Mit einem eher unklassischen, aber auf die Frieze Art Fair und ihre Besucher ausgerichteten Programm wartet Sotheby’s in London in der Versteigerung zeitgenössischer Kunst am 17. Oktober auf. Eine Reihe junger, auf den großen Abendauktionen teils unerfahrener Künstler hat es hier in die erste Reihe geschafft. Da wäre zum Beispiel der 1975 geborene Amerikaner Alex Hubbard, der mit seinen schillernden, entfernt an Informel und Abstrakten Expressionismus erinnernden Großformaten auch diesseits des großen Teiches seit Jahren in renommierten Galerien präsent ist. Bisher nur auf Tagesauktionen vertreten, soll sein rotes „Dead in Pompeii“ von 2011 mit weißen, wie Neonlichter über die Leinwand zuckenden Linien jetzt 40.000 bis 60.000 Pfund kosten. Eine der rasantesten Raketen ist der aus Kolumbien stammende, heute in London lebende Oscar Murillo. Zarte 27 Jahre zählt er, geht aber schon seit einiger Zeit bei Saatchi und David Zwirner ein und aus. Im vergangenen Juni dann die Sensation: 210.000 Pfund auf der Tagesauktion von Christie’s für ein 2011 datiertes Gemälde mit dem Schriftzug „Pasteles“. Jetzt reißen sich die Auktionshäuser um den jungen Star, alle drei Großen in London haben ihn im Herbstprogramm, und auch Sotheby’s dürfte für die expressive Schriftkritzelei „Champagne“ heimlich mehr erwarten als die angegebenen 40.000 bis 60.000 Pfund.
Dieselbe Auktion im Juni 2013 puschte auch die 1981 in San Francisco geborene Tauba Auerbach hoch. 420.000 Pfund schaffte eine ihrer Faltenmalereien aus dem Jahr 2010 damals bei Christie’s, dagegen nehmen sich die 40.000 bis 60.000 Pfund für das Puzzle schwarz-weißer Quadrate „Binary Lowercase“ von 2006 jetzt wieder recht bescheiden aus. Schon etwas erfahrener auf dem internationalen Auktionsmarkt ist Dan Colen, Jahrgang 1979, der mit seinen Kaugummibildern schon an der Millionengrenze kratzt und mit seinen „Birdshit“-Bildern von 2006/07, wie auch bei Sotheby’s jetzt eines vorliegt, im hohen fünfstelligen Pfund-Bereich rangiert. Wade Guyton steuert einen seiner großformatigen schwarzweißen, wie eine kaputte Jalousie wirkenden Tintenstrahldrucke von 2008 für 300.000 bis 400.000 Pfund bei, und Nate Lowman eines seiner vergrößerten Einschusslöcher im Comicpunkterastermanier unter dem Titel „Pink Altima“ von 2005 für 80.000 bis 120.000 Pfund.
In diese jüngste Künstlergruppe gehören auch noch Hurvin Anderson mit seinen schemenhaften Gemälde „House“, das wie eine Hütte im Urwald auftritt (Taxe 120.000 bis 180.000 GBP), und seine 1977 geborene Londoner Kollegin Lynette Yiadom-Boakye, für die Massimiliano Gioni einen eigenen Ausstellungsraum im italienischen Palazzo auf der diesjährigen Biennale in Venedig reserviert hat und die zu den Finalisten des Turner Prize 2013 gehört. Dass es einmal auch recht günstig bei den Londoner Abendauktionen werden kann, macht ihr Portrait zweier farbiger Upper Class-Damen deutlich. Die grotesk überzeichneten Frauen in ihren Abendkleidern unter dem Titel „Politics“ von 2005 verlangen nur 15.000 bis 20.000 Pfund.
Nur zahlenmäßig bescheiden ist die Riege der Altmeister. Denn Millionenwerte werden für Gerhard Richters gelbgrünes „Abstraktes Bild“ mit durchschimmerndem Rot und der Werknummer 820-1 von 1994, Jean-Michel Basquiats Comiccollage „Red Joy“ mit breitem rotem Rahmen von 1984 (Taxe je 1,5 bis 2,5 Millionen GBP) und für ein unbetiteltes Hängemobile des Amerikaners Alexander Calder in den Grundfarben Rot, Gelb und Blau aus dem Jahr 1958 erwartet (Taxe 1 bis 1,5 Millionen GBP). Hoffnungen auf einen siebenstelligen Betrag kann sich auch der Vorbesitzer von Jean Dubuffets schrundiger Maskenfigur „Jacasse“ von 1961 machen. Zumindest als obere Summe sind 1,2 Millionen Pfund angegeben. Bei 900.000 bis 1,3 Millionen Pfund liegt eine Serie von 28 Gouachen mit stilisierten, monochrom roten Blumen Louise Bourgeois’. Mit ihrem Entstehungsjahr 2010 dürften sie eines der letzten Werke der im selben Jahr verstorbenen Künstlerin sein. Als Bildhauerin ist Bourgeois mit der Hängefigur einer schwangeren und deformierten „Femme“ von 2005 zugegen (Taxe 200.000 bis 300.000 GBP).
