| | Bernd Reiter, Ironie des Schicksals, 2016 | |
Eigentlich wollten sie in diesem Jahr gar nicht kommen und den Stand der Tochter überlassen. Aber dann haben sie rund 70 Blätter von Günther Uecker eingepackt und sind zur vierzehnten Art.Fair nach Köln gereist, um an der Messe teilzunehmen. Helga und Aloys Wilmsen, Inhaber der gleichnamigen Galerie aus Rheineck im Kanton St. Gallen, feierten am Vernissagetag ihre Goldene Hochzeit. Mit einer Magnumflasche Champagner, zwei roten Rosen, etlichen Gläsern und Kollegen zogen die Messechefs Walter Gehlen und Andreas Lohaus in die Koje der Schweizer, um mit ihnen auf ihr großes Glück anzustoßen. Das Jubelpaar verkündete, dass man anlässlich der Goldenen Hochzeit eben jene wunderbaren Auflagenblätter von Günther Uecker mitgebracht habe und via Mail eine Verlosung mache, bei der man Kunst im Wert von 20.000 Euro gewinnen könne. Das freut die Veranstalter der Messe und die Kunden der Galerie. Neben Uecker offeriert die Galerie Wilmsen auch zarte Farbenergiebilder von Tamar Klar aus buntem leuchtendem Acrylglas.
113 Galerien nehmen in diesem Jahr an der Art.Fair teil, die wie schon im vergangenen Jahr die Hallen 1 und 2 auf dem Kölner Messegelände bespielt. Die Aufteilung ist in diesem Jahr großzügiger, die Gänge breiter, und die beiden Chefs haben sich in der Welt getummelt, um auf anderen Satellitenmessen Erfahrungen zu sammeln. Nach Köln haben sie neun Galerien aus Taiwan mitgenommen, die Einblicke in die taiwanesische Kunstszene geben. Mit der gewaltigen, multimedialen Installation „Ironie des Schicksals“ macht Bernd Reiter auf die drohende Eskalation eines neuen Kalten Krieges zwischen Russland und den Vereinigten Staaten aufmerksam. Zwei Systeme, zwei Welten, zwei Ideologien prallen aufeinander. Vor Jahren hatte Reiter die Möglichkeit, eine MiG-21 zu kaufen, und griff zu. Er wusste, dass er aus dem Abfangjäger eine gewaltige Skulptur politischen Inhalts gestalten würde. Eine typische amerikanische schwarze Limousine fügt sich mit der MiG zusammen. Ein Crash, zwischen ungleichen Kräften, bebildert durch Fernseher, die Kriegsszenerien aus dem Internet in bewegten Bildern zeigen. Verkaufen möchte Bernd Reiter dieses Werk nicht, er möchte es auf mehreren Messen ausstellen und Menschen damit aufrütteln.
Würde man sich einen Wert dafür ausdenken, dann käme man sicherlich in die Nähe des Preises, der für ein Werk von Georg Baselitz bei der Kunsthandlung Osper angegeben ist: „Die Berghütte“ soll 1,35 Millionen Euro kosten. Skulpturen von Hannes Helmke, Werke von Tony Cragg, Markus Lüpertz, Gerhard Richter und Herta Müller ergänzen das hochwertige Programm. Michael Schultz aus Berlin stellt sich mit seiner Schultz Gallery Beijing ins Teilnehmerfeld der Art.Fair und präsentiert Pop Art aus China und die Malerei der Blooom-Award-Gewinnerin von 2013: Johanna Flammer. Auf der Blooom, der „weltweit ersten interdisziplinären Messe für konvergente Kunst“, stellen im siebten Jahr in Folge rund 30 nationale und internationale aufstrebende Galerien die Arbeiten ausgewählter Künstler vor. Unter dem Dach der Art.Fair werden mit der jungen Tochtermesse Blooom die Grenzen zwischen bildender Kunst, Design, Street Art und Fotografie auf vielfältige Weise aufgebrochen.
