 |  | Richard Meier, Arp Museum Bahnhof Rolandseck, 2010 | |
Architektur kann man bekanntlich nicht ausstellen, es sei denn, es handelt sich um Modelle. Gelegentlich fällt einem realisierten Bau daher die Funktion des größten Exponats zu. So geschieht es derzeit auch im Remagener Stadtteil Rolandseck, südlich von Bonn in Rheinland-Pfalz direkt am Rhein gelegen, nur wenige hundert Meter von der Landesgrenze zu Nordrhein-Westfalen entfernt. Hier beginnt der von vielen Burgen flankierte romantische Flussabschnitt, der sich stromaufwärts bis nach Bingen erstreckt. Das breit gelagerte klassizistische Bahnhofsgebäude mit den flussseitig ausladenden Terrassen aus gusseisernen Konstruktionen wird fast erdrückt durch ein hoch oben auf dem Berg thronendes, auffallendes Gehäuse, einer schneeweißen „modernen“ Burg. Vor dem Konstrukt aus flimmernd hellen Wänden und großen, hinter Sonnenschutzlamellen angeordneten Panoramascheiben schiebt sich ähnlich einem Bergfried der Erschließungsturm. Kein Wunder, dass viele neugierige Ausflügler dem Architekturensemble besonders an Wochenenden einen „großen Bahnhof“ bereiten.
Bevor sie jedoch in den Genuss des grandiosen Panoramablicks auf die Flusslandschaft kommen, müssen sie einen architektonischen Parcours vorbei an Kunstwerken und räumlichen Erlebnissen mit mehreren Richtungs- und Panoramawechseln durchschreiten. Der Weg beginnt am Eingang im Sockel. In einem anschließenden Tunnel unter den Gleisen begleitet den Gast dumpfes Grollen durchrasender Züge. Nach der Zwischenstation eines eher klassisch anmutenden Ausstellungspavillons parallel zu den Gleisen führt der Weg in eine lange Tunnelröhre aus Beton, an deren Ende im Berg ein verglaster Aufzugturm die Blicke in organisch-raue Strukturen gegossener Betonkerne gestattet. Nach oben schwebend, wird es immer heller, bevor sich bühnenartig inszeniert die weite Tallandschaft zu Füßen ausbreitet.
Eine verglaste Brücke markiert als breiter Steg den Übergang ins Museum. Schlanke Geländer lassen an Ozeandampfer denken, auch dunkles Parkett erinnert ebenso an Schiffsdecks wie dünne Rundstützen. Gleißend helle Säle werden abgegrenzt von großflächig collagierten Kompositionen aus teils schwebenden, strahlend weißen Wandpartien und -schirmen, hoch aufragenden Glasfronten mit breit gelagerten Lamellen und schmalen Durchblicken, begleitet von Treppen, Loggien, Terrassen sowie Balkonen. Die skulpturale Komposition der Bauteile mutet an als eine von Hans Arp inspirierte Formensprache. Gleichwohl wird jeder hier arbeitende Kurator es als ständige Herausforderung erleben, ein schlüssiges Zusammenspiel von Kunst und Architektur zu gewährleisten. Ein Parcours voller sinnlicher Überraschungen, keine leichte Kost für schnelles Sehen in fünfzehn Minuten.
Im mittleren Geschoss des Arp Museums Bahnhof Rolandseck stellt sich der Baumeister Richard Meier nun mit einer chronologisch angeordneten Auswahl seiner Projekte vor. Aus dessen New Yorker Privatmuseum stammen die normalerweise nicht öffentlich gezeigten und sorgsam ausgearbeiteten Modelle, die im Architekturbüro eine wichtige Rolle in Entwurffindungsprozessen seiner komplexen konzeptionellen Methodik spielen. Fotografien und Zeichnungen in Petersburger Hängung an den Wänden sowie Bücher und Schriften in Vitrinen, die den theoretischen Kontext aufzeigen, ergänzen die Abfolge seiner Bauten von den 1960er Jahren bis heute. In Stil und Charakter sind die fotogenen Objekte alle unverkennbar. Vor allem strahlendes, die Umgebung spiegelndes sowie reflektierendes Weiß unterstreicht die künstlerische Souveränität und Autonomie der Bauskulpturen. Nach an Le Corbusiers Frühwerk geschulten Erstlingsbauten Meiers, Villen in der Umgebung New Yorks, stellt das „New Harmony’s Atheneum“ in Indiana das erste bekannte Projekt dar. Entstanden zwischen 1975 bis 1979, avanciert hier strahlende Makellosigkeit zum Label Meiers.
