Eine Sonderausstellung des Museums für bildende Künste in Leipzig versucht, Werke des lange vergessenen Zeichners und Malers Richard Müller, des Pop Art-Künstlers Mel Ramos und des Modedesigners Wolfgang Joop mit dem Titel „ Die Schöne und das Biest“ in einem Ausstellungskonzept zu vereinen. Die leitende Idee dabei ist, Müllers und Ramos’ gemeinsames Interesse am weiblichen Körper zu thematisieren, Gemeinsamkeiten, aber auch provozierende Unterschiede zu entdecken. Wolfgang Joop als Gastkurator stellt Werke von Richard Müller aus seiner Sammlung sowie eine konzentrierte Auswahl eigener Arbeiten aus.
Den Großteil der Schau mit rund 90 Grafiken, Radierungen, Lithografien und Gemälden nehmen Werke des 1874 im böhmischen Tschirnitz geborenen Richard Müller ein. Seinen altmeisterlichen realistischen Malstil erlernte er an der Königlichen Kunstakademie in Dresden in den 1890er Jahren. Angeregt durch Max Klinger ist sein Schaffen in dieser Zeit geprägt von grafischen Arbeiten. So entstehen zahlreichen Tier- und Landschaftsstudien wie „Gärtnerei“, „ Elefant“, „Nilpferde“ oder „Mantelpavian“. Ein Beispiel für seinen auffällig detaillierten Zeichenstil ist das Blatt „Fische und Hummer auf dem Meeresgrund“ aus dem Jahr 1896. Die fein gezeichneten Schuppen der Fische und die filigran gestaltete Flora der Unterwasserwelt suchen in dieser Zeit ihresgleichen.
Ein Tier würdigt Müller besonders: den Marabu. Dem Schreitvogel wird zur Zeit Müllers gern zugesprochen, gefräßig und schäbig zu sein; als tierische Allegorie für Personen gilt er als lächerlich gravitätisch. Der Maler spielt immer wieder mit diesen Eigenschaften. So behängt er zum Beispiel in der Radierung „Das große Tier II“ aus dem Jahr 1919 den überdimensionierten Vogel mit allerlei Auszeichnungen. Abgesperrt von einem Schutzzaun versammelt sich eine im Vergleich winzig anmutende Menschenschar um das riesenhafte Tier, das mit einem Heiligenschein ironisch überhöht wird. Eine ähnliche ironische Wirkung hat der Marabu mit abgelegtem Zylinder, Handschuhen und Gehstock im kargen Fotografenatelier auf einer Radierung unter dem Titel „In voller Würde“ von 1912.
Ein kokettes Bilderpaar bilden das Ölgemälde „Auf Freiersfüßen“ von 1922 und die Radierung „Der dreiste Freier“ von 1923. Auf beiden Bildern zeigt sich ein weiteres Stilmittel Müllers: Das Gesicht des schönen Geschlechts ist oft nur zum Teil sichtbar. Der Maler verdeckt es durch Blumen, zeigt es nur im Profil. Viele Frauen präsentieren nur ihre Rückseite. Sie wirken mehrdeutig: mal schamhaft und naiv, mal aufreizend und lockend. Mit dem Weiblichen und seiner Anziehungskraft auf sein männliches Gegenüber beschäftigt sich auch das zentrale Ausstellungsstück „Circe“ aus dem Jahr 1933. Die Gestalt aus der griechischen Mythologie verzauberte auf ihrer Insel Männer zu Tieren. Im Hintergrund des Bildes scheinen zwei Vulkane ausgebrochen zu sein. Vor bedrohlichen Wolken versammeln sich Tiere aller Kontinente um Circe. Dem Betrachter mit dem Rücken zugewandt, lockt die nackte Zauberin besonders einen Eber mit auffälligen Früchten an. Man könnte auf diesem mit altmeisterlicher Technik gemalten Bild einen versteckten Hinweis auf die Machtergreifung Hitlers und die Verführbarkeit der Deutschen sehen. So interpretiert jedenfalls Jan Nicolaisen, der Kurator der Ausstellung, die Szene.
