Neben den prestigeträchtigen Abendversteigerungen mit zeitgenössischer Kunst hat Sotheby’s seit einigen Jahren das Format „Contemporary Curated“ aufgelegt. Hier verhandelt der Auktionsriese nicht die schwergewichtige Millionen-Kunst seit 1950. Die Wertvorstellungen dringen bis in den sechsstelligen, selten in den untern siebenstelligen Bereich vor. So versammeln sich hier neben den kleineren Werken großer Namen auch weniger bekannte oder junge, noch nicht so abgesicherte Positionen. Am 1. März ist es in New York wieder soweit. Mit knapp 300 Losnummern hält Sotheby’s dort die erste Gegenwartskunstauktion im neuen Jahr ab und lädt Sammler zu Entdeckungen ein. Los geht es in den unmittelbaren Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Hans Hofmann schuf 1946/48 das Hochformat „Resurrection VII“, das energiegeladen Farbballungen in einem ausgefeilten Kolorit in einer Aufwärtsbewegung gegeneinandersetzt. Hierfür hat Sotheby’s 400.000 bis 600.000 Dollar vorgesehen.
Weitere Gemälde des Abstrakten Expressionismus amerikanischer Prägung schließen sich an: Adolph Gottliebs dunkles Formenspiel „Blue on Black“ von 1970 mit rot leuchtender Sonne (Taxe 150.000 bis 200.000 USD), Helen Frankenthalers ebenfalls düstere Leinwand „The Strand“ von 1986 (Taxe 450.000 bis 650.000 USD) oder Sam Francis’ locker arrangierte, heitere Farbkleckse „Santa Monica (Broadway studio)“ von 1980 (Taxe 300.000 bis 500.000 USD). Bei Ad Reinhardts „No. 12“ aus dem Jahr 1950 hat sich der Farbauftrag in Orangerot, Mittelbraun und Grau schon zu einem Balkenteppich verfestigt (Taxe 600.000 bis 800.000 USD). Walasse Ting hat seine Sicht auf „My Garden“ 1966 als bunte kräftige Farbspritzer und -kleckse ausformuliert (Taxe 70.000 bis 90.000 USD). Robert Motherwell interessierte sich 1977 ebenfalls für die ihn umgebende Natur und gestaltete genauso ungegenständlich „The Red Garden Window“ mit malerischen und collagierten Anteilen (Taxe 250.000 bis 350.000 USD). In die Dreidimensionalität dringt Frank Stella bei seinem bunten aufgeschnittenen Wandrelief „Vallelunga II“ von 1983 vor, das an Motorsportrennstrecken wie den gleichnamigen „Autodromo Vallelunga“ bei Rom erinnert (Taxe 300.000 bis 500.000 USD).
Auf Eva Hesses Ölgemälde „No Title“ um 1956 scheint man in den erdverbundenen Tönen noch eine menschliche Gestalt auszumachen (Taxe 60.000 bis 80.000 USD), bei Wayne Thiebauds „Cloud and Bluffs“ von 1972 in den dicken Farbschichten die titelgebenden Steilküsten und Wolke (Taxe 400.000 bis 600.000 USD). Die ungegenständliche Kunst spielt weiterhin eine führende Rolle in der Auktion. Philip Guston hat seine unruhigen, nebeneinander gesetzten Farbfelder 1959 „Western“ genannt (Taxe 200.000 bis 300.000 USD), Sam Gilliam seine von Jazz-Musik inspirierte Farbschlacht, die sich als zerknüllte und wieder aufgespannte querrechteckige Leinwand präsentiert, 1977 „Leah’s Favor“ (Taxe 180.000 bis 250.000 USD).
Kreise in Hülle und Fülle
Mit Kreisen und Punkten spielen Yayoi Kusama 2005 in ihrer fahl violetten „Dots Obsession“ (Taxe 450.000 bis 650.000 USD) und noch verwirrender in ihrem „Pacific Ocean“ von 1985 (Taxe 100.000 bis 150.000 USD) sowie Damien Hirst 2007 in seiner farbfreudigen, genauen Anordnung „Sulfochlorophenol S“, einem Werk aus der Reihe der „Spot Paintings“ mit pharmazeutisch-medizinischen Verweisen. Auch eines von Hirsts „Spin Paintings“, den Farbspritzern auf rotierenden Scheiben, ist zugegen: Das „beautiful, dark and eerie void painting (with ghost of a milk splash)“ von 1998 will ebenfalls 400.000 bis 600.000 Dollar sehen. In eine Quadratstruktur hat Thomas Downing 1961 für „Indeterminate Set“ seine roten, blauen, weißen und fliederfarbenen Kreise eingepasst (Taxe 30.000 bis 40.000 USD).
