| | Egon Schiele, Selbstbildnis mit gespreizten Fingern, 1909 | |
Die beiden Abendauktionen bei Christie’s in London begeisterten rund um den Globus: Bieter aus 35 Ländern waren an dem erfolgreichen Abschluss der Sparten „Impressionist & Modern Art“ und „Surrealist Art“ beteiligt. In beiden Bereichen lag die losbezogene Verkaufsquote bei rund 75 Prozent, die wertmäßige bei 87 Prozent, was laut Jay Vincze, Direktor der Abteilung, von einem „soliden Ergebnis“ zeugt. Bei den Modernen stand mit 6,4 Millionen Pfund eine hochrechteckige Leinwand Egon Schieles von 1909 an der Spitze. Mit seinen metallischen Effekten und dem Bezug auf die Fläche spiegelt das „Selbstbildnis mit gespreizten Fingern“ noch den Einfluss von Schieles Mentor Gustav Klimt wider, markiert zugleich jedoch schon die stilistische Abkehr hin zu einem reiferen, expressionistischen Stil. Vorgesehen waren hierfür 6 bis 8 Millionen Pfund. Nur knapp dahinter rangierte Marc Chagalls verträumtes Gemälde „Les mariés de la Tour Eiffel“ von 1928, das mit 6,2 Pfund eher am oberen Rand der Schätzungen von 4,8 bis 6,8 Millionen Pfund ankam. Das von Rottönen dominierte Bild mit fliegendem Engel, der einen Blumenstrauß überreicht, ist eine innige Liebeserklärung an die Ehefrau des Künstlers, Bella Chagall.
Amouröse Hintergründe hat „Erna am Meer, Fehmarn“ von Ernst Ludwig Kirchner in zweierlei Hinsicht: Kirchners Lebensgefährtin scheint in der starken Formen- und Farbensprache mit der Strandumgebung auf der Ostseeinsel zu verschmelzen, die für den Künstler bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs ein Zufluchtsort war. Die Wertsteigerung auf 4,2 Millionen Pfund verdankte die Leinwand aus dem Jahr 1913 wohl auch der bescheidenen Schätzung von 1,5 bis 2,5 Millionen Pfund. Kirchner war am 2. Februar zudem noch mit einer verfremdeten Darstellung des „Bahnhofs Königstein“ mit hochgeklappter Perspektive und expressionistischem Farbauftrag zugegen, die sich für 2,1 Millionen Pfund knapp über dem anvisierten Wert verkaufte. Einen Künstlerrekord konnte Christie’s im Falle von Georg Scholz’ „Badischer Kleinstadt bei Tage“ aus den Jahren 1922/23 verzeichnen. Auf 300.000 bis 500.000 Pfund angesetzt, spielte das detailliert ausgearbeitete Gemälde mit Häusern und markantem städtischem Treiben vor grünen Hügeln im Stil der Neuen Sachlichkeit stolze 1 Million Pfund ein – mehr als doppelt so viel, wie der letzte Spitzenpreis aus dem Jahr 2003. In himmlische Gefilde entrückte Otto Dix 1919 sein rot leuchtendes „Schwangeres Weib“, das auf einer Kuh durch einen Sternennebel gen 2,4 Millionen Pfund ritt (Taxe 2 bis 3 Millionen GBP).
Bei den beiden expressionistischen Gestalten Karl Schmidt-Rottluffs, die 1919 in den Nachthimmel blicken und eine „Sternenandacht“ abhalten, einigten sich die Kunden auf 480.000 Pfund (Taxe 500.000 bis 800.000 GBP), bei seinem frühen, vor bunter Farbe fast zerfließenden und daher noch spätimpressionistischen Waldweg an einem „Windigen Tag“ aus dem Jahr 1907 auf 1,1 Millionen Pfund (Taxe 800.000 bis 1,2 Millionen GBP). Mit diesem Werk steht Schmidt-Rottluff noch der Kunst Lovis Corinths nahe, wie sie sich in dem taxkonform für 450.000 Pfund veräußerten Blumenstillleben „Flieder, Rosen und Nelken im Sèvreskrug“ von 1920 zeigt. Eine preisliche Verbrüderung gingen zwei Werke ein, die je 1,2 Millionen Pfund einspielten: Die namensgebende Ruhe strahlt Lyonel Feiningers „Calm at Sea II“ besonders dank der kristallinen Darstellung der in den 1920er Jahren oft illustrierten Küstenlandschaft sowie ihrer sanften, in geometrische Farbfelder unterteilten Kolorierung aus (Taxe 500.000 bis 700.000 GBP). Bauhaus-Kollege Wassily Kandinsky entschied sich 1908 in „Murnau – Straße“ für ein urbaneres Motiv, das ein farblich harter Licht-Schatten-Kontrast auf einer von Häusern gesäumten Straße dominiert und eigentlich auf 1,5 bis 2,5 Millionen Pfund veranschlagt worden war. Alexej von Jawlensky sah 1912 „Helene mit offenen Augen“ und einer Portion Melancholie im Blick, die sich nun in 800.000 Pfund niederschlug (Taxe 800.000 bis 1,2 Millionen GBP).