Müllers Stellung zum Dritten Reich ist bis heute Gegenstand von Debatten und Forschungen. Er lehrte seit 1903 als Professor an der Dresdner Kunstakademie und wurde im April 1933 einstimmig zu deren Rektor gewählt. In dieser Funktion soll er unter anderem die Dresdner Schau „Spiegelbilder des Verfalls in der Kunst“ vorbereitet haben, die als Vorläuferin für die Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 im Haus der Deutschen Kunst in München gilt. Dazu findet man im Katalog erstmals den verschollen geglaubten hetzerischen Artikel, den Richard Müller im Dresdner Anzeiger publizierte. Der Text strotzt vor Attacken gegenüber der Moderne in der Kunst, besonders der Dresdner Neuen Sachlichkeit und ihrem ebenfalls an der Akademie lehrenden Protagonisten Otto Dix. Diesen entließ Müller noch 1933 auf dienstliche Anweisung des sächsischen Reichskommissars Manfred von Killinger.
1935 wurde Richard Müller selbst als Direktor der Akademie entlassen und aus der NSDAP ausgeschlossen. Der damalige Minister für Volksbildung warf ihm „eine fast pervers anmutende Phantastik“ und „Wertzersetzung“ vor – wohl aufgrund der gerne ausschweifenden Nacktheit auf seinen Bildern. Müller erhielt nur noch wenige Aufträge, blieb aber offenbar ein geschätzter Künstler in der Diktatur, denn er taucht ab 1944 auf der sogenannten Gottbegnadeten-Liste auf.
In den in Leipzig ausgestellten Werken findet man keine Motive oder Anspielungen, die sich als Hinweis auf die NS-Ideologie offenbaren. Wie so viele scheint Müller ein Künstler gewesen zu sein, der seinen konservativen Weg in der Diktatur bruchlos fortgesetzt hat, ohne die kunstideologischen Maximen der Nazis direkt aufzugreifen. Der Ruf „Nazis raus“, wie bei der Vernissage zu hören, macht es sich zu einfach: Ein wesentlicher Teil des Schaffens von Richard Müller ist lange vor der braunen Herrschaft entstanden. Von einer systematischen Aufarbeitung seines Werks im Zusammenhang mit der Kunst in der Nazizeit wäre genauerer Aufschluss zu erwarten.
Mel Ramos, dem bei der Eröffnung in lautstarkem Protest aus dem Publikum unterstellt wurde, er würde die Frauen nur als Sexobjekt darstellen, ist mit 60 Werken in der Ausstellung präsent. In Farblithografien, Ölgemälden, Grafiken und Aquarellen setzt der Pop Art-Künstler von der Westküste der Vereinigten Staaten nackte Frauen mit Tieren in Szene. Die Frauen – oftmals standen Ramos’ Frau oder Tochter Modell – posieren etwa mit einem kraftprotzenden Menschenaffen in „Gorilla #2“ von 1969, oder sie wirken als schlank-eleganter Kontrast zu behäbigen Tieren wie auf dem Ölgemälde „Elephant Seal“ von 1970, auf der Grafik „Rhinoceros“ aus demselben Jahr oder dem Ölgemälde „Walrus“ von 1967. Bei der Interaktion zwischen Tier und Mensch geht es bei Ramos sexuell freizügig und wesentlich expliziter zu als bei Müller. So senkt in einer Farblithografie von 1969 eine Gazelle ihre Lippen direkt in den Intimbereich einer breitbeinig liegenden Dame, als würde das Tier Wasser trinken wollen. Unter dem Titel „Chimpanzee #2“ liegt die selbe Dame auf dem Rücken mit angewinkelten Beinen, zwischen denen sich ein Affe zu verlustieren scheint.
