 |  | Lajos Barta, Liebeskraft, 1973 | |
Tragen und getragen werden – Lajos Bartas Skulptur „Liebeskraft“ von 1973 bietet eine empfindsame Interpretation dieser menschlichen und zugleich bildhauerischen Grundkonstante. Der wegweisende und tragende Part ähnelt einem stilisierten Torso in Schrittstellung. Das lastende Element umschlingt den Torso und wirkt wie Gliedmaßen vergleichsweise lebendig. Trotzdem strahlt das Werk eine statische Ruhe aus. Quer zum Rhein gerichtet, spielt es auf die benachbarte Remagener Brücke an, einen sensiblen Platz, einen Ort der Befreiung, ein Symbol des Friedens. Tiefgründig versinnbildlicht Barta zugleich menschliche Beziehungen auf abstrakte Weise. Eigenständigkeit und Gemeinsamkeit, Aktivität und Passivität zweier Partner lassen sich mühelos assoziieren. Nur wenige Monate vor dem Tod des Künstlers wurde das Werk an einem verschneiten Novembertag 1985 eingeweiht.
Mit Lajos Barta verbindet die Kunstwelt wenig, am meisten noch ein Dutzend Großplastiken im öffentlichen Raum. Acht davon stehen in Deutschland. Alle für eine Ausstellung zusammenzubringen, ist natürlich nicht möglich. Nun hat sich das Arp Museum Bahnhof Rolandseck dem Künstler in einer Schau angenommen. Im Remagener Museum sind Bartas Skulpturen aus dem Stadtraum in der Form von Fotografien präsent, die sie in Originalgröße vorstellen. Insgesamt 131 Kleinplastiken, Modelle, Formen, Zeichnungen und Fotografien versammelt die erste umfassende Retrospektive des Künstlers anlässlich des Themenjahres „Künstler-Ich“ an einem Ort, wie er idealer für Barta wohl nicht denkbar ist. Abgesehen von formalen Korrespondenzen zum Hauspatron Hans Arp, den Barta bewunderte, kehrt der Künstler an seine alte Wohn- und Arbeitsstätte zurück. Wie dieser Bahnhof auch für Lajos Barta zu Einfallstor und Zwischenstation wurde, zeigt seine Biografie, auf der sein Schaffen basiert.
Geboren 1899 in Budapest, absolvierte Lajos Barta eine traditionelle Ausbildung an der Kunstgewerbeschule seiner Heimatstadt und nahm zwischen 1915 bis 1917 zusätzlich Privatunterricht bei Professor Eduard Telcs. Während seiner Lehr- und Wanderjahre bis 1927 arbeitete er im klassizistischen Stil. 1932 lernte er den Maler Endre Rozsda kennen, der sein Lebenspartner und künstlerischer Begleiter wurde. Zusammen mit ihm unterhielt er von 1938 bis 1943 ein Atelier in Paris, wo er mit surrealistischen Strömungen und Ideen der Gruppe „Abstraction-Création“ in Kontakt kam, was den Durchbruch der Abstraktion in seinem Werkschaffen beförderte. Als Jude musste Barta während der Verfolgungen 1943 nach Budapest zurückkehren. Mit viel Glück gelang es ihm, 1944 aus einer Marschkolonne zu entkommen, die zum Abtransport nach Auschwitz getrieben wurde. Bis 1945 lebte er als Verfolgter im Untergrund. Danach engagierte er sich in der Künstlergruppe „Europäische Schule“ und avancierte zu einem der führenden Avantgardisten in Ungarn.