Wiederholungstäter Egon Schiele war außerdem mit einem skizzenhaft wirkenden „Österreichischen Mäderl“ in Kohle und Wasserfarbe von 1910 vertreten, das für 650.000 Pfund den Besitzer wechselte (Taxe 300.000 bis 500.000 GBP). Auch Marc Chagall steuerte weitere Erlöse bei: Der in Himmelssphären entrückte geisterhafte „Violoniste sous la lune“ mit einem grünen Pferd und einem roten Vogel erreichte erwartete 1,5 Millionen Pfund, während eine großformatige Nachtszene namens „L’attente“ mit ebenfalls schwebenden Gestalten bei 780.000 Pfund etwas niedriger platziert war (Taxe 800.000 bis 1,2 Millionen GBP). Puristischer behandelte Le Corbusier seine Formen- und Farbentwicklung bei den zwei Schwestern, die er 1938 in inniger Umarmung in Öl verewigte und die ihren unteren Schätzwert auf 1,2 Millionen Pfund verdoppelten.
Pablo Picasso trumpfte mit insgesamt acht Positionen auf, von denen sieben einen Abnehmer fanden. An erster Stellte steht nun sein Stillleben von 1937, das von einem dunklen Nachthimmel mit glühenden Sternen beherrscht wurde und im Vordergrund die Überbleibsel eines akademischen Abends mit Buch, Pfeife und Kerzenleuchter abbildete; es blieb mit 3,5 Millionen Pfund jedoch hinter den Erwartungen der Londoner Experten zurück (Taxe 4 bis 6 Millionen GBP). Sechs Jahre jünger ist seine stark abstrahierte nature morte mit Gläsern und einer Kompottschüssel in Grautönen, die sich zur unteren Schätzung von 1 Million Pfund verabschiedete. Dagegen brachte es seine Gouache einer kubistisch zerlegten „Mandoline“ von 1920 auf 280.000 Pfund (Taxe 150.000 bis 200.000 GBP). Fernand Légers „Le moteur“ von 1918 vereinigt mechanische Versatzstücke mit glänzenden Körpern und wilden Mustern zu einer zweidimensionalen Farbcollage, die kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges die Weichen für die Kunst der Moderne stellte und für 4,6 Millionen Pfund das Auktionshaus verließ (Taxe 4 bis 6 Millionen Pfund).
Mit 4,5 Millionen Pfund verpasste dieses Ergebnis nur knapp ein idyllisches, mit leichtem Pinselstrich gemaltes Landschaftsstück im Sommerlicht mit Scheune in der Normandie von Paul Cézanne aus dem Jahr 1882, das seine untere Erwartung genau traf. Auf 1 Million Pfund konnte sich dann sein atmosphärisch in Dunkelheit gehülltes Porträt eines Jungen aus den 1860er Jahren emporschrauben, das damit seine untere Taxierung von 300.000 Pfund mehr als verdreifachte. Inspiriert vom anderen Geschlecht waren Alberto Giacometti bei seiner posthum gegossenen, superdünnen Bronzeskulptur „Femme debout“, die eine Wertsteigerung auf 900.000 Pfund vollzog (Taxe 400.000 bis 600.000 GBP), und Pierre-Auguste Renoir, der den neuen Besitzer für 3,4 Millionen Pfund zum Voyeur einer rosig-runden „Femme nue à sa toilette“ macht (Taxe 1,8 bis 2,2 Millionen GBP). Eine über 1,70 Meter breite Leinwand holte sich mit einer in eckig-kubistische Formen aufgelösten Tanzgesellschaft von André Lhote um 1920/25 erfreuliche 950.000 Pfund (Taxe 600.000 bis 900.000 GBP), und Henri Edmond Cross überzeugte das Publikum mit seinem pointilistischen Studienaquarell zweier Personen in Rückenansicht zur „Scène de corrida“ von 1893 bei 300.000 Pfund (Taxe 100.000 bis 150.000 GBP).
