| | Banksy schreddert sein millionenschweres Kunstwerk bei der Sotheby’s-Auktion | |
Am Ende stand Staunen, Entsetzen und auch ein wenig vergnügliche List. Denn Banksy hat das Kunstestablishment wieder einmal an der Nase herumgeführt, als am vergangenen Freitagabend sein Werk „Girl with Balloon“ bei Sotheby’s versteigert wurde. Es stand am Schluss der Londoner Prestigeauktion mit zeitgenössischer Kunst. Als der Hammer bei 860.000 Pfund zugunsten eines Telefonbieters fiel, fuhr das Bild aus seinem breiten kitschigen Rahmen, wurde dabei vor aller Augen zur Hälfte geschreddert und kam in dünnen Streifen unten heraus. Schnell ließ der verdutzte Auktionsriese das vernichtete Werk abhängen und aus dem Saal bringen. Diese selbstzerstörerische Aktion muss Banksy wohl schon 2006 vorbereitet haben, als er das Bild mit dem bekannten Motiv des jungen Mädchens, dem ein herzförmiger Ballon aus der Hand entschwindet, direkt an den jetzigen Einlieferer verkauft hat. Auf seinem Instagram-Account zeigt er das Video eines Mannes mit Kapuze, einem Markenzeichen Banksys, der den Schredder in den Rahmen einbaut, falls das Bild jemals zur Auktion komme. Schließlich kommentiert Banksy es mit den Worten „Going, going, gone“.
Der in der Mitte der 1970er Jahre geborene Banksy ist bekannt für seine subversive Haltung gegenüber dem traditionellen Kunstbetrieb. Schon häufiger hat der Street Art-Künstler, der seine Identität noch nie vollständig aufgedeckt hat, mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam gemacht. So hat er etwa heimlich seine Werke in Museen eingeschleust, 2013 seine teuren Originale von einem fliegenden Bilderhändler am New Yorker Central Park für nur 60 Dollar verkaufen lassen oder 2015 mit „Dismaland“ im Westen Englands einen trostlosen Antivergnügungspark geschaffen. Dennoch lieben ihn die Museen und der Kunstmarkt. Die Preise für seine Bilder sind in den vergangenen Jahren auf sechsstellige Werte gestiegen.
Damit steht Banksy aber ein vor einem Dilemma. Eigentlich will der Anarchist seine Kunst auf der Straße allen zugänglich machen und sie für gesellschaftspolitische Zwecke nutzen. Andererseits produziert er aber auch für den Markt. Zudem muss man sich fragen, warum Sotheby’s das Werk vor der Auktion nicht aus dem Rahmen genommen und es genauer untersucht hat – ein sonst üblicher Vorgang. Dabei wäre der Schredder-Mechanismus doch aufgefallen. Und so hat Alex Branczik, Chef der Zeitgenossen-Abteilung bei Sotheby’s in London, schon die Frage aufgeworfen, ob die Zerstörung nicht ein „integraler Bestandteil des Kunstwerks“ und das Bild jetzt nicht wertvoller als vorher sei. Ob das auch Einlieferer und Käufer so sehen, ist noch nicht geklärt. Jedenfalls hat Banksy mit seiner Kunstselbstzerstörung Auktionsgeschichte geschrieben und es am Wochenende weltweit sogar bis in die allgemeinen Hauptnachrichten geschafft. Ist das nun Kritik an den Auswüchsen des Kunstmarkts und des Kapitalismus oder doch nur ein geschickter Marketingschachzug?
Nackte Frauenpower
Sotheby’s gab sich trotz dieses Schlusscoup zufrieden mit dem Verlauf der Versteigerung. Insgesamt kamen am 5. Oktober bei einer losbezogenen Verkaufsrate von 81 Prozent gut 68,7 Millionen Pfund zusammen, womit die untere Schätzpreissumme von 53,2 Millionen Pfund deutlich überschritten wurde. Obwohl sie nicht an erster Stelle platziert war, avancierte Jenny Saville zum Star des Abends. Dafür musste aber auch ein besonderes Werk herhalten: Das Selbstportrait „Propped“ von 1992. Die Fleischmassen der nackten Künstlerin sind dabei auf einem Pfahl aufgebockt, ihre Finger durchfurchen die Oberschenkel. Charles Saatchi war davon so sehr angetan, dass er jedes Werk der Künstlerin kaufen wollte, sich „Propped“ auch unverzüglich zulegte und es 1997 in seine legendäre Ausstellung „Sensation: Young British Artists from the Saatchi Collection“ integrierte. Um die Ikone der jüngeren britischen Kunst stritten nun acht Käufer, bis 8,25 Millionen Pfund auf dem Tisch lagen – Rekordpreis für Saville, die nun damit zugleich teuerste lebende Künstlerin ist (Taxe 3 bis 4 Millionen GBP).
