1967 war ein wichtiges Jahr für Peter Ludwig und seine Frau Irene. Im Museum of Modern Art sahen sie zum ersten Mal Werke von Tom Wesselmann und Robert Rauschenberg und nur wenig später erwarben sie bei den New Yorker Galerien Leo Castelli und Sidney Janis Arbeiten der zwei Pop-Artisten. Zurück im Heimatort Aachen präsentierte das Industriellenpaar ihre Neuerwerbungen im Suermondt-Museum, wo Peter Ludwig sich seit 1954 im Vorstand und seit 1957 als Vorsitzender des Museumsvereins ein Mitspracherecht gesichert hatte und für die Installierung einer Abteilung der Moderne einsetzte. Dem Auftakt folgten weitere Ankäufe von amerikanischer Pop Art in großer Dichte. Im Hinblick auf das Debüt der Ludwig-Sammlung, die 1968 zum ersten Male en bloc der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollte, wurde zunächst die Abteilung zeitgenössischer Kunst im Suermondt-Museum aufgestockt. Das Timing konnte besser nicht sein. Einen Monat bevor dort die erste Ludwig-Ausstellung „Zeitbild-Provokation-Kunst“ eröffnet wurde, meldete die Presse, dass bedeutende Pop Art-Werke der Aachener Sammlung – darunter „Soft Washstand (Ghost Version)“ von Claes Oldenburg und „Seascape 18“ von Tom Wesselmann – an die Documenta entliehen würden. Mit diesem Schritt sicherten sich die Ludwigs das Interesse der internationalen Kunstwelt, die sich zur Weltausstellung der aktuellen Kunst zum vierten Mal in Kassel einfand.
Ludwig, der sein Geld als Schokoladenfabrikant gemacht hatte, sammelte für die Öffentlichkeit und verschenkte seine Kunst. Er schenkte nach Aachen, später vor allem nach Köln. Mit dem 1976 nach seinem Gönner umbenannten Kölner Ludwig Museum und dem 1977 umgetauften Suermondt-Ludwig-Museum war die Keimzelle eines verzweigten Netzwerkes von Museen entstanden, die heute den Namen Ludwig tragen. Die Begeisterung, mit der die Ludwigs Werke der Pop Art erwarben und sammelten, lag nicht zuletzt in deren Direktheit, der Frische ihres Realitätsbezuges und ihrem Oberflächenreiz begründet. Auch mag dem Geschäftsmann und Kunsthistoriker Peter Ludwig die Verquickung künstlerischer Strategien mit Versatzstücken wirtschaftsrelevanter Phänomene wie Werbung, Konsum und Markt durchaus sympathisch gewesen sein.
Die beiden Werke von Oldenburg und Wesselmann, mit denen die Pop Art-Sammlung der Ludwigs ihren Anfang nahm, sind Highlights der Ausstellung „Ludwig goes Pop“, die nach ihrer ersten Station im Kölner Ludwig Museum nun in veränderter Zusammenstellung im Wiener Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig (MUMOK) zu sehen ist. Der Fokus der rund 100 Exponate auf Arbeiten liegt, die von Mitte der 1950er Jahre bis Mitte der 1970er Jahre entstanden. Verteilt über vier Ausstellungsebenen, wohltuend sparsam präsentiert, übersichtlich und in spannenden Gegenüberstellungen werden die wichtigsten Vertreter der amerikanischen Pop Art wie Duane Hanson, Robert Indiana, Jasper Johns, Roy Lichtenstein, Robert Rauschenberg, Andy Warhol und Tom Wesselmann mit größeren Werkgruppen vorgestellt. Daneben präsentiert Kuratorin Susanne Neuburger mit Arbeiten von Peter Blake, David Hockney und Richard Hamilton auch die Hauptvertreter der britischen Ausprägung.
Viele Exponate kennt man aus anderen Ausstellungszusammenhängen oder aus Publikationen, und doch gelingt es der Wiener Ausstellung, einen neuen Blick auf die bewährten Ikonen des Pop zu werfen. Das liegt vor allem daran, dass Neuburger mit Arbeiten wie Peter Blakes „ABC Minors“ von 1955, den atmosphärischen Farbfeldern in Jim Dines „Roman Color Chart“ von 1968 oder den kleinformatigen Bleigemälden von Jasper Johns aus dem Jahr 1969 Stücke ausgesucht hat, die sich neben Elvis, Marilyn, Konservendosen, Cola-Flaschen, Waschbecken und Flaggen von den knallbunten Objekten der Alltagskultur abheben. In der obersten Etage werden prominent und frisch restauriert die beiden Filetstücke der heimischen Pop Art-Sammlung präsentiert: Claes Oldenburgs „Mouse Museum“ von 1965/77 und sein zeitlich parallel dazu entstandener „Ray Gun Wing“ von 1969/77. Verhandelt der „Ray Gun Wing“ die Waffe in ihren unterschiedlichsten Ausformungen, ist das „Mouse Museum“ ein begehbares „Museum“ in Form einer geometrisierten Mickey Mouse, für das Oldenburg seit den späten 1950er Jahren Konsumwaren, Souvenirs, Kitschobjekte, Mitbringsel und Ateliermodelle sammelte. Die Synthese aus Trivialkultur und musealem Anspruch ist Vorbild für den zeitgenössischen Ausstellungsbeitrag der Villa Design Group, die während der Laufzeit der Ausstellung ein Pop-up-Museum im MUMOK eröffnet. Ein weiterer zeitgenössischer Beitrag kommt von Christian Höller, der mit Plattencovern, Musik und Filmen geschickt Kontextmaterial ergänzte.
