Das Engagement des Dorotheums mit seinen fünf Stützpunkten in Italien zahlt sich aus: Das größte Auktionshaus im deutschsprachigen Raum geht bei seiner nächsten Herbstauktion Zeitgenössischer Kunst mit einem guten Dutzend ranghoher, auf sechsstellige Summen veranschlagter Werke aus Italien an den Start. Nicht zu unterschätzen ist jedoch auch das breite Spektrum des Angebots im mittleren Preisbereich – mit einem Schwerpunkt auf österreichischen Künstlern wie Maria Lassnig oder Franz West. Ob es diesmal wieder gelingt, die Millionengrenze zu durchbrechen – wie bei einem „Concetto Spaziale“ Lucio Fontanas im Frühjahr –, ist vorerst nur zu spekulieren. Die monumentalen Zahlen Robert Indianas, die „Numbers ONE through ZERO“ von 1978/2003, stehen jedenfalls für 750.000 bis 900.000 Euro im zweiteiligen Katalog. Indianas Spiel mit Zeichen, mit biografischen Andeutungen und mit den Prinzipien von Skulptur und Malerei gilt nach wie vor als kraftvolles Kondensat amerikanischer Pop Art und fasziniert bis heute durch seine formale Klarheit.
Wieder im Angebot sind Arbeiten von Lucio Fontana. Das Dorotheum bringt in Wien erneut ein „Concetto spaziale“ des 1899 in Argentinien geborenen Wahl-Italieners auf den Markt: Das Spätwerk von 1965/66 – Fontana starb zwei Jahre später – durchbricht eine suggestive Farbfläche in Gelb mit drei vertikalen und einem schrägen Schnitt: eine kalkulierte Störung, die den Blick des Betrachters erweitern will und den Werk-Charakter der Fläche nachhaltig infrage stellt. 450.000 bis 650.000 Euro soll einem potenziellen Käufer die so simple wie entschlossen tiefgründige Arbeit wert sein.
Zwei kraftvolle Keramikskulpturen Lucio Fontanas verweisen auf eine andere Seite des Künstlers. Die dreidimensionalen Schöpfungen stammen aus Privatsammlungen. 55.000 bis 75.000 Euro soll eine „Madonna col Bambino“ kosten: Kraftvoll modelliert und mit krudem blau-goldenem Farbauftrag, verfremdet sie die klassische Form der sitzenden Gottesmutter mit dem Kind ins Abstrakte. Für 45.000 bis 55.000 Euro bietet das Auktionshaus einen „Crocefisso“ von 1961 an: schemenhaft hebt sich der dunkel nachgezeichnete Körper aus einer fast barock anmutenden weißen Keramikwolke. Vier Tuschezeichnungen – drei davon Entwürfe für „Concetti spaziali“ – und ein Aquarell in der Preisspanne zwischen 3.000 und 30.000 Euro ergänzen den Fontana-Werkblock dieser Auktion.
Der 1930 in der Gegend von Rovigo geborene Enrico Castellani reagiert mit seinen monumentalen Monochrom-Werken auf seinen Eindruck vom Endstadium der Malerei: „Die Einfarbigkeit ist die letzte Chance der Malerei, sich von anderen Kunstformen abzugrenzen“, wird er im Katalog zitiert. Seine „Superficie blu“ aus dem Jahr 2006 kommt direkt vom Künstler und stellt sich dem Problem der Oberfläche mit einer strukturierten Leinwand, die von zahllosen Pocken befallen scheint, aus denen winzige Lichtreflexe ein zartes Strahlenbündel auf das Blau werfen (Taxe 240.000 bis 320.000 EUR). Zehn Jahre vorher entstand „Superficie gialla“, die aussieht, als habe ein mathematisch begabter Wind eine Wüstenoberfläche mit genau berechneten Mustern gegliedert, die aber schon wieder dem ewigen Hang zur Einebnung verfallen sind (Taxe 170.000 bis 220.000 EUR).
„Eine Form, die aus der Farbe entsteht“ nennt Agostino Bonalumi sein Werk. Die 1973 entstandene Arbeit „Rosso“ beweist die Aussage eindrücklich: Der rote Emaillack auf strukturierter Leinwand schafft einen dreidimensional-skulpturalen Eindruck. 150.000 bis 200.000 Euro will das Dorotheum für diese Farbfantasie des 2013 verstorbenen Künstlers erzielen. Von Fontana, dem Idol einer ganzen Generation, geprägt ist der Florentiner Paolo Scheggi, deutlich ablesbar an den „Zone riflesse, rosso, 64“. Geschaffen 1964 in Mailand, stellt sich die Acrylarbeit auf drei übereinander liegenden Leinwänden dem Problem der Vertiefung der Oberfläche: die Leinwände sind von unterschiedlich großen Löchern verletzt, die wie skulpturale Zeichen – oder vielleicht wie Wunden – in die Tiefe des Raumes weisen und so die Eindeutigkeit der Fläche auflösen. Das signifikante Werk ist für 200.000 bis 300.000 Euro zu haben.