Die Poleposition hatte eigentlich Peter Doig mit zwei Leinwänden für jeweils 6 bis 8 Millionen Pfund inne. Während sich die von reichlich Menschen bevölkerte „Buffalo Station I“ von 1997/98 bei scheinbar rosafarbenem Schneetreiben mit 6,5 Millionen Pfund noch im vorgegebenen Rahmen bewegte, blieb ihr gelbgrünes, noch schemenhafteres Pendant „Buffalo Station II“ mit 3,8 Millionen Pfund deutlich darunter. Saville und Doig waren die prominentesten Positionen aus dem Besitz von David Teiger. Der 2014 verstorbene Unternehmensberater aus New Jersey vermachte seine umfangreiche Kunstsammlung der Teiger Foundation, die zeitgenössische Künstler unterstützt. Bis Mai 2019 wird sie bei verschiedenen Auktion von Sotheby’s an den Mann gebracht und erzielte beim Londoner Auftakt unter dem Titel „The History of Now“ schon einmal brutto 38,4 Millionen Pfund. Dazu trug Mark Grotjahns leuchtend sonnengelbes Gemälde „Untitled (Yellow Butterfly Orange Mark Grotjahn 2004)“ taxgerechte 3,1 Millionen Pfund bei, ebenso wie Cecily Browns 2003 entstandenes, verwirrendes Dschungelbild „Sock Monkey“ 1,35 Millionen Pfund. Geschäftsmäßig ging es weiter mit Chris Ofilis Liebespar „Afromantics“ von 2000/02 in Rot, Grün und Schwarz auf Elefantendung für 1,1 Millionen Pfund (Taxe 1 bis 1,5 Millionen GBP) und mit Glenn Browns neobarocker, kopfüber im Himmel schwebender Bandagenfigur „The Revolutionary Corps of Teenage Jesus“ von 2005 bei 850.000 Pfund (Taxe 700.000 bis 1 Million GBP).
Neue Heilige
Für die international renommierten deutschen Künstler konnte sich David Teiger ebenfalls begeistern und legte sich etwa Sigmar Polkes Gemäldezeichnung „When Will it All End, Pissing in Coke, Spitting in Shoes“ mit markanter Weihnachtsmannmütze aus dem Jahr 2000 zu, die sich mit 650.000 Pfund ebenfalls an den Schätzrahmen hielt. Mehr Bieteifer kam bei Kai Althoffs zwischen Jugendstil und Expressionismus changierender, eigenwillig stilisierter Malerei auf. Sein ironisches Bettlerbild „Er will alles sehen“ von 2002 steigerte sich von 80.000 Pfund zum Rekordwert von 470.000 Pfund. Doch dieses Versprechen hielt nur einen Tag, bis Althoffs gleichaltriges unkonventionelles Heiligenbild „Antonius Eremita“ ebenfalls mit Teiger-Provenienz sogar 560.000 Pfund einfuhr (Taxe 50.000 bis 70.000 GBP). Während sich Daniel Richter über 360.000 Pfund für sein bedrohlich wirkendes Gruppenbild junger Männer mit Hunden unter dem Titel „Jeans“ freute (Taxe 100.000 bis 150.000 GBP), musste Neo Rauch für seine kryptische Männerfigur „Januar“ mit Musikinstrument von 2003 einen Abschlag auf 300.000 Pfund hinnehmen (Taxe 350.000 bis 450.000 GBP).
