 |  | Emil Nolde, Hülltoft Hof, 1932 | |
Die 100. Auktion bei Villa Grisebach steht vor der Tür. Diesen Anlass will man am 7. Juni gebührend mit den „Ausgewählten Werken“ feiern. Und das Angebot macht den Kunstfreund schon staunen. Genau 101 Lose listet der Katalog. Drei von ihnen sind mit 1 Millionen Euro (!) oder höher bewertet und bei weiteren drei liegt die obere Taxe bei 500.000 Euro oder darüber. Damit hebt sich das Berliner Haus in der klassischen Moderne an die Spitze der deutschen Versteigerer und kann auch den anglo-amerikanischen Weltmarktführern, Christie’s, Sotheby’s und Phillips, beim deutschen Expressionismus durchaus das Wasser reichen.
Hauptakteur des Abends ist Emil Nolde. Von ihm werden zwölf Kunstwerke aufgerufen, darunter auch die beiden teuersten Stücke. Bei 1,5 bis 2 Millionen soll sein leuchtend roter „Hülltoft Hof“ von 1932, der in der Marschlandschaft von Noldes Heimat dem übermächtigen, dunkel drohenden Gewitterhimmel trotzt, einen neuen Besitzer finden. Zu musealen Ehren gelangte das Ölgemälde zwischen 1934 und 1937, als es in der Hamburger Kunsthalle hing. Es erlitt dasselbe Schicksal wie so viele Kunstwerke der damaligen Avantgarde und wurde von den Nationalsozialisten konfisziert. Über die Berliner Kunsthandlung Karl Buchholz kam es 1939 nach Norwegen und von da 1952 an die jetzigen Besitzer, eine norddeutsche Privatsammlung. Im „Kübel mit Sonnenblumen“ von 1937 entwickeln die Blüten ihre Kraft durch die Gelb-, Orange- und Rottöne vor dem dunklen Hintergrund. Für das aus der selben Privatsammlung eingelieferte Ölgemälde erwartet man sich 1,3 bis 1,8 Millionen Euro. Neben den beiden frühen Ölbildern „Einfahrt zur Heimat“, einem Blick auf den elterlichen Hof von 1898 (Taxe 60.000 bis 75.000 EUR), und dem „Frühling im Buchenwald“ von 1915 (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR) sind natürlich Nolde-Aquarelle mit von der Partie. Unter den Blättern mit zum Teil ungewöhnlichen Motiven, wie den „Zwei Fischen“ (Taxe 40.000 bis 60.000 EUR), hat der „Blühende Mohn“ mit 100.000 bis 150.000 Euro die höchste Taxe.
Dann kommen andere klangvolle Namen des deutschen Expressionismus und Impressionismus zum Zug. Rang 3 nehmen mit 800.000 bis 1,2 Millionen Euro Max Beckmanns geheimnisvolle „Zwei Frauen auf dem Sofa“ ein. Eingeliefert aus der Sammlung Ahlers erinnert sein Ölgemälde von 1937 an Boudoirszenen mit Kurtisanen. Die beiden hergerichteten Frauen strahlen eine lässige Eleganz und distanzierte Schönheit aus, lassen aber sonst nicht erkennen, was sie denken, fühlen oder wollen. Bereits 1994 war Max Liebermanns „Allee im Tiergarten mit Reitern und Spaziergängern“ von 1917 bei Grisebach für geschätzte 600.000 bis 800.000 Mark im Angebot und wurde unter Vorbehalt für 540.000 Mark an eine Berliner Privatsammlung verkauft. Jetzt erwartet man für den schattigen Sommernachmittag im Berliner Park 400.000 bis 600.000 Euro.
Auch Max Pechsteins „Rettungsboot“, 1911 während des Sommeraufenthalts in Nidden gemalt, war schon im Oktober 1987 bei Sotheby’s in München auf der Auktion vertreten und spielte damals 385.000 Mark ein. Heute soll das Ölbild mit seinen leuchtenden Gelb- und Rottönen 400.000 bis 500.000 Euro erbringen. Zurückhaltend und zart zeichnete Pechstein seine „Löwenbändigerin“ im Zirkus inmitten der friedlichen Raubkatzen (Taxe 300.000 bis 350.000 Euro). Karl Schmidt-Rottluff ist der vierte Künstler, dem man die 500.000 Euro-Grenze zutraut. Die soll mit der Sturm ankündigenden Landschaftsszene „Gewitter zieht auf“ erreicht werden (Taxe 350.000 bis 500.000 EUR).
