Zum Auftakt stellt sich der Meister selbst vor. „OK“, so signierte Oskar Kokoschka seine Gemälde und setzte sich im Jahr 1923 selbstbewusst als Professor der Dresdner Kunstakademie in Pose. Abrupt und patchworkartig nebeneinander gestellte Farbkacheln betonen die Tektonik der Figur. Würdevoll und nicht ohne das charakteristische Spiel der Hände blickt er seitwärts aus dem Bild heraus am Betrachter vorbei. Nur im erdfarben abgetönten Hintergrund nimmt die starke Leuchtkraft der Farben etwas ab. Drei weitere Porträts schließen sich an. Das im Jahr zuvor gemalte „Selbstbildnis an der Staffelei“ trägt noch deutlich zackige expressionistische Züge und ist durch einen erotischen Kniff erweitert. Denn während der Maler vordergründig konzentriert arbeitet, zwickt er dem nackten Staffagemodell ins Bein. Das älteste Porträt datiert in die Jahre 1918/19. Mit sichtlich eingefallenem Gesicht und vor dem Mund gesetzten Fingern ist Kokoschka von den Kriegserlebnissen düster gezeichnet. Hier zeigt er sich noch beim grüblerischen Nachdenken über die Zukunft, während er sich 1948 prall und voller Tatkraft mit vielen kleinen Ölstrichen regsam abfasst.
Diese Bilder am Beginn der aktuellen Kokoschka-Retrospektive im Kunsthaus Zürich legen die stilistische Vielfalt des ungemein produktiven Malers dar und mehr noch. Sie verdeutlichen bereits alle wesentlichen Aspekte seines Werks: Kokoschkas Verharren in einer stets figurativen, dialektischen Malerei, die Konzentration auf Porträts, Stadt- und Landschaftsansichten, flankiert von wenigen mythologisch, historisch und religiös geprägten Sujets, und ein direktes, zielbewusstes Arbeiten voller Ausdruckskraft mit großer Verve und starkem malerischem Können.
Nicht ganz freiwellig geschah denn auch die nomadische Selbstfindung Oskar Kokoschkas, die den verheerenden Umständen der Zeit geschuldet war und ihn zu einem multinationalen Europäer werden ließ, dessen Werk und Person sich einer nationalen Zugehörigkeit entziehen. So prägen denn auch Ausgrenzung, Verfolgung, Migration und kriegerische Handlungen nachdrücklich Kokoschkas Œuvre, das in Wien und Berlin den künstlerischen Schliff erhielt. In acht Kapiteln haben Cathérine Hug und Heike Eipeldauer eine Auswahl von 90 Gemälden, 118 Grafiken und 40 Archivalien arrangiert und geben ein instruktives Panorama von Kokoschkas Kunst über sieben Schaffensjahrzehnte hinweg.
Bereits der tschechische Familienname verweist auf die Wurzeln des als Spross einer Prager Goldschmiedefamilie am 1. März 1886 im niederösterreichischen Pöchlarn geborenen Künstlers, der mit seiner Familie kurz darauf nach Wien zog. Während seiner Ausbildung an der Kunstgewerbeschule ab 1905 berauschte der Wiener Jugendstil auch Kokoschkas Kunst. Repräsentativ dafür sind kantige Umrisslinien, große Farbflächen und eine gedrungene, schwere Typografie wie die seines Plakates für die Wiener Kunstschau von 1908, ein für die Wiener Werkstätte illustriertes Märchenbuch oder ein ausdrucksvoll zugeschnittener Rock. Bereits 1909 inszenierte das erst 23jährige, umtriebige und in vielen Genres beheimatete Multitalent einen Skandal mit seinem ersten Theaterstück „Mörder, Hoffnung der Frauen“.
Dank der Vermittlung seines Förderers Adolf Loos konnte Kokoschka eine Reihe Prominenter malen. So verwundert es nicht, dass der international vernetzte Galerist und Verleger Herwarth Walden den 24jährigen für die von ihm gegründete Zeitschrift „Der Sturm“ gewann. Die regelmäßige Mitarbeit für das Blatt hievte Kokoschka schlagartig auf das internationale Parkett. Nach dem Berliner Aufenthalt fesselten den Katholiken in einer kurzen transzendentalen Phase um 1911 auch religiöse Themen. Die Züricher Ausstellung führt fünf jener prismatisch fragmentierten, von einer vibrierenden und durchscheinenden Oberfläche geprägten Darstellungen in einem Kabinett zusammen.
Von 1912 bis 1915 schlug sich die Liaison mit Alma Mahler, der Witwe des Komponisten Gustav Mahler, in vielen Gemälden und Zeichnungen nieder. Einen Höhepunkt stellt das erst zum zweiten Mal öffentlich präsentierte Secco-Wandbild für seine Geliebte dar. In kühler Palette und kristallinen Elementen strahlt die zu Stein gewordene Liebesszene Ruhe und Geborgenheit aus. Mit dem Ende der Romanze 1915 zog es Oskar Kokoschka in den Krieg, wo ihn der Liebeskummer peinigte und er schwer verwundet wurde. Um 1917/18 hielt er in dunklem Kolorit und mit aufwühlend kreisenden Pinselstrichen seinen Freundeskreis in dem Gruppenporträt „Freunde“ fest. Das Gemälde war dann 1937 auf der Schau „Entartete Kunst“ zu sehen.
