Wie werden Künstlerkarrieren gemacht, wie Künstlerbiografien vernichtet? Ein zeitloses Lehrstück über das lancierte Hochjubeln eines Nachwuchskünstlers, den man dann ebenso kalkuliert wieder fallen lässt, liefert das 1969 uraufgeführte Theaterstück „Change“ des 2005 verstorbenen österreichischen Dramatikers Wolfgang Bauer. Die aus Mödling bei Wien stammende Berliner Künstlerin Kerstin Cmelka, Jahrgang 1974, hat für ihr identisch betiteltes Stück „Change“ fünf Szenen aus Bauers Original sowie eine weitere Szene aus seinem Stück „Magic Afternoon“ von 1967 auf heutige Verhältnisse und Sehgewohnheiten hin adaptiert. Sie inszeniert dieses Stück, das ironisch und entlarvend zugleich die Mechanismen des Kunstbetriebs mit all seinen immanenten Pseudofreundschaften, Intrigen, Verlogenheiten und Wertschöpfungsketten thematisiert, als prägnantes Mikrodrama:
Ein aus dem Wiener Vorort St. Pölten stammender Hobbymaler stellt sein Werk einem etablierten Künstler und seinem Freund, einem einflussreichen Kritiker, in dessen Wohnung beim Rotwein vor. Beide sind sich schon vorher einig: Der ahnungslose Autodidakt soll aus dem Nichts zum neuen Kunststar aufgebaut werden. Ausstellungen, positive Mundpropaganda und lobende Kritiken sollen den Nobody zum Talk of the Town machen. Danach aber darf der Ruhm des jungen Shooting Stars bitteschön eben so schnell verblassen wie er gekommen war. Der junge Held soll sogar in den verzweifelten Selbstmord getrieben werden. Die Preise für seine Werke dürften danach geradezu explodieren. Geht das perfide Spiel auf?
Zur Eröffnung der Ausstellung „All Change“ von Kerstin Cmelka Anfang Dezember 2012 im Kunstverein Harburger Bahnhof in Hamburg wurde ihr Mikrodrama „Change“ live aufgeführt. Cmelka selbst war eine der Darstellerinnen, befreundete Wiener Künstler und Kritiker als weitere Laiendarsteller komplettierten das Ensemble. Für die Abschlussszene, einen improvisierten Tanz mit Klamottentausch auf das Kommando „All Change“ hin, lud Kerstin Cmelka einige Protagonisten des Hamburger Kunstbetriebs zur Mitwirkung ein, darunter auch die Autoren dieses Porträts. Das Stück, das in der Ausstellung auch als Videoprojektion gezeigt wurde, ist einerseits eine bissige Persiflage auf den Kunstbetrieb, andererseits zitiert und verweist es auch auf das gängige Vokabular von Volks- und Stegreifstücken. Kostüme, Bühnenbild und Posen erinnern an die 1960er und 1970er Jahre, die Dialoge sind pointiert, die Gesten cool und lässig.
Kerstin Cmelka, die vor ihrem Kunststudium an der Städelschule in Frankfurt einige Semester Germanistik studiert hat, bedient sich gern aus dem Repertoire gängiger Theaterstücke. So adaptierte sie bereits Szenen aus Stücken der frühen Moderne wie Arthur Schnitzlers „Liebelei“, aus Henrik Ibsens „Nora, ein Puppenheim“ oder Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wienerwald“. Für ihre Mikrodramen, die seit 2008 kontinuierlich entstehen, engagiert sie bewusst Laiendarsteller, die in der Regel aus dem Kunstbetrieb kommen und deren eigentliche Tätigkeit als Maler, Kritiker etc. idealer Weise sogar mit der Tätigkeit der dargestellten Rolle korrespondiert. Die so entstehende Ambivalenz von Schein und Sein wird zum primären Untersuchungsgegenstand ihrer Adaptionen.
Im ehemaligen Wartesaal für Bahnreisende der 1. und 2. Klasse, dem Hauptausstellungsraum des Kunstvereins Harburger Bahnhof, installierte Kerstin Cmelka vier Videoarbeiten, die parallel liefen. Der Ton war jedoch von jeweils nur einem Video zu hören, dann brach er im Verlauf des Films ab, und der Text lief nur noch in Untertiteln mit. So konnte der durch die Ausstellung flanierende Besucher sich nacheinander auf alle Videoarbeiten einlassen, ohne lästige Kopfhörer tragen zu müssen. Vom selbstironischen Singstück in Wiener Volkstradition, aufgeführt zusammen mit ihrer Mutter, die auch Künstlerin ist, bis zur dramatischen Trennungsszene aus „Who’s afraid of Virginia Wolf“, in der Kerstin Cmelka als am Abgrund stehende, verzweifelte weibliche Protagonistin im Vierziger-Jahre-Kostüm brilliert, bot die Harburger Ausstellung einen guten Überblick über das neuere filmische Schaffen der Städel-Schülerin.