Nach den 1920er Jahren wird das Schiff als Symbol der Moderne in den 1970er Jahren wieder zum Inhalt der Architektur. Auch Richard Meier verbindet mit dieser Symbolik eine Wiederbelebung der Moderne und heroisiert sie zugleich. Villen für ein wohlhabendes Klientel, aber vor allem Museumsprojekte bringen ihm globale Reputation ein. Vor allem sie stehen im Fokus der Auswahl. Das zwischen 1984 bis 1998 ausgeführte Getty Center in Kalifornien stellt den größten Privatauftrag dar, der in der zweiten Hälfte des 20sten Jahrhunderts an einen Architekten vergeben wurde. Seit Ende der 1970er Jahre entstanden allein in Europa acht Museen nach Meiers Plänen, davon sieben in Deutschland. Keines davon hatte eine so lange Realisierungsdauer wie Rolandseck: 17 Jahre von den ersten Skizzen im Jahr 1990 bis zur Inbetriebnahme im September 2007. Ohne Wiedervereinigung, neuer Hauptstadt Berlin und finanziellen Ausgleichszahlungen hätte es das „Bonn-Berlin-Ausgleichsprojekt“ wohl nie gegeben.
Symptomatisch mit seinen scharfkantigen Massen, expansiv eingesetzten Glaselementen und allseitigem Weiß ist das Arp Museum kongruent zu weiteren Museen gestaltet: Dem Museum für angewandte Kunst in Frankfurt am Main, realisiert 1979 bis 1985, dem Stadthaus in Ulm, realisiert 1986 bis 1993, dem Museum Frieder Burda in Baden-Baden, realisiert 2001 bis 2004 oder dem Weishaupt-Forum in Schwendi bei Ulm, realisiert zwischen 1987 bis 1992. Hervorzuheben sind in Europa noch das Museum für zeitgenössische Kunst in Barcelona, ausgeführt von 1987 bis 1995, und das Ara Pacis Museum in Rom, errichtet zwischen 2002 bis 2005. Sie alle sind zu vielgliedrigen Konstruktionen dramatisiert, oszillieren zwischen Frontalität und Rotation, stellen allerdings das sinnlich-intellektuelle Vergnügen in den Vordergrund, weniger die Nutzung.
Die Ausstellung thematisiert zugleich fünf für Richard Meier wichtige Aspekte: Die Spezifika des Ortes mit Ausblicken in Flugperspektive oder Durchblicke wie jene auf das Ulmer Münster, die Eigenschaft einer Lichtmaschinerie, wie sie teils gewöhnungsbedürftig erscheint, allen voran bei der fächerförmig angelegten „Jubilee Church“ in Rom, die an Schiffe erinnernde Farbe Weiß, den zu durchwandernden und die Gesamtwirkung steigernden Weg, der den Erlebnischarakter der Gebäudedramaturgie betonen soll, sowie die Proportionen. Die Schau wird übrigens abgerundet durch Meiers 2002 vorgestellte Pläne zum Wiederaufbau des New Yorker World Trade Centers, einer kühlen, ornamentlosen und ins Überdimensionale überführten Gitterkonstruktion, die auf das Straßenraster der Metropole New York anspielt.
Immer noch höchst aktiv, ist der fast 80jährige noch längst nicht aus der internationalen Szene wegzudenken. Geboren wurde der Nachfahre einer im 19ten Jahrhundert in die USA eingewanderten, ursprünglich in Franken beheimateten jüdischen Familie am 12. Oktober 1934 in Newark, New Jersey. 1957 schloss Richard Meier sein Architekturstudium an der renommierten Cornell University in Ithaka, New York, ab. Sein großer Wunsch, im Pariser Büro von Le Corbusier eine Anstellung zu finden, erfüllte sich nicht. Stattdessen fand er Arbeit in anderen New Yorker Architekturbüros, unter anderem von 1960 bis 1963 bei Marcel Breuer. Zu dieser Zeit betätigte er sich auch als Maler im Stil des abstrakten Expressionismus und teilte sich ein Atelier mit Frank Stella. 1963 eröffnete Meier sein eigenes Architekturbüro. Bei einer Konferenz im Jahr 1969 im Museum of Modern Art in New York wurden Meiers Arbeiten zusammen mit jenen von Peter Eisenman, Michael Graves, Charles Gwathmy und John Hejduk vorgestellt, Baumeister, die sich durch Orientierung an der klassischen Moderne verbunden fühlen und seit 1972 als „The New York Five“ firmieren.
Die Ausstellung „Richard Meier. Building as Art“ ist noch bis zum 3. März zu besichtigen. Das Arp Museum Bahnhof Rolandseck hat täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 6,50 Euro. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen. |