An einer strengen Setzung von breiten Farbbalken in verschiedenen Braun- und Schwarztönen orientiert sich dagegen Sean Scully bei seinem Ölgemälde „Wall of Light Pink Grey Sky“ von 2011 (Taxe 800.000 bis 1.200.000 USD). Ihm schließt sich Mary Heilmann mit ihrem Schachbrettmuster auf zwei versetzt miteinander verbundenen Holztafeln an, über die seit 1995 eine braune Linie mäandert (Taxe 80.000 bis 120.000 USD), während Jacqueline Humphries 1989 auf grünem schlierigem Farbgrund wieder zu schwarzen und luzid gelben Kreisen griff (Taxe 20.000 bis 30.000 USD). Zu den heute in Europa wenig bekannten Künstlern gehört die 1932 geborene Kolumbianerin Olga de Amaral, die in den 1970er Jahren mit ihren Tapisserien international Anerkennung fand. Von 1982 stammt ihre wertvoll schimmernde Arbeit „Alquimia 81“ aus einer grundierten Leinwand und unzähligen kleinen, vertikal ausgerichteten Goldblättchen (Taxe 80.000 bis 120.000 USD).
Unbekanntes aus Südamerika
Zu den lateinamerikanischen Künstlerinnen zählt die 1926 in Havanna geborene Zilia Sánchez. Mit vier weißen Leinwänden, von denen paarweise drei fleischfarbene kreisförmige Erhöhungen abstehen, erkundete die Kubanerin um 1975 eine „Topología erótica“ (Taxe 150.000 bis 200.000 USD). Ebenso wenig geläufig ist der 2017 verstorbene Peruaner Fernando de Szyszlo, der seine quadratische, monochrom violette Leinwand „Cuarto de paso“ von 1981 mit seltsam surrealen Formfindungen für 40.000 bis 60.000 Dollar zu Verfügung stellt. Vertrauter sind da die von Südamerika nach Europa eingewanderten Künstler, wie Jesús Rafael Soto und Carlos Cruz-Diez die zu den wichtigen Vertretern der kinetischen und optischen Kunst der 1960er und 1970er Jahre avancierten. Auf jeweils 120.000 bis 180.000 Dollar sind Sotos Quadratvibration „Blanc et noir“ von 1990 und Cruz-Diez’ „Physichromie No. 2501“ mit sich gegenseitig beeinflussenden Farbbahnen von 2004 geschätzt.
Die figurative Malerei kommt dann noch zu ihrem Recht. Ältestes Werk ist hier Alice Neels zurückhaltendes, etwas melancholisches Portrait der am Boden ruhenden „Connie“ um 1945 (Taxe 300.000 bis 500.000 USD). Die Pop Art mischt im Anschluss kräftig mit, so Mel Ramos mit seiner über den Bildrand hinausragenden blonden Schönheit „Ursela“ in rot-weiß gestreiftem Shirt von 1966 (Taxe 250.000 bis 350.000 USD) oder Tom Wesselmann mit seinem Relief „Still Life #54“ samt Apfel und Radio vor weiß gekachelter Wand (Taxe 200.000 bis 300.000 USD). Robert Indiana steuert seine bekannte Love-Skulptur in knalligem Rot von 1966/95 bei (Taxe 300.000 bis 400.000 USD), Ed Ruscha seine schemenhafte Kirchensilhouette in Grau auf einer großformatigen Leinwand von 1986 (Taxe 180.000 bis 250.000 USD) und Andy Warhol seine Künstlerhommage an „Georgia O’Keeffe“ als dunkelblauer Siebdruck um 1979 (Taxe 20.000 bis 30.000 USD).