Leander Rubrecht von Rubrecht Contemporary aus Wiesbaden hat sich mit seinen Künstlern auf das Thema Mensch konzentriert und hat mit Stefan Stichler, Miroslav Wiedermann, Sebastian Mögelin und Andreas Weingärtner Positionen dabei, die sich nahtlos in die Art.Fair integriert hätten. Stichlers Spiegelobjekt „(in)visible“ von 2015 besticht durch seine klare Formensprache und die Kraft einer dominanten Präsenz. Die Galerie SgD von Steffen Ademmer aus Köln, die seit 2010 Konzept-Ausstellungen der jungen Szene aus Deutschland verantwortet, ist zum ersten Mal dabei. Neben der Malerei legt die Galerie ihren Fokus hauptsächlich auf fluxusinspirierte Arbeiten. Die Galerie derRaum aus Köln agiert ebenfalls als Künstler geführte Institution, in der Stefan Zöllner mit Werken aus seiner Serie „Mobilmachung“, darunter dem Reisekoffer „Enigma“ von 2013, auftritt.
Für den Blooom Award haben sich in diesem Jahr über 2.000 Künstler aus 84 Ländern beworben. Die Jury um Stephan Berg, Direktor des Bonner Kunstmuseums, und Joko Winterscheidt als TV-Profi und Vertreter der jungen Szene hatte zehn Arbeiten für die Finalrunde ausgewählt. Den ersten Preis erhielt Matthias Danberg für seinen Computerfilm „Sculptures“. 1.500 Euro und eine Reise zur Messe nach Miami sind sein Gewinn. Dass man auch heute noch Entdeckungen in den renommierten Kunsthochschulen des Landes machen kann, beweist der Galerist Rüdiger Voss aus Düsseldorf mit einer großartigen Installation Jennifer López Ayalas, einer Meisterschülerin Katharina Grosses, die er auf dem Düsseldorfer Akademierundgang entdeckte. Mit aufgebrochenen Eierschalen inszeniert sie Räume auf schwarzem Boden. In einer Einzelkoje entsteht mitten auf der Messe ein meditativer Raum, der zwingend zum Innehalten einlädt. Außerdem stellt Voss neue Werke von Kate Waters, Harding Meyer, Daniel Heil und Peter Adabahi Uka aus.
Der Kunst-Raum Schulte-Goltz + Noelte aus Essen hat sich auf junge Künstler mit Potenzial spezialisiert. Er versucht Kunstschaffende zu entdecken, die eine enge Beziehung zur Wirklichkeit pflegen, wie Matthias Köster, Jiny Lan oder den Bildhauer Roger Löcherbach, dessen lebensnahe bemalte Figuren immer aus einem Stamm gehauen sind. Zum ersten Mal auf der Art.Fair mit dabei ist die Galerie Heike Curtze und Petra Seiser aus Wien. Guillaume Bruère, der Schnellzeichner aus Frankreich mit dem Hang zum Portrait, hat zur Zeit eine Ausstellung im Deutschen Bundestag in Berlin und stellt sich in Köln mit neuen Werken vor. Nils Grossien von white trash contemporary aus Hamburg huldigt mit einer Einzelausstellung des Hamburger Künstlers Prinz dem 100. Geburtstag von Dada.
Mit dem Schwerpunkt Konkrete Kunst belebt die Messe eine Kunstrichtung mit einer Sonderausstellung der 2014 gegründeten „Stiftung Konzeptuelle Kunst“, die ihren Höhepunkt in den 1960er und 1970er Jahren hatte. In der Blickachse zur Präsentation der Stiftung hat Linde Hollinger mit ihrer gleichnamigen Galerie aus Ladenburg ihre konkreten Künstler wie Hellmut Bruch, Annette Sauermann, Jan van Munster, Turi Simeti oder Babak Saed positioniert. Die Art.Fair wird mit jedem Jahr erwachsener und verbessert sich im positiven Sinn. Mit 14 Jahren ist man raus aus dem Flegelalter, ein bisschen frühreif, aber das tut ihr gut.
Die Art.Fair hat am 28. Oktober von 13 bis 21 Uhr, am 29. Oktober von 12 bis 20 Uhr und am 30. Oktober von 11 bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 16 Euro, ermäßigt 10 Euro, das Dauerticket kostet 40 Euro.
Art.Fair
Halle 1 und 2 der Koelnmesse
Messeplatz 1
D-50679 Köln
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