Kühle Strukturen in Weiß schaffen je auf eigene Weise die Italiener Eduarda Maino, genannt Dadamaino, und Turi Simeti: von ersterer ist ein „Volume“ von 1958 in der Auktion zugegen. Vier ovale Öffnungen, regelmäßig angeordnet, durchbrechen bei diesem frühen Beispiel für derlei Arbeiten Dadamainos die Leinwand. Die Künstlerin sieht es als Aufgabe, „aus den Farbspachtelorgien der informellen Kunst den eigentlichen Wesenskern“ herauszulösen (Taxe 90.000 bis 120.000 EUR). Simeti schafft ein vornehm-elegantes „ovale bianco“ mit Acryl auf strukturierter hochrechteckiger Leinwand, das für 25.000 bis 35.000 Euro den Besitzer wechseln könnte.Zwischen Malerei und Relief bewegt sich auch Giuseppe Uncinis „Cementoarmato“ von 1961: Die hochrechteckige hervortretende Bildfläche hat er lediglich aus Stahlbeton, Zement und Eisenstangen gebildet (Taxe 80.000 bsi 120.00 EUR).
Ganz in die Dreidimensionalität geht der 1926 geborene Arnaldo Pomodoro über. Von ihm ist eine monumentale Bronzeskulptur von 1985 im Katalog verzeichnet: Entfernt an die rituellen Goldkegel der Bronzezeit erinnernd, weist „Torre a spirali II“ eine reich strukturierte Oberfläche auf, die wie eine abstrakte Reflexion auf die erzählenden Bildsäulen der Antike anmutet. Das beeindruckende Werk ist für 130.000 bis 180.000 Euro angeboten. Für Pomodoros Entwurf einer nicht realisierten Skulptur für die Promenade in Bari, betitelt „Vela“, veranschlagt das Dorotheum 20.000 bis 30.000 Euro. Mehr humorvolle Anspielungen legt Erwin Wurm in seine Skulpturen. So läuft seine schwarz gekleidete Männergestalt aus der Serie „Hermès“ seit 2008 kopflos durch die Welt (Taxe 45.000 bis 60.000 EUR).
Die Reihe der Arbeiten von (Wahl-)Österreichern führt diesmal Martin Kippenberger an. Von dem 1997 in Wien gestorbenen Künstler wird ein Bild aus der Serie „Fred the Frog“ von 1989/90 angeboten. Das komplexe Werk zeigt über einem Raster von Rot und Blau die Worte „Witz“, „Effekt“, „Gefühle“, „Bild“ und „Anschauung“. Im „G“ des Begriffs „Gefühle“ wird das Kreuz mit dem Frosch sichtbar – ein Motiv, das vor allem als Kreuzigungsskulptur heftige Debatten hervorrief und als blasphemisch empfunden wurde. Roberto Ohrt bemüht sich in einem Katalogbeitrag, die Hintergründe des Frosch-Motivs aufzuhellen und es aus dem Ruch einer witzelnden oder gar lästerlichen Privatmythologie zu befreien. Er sieht in den immer wiederkehrenden Motiven von Frosch, Kreuz oder Ei Zeichen von Verwandlung und Transfiguration. 280.000 bis 350.00 Euro will das Dorotheum mit der Arbeit des früh verstorbenen gebürtigen Dortmunders erzielen.
Von einer der wichtigsten österreichischen Künstlerinnen der jüngsten Vergangenheit, Maria Lassnig, verzeichnet der Katalog ebenfalls mehrere Arbeiten. Das aus wenigen kraftvollen Linien und Farbkonzentrationen komponierte Ölbild „Bischof“ von 1962 soll 130.000 bis 220.000 Euro kosten. Schon deutlicher in die Richtung ihrer Körperbewusstseinsbilder tendiert ihr „Stillleben mit rotem Selbstporträt“ von 1970 (Taxe 140.000 bis 200.000 EUR). In „Der Wald“ von 1985 scheint ihre in kräftigen Konturen ausgeführte Person den trapezförmig umgrenzten Wald zu schleppen (Taxe 220.000 bis 320.000 EUR). Lassnigs Aquarell „Revolte der Natur“ zeigt ihr erschrecktes Antlitz, dem sich ein im Flug aggressiv die Federn aufstellender Vogel mit starren Augen nähert (Taxe 12.000 bis 18.000 EUR). Expressive Abstraktion und eine neue Erfahrung mit Form und Farbe ist in den frühen abstrakten Arbeiten Lassnigs von 1951 zu erspüren, die nach der Begegnung der Künstlerin mit dem Informel entstanden sind. Dazu zählen „Informel“ und „Zweiteilig“ von 1951 (Taxe je 60.000 bis 80.000 EUR). In der Bleistift-Aquarell-Arbeit „Oberteil u. Unterteil“ von 1992 scheint sie als Reflex auf die früheren Werke zurückzugreifen (Taxe 10.000 bis 16.000 EUR).
