matadin aus dem Jahr 1997 (Taxe 8.000 bis 12.000 EUR). Mariko Mori hat 2006 eine ihrer futuristischen Flugkapseln auf einem Panoramaformat der ebenfalls futuristischen Regierungsgebäude von Brasilia landen lassen (Taxe 18.000 bis 25.000 EUR). In diese Preisregionen dringen zudem Massimo Vitalis anämische Schwimmfreuden „Wasserbad Strobl 2“ von 2008 (Taxe 18.000 bis 25.000 EUR) und Thomas Ruffs nüchternes Frontalportrait „Ohne Titel (Bernd Jünger)“ von 1985 vor (Taxe 20.000 bis 25.000 EUR).
Figurales dominiert auch die Skulpturen älterer Generationen wie „Le départ“ aus Jean-Michel Folons letztem Lebensjahr 2005 (Taxe 55.000 bis 75.000 EUR), Igor Mitorajs müdes Kopffragment „Luci di Nara“ um 1998 (Taxe 27.000 bis 35.000 EUR) oder Lynn Chadwicks zwei „Walking cloacked figures II“ von 1978 mit den charakteristischen kubischen Kopfformen von 1978 für 40.000 bis 60.000 Euro. Mit Günther Uecker ist der derzeit prominenteste Vertreter der avantgardistischen Künstlergruppe „ZERO“ auf dieser Auktion vertreten. Sein auf eine Drehscheibe fixierter Nagelkrake „Taktile Struktur rotierend“ stammt aus dem Jahr seines Beitritts zu der von Otto Piene und Heinz Mack gegründeten Vereinigung 1961 (Taxe 140.000 bis 180.000 EUR). Im Umfeld von „ZERO“ tummelt sich Adolf Luthers „Sphärisches Objekt“ von 1988 mit drei mal drei Hohlspiegeln auf einem weiteren Spiegel in einem Plexiglaskasten (Taxe 70.000 bis 90.000 EUR). Passend zur vorweihnachtlichen Zeit listet der Katalog einen Adventskalender aus dem Jahr 1971. Den 24teiligen Setzkasten bestücken neben Luther andere renommierte deutsche Künstler mit kleinen charakteristischen Objekten, darunter Friedrich Becker, Joseph Beuys, Erwin Heerich, Gotthard Graubner, Gustav Kluge oder Daniel Spoerri (Taxe 10.000 bis 15.000 EUR).
In Richtung „Arte Povera“ zielt der gebürtige Grieche Jannis Kounellis. Viel Platz benötigt der künftige Inhaber einer vierteiligen Eisenplatte, an deren Rändern mehrere alte Nähmaschinen ihre Dienste verrichten, während über die Fläche verteilt vier Kupferrohre ihre aus einer Propangasflasche gespeisten Feuer speien. Über vier Meter misst das 1987/88 geschaffene Werk in der Breite (Taxe 130.000 bis 200.000 EUR). 2004 begann Kounellis in Fortsetzung des amerikanischen action painting damit, große Mengen flüssigen Teers auf großformatige Papierbahnen auszugießen und damit dem einmaligen impulsiven Augenblicksakt das gestalterische Ruder zu überlassen. Eine dieser Arbeiten von 2005, verknüpft mit einem vor der Platte baumelnden Jutesack, bietet das Dorotheum aus italienischem Privatbesitz für 80.000 bis 120.000 Euro an.
Die Auktion beginnt am 29. November um 18 Uhr. Die Besichtigung ist bis zum Auktionsbeginn täglich von 10 bis 18 Uhr möglich. Der Katalog listet die Kunstwerke unter www.dorotheum.com. |