Auch die Offerte der regulären Auktion war mit deutschen Künstlern gut besetzt. Allein vier Werke stammten von Georg Baselitz, drei Papierarbeiten davon aus der in den 1960er und 1970er Jahren aufgebauten Sammlung von Helmut Anton Krätz, unter denen sich das Antiheldenstück „Der Neue Typ“ mit 950.000 Pfund von 1966 an erster Stelle platzierte (Taxe 450.000 bis 650.000 GBP). Noch besser dotiert war sein Ölgemälde „Kopfkissen“ mit zwei gegenübergestellten Köpfen aus dem Jahr 1987 bei 1,2 Millionen Pfund (Taxe 400.000 bis 600.000 GBP). Gotthard Graubners weinrot-violettes Kissenbild von 1990/91 reüssierte bei 350.000 Pfund (Taxe 300.000 bis 400.000 GBP), Heinz Macks schwarzweiße vertikale „Dynamische Struktur“ von 1958 bei 280.000 Pfund (Taxe 250.000 bis 350.000 GBP) und das „Rauchbild“, ein schwarzer Kreis auf rotem Grund, seines ZERO-Kollegen Otto Piene von 1961 bei 200.000 Pfund (Taxe 120.000 bis 180.000 GBP).
Malerische Raumerkundungen
Da Sotheby’s keinen eigenständigen „Italian Sale“ mehr im Oktober durchführt und die Objekte auf die regulären Auktionen aufteilt, war die italienische Nachkriegsavantgarde jetzt stark vertreten. Mit 2,4 Millionen Pfund erreichte Lucio Fontanas weißes, zehnmal vertikal durchschlitztes „Concetto Spaziale, Attese“ von 1964 den unteren Schätzpreis. Auf die Hälfte verbesserte sich seine ungewöhnlichere, braune und durchlöcherte frühe Leinwand „Concetto Spaziale, Forma“ von 1958 (Taxe 650.000 bis 850.000 GBP). Ebenfalls mit der räumlichen Ausdehnung von Malerei spielt Enrico Castellani in seiner Serie „Superficie“. Sein regelmäßig mit Nägel hinterfangenes weißes Quadrat von 2001 steigerte sich leicht auf 480.000 Pfund (Taxe 350.000 bis 450.000 GBP). Alighiero Boettis zehnteilige Kugelschreiberzeichnung „Ononimo“ akzeptierte dann wieder den unteren Schätzwert von 1 Million Pfund, während Piero Manzonis „Achrome“ um 1962 bei 700.000 Pfund genau die Mitte der Erwartungen traf. Schließlich gesellte sich noch Giulio Paolinis konzeptuelle Arbeit „Souvenir (V)“ von 1974 hinzu. Der mit Schwarzweiß-Fotografien einer einsamen Rückenfigur und Ausrissen aus Büchern und Zeitschriften bestückte Bildrahmen erklomm die untere Schätzung von 120.000 Pfund.
Für Millionenwerte waren dann Roy Lichtensteins in Comicmanier stilisierte „Pyramids“ von 1968 bei taxgerechten 2,1 Millionen Pfund, Alexander Calders rotes aufblühendes Mobile „Pads and Shoots“ von 1966 für untertourige 1,8 Millionen Pfund (Taxe 2,2 bis 3 Millionen GBP) und zum gleichen Preis Christopher Wools bewusst unfertiges und schiefes Blümchenmuster von 1998 zu haben (Taxe 2 bis 3 Millionen GBP). Cy Twomblys gestische Farbschmiererei und -kritzelei von 1961 kostete 1,15 Millionen Pfund (Taxe 800.000 bis 1,2 Millionen GBP). Regen Zuspruch verzeichnete das lustige Pop Art-Comic-Gesicht „Again and again“ mit Zahnlücke des amerikanischen Kult-Designers KAWS, alias Brian Donnelly, von 2008 bei 850.000 Pfund (Taxe 250.000 bis 350.000 GBP). Den höchsten Wert gab es für Adrian Ghenies fast abstraktes, suggestives Interieur „Boogeyman“ von 2010 mit seiner selbst in Rückenansicht im Fauteuil und einer weiteren rätselhaften Gestalt im schwarzen Anzug für hohe 4,1 Millionen Pfund (Taxe 2 bis 3 Millionen GBP).
Die Ergebnisse verstehen sich als Zuschlag ohne das Aufgeld. |