Sein Frühwerk ist geprägt von Formen, bei denen konstruktive und surrealistische Einflüsse in einer über physische Erscheinungen hinaus gehenden Ausdruckskraft verschmelzen. Mit der Gründung der Volksrepublik Ungarn und dem Erstarken des Stalinismus brach diese Entfaltung ab. Lajos Barta wurde als „Formalist“ ausgegrenzt. Er musste sich dem Diktat des „Sozialistischen Realismus“ beugen, um den Status der Linientreue zu erhalten. Bis 1956 entstanden in diesem Sinne Bauplastiken, Reliefs und Tondi, wie beispielsweise ein Sportrelief für eine U-Bahnstation. Neben seinem öffentlichen Dasein als Bildhauer ging er auf riskante Weise als Zeichner in die innere Emigration. Hier führte er in seiner zweiten, nicht öffentlichen Rolle sein ihm gemäßes Œuvre fort. Nach dem Aufstand 1956 konnte der die Rollenteilung als privater Zeichner und öffentlicher Plastiker aufgeben. Vier abstrakte Großplastiken realisierte er in der Volksrepublik. Die an Eduardo Chillidas „Windkämme“ erinnernden „Wellen“ aus dem Jahr 1961, eine Sonneuhr, ein Brunnen sowie die Figurengruppe der „Pferdchen“, die 1963 im Budapester Jubiläumspark aufgestellt wurden, sind im Bahnhof Rolandseck in Abgüssen oder Modellen zu bewundern.
1962/63 unternahm der Künstler eine Studienreise durch Westeuropa, auf der er in England auch Henry Moore und Kenneth Armitage besuchte. Doch vernichtende Kritiken und Restriktionen verwehrten ihm zunehmend die Anerkennung im eigenen Land, so dass er sich zur Auswanderung entschloss. Im Sommer 1965 emigrierte er ins Rheinland. Durch Vermittlung eines Freundes landete er im Bahnhof Rolandseck, der vom Bonner Galeristen Johannes Wasmuth ab 1964 etappenweise in einen Künstlerbahnhof umgewandelt wurde. Hier lebte und arbeitete Barta bis 1967 im südlichen Kopfraum der heutigen Ausstellungsetage, einem ehemaligen prachtvollen Wartesaal, umtost von rauschenden Zügen und tuckernden Dieselmotoren der Rheinschiffe. Hier startete er noch einmal mit 66 Jahren eine zweite Künstlerkarriere und baute sich zielstrebig einen neuen Bestand an Plastiken und Zeichnungen auf. 1967 bezog er im nahen Köln ein eigenes Atelier.
Bereits 1966 fand seine erste Galerieausstellung statt, 1970 folgte eine Einzelausstellung im Kunstmuseum Bonn. 1971 wurde die „Schwingende“ im dortigen Hofgarten aufgestellt. Auf Einladung der Verlegerwitwe Del Duca weilte Lajos Barta dann bis 1974 in Paris, um private Porträtaufträge auszuführen. Aufgrund von ersten Preisen in sechs Wettbewerben und weiteren Bestellungen konnte er stattliche Großplastiken im öffentlichen Raum realisieren. Neben Remagen und Budapest sind in Köln, Bonn, Wuppertal, Siegen und Mülheim an der Ruhr bis heute Bartas Skulpturen einprägsame künstlerische Werke im öffentlichen Raum. Sie bilden den Nukleus der Retrospektive. Viele kleine weitere Modelle in der Ausstellung wie etwa die originelle Aluminiumarbeit „Hommage à l’Opéra Sydney“ von 1958 zeigen, mit welch ausdrucksstarker Kraft Barta den Geist der Zeit zwischen Surrealismus, Informel und organischer Formgebung reflektiert hat.
Mit großer Eigenständigkeit behaupten sich dagegen die Zeichnungen, von denen insgesamt rund 1.200 bislang bekannt sind. Viele sind Vorlagen für plastische Ausformungen. Schwerpunkt der Zusammenstellung bilden die 1940er und 1950er Jahre. Zum Teil noch nie öffentlich ausgestellt, geben sie Einblicke in die frühe surrealistische Phase Bartas und dokumentieren eindrucksvoll die Jahre der inneren Emigration. Nach dem Aufstand von 1956 entstehen dann auch abstrakte Zeichnungen mit humorvoll homoerotischer Konnotation. Disziplinübergreifend schöpfte er aus dem eigenen Leben, gab eigenes Empfinden und Erleben wieder. Barta öffnete stets seine Seelenräume, und dies macht seine Kunst so menschlich.
Die Ausstellung „Wahlheimat am Rhein – Der Bildhauer und Zeichner Lajos Barta“ ist bis zum 23. März 2014 zu sehen. Das Arp Museum Bahnhof Rolandseck hat täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. An Heiligabend und Silvester bleibt das Haus geschlossen. Der Eintritt beträgt 4 Euro, ermäßigt 2 Euro. Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen, der an der Museumskasse 18 Euro kostet. |