Die Pop Art repräsentieren Andy Warhols sechsteiliges Spätwerk „Abstract Sculpture“ von 1984 als Hommage an die bemalten Metallknäuel John Chamberlains (Taxe 500.000 bis 700.000 GBP), Robert Indianas rot-violett bemalte Aluminiumskulptur „Love“ von 1966/99 (Taxe 400.000 bis 600.000 GBP) und Roy Lichtensteins grafisch aufgefasstes und auf die Farben Schweiß, Weiß und Gelb reduziertes Interieur „Modern Room (Study)“ von 1990/96 mit Warhols Mao-Bild an der Wand für 300.000 bis 400.000 Pfund. Eine interessante Offerte ist Richard Hamiltons Ölgemälde „Still Life?“ von 1954, das schon im Titel das Konzeptuelle, die klassischen Kunstnormen in Frage Stellende äußert, obwohl es stilistisch irgendwo bei Paul Cézanne und Kubismus grast (Taxe 250.000 bis 350.000 GBP).
Aus der Generation der „Mittelalterlichen“ sind Sean Scully mit der mittelgroßen warmtonigen Farbbalkenkomposition „Wall of Light (Summerland)“ von 2009 (Taxe 350.000 bis 450.000 GBP), Christopher Wools schwarz-weiße Explosion „Rip Rig Panic“ von 2001 (Taxe 700.000 bis 900.000 GBP) und John Currins Kitschmalerei „Innocent, Loser, Prophet“ von 1995 zu nennen (Taxe 350.000 bis 450.000 GBP). Glenn Brown geht mit der drei Meter breiten Leinwand „Ornamental Despair“ an den Start, einer Weltraumvision mit Gesteinsbrocken, auf dem sich das Fragment einer Basis erhebt, und andockendem Raumschiff. Als Vorlage diente eine Erfindung des berühmten Science Fiction-Malers Chris Foss, gewidmet ist das 1994 datierte Gemälde dem 1980 verstorbenen Musiker Ian Curtis. 2 bis 3 Millionen Pfund soll das bereits mehrmals ausgestellte Großformat kosten. Die gleiche Summe steht auf dem Etikett von Juan Muñoz’ „Conversation Piece V 1/1“ von 2001 mit drei sackhüpfenden Bronzefiguren annähernd in Lebensgröße.
Die Deutschen sind, von Richter abgesehen, ausschließlich fotografisch tätig: Thomas Struth etwa mit seiner jugendlichen Besuchergruppe vor Velázquez’ „Meninas“ im „Museo del Prado 4“ (Taxe 150.000 bis 200.000 GBP), vor allem aber Andreas Gursky, von dem unter anderem das hektische Börsianerbild „Chicago Mercantile Exchange“ von 1997 für 650.000 bis 850.000 Pfund zum Aufruf kommt. Die Deutsche Telekom trennt sich von dem insgesamt fast vier Meter breiten Blick auf einen tristen Wohnblock in „Paris, Montparnasse“. 1 bis 1,5 Millionen Pfund will das Unternehmen für das 1993 entstandene Exemplar haben und anschließend in den Ankauf jüngerer Kunst reinvestieren. Den 2012 verstorbenen Österreicher Franz West ehrt die Aufnahme eines bemalten Steinklotzes – der in Wahrheit aber aus Papiermasse besteht und auf einem schlichten Eimer ruht – von 2007 ins Programm der Abendauktion. Immerhin bei Gagosian in London hat das gestaltlose Ungetüm schon gestanden (Taxe 100.000 bis 150.000 GBP).
Die Kunst aus Fernost macht sich in Form von Zeng Fanzhis „Mask Series No. 26“ mit zwei greinenden Männern von 1995 (Taxe 1,2 bis 1,5 Millionen GBP) und Zhang Xiaogangs „Bloodline: Sister and Brother“ von 1996 für 600.000 bis 800.000 Pfund bemerkbar. Der Name, der am häufigsten auf der Auktion fällt, ist Takashi Murakami. Der 1962 geborene Japaner ist mit vier Positionen zugegen, die seine künstlerische Verarbeitung der dortigen Manga-Kultur zeigen. Sowohl seine erotisch-freundliche „Miss Ko2“ von 1996, sein lustig-gefährlicher „Magic Ball I (Positive)“ von 1999 und die auf den ersten Blick ebenso unschuldige Prilblumenmausfigur „Kaikai“ mit Totenkopfstab von 2000 listet der Katalog mit jeweils 500.000 bis 700.000 Pfund.