Während sich in den oberen Etagen so heterogene Werke wie Roy Lichtensteins von Cartoonfiguren aus Comic-Heften und von Kaugummipapieren motivierte Gemälde, Duane Hansons schlafende Obdachlose und Interieurs sowie Gemälde von Tom Wesselmann ergänzen oder Werke von George Segal und Marisol Escobar, Jasper Johns und Robert Indiana zusammenfinden, überraschen im unteren Eingangsbereich weiße, leere Wände, zwischen denen Andy Warhols Portraitvariationen von Peter Ludwig effektvoll inszeniert wurden. Um dieses Zentrum gruppieren sich Arbeiten von David Hockney, wie „Sunbather“ von 1966, „Atlantic Crossing“ von 1965 oder „Self Portrait with Blue Guitar“ von 1977, „Large Jewels“ von Roy Lichtenstein aus dem Jahr 1963, und Peter Blakes „ABC Minors“ starren staunend auf den Pistole zückenden Elvis von Andy Warhol. Dessen Werke – wie könnte es anders sein – durchziehen die Schau wie ein roter Faden. Seine „White Brillo Boxes“ von 1964 und die im selben Jahr entstandenen „Campbell’s Boxes“ stapeln sich neben dem „Stove“ von Claes Oldenburg, seine „Flowers“ von 1964 fehlen ebenso wenig wie das gleichaltrige „Jackie Triptych“ oder sein zehnteiliger Siebdruck-Zyklus „Mick Jagger“ von 1975.
Nicht nur Warhol wusste, was er den Ludwigs verdankte, als er ihn in einem mehrteiligen Siebdruck-Zyklus verewigte. Robert Rauschenberg attestierte dem ambitionierten Sammler in einem euphorischen Nachruf zwei Jahre nach Ludwigs Tod, dieser habe „eine historische Rolle im Leben jedes zeitgenössischen amerikanischen Künstlers“ gespielt. „Der Mann hatte ein unglaubliches Auge… es gelang ihm nicht nur die umstrittensten Künstler aufzuspüren, nein, er griff sich auch noch die besten Arbeiten.“ Rauschenbergs euphorisches Lob ist verständlich, gehörte seine Arbeiten doch zu den von den Ludwigs besonders geschätzten Kaufobjekten.
Doch der Segen des Sammlerpaares strömte nicht bedingungslos. Zwar betonen die Kuratoren im Einleitungstext des Katalogs: „Ganz im Unterschied zum Typus des Spekulationssammlers, wie wir ihn heute kennen – wie ihn zum Beispiel François Pinault, Victor Pinchuk und Charles Saatchi verkörpern –, der durch Wiederverkauf Gewinn erzielt oder zumindest einen permanenten Wandel des Sammlungsbildes forciert, lag für Peter und Irene Ludwig der Mehrwert ihrer Sammlung stets in deren bleibend musealer Platzierung.“ Die Ludwigs hatten jedoch sehr präzise Vorstellungen, wie ihre Kollektion präsentiert werden sollte. Im Fall der 1976 erfolgten Schenkung knüpften sie ihre Donation an eine folgeträchtige Bedingung, wegen der das Wallraf-Richartz-Museum mit seinen Beständen älterer Kunst weichen und in sein früheres Quartier umziehen musste und der Stadt Köln ein Neubau abverlangt wurde, dessen moderne Abteilung in der Folge als „Museum Ludwig“ abzuspalten.
Die lauteste Kritik galt jedoch Ludwigs 1986 erfolgtem Portraitauftrag an Arno Breker, den er über Monate hinweg regelmäßig in seinem Atelier besuchte, um für eine überlebensgroße Bronzebüste Modell zu sitzen. Trotz massiver öffentlicher Kritik ließ Peter Ludwig auch eine Büste seiner Ehefrau anfertigen. Ebenso wenig Skrupel, sein Konterfei von Hitlers Lieblingsbildhauer verewigen zu lassen, hatte übrigens ein weiterer prominenter Kunstsammler. Auch Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza ließ sich 1989 vom Hofbildhauer des Dritten Reiches in Bronze porträtieren. Als Ludwig 1986 von einem Reporter des Magazins „Spiegel“ gefragt wurde, ob er sich vor 15 oder 20 Jahren, als er Pop Art kaufte, hätte vorstellen können, sich von Breker porträtieren zu lassen, antwortete Ludwig: „Ja, bestimmt. Aber natürlich hat sich seit damals viel verändert, auch in der Kunst. Man hat ja geglaubt, das überkommene Tafelbild sei so gut wie tot. Und davon ist nun keine Rede mehr. Postmodern – was heißt das anders als traditionell zu sein?“
Es hätte der Wiener Schau gut angestanden, wenn sie die sehenswerte Präsentation und den mit vielen Textbeiträgen, Dokumenten und Fotos gespickten Katalog, der erfreulicher Weise bei sämtlichen Kunstwerken auch die Ankaufsdaten vermerkt, mit einer ein wenig kritischeren Würdigung des exzeptionellen Sammlerpaares abgerundet hätte.
Die Ausstellung „Ludwig goes Pop“ ist bis zum 13. September zu sehen. Das MUMOK hat montags von 14 bis 19 Uhr und dienstags bis sonntags von 10 bis 19 Uhr, am Donnerstag zusätzlich bis 21 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 10 Euro, ermäßigt 8 Euro bzw. 7 Euro. Der Ausstellungskatalog kostet im Museum 29,80 Euro, im Buchhandel 38 Euro. |