Jim Dines Doppelherz „Atlantic Love Letter“ von 1994 ist für 100.000 bis 150.000 Dollar zu haben, sein Venus-Torso „The Field of the Cloth of Gold“ aus bemalter Bronze von 1987/88 für 80.000 bis 120.000 Dollar. David Salle hat 2009 einzelne alltäglich Motive, eine Frau, eine Landschaft und vier Bildteile zu der wandfüllenden Arbeit „Outside Her House“ kombiniert (Taxe 100.000 bis 150.000 USD). Während KAWS, alias Brian Donnelly, mit seiner schwarzen Umrissmalerei „Untitled (MBFH2)“ von 2014 dem Haushund Snoopy aus den Peanuts recht nahekommt (Taxe 250.000 bis 350.000 USD), verzerrt George Condo die farbintensiven Gesichtszüge der „Smiling Girl with Black Hair“ von 2008 so stark, dass es wie eine Übertreibung von Picassos Kunst wirkt (Taxe 1 bis 1,5 Millionen USD). Etwas für Börsianer ist Arturo Di Modicas Replik des berühmten angriffslustigen „Charging Bull“ von der Wall Street, die der gebürtige Sizilianer 2011 noch einmal in acht Exemplaren in Stahl auflegen ließ. Dafür sind 250.000 bis 350.00 Dollar vorgesehen.
Ergiebige Sammler
Zwei Privatsammlungen hat Sotheby’s in das Programm der Auktion integriert, die sich beide um die Konzeptkunst und den Minimalismus drehen. Die Chicagoer Kritikerin und Sammlerin Judith E. Neisser legte sich etwa Lucio Fontanas Terrakottablock mit sieben Einstichlöchern von 1958 (Taxe 50.000 bis 70.000 USD), Sol LeWitts zielbewusst konstruierte Zeichnung „Black Grid, Yellow Circles, Red Arces from Adjacent Sides and Blue Arcs from Adjacent Sides Opposite“ von 1971 (Taxe 50.000 bis 70.000 USD) oder Robert Smithsons ein Jahr jüngere Ideenskizze „Ring of Sulfur on Flat Plain. Houston Project on Sulphur from Rosenberg“ zu (Taxe 12.000 bis 18.000 USD).
Die Kollektion des im vergangenen Jahr verstorbenen Kaliforniers Arnold Forde hat Sotheby’s unter der Überschrift „The Form of Ideas“ zusammengefasst, zu der treffend Lawrence Weiners Schriftzug „MORTAR STONE AND SUCH SET AS A MEANS OF BLOCKING THE INEVITABLE SLIDE OF THE LAND BACK INTO THE SEA“ von 1986 passt, den Forde an seiner Hausfassade über dem Meer hat anbringen lassen (Taxe 50.000 bis 70.000 USD). Zu John Baldessaris Schreibmaschinentext treten in der Arbeit „A New Sense of Order“ von 1972/73 noch fünf Fotografien von Naturschauspielen und heruntergekommenen Straßen (Taxe 150.000 bis 200.000 USD). John McCracken stellt dann einen schlichten „Lilac Cube“ von 1968 auf (Taxe 60.000 bis 80.000 USD), Carl Andre legt eine dünne „26 Straight Short Pipe Run“ von 1969 in Windungen durch den Raum (Taxe 40.000 bis 60.000 USD), und Tatsuo Miyajima lässt seine Zahlenspiele auf acht LED-Anzeigen an der Wand „Opposite Vertical“ von 1991 ablaufen (Taxe 30.000 bis 40.000 USD). Den Schätzpreis für Daniel Burens zehnteilige, in die Kante eines Raums zu platzierende, rot-weiße Streifenarbeit von 1987 teilt Sotheby’s auf Anfrage mit.
Seit Oktober 2018 bringt der Auktionsriese die umfangreiche Sammlung des 2014 verstorbenen Firmenberaters David Teiger aus New Jersey an den Markt. Nun sind 39 weitere Werke im niedrigeren Preisbereich an der Reihe, darunter Elizabeth Peytons charakteristische Zeichnung von „Julian“ in blauem Pastell von 2003 (Taxe 25.000 bis 35.000 USD), Michel Majerus’ mit Schriftzeichen und Farbschlieren überzogenes Acrylgemälde „Eggsplosion“ von 2002 (Taxe 50.000 bis 70.000 USD) oder Roxy Paines kahle Baumskulptur „Model for Bluff“ aus Stahl von 2001 (Taxe 15.000 bis 20.000 USD). Weitere sinnenfällige und laute Arbeiten, darunter Kai Althoffs collagierte Malerei „Tanzende Derwische“ von 1984 (Taxe 18.000 bis 25.000 USD), Chris Ofilis genießender schwarzer Akt „Confession“ von 2006 (Taxe 20.000 bis 25.000 USD) und Marina Abramovics Video „Nude with Skeleton“ von 2005 (Taxe 15.000 bis 20.000 USD), stehen reduzierten, aber farbfreudigen Schöpfungen wie Liam Gillicks Plexiglasskulptur „Composed Discussion Screen“ von 2004 (Taxe 30.000 bis 40.000 USD) oder Kenneth Nolands horizontale Farbbahnen „Twin Plain II“ von 1969 in dominantem Gelb gegenüber (Taxe 80.000 bis 120.000 USD).