Eine eigene Versteigerung mit 46 Losenummern hat Sotheby’s der italienischen Kunst des 20sten Jahrhunderts vorbehalten. Bis in die 1910er Jahre geht man hier zurück mit Gino Severinis kubofuturistischer abstrakter Tuschezeichnung „Passo di Ballo“ von 1913/14 (Taxe 200.000 bis 250.000 GBP) und Carlo Carràs Bleistiftskizze „La Piazza“ von 1917 mit zwei puppenhaften Menschengestalten (Taxe 8.000 bis 12.000 GBP). Mit Giorgio de Chiricos vergleichbarer surrealer „Muse Inquietanti“ von 1951 samt drei Figuren auf großem Platz von einer Renaissancefestung und einem Fabrikgebäude (Taxe 350.000 bis 450.000 GBP) und einer großen in den Flaggen der Länder gewebten Weltkarte von Alighiero Boetti aus dem Jahr 1984 gelangen noch weitere Klassiker der figurativen Kunst Italiens zum Aufruf (Taxe 500.000 bis 700.000 GBP).
Auch die Stillleben Giorgio Morandis fehlen nicht. Drei Stück davon gibt es für bis zu 900.000 Pfund, wobei der Meister der Beschaulichkeit nicht nur die üblichen Vasen, Dosen und Schachteln für bis zu 900.000 Pfund abkonterfeite, sondern 1947 auch ein kleines stilles Rosenbouquet in einer Balustervase (Taxe 220.000 bis 260.000 GBP). Marktfrisch, weil vom derzeitigen Eigentümer unmittelbar nach Fertigstellung 1975 erworben und niemals ausgestellt, hängt Michelangelo Pistolettos auf spiegelblanker Stahltafel gedruckte und den Betrachter damit ins Bild holende „Bionda Nuda – Orizzontale“ für 400.000 bis 500.000 Pfund bereit. Zur Art Povera-Kunst gehört noch Giuseppe Penones Eisen- und Bronzeskulptur „Lo Spazio della Scultura. Pelle di Cedro – Chiodo“ von 2002, die Rinde und Äste eines Baumes nachahmt (Taxe 220.000 bis 280.000 GBP), oder Mario Merz’ leuchtende Fibonacci-Zahlenreihe „Una somma reale è una somma di gente“ mit dazugehörigen Restaurantfotos von 1972 (Taxe 250.000 bis 350.000 GBP).
Der Schwerpunkt liegt aber dann doch auf den Abstrakten, allen voran auf Lucio Fontana mit mehreren Schnittbildern in Rot (Taxe 400.000 bis 600.000 GBP) und Weiß (Taxe 450.000 bis 650.000 GBP), einem vielfach gelöcherten „Concetto Spaziale“ von 1960 in Gelb für 1 bis 1,4 Millionen Pfund oder dem hochformatigen Sechseck „L’inferno“ von 1956 mit wilden Farbgemischen, Glassteinen und allerlei Ablagerungen für 700.000 bis 1 Million Pfund. Reich ist die Auswahl an Arbeiten des Informel, etwa Emilio Vedovas ungestüm bewegter „Ciclo-62-63“ (Taxe 280.000 bis 350.000 GBP), drei Stücken von Afro Basaldella für bis zu 500.000 Pfund für die ruhigere Landschaftserinnerung „Solchiaro“ von 1958 und vier Alberto Burris, von denen besonders das collageartige „Bianco-Rosso (T T X)“ von 1954 aus dem Besitz Stanley J. Seegers bezeichnend ist (Taxe 400.000 bis 600.000 GBP).
Wer es etwas geordneter mag, sei auf Enrico Castellani und seine reliefartig strukturierten „Superficie“-Bilder in Weiß von 1969 (Taxe 300.000 bis 400.000 GBP) oder Gelb von 1972 verwiesen (Taxe 90.000 bis 120.000 GBP). Auch die glänzend polierten Stahlquadrate „Rilievo Speculare a Elementi Curvi“ von Getulio Alviani von 1962/67 oder das zart horizontal strukturierte „Achrome“ von Piero Manzoni stehen für eine äußerlich eher ruhige Kunst (Taxe 100.000 bis 150.000 GBP). Als Plastiker ragt Marino Marini mit einem sich umwendenden, auf den Vorderbeinen gerade etwas wackligen „Cavallo“ aus dem Jahr 1952 (Taxe 450.000 bis 650.000 GBP) und einer drei Jahre jüngeren „Idea del Cavaliere“ für 800.000 bis 1,2 Millionen Pfund hervor. |