Doch wie fing alles an? Eher zufällig stieß Kerstin Cmelka in den 1990er Jahren auf eine Super-8-Kamera. Angeregt durch einen Freund, begann sie, kleine Experimentalfilme zu produzieren. Schnell wurde ihr jedoch klar, dass sie sich trotz regelmäßigen Teilnahmen an Filmfestivals und etlicher Auszeichnungen nicht nur im Filmkontext verorten wollte. Ihr künstlerisches Interesse galt anderen Fragestellungen. Sie nahm ein Studium an der Frankfurter Städelschule auf, wo das künstlerische Arbeiten mit Film gleichwertig mit Malerei oder Skulptur angesehen wurde. Zuerst studierte sie bei dem österreichischen Experimentalfilmer Peter Kubelka, später dann bei Thomas Bayrle und Simon Starling. Kerstin Cmelkas erste Filme basierten auf Manipulationen der linearen Abfolge, Mehrfachbelichtungen, Experimenten mit Aufnahme- und Abspielgeschwindigkeiten, Masken und asynchronen oder übereinander gelegten Tonspuren, so etwa in der Arbeit „O.T. (16mm Filminstallation)“, die sie 2003 im Schnittraum Köln zeigte. Selbst gedrehte Aufnahmen des Vesuvs liefen in Endlosschleife auf drei nebeneinander angeordneten Projektionsflächen. Obwohl identisches Ausgangsmaterial verwendet wurde, gab es aufgrund der vorgenommenen Manipulationen subtile Unterschiede. Realitätssplitter mischten sich mit atmosphärischen Geräuschen und unplanbaren Momenten.
Gegen Ende ihres Studiums trat ihre Beschäftigung mit Performances und Aktionen stärker in den Vordergrund, wobei sie selbst ihre eigene Hauptdarstellerin war. Im Rahmen ihrer „Re-action“-Reihe führte Kerstin Cmelka Nachinszenierungen bekannter Aktionen aus den 1960er Jahren etwa von Valie Exports „Mappe der Hundigkeit“ oder ihrem „Tapp und Tastkino“ durch. Dabei interessierte sie sich weniger für die ursprünglichen politischen und feministischen Aspekte der Vorlage als für die Parameter der eigenen und der kollektiven Erinnerung an diese zum Allgemeingut gewordenen Aufnahmen sowie die mit dem eigenen Re-Agieren als Performerin im Außenraum der Jetztzeit verbundene emotionale Verfasstheit. Diese „Re-Actions“ hielt Kerstin Cmelka zudem in Fotografien fest.
Dieses Prinzip der „Wiedervorlage“ und neuerlichen Überprüfung kollektiv erinnerter Bilder wendet sie auch auf die Ära des Autorenfilms der 1960er Jahre an. So re-fotografiert sie schwarz-weiße Produktionsfotos, die am Rande der Dreharbeiten etwa von Filmen Ingmar Bergmans oder François Truffauts entstanden sind und für die damalige Fangemeinde in kleinen Taschenbüchern mit grobem Druck und einfachem Layout veröffentlicht wurden. Kerstin Cmelka isoliert hier bestimmte Gesten und Blicke zwischen Mann und Frau, zwischen Regisseur und Schauspielerin. Sie legt subtile Kontroll- und Herrschaftsmechanismen offen, demaskiert die Machtgesten des Regisseurs und die stille Passivität der Darstellerinnen.
In einer weiteren, noch an der Hochschule entstandenen Arbeit beschäftigt sie sich mit der ambivalenten Figur der Josephine Baker, die einerseits stets mit der Opferrolle der mit exotischen Klischees befrachteten, schwarzen Varietétänzerin identifiziert wird, andererseits aber selbst als eine der ersten Frauen Merchandising im Show Business betrieb und mit „Bakersoap“ und „Bakerfix“-Haargel, ähnlich wie es heute Madonna oder Lady Gaga tun, eigene Kosmetikprodukte auf den Markt brachte. Kerstin Cmelka druckte das von Strahlen umkränzte Konterfei des Revuestars auf eine 100 mal 100 Zentimeter große Metallfolie, die an ein überdimensioniertes Einwickelpapier für Pralinen erinnerte und stellte somit einmal mehr die Frage nach dem Zwiespalt zwischen Vereinnahmung und Selbststilisierung des „Produktes“ Josephine Baker.