Schwarz im Kommen
Einen Straken Auftritt legen bei Sotheby’s die afroamerikanischen Künstler hin, die in ihren Werken oft ihre Identität und ihre Stellung in der Gesellschaft der USA thematisieren. So beschreibt Jacob Lawrence 1964 in seiner Gouache „Menagerie“, wie zwei starke Männer mit Pistolen ein Blutbad unter dem Federvieh anrichten, während weitere Tiere in Käfigen diesem brutalen treiben zusehen müssen (Taxe 180.000 bis 250.000 USD). Ihm folgen Romare Bearden mit seiner eindrücklichen Collage einer afrikanischen Familie unter dem Titel „The Unforgotten“ von 1970 (Taxe 60.000 bis 80.000 USD) und Faith Ringgold mit ihren beiden voluminösen Frauengestalten, die den Rahmen der bestickten Leinwand sprengen (Taxe 150.000 bis 200.000 USD). Henry Taylor übte sich 2002 im gefährlichen „Neighborhood Watch“ (Taxe 80.000 bis 120.000 USD), Firelei Báez studierte 2015 die „Patterns of Resistance“ als schillernde Frau (Taxe 9.000 bis 12.000 USD) und Lorna Simpson hat 1994 in ihrem 38teilgen Grafikportfolio „Wigs“ eine Studie zur schwarzafrikanischen Haarpracht angelegt (Taxe 30.000 bis 40.000 USD). Ebenso hoch angesetzt ist Zeichnung eines Kopfes unter dem Titel „There’s No Need to Rush“ der 1985 in Nigeria geborenen Toyin Ojih Odutola.
Glenn Ligon reflektiert in seinem Schaffen über Sprache, Geschichte, Politik und bevorzugt dabei die Farbe Schwarz wie in seinem Schriftbild „Stranger Drawing #6“ von 2004, bei dem am Anfang noch Buchstaben und Wörter zu erkennen sind, die dann mehr und mehr vom Kohlenstaub zugedeckt werden (Taxe 400.000 bis 600.000 USD). Auch Rashid Johnson ergeht sich in seinem durchfurchten Bild „Cosmic Slop. Change of the Century“ aus Seife und Wachs von 2012 ganz in der Farbe Schwarz (Taxe 70.000 bis 100.000 USD), ebenso Simone Leigh, die Hugo Boss-Preisträgerin 2018, in ihrer pockennarbigen Kopfform aus schwarz glasierter Keramik von 2013 (Taxe 15.000 bis 20.000 USD).
Kehinde Wiley taucht seine hyperrealistischen Darstellungen von Afroamerikanern dagegen stets in ein buntes Farb- und Mustermeer, so auch bei dem Heranwachsenden „Easter Realness #7“ in Hip-Hop-Street-Mode von 2004 (Taxe 100.000 bis 150.000 USD). Kerry James Marshall ist schon eine Generation älter, seine Preise liegen daher auch höher, was bei seiner schwarzen Malerin mit überdimensionierter Palette im Stil des Abstrakten Expressionismus von 2008 mit 1,8 bis 2,5 Millionen Dollar zu Buche schlägt. Im vergangenen Jahr ist Jack Whitten verstorben, der als einer der wenigen Afroamerikaner neben Sam Gilliam die abstrakte Kunst bevorzugte. Und man meint vor einem Déjà-Vu zu stehen, betrachtet man seine Leinwand „Special Checking“ von 1974. Denn seine graubraunen Farbschlieren erinnern doch sehr an die Rakelbilder Gerhard Richters. Nur Whitten war etwas früher dran (Taxe 300.000 bis 500.000 USD). |