Was wäre eine Österreich-Auktion ohne Hermann Nitsch? Beim Dorotheum ist diesmal ein Schüttbild von 1989 im Katalog, ausgeführt in markanten Rot- und Grüntönen (Taxe 50.000 bis 70.000 EUR). Genauso teuer ist seine schwarze „Kreuzwegstation“ von 1990, in der zusätzlich ein Malhemd integriert ist. Auch Otto Muehl kommt zu seinem Recht, etwa mit einer energischen Komposition unwirsch aufgetragener Farbelemente von 1983 (Taxe 25.000 bis 35.000 EUR). Gegenständlich anmutender – wie ein Landschaftsbild – ist seine „Parndorfer Heide“, die man aber auch als eine raffinierte Kombination von Farbstreifen lesen könnte (Taxe 25.000 bis 35.000 EUR). Und Muehls ein kopulierendes Paar umleuchtende Farbflächen erinnern an die heftige Malerei des Expressionismus (Taxe 28.000 bis 38.000 EUR). Alfons Schilling entwickelte um 1960 die Idee einer „totalen Malerei“. Ein Ergebnis daraus sind die wilden Farbverwischungen in Weiß, Rot, Schwarz und Graugrün von 1960/61 (Taxe 90.000 bis 130.000 EUR).
Markante internationale Akzente der Dorotheum-Auktion setzen einige hochrangige Arbeiten. Dazu gehören die frei über die Fläche verlaufenden Farbstrukturen Sigmar Polkes aus dem Jahr 1986, für die ein Käufer 450.000 bis 550.000 Euro berappen muss, Ilya Kabakovs hintergründige und mit viel Text versehene Landschaft „Nikolaj Petrowitsch“ von 2004 (Taxe 300.000 bis 400.000 EUR) oder eine distanziert-elegante Edelstahl-Skulptur des 1954 in Mumbai geborenen Anish Kapoor (Taxe 150.000 bis 180.000 EUR). Aus der amerikanischen Pop Art tritt Mel Ramos mit seiner nackten Schönheit Frieda an, die es sich seit 2010 auf einer Rolle „Life Savers, Five Flavor“ gemütlich gemacht hat (Taxe 75.000 bis 100.000 EUR). Ihm steht Andy Warhols bekannte Adaption der Leinwanddiva „Marilyn Monroe“ von 1967 in ungewohnt silbrig-grauer Farbstellung für 70.000 bis 90.000 Euro zu Seite.
Jörg Immendorffs symbolträchtiges Bild „Staat/Formel“ von 1992/93 – aus einer österreichischen Privatsammlung – versammelt von Henrik Ibsen bis Jean-Paul Sartre, von Georg Baselitz bis Giorgio de Chirico eine Reihe von Kunstschaffenden, die wie in einem imaginären Kabinett eingesperrt hinein in die Welt des Betrachters wirken (Taxe 120.000 bis 180.000 EUR). Zudem steht sein bronzener „Deutscher Adler“ mit gestutzten Flügeln und überlangen Beinen von 1986 für 70.000 bis 90.000 Euro zur Verfügung. Auch die jüngere Künstlergeneration mischt in der Abendauktion der zeitgenössischen Kunst am 26. November mit, allen voran Jonas Burgert mit seinem Triptychon „Zyklus-Potsdam“ von 2006, das sich etwas kryptisch und surreal in zwischenmenschlichen Beziehungsfragen ergeht (Taxe 90.000 bis 120.000 EUR). Diesen Preis will auch Marc Quinns hypertrophes, bis zum Kitsch geführtes Blumenstillleben „Sunspot“ von 2007 sehen. Günstiger wird es bei drei Frauen: Elke Krystufek mit ihrem provokanten Selbstakt „Tiger Lily“ von 1998, Kiki Smith mit ihrer sentimentalen Bronzefigur „Fainting woman“ von 2009 und Karen Kilimnik mit ihrem Ovalbild „Blubirds over Belgium“ von 1998 (Taxen zwischen 25.000 und 50.000 EUR). Tom Sachs verballhornt in seiner vierteiligen Arbeit „Hermès Value Meal Big Mac“ Luxusgüterartikel und Fast Food (Taxe 30.000 bis 40.000 EUR).
Die Auktion beginnt am 26. November um 18 Uhr und wird am 27. November ab 14 Uhr mit den günstigeren Arbeiten fortgeführt. Die Besichtigung ist bis zum Auktionsbeginn täglich von 10 bis 18 Uhr, samstags von 9 bis 17 Uhr und sonntags von 14 bis 17 Uhr möglich. Der Katalog listet die Objekte unter www.dorotheum.com. |