Typisch für die Idee der Pop Art bringt Mel Ramos in den „commercial paintings“ seine Frauen mit bekannten Marken und Labels zusammen. So schält sich auf dem Ölgemälde „Liona Lilli“ von 2012 eine lasziv anmutende Dame langsam aus einem Riegel der Marke „Lion“. Ähnlich verhält es sich mit den Grafiken „Study für Talluah Tucher“ und „Lola Cola“: Die Grafiken wirken wie Werbemittel, die der Maxime „sex sells“ verpflichtet sind. Sich selbst setzt Ramos mit dem Werk „David’s Duo“ 1973 in Szene. Versehen mit Engelsflügel posiert der Künstler, flankiert von seiner Frau, auf einem römischen Triclinium.
Die Absicht der Ausstellungsmacher war es wohl, das Spielerische wie das Animalische bei beiden Künstlern in Beziehung zu setzen. Das funktioniert, wirkt aber wie eine willkürliche, nur durch das Formale bedingte Zielsetzung. Solche Linien lassen sich – ziemlich beliebig – zwischen allen möglichen Werken und Epochen herstellen. Doch die Leipziger Ausstellung könnte aus dem parallelen Blick auf Müller und Ramos ein anderes, vielleicht überraschenderes Resultat bringen: Die Pop Art von Ramos erweist sich in ihrer geleckten Gegenständlichkeit und ihren perfektionierten, aber plakativen malerischen Mitteln als Fortführung einer eindimensional aufs Ästhetisch-Darstellende ausgerichteten Malweise, wie sie der deutsch-konservative Künstler Richard Müller in seinen Akten anwendet. In seinen Frauenbildern der 1920er Jahre ist nichts mehr vom „magischen Realismus“, nichts mehr von den Klingerschen Symbolandeutungen, nichts mehr von den surrealistischen Strömungen zu finden, die Müllers frühere Werke ausgezeichnet haben. In ihrer naturalistischen, jeder Hintergründigkeit abholden, sexuell expliziten Art sind diese Werke Müllers verwandt mit den oft stereotypen, sexistischen, die ästhetischen Ideale des „easy going“ der Westküste repräsentierenden Bildern von Mel Ramos.
Die acht künstlerischen Erzeugnisse, die Wolfgang Joop zu der Ausstellung beisteuert, scheinen merkwürdig aus diesem Rahmen zu fallen. Zwar lässt sich über das Motiv des Affen eine Verbindung zu Müllers und Ramos’ Tierdarstellungen herstellen, die aber oberflächlich und konstruiert wirkt. Über das Thema des Animalischen hinaus, das Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt bemühte, gibt es vielleicht noch ein anderes Scharnier, das der Ausstellungstrias einen Sinn gibt: Joops mit goldenem Brokat bestickte Acrylgemälde, seine sich liebkosenden, putzig dreinblickenden Affen treiben einen dekorativen Naturalismus auf eine kitschige Spitze. Das mag man als aufschlussreich empfinden. Aber im Hinterkopf bohrt weiter der Gedanke, dass Joops Bilder nur deswegen in der Ausstellung hängen könnten, weil er als gut sortierter Müller-Sammler durch Leihgaben und einen Artikel im Katalog wesentlich zu dem Projekt beigetragen hat. Und vielleicht, weil Leipzig auch auf den Klang des Namens schielte, der einen Hauch mondäner Modewelt in das Bildermuseum bringt.
Die Ausstellung „Die Schöne und das Biest. Richard Müller & Mel Ramos & Wolfgang Joop“ ist bis 12. Januar 2014 zu sehen. Das Museum der bildenden Künste Leipzig hat täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs von 12 bis 20 Uhr geöffnet. Am 24. und 31. Dezember ist das Haus geschlossen. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 5,50 Euro. Der Katalog mit 176 Seiten und 126 Abbildungen ist im Kerber Verlag Bielefeld erschienen und enthält Texte von Belinda Grace Gardner, Frank Günther, Richard Hüttel, Wolfgang Joop und Jan Nicolaisen. Er kostet 39,95 Euro. |