Gleich darunter plaziert sich mit einer oberen Schätzung von 450.000 Euro Gabriele Münters „Stillleben im Kreis“, in der die Weggefährtin Kandinsky volkstümliche Madonnenbildnisse und Holzvögel zu einer fast abstrakten Komposition verarbeitet. Für ihre „Zwei Sträusse“ mit Äpfeln erhofft man sich 50.000 bis 60.000 Euro. Künstlerkollegen aus dem Blauen Reiter sind mit Alexej von Jawlensky und mit Franz Marc vertreten. Marcs kleines, lustiges Deckfarbenbild „Kamel und Affe“ begegnet man zum zweiten Mal bei Grisebach. Angeboten war es im Frühjahr 2001 für 240.000 bis 280.000 Mark, wurde aber nicht verkauft. Mit 110.000 bis 130.000 Euro ist es jetzt etwas günstiger bewertet. Neben zwei „Meditationen“ (Taxen zwischen 30.000 und 55.000 Euro), der abstrakten Farb-„Variation N. 3“ von 1916 (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR) ragt bei den Arbeiten Jawlenskys das rot- und brauntonige „Grosse Stillleben: Biedermeiervase mit Blumen“ von 1936 für 140.000 bis 180.000 Euro und das „Heilandsgesicht: Entsagung“ von 1921 für 250.000 bis 300.000 Euro heraus.
Einige unbekanntere Namen mit schönen Kunstwerken hat Grisebach zusammentragen können. Der Russe Wladimir Bechtejeff, den Jawlensky nach München geholt hatte, gehörte neben ihm, Münter, Erbslöh, Kanoldt und Kubin zu der 1905 gegründeten „Neuen Künstlervereinigung München“. Auf den Spuren der Idealisten und der Symbolisten wandelt sein lyrisches Ölgemälde „Badende“, die sich in einer idyllischen Waldlandschaft am einem schlängelndem Fluss lagern (Taxe 90.000 bis 120.000 EUR). Auf religiöse Themen griff Wilhelm Morgner zurück. Sein Bild „Himmelfahrt“ von 1912 bildet nicht das biblische Geschehen ab, sondern interpretiert die Aufwärtsbewegung in einer rauschenden Farbexplosion. Auch dieses Werk versteigerte Grisebach im November 1998 schon einmal. Damals war es auf 140.000 bis 180.000 Mark taxiert und erzielte mit 320.000 Mark einen neuen Rekord für Morgner. Jetzt verspricht man sich 120.000 bis 150.000 Euro. Aus geometrischen Grundformen, wie Kreis, Dreieck, Rechteck und Quadrat, komponierte 1921 Hans Reichel sein zartes Ölbild „Morgenstern“ (Taxe 9.000 bis 12.000 EUR).
Rarität und Highlight in der Grafikabteilung ist der Druckstock zu Pablo Picassos „La Femme à la Résille“ von 1949. Die Zinkplatte befand sich wohl im Besitz seines Druckers Fernand Mourlot. Angeboten wird sie für 250.000 bis 300.000 Euro. Frauengestalten hielt Erich Heckel in seinen Holzschnitten „Betende“ von 1908 (Taxe 15.000 bis 20.000 EUR) und „Schlafende“ von 1910 (Taxe 20.000 bis 30.000 EUR) fest. Mit dem langen Bart und den weiten Augen blickt der Frankfurter Kunsthändler und Freund Ernst Ludwig Kirchners, Ludwig Schames, den Betrachter eindrucksvoll an (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR). Die fünf Bauhaus-Mappen aus den Jahren 1921 bis 1924, die die wichtigsten Tendenzen der künstlerischen Avantgarde in Europa zusammenfassen wollten, offeriert der Katalog für 200.000 bis 250.000 Euro. In engen Zusammenhang mit dem 1921 geschaffenen Ölgemälde „Matrosenliebste“ steht die Zeichnung „Hedwig“. In gleichen, nach links gewendeten Halbprofil porträtiert Otto Dix eine junge Frau (Taxe 40.000 bis 50.000 Euro).
Mit Kunst nach 1945 ist der Katalog nicht mehr so prominent bestückt. Ernst Wilhelm Nays Scheibenbild „Blauspiel“ entstand 1956 (Taxe 150.000 bis 200.000 EUR). Als Rhythmisierung der Komposition setzt er schwarze Flächen und Linien ein. 1955, in seinem letzten Lebensjahr, malte Willi Baumeister die „Metaphysische Landschaft“ (Taxe 140.000 bis 180.000 EUR). Das fast einfarbig blaue Werk „Tecnis“ von Emil Schumacher beeindruckt durch seine Größe. Die Breite misst fast zwei Meter (Taxe 150.000 bis 200.000 EUR). Nach Robert Rauschenbergs Collage „Rush 9“ aus dem Jahr 1980 bildet den Abschluß der Auktion die kunterbunte Skulptur „L’oiseau amourex“ der im Mai verstorbenen Niki de Saint Phalle (Taxe 150.000 bis 200.000 EUR).
Alle Werke können noch bis zum 5. Juni bei Grisebach vorbesichtigt werden. Die Auktion startet am 7. Juni um 17 Uhr.
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