Zum Abschluss ihres Studiums an der Städelschule präsentierte Kerstin Cmelka 2005 ihre Arbeit „Alma Mahler-Fetischpuppe“. Der Maler Oskar Kokoschka beauftragte 1918 die Puppenmacherin Hermine Moos, eine überlebensgroße unbekleidete Puppe nach dem Vorbild seiner Geliebten Alma Mahler herzustellen, die ihn kurz zuvor verlassen hatte. Diese hat er hunderte Male gezeichnet und gemalt. Darüber hinaus soll er sie aber auch etwa im Rahmen von Künstlerfesten vor Publikum malträtiert und schließlich geköpft und weggeworfen haben. Der Mythos um diese Puppe als stummes Opfer bis zum Extrem der ausgelebten Obsessionen ihres Schöpfers beschäftigte Kerstin Cmelka. Nach Kokoschkas verschollenem Vorbild ließ auch sie eine 1,95 Meter große Alma Mahler-Figur aus Schaumstoff und flauschigem Kunstfell produzieren – ein anthropomorphes Artefakt mit durchaus ambivalenter Aufladung. Die Arbeit evozierte Fragen nach dem Fetischcharakter der zwischen begehrenswertem Lustobjekt und gespenstischem Dämon changierenden Puppe. Sie spürte den narzisstischen Allmachtsfantasien ihres ursprünglichen Schöpfers nach, provozierte aber auch heute noch brisante Fragen nach der Psychologie des männlich dominierten Blickregimes in Bezug auf den unbekleideten weiblichen Körper.
Um psychologische Konstellationen geht es Kerstin Cmelka auch in den Arbeiten, die sie unter dem Terminus „Multistability“ zusammenfasst. Dieser Begriff aus der Psychologie beschreibt verschiedene emotionale Stabilitäten, die an einem bestimmten Punkt der Wahrnehmung kippen. Bekanntestes Beispiel dafür ist das Vexierbild Alte Hexe/Junge Frau. Kerstin Cmelkas Arbeiten bewegen sich häufig an dieser Schnittstelle, jedoch nicht vordergründig sondern im Subtext. In einigen ihrer fotografischen Arbeiten sowie Installationen mit Drehspiegeln erkundet sie dieses Scharnier des Vagen, Instabilen und Doppeldeutigen.
2011 entstand gemeinsam mit dem Künstler Martin Hoener das Projekt „Male!“. Der Titel ist doppeldeutig: Einerseits geht es um den Imperativ der deutschen Sprache, die simple Aufforderung zum Malen. Liest man ihn englisch, ist das männliche Geschlecht gemeint. In einer mit prall gefüllten Bücherregalen, bildungsbürgerliches Flair verströmenden Berliner Jugendstilwohnung ließ Kerstin Cmelka männliche Laienmodels in Unterwäsche vor von Hoener gefakten Gemälden männlicher Malerstars wie Daniel Richter oder Albert Oehlen posieren. Einen kunsthistorischen Bezugspunkt gab es auch hier. Angeregt durch einen kritischen Essay des marxistischen Kunsthistorikers Timothy J. Clark, bezieht sich Cmelka auf eine Fotostrecke, die der britische (Mode-)Fotograf Cecil Beaton 1951 für die Vogue aufgenommen hat. Weibliche Modelle posierten in pastellfarbenen Abendkleidern vor Drip Paintings von Jackson Pollock. Kunst fungierte hier als Verkaufshilfe für hochpreisige Gesellschaftsmode. Durch ihre Inszenierung vor der Folie avantgardistischer Malerei sollte dem Warenprodukt Abendkleid kulturelle Credibility eingehaucht werden.