Max Ernsts rätselhaftes Gemälde „The Stolen Mirror“ von 1941 führt mit 6,75 Millionen Pfund das Angebot der Surrealisten an. Entstanden in seinem Hochzeitsjahr mit Peggy Guggenheim, illustriert die zufallsbedingte Abklatschtechnik eine farbenfrohe Traumwelt mit mythologischen Einschlägen an einem Flussufer. Sie befand sich lange Zeit im Besitz von Ernsts Sohn Jimmy, was wohl zu dem musealen Zustand des Loses beitrug (Taxe 7 bis 10 Millionen GBP). In dieser Kategorie waren mit je sieben Arbeiten Joan Miró und Salvador Dalí die am häufigsten vertretenen Künstler. Die „Femme et oiseaux dans la nuit“ aus dem Jahr 1968 sind mit ihrer Symbolik und ihrem Kolorit aus wenigen reinen Farben unter kräftigem Einsatz schwarzer Umrandungen leicht als Spätwerk Mirós erkennbar und schnitten gut mit 5,1 Millionen Pfund ab (Taxe 3 bis 5 Millionen GBP). Dalís Bild im Bild „Pêcheurs au soleil“ spielt dank dünner, die Oberfläche durchtrennender Taue mit der Wahrnehmung des Betrachters und gehörte einer sechsteiligen Serie von Relief-Gemälden aus den 1920er Jahren an. Die kryptischen Fischer angelten sich sonnige 980.000 Pfund (Taxe 700.000 bis 1 Millionen GBP).
Mirós Lieblingsmotiv – die variantenreiche Darstellung einer Frau mit Vogel – griffen auch eine bemalte Bronzeskulptur des Jahres 1967 mit einem runden, gelben Gesicht für 950.000 Pfund (Taxe 700.000 bis 1 Millionen GBP) sowie eine fragile, grün patinierte Plastik von 1972 für 370.000 Pfund auf (Taxe 300.000 bis 500.000 GBP). Ein Werk aus der zwischen 1925 und 1927 entstandenen Gemäldegruppe der „Traumbilder“ mit zurückgenommenem, fast monochrom-blauem Hintergrund und undefinierten schwebenden Körpern holte sich seine untere Taxe von 450.000 Pfund, während Mirós wie ein Schneegestöber wirkende Leinwand mit vereinzelten Farbtupfern von 1960 mit 320.000 Pfund unter ihrer Schätzung von 400.000 bis 600.000 Pfund lag. Für die anvisierten 1,2 Millionen Pfund schickte Dalí einen Bieter auf eine „Voyage fantastique“ durch eine große Gouache von 1965, die so tut, als sei sie eine Farbserigrafie. Erfolgreich platzierten sich ebenfalls seine vier Gouachen aus einer Jahreszeitenfolge zwischen 140.000 und 280.000 Pfund (Taxen zwischen 100.000 und 250.000 GBP) sowie seine „Sirène“ von 1969, die nun bei 320.000 Pfund einige Seeleute betört (Taxe 200.000 bis 300.000 GBP).
Auch die Surrealisten konnten einen Künstlerrekord, wenn auch einen sehr kleinen, für sich verbuchen: Peter Rose Pulhams Ölbild „Grisaille Figures I“ von 1947 mit seinem grauen, modellierten Körper erreichte bei einem Schlussgebot von 10.000 Pfund ein doppelt so hohes Ergebnis wie zuletzt für eine Arbeit des englischen Künstlers im Jahr 2006 (Taxe 20.000 bis 30.000 GBP). Grau scheint das neue Schwarz zu sein, das beweisen zumindest jeweils die 1,2 Millionen Pfund, die eine über 1,50 Meter hohe Leinwand mit der kraftvollen, geisterartigen Darstellung des „Chant de la forêt“ von Wifredo Lam aus dem Jahr 1946 (Taxe 1,3 bis 1,8 Millionen GBP) sowie der masken- und schablonenartige „Arlequin“ von Pablo Picasso in verschiedenen Grauschattierungen einbrachten (Taxe 1,5 bis 2,5 Millionen GBP).
Keine Surrealisten-Auktion ohne René Magritte: Spitzenreiter waren die reizenden Silhouetten der „Mesdemoiselles de l’Isle Adam“ vor hellblauem und eben verbrennendem Wolkenhimmel, die mit 1,7 Millionen Pfund ihre untere Taxierung von 2 Millionen Pfund doch deutlich verpassten. Richtig eingeschätzt hatten die Experten hingegen den gemalten Setzkasten „Les vases communicants“, für die ein Bieter 450.000 Pfund ausgab. Und zu ihrem Vorteil verschätzten sie sich bei dem gold-braun patinierten Bronzestiefel „Le puits de vérité“ aus Magrittes Todesjahr 1967, der es auf 320.000 Pfund brachte (Taxe 120.000 bis 180.000 GBP). Zu weiteren Highlights avancierten Giorgio de Chiricos gesichtslose Maschinenmenschen „Ettore e Andromaca“ um 1955/60 bei 450.000 Pfund (Taxe 250.000 bis 350.000 GBP) sowie Óscar Domínguez’ deformierte Unbekleidete vor einem Backsteinbau in „La main passe II“ für 460.000 Pfund (Taxe 300.000 bis 500.000 GBP).
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