Zur Genesung zog Kokoschka 1916 nach Dresden, arbeitete ab 1919 als Professor an der Kunstakademie und ließ sich ab 1923 freistellen, um zu reisen. In den 1920er Jahren fand er dann zu seinem reifen Stil. Zahlreiche Gemälde, darunter Ansichten von Dresden, Prag oder London vermitteln die für diese Jahre typische Teppichstruktur. Mit dem Flachpinsel forschte er grobe Licht- und Schattenzonen in Serien aus. Ergänzend kommen flirrende Motive nordafrikanischer oder französischer Landschaften hinzu, immer wieder ergänzt von Porträts in schraffurartiger Pinselführung. Politisch bedingt zog es den Künstler 1934 von Wien nach Prag. Hier lernte er seine künftige Frau kennen. Nachdem ihm 1935 die tschechische Staatsbürgerschaft verliehen worden war, gelang ihm 1938 noch im letzten Augenblick die Flucht nach England. 1947 wurde er dann britischer Staatsbürger.
Als Oskar Kokoschka 1931 demonstrativ die Umwidmung des Schlosses Wilhelminenberg am westlichen Stadtrand Wiens zum Kinderheim und damit dessen Verbürgerlichung herausstellte, war dies der Auftakt zu weiteren politischen Motiven, in denen er sich gegen alles Totalitäre und Nationalistische positionierte. Die während des Londoner Exils gemalten und voller Spott giftenden Sujets nehmen die Beschwichtigungspolitik und den Faschismus, die Zerstörung von Freiheiten und Werten mit klaren Botschaften in einem vielschichtigen ikonografischen Programm ins Visier. Nie hat Kokoschka die nazifreundliche Politik seines Heimatlandes verstanden, wie er es in dem Ölgemälde „Anschluss – Alice im Wunderland“ 1941/42 in schreienden hellen Farben sarkastisch auf den Punkt brachte.
Hier sind das Werkschaffen und der Parcours der sinnig arrangierten Auswahl an einem Wendepunkt angelangt. Ab 1953 im schweizerischen Villeneuve am Genfer See heimisch, stieg er nun zum großen Porträtisten der Nachkriegszeit auf. Bis zu seinem Tod 1980 gelang es ihm, in die Tiefen der Seele vieler Größen von Konrad Adenauer bis hin zu den jungen Brüdern Feilchenfeldt einzutauchen und deren Psyche zu erfassen. Wieder und wieder beschäftigten ihn politische Entwicklungen. Vom Dach der Berliner Zentrale des Springer-Verlages hielt er zum fünften Jahrestag des Mauerbaus 1966 in nervöser kleinteiliger Gestik den Blick nach Ost-Berlin fest und gestaltete ihn fast so explosiv wie die reale Situation. Erst 1975 nahm er die österreichische Staatsbürgerschaft wieder an und versöhnte sich mit seiner Heimat.
Beinahe wie eine liebliche Tierszene sehen die 1968 gemalten „Frösche“ aus. Hier illustrierte er die Komödie „Die Frösche“ von Aristophanes, in der die Tiere für nicht selbstständig denkende Mitläufer stehen. In der Verteidigung der stets gefährdeten Demokratie lag für Oskar Kokoschka die Zeitlosigkeit dieses antiken Dramas. Den abschließenden Höhepunkt der Schau bestreiten die beiden acht Meter langen und zwei Meter hohen monumentalen Triptychen „The Prometheus Saga“, geschaffen 1950 für das Londoner Stadtpalais des österreichisch-britischen Kunsthistorikers und Sammlers Graf Antoine Seilern und Aspang, und „Thermopylae“, das Kokoschka 1954 für einen Hörsaal der Hamburger Universität malte. Erstmals seit 1962 wieder zusammen präsentiert, sind die Monumentalwerke Weckrufe für Frieden und Freiheit.
Mit den Triptychen unterstrich Oskar Kokoschka demonstrativ sein Beharren auf der damals als antimodern angesehenen Figuration und wies damit sein Werk als demokratischen Zugang zu Bildung und gesellschaftlicher Offenheit aus. Mit seinem energischen, willensstarken Schaffen griff der dreifache Documenta-Teilnehmer effektvoll in die Kunstwelt ein. Sein weltoffener Charakter als antinationalistischer Europäer hinterließ deutliche Nachwirkungen etwa bei den „Neuen Wilden“ und heutigen Größen der Malerei wie Nancy Spero, Georg Baselitz, Herbert Brandl oder Denis Savary. Dies unterstreicht die Relevanz der verdienstvollen Retrospektive vor dem Hintergrund des aktuellen Kunstschaffens und Zeitgeschehens.
Die Ausstellung „Oskar Kokoschka. Eine Retrospektive“ ist bis zum 10. März zu sehen. Das Kunsthaus Zürich hat täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs und donnerstags zusätzlich bis 20 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 23 Franken, ermäßigt 18 Franken. Der Ausstellungskatalog aus dem Kehrer Verlag kostet im Museumsshop 59 Franken. |