Für ihre Persiflage auch heute noch nach derartigen Mustern konzipierter Modestrecken benutzte Cmelka Männerunterwäsche von gängigen Modelabels, aber auch altmodische Bademäntel oder das Turntrainerkostüm ihrer Oma. Ihre männlichen Amateurmodels räkelten sich auf Sofas und Decken, lasen Theoriebände oder standen versonnen am Bügelbrett. Heterosexuelle, schwule und „metrosexuelle“ Posen vermischten sich. „Male!“ lieferte natürlich auch greifbare und bleibende Resultate. Es gab eine Fotostrecke im Mailänder „Fantom Magazine“, eine Ausstellung und ein Poster. In der als offenes spielerisches Experimentierfeld angelegten Produktion ging es Cmelka aber gar nicht bloß um derart greifbare Ergebnisse. Ihr Interesse galt auch und gerade dem gemeinsamen Agieren in einem vorgegebenen, von Abstimmungsprozessen, unterschwelligen Hierarchien und Erwartungen, männlichen und weiblichen Stereotypen aber auch Elementen wie Spaß und Improvisation charakterisierten Setting.
Im letzten Jahr produzierte Kerstin Cmelka zwei Talkshows, die sich, wie fast alle ihrer Arbeiten, um die Themen Kunst und Leben drehten. Im Kunstraum „Elaine“ in Basel inszenierte sie auf Schaumstoffmöbeln eine Talkshow zum Thema „Durchdringung von Kunst- und Lebensformen“ mit Kuratoren und Kritikern als Gästen. Cmelka half nach bei der Kostümierung, drapierte Schals und andere lässige Accessoires im Kleidungsstil gängiger TV-Kultur-Magazine. Die Gesprächsrunde wurde aufgezeichnet, transkribiert und dann von den Teilnehmern auswendig gelernt und noch einmal nachgesprochen – mit allen Fehlern, Kunstpausen und den daraus für das Publikum resultierenden Irritationsmomenten. Im schwedischen Lund hingegen führte Kerstin Cmelka die fiktive Fernseh-Talkshow „Art & Life“ durch, in die sie lokale Kunstgrößen, schwedische Moderatoren und eine Studioband integrierte. Hier hatte sie in zuvor geführten Interviews die grobe Richtung vorkonzipiert. Eine gelungene Persiflage auf ein allzu häufig langweilendes TV-Format, aber auch ein ironischer Kommentar auf im Kunstbetrieb gängige Streitgespräche.
Kerstin Cmelka gelingt es, kunstimmanente, aber auch gesellschaftliche Fragestellungen und Entwicklungen spielerisch, schauspielerisch und inszenatorisch aufzunehmen und gleichzeitig ebenso beiläufig wie konsequent zu analysieren. Eitelkeiten im Kunstbetrieb, der Warencharakter von Kunst, Modephänomene, Gender-Verschiebungen, der „neue“, sich metrosexuell und romantisch inszenierende Mann, aber auch ihre eigene Verstricktheit in das alles treiben sie dabei an. Dazu ein neuer Feminismus, dem es nach Cmelkas Forderung in ihrem Aufsatz „Teilt euch eure Kräfte ein!“ für das Feminismus-Heft von Texte zur Kunst im Dezember 2011 gelingen möge, seine Werkzeuge zum Beispiel gegen sexistische Provokationen „hoch zu frisieren“ sowie den „Kräfte raubenden Kampf der pausenlosen Verteidigung einfach nicht mehr zu führen und die gesamte Energie viel unlauterer und verschwenderischer in ein feministisches Praxisfeld fließen zu lassen“.
Literarische, filmische und kunsthistorische Zitate liefern dabei oft die historische Folie für Cmelkas Untersuchungen aktueller Phänomene. Was haben uns Valie Export, Ingmar Bergmann oder Oskar Kokoschkas Alma Mahler-Puppe heute noch zu sagen? Kerstin Cmelka positioniert sich da als Künstlerin, Regisseurin und Darstellerin mit einem untrüglichen Gespür für Re-Aktionen, Re-Visionen und Re-Lektüren. Ironie und Selbstironie sind daneben ein wichtiges Bindeglied für die einzelnen Arbeiten. Ob als aufgekratzte Künstlerbraut, als coole Wiedergängerin von Valie Export, Wiener Volksschauspielerin oder Filmdiva in Romy Schneider-Pose: Kerstin Cmelka schlüpft mit großer spielerischer Leichtigkeit in jede sich ihr anbietende Rolle. Bei aller Wandlungsfähigkeit verbirgt sie sich aber nicht hinter Masken. Sie selbst als Künstlerin bleibt stets zu erkennen. Kerstin Cmelka hebt die Verflechtungen und Verkrustungen des Kunstsystems kreativ und kritisch auf die Bühne und bleibt gleichzeitig Teil davon. Die Außenperspektive dürfen andere einnehmen. |