Will Grohmann war einer der großen deutschen Kunsthistoriker und Kunstkritiker des 20. Jahrhunderts. Von Dresden aus, wo 1887 geborene Bautzner zunächst als Lehrer tätig war, zog er in die Kunstwelt, suchte den Kontakt mit den jungen Malern der Künstlergruppe „Die Brücke“, wurde ein Förderer des Bauhauses, propagierte die deutsche Moderne im Ausland und ließ auch während der Nazi-Diktatur nicht von seiner Begeisterung für die Avantgarde ab, selbst wenn er dafür von seinen Funktionen und Ämtern entfernt wurde. 1924 begründete Grohmann mit dem Band über die Zeichnungen Ernst Ludwig Kirchners die Herausgabe seiner berühmten Künstlermonografien. Weitere wichtige Publikationen zu Paul Klee, Willi Baumeister, Henry Moore, Heinz Trökes oder Wassily Kandinsky sollten folgen. Als Mitorganisator der der ersten drei Documenta-Schauen, der Biennalen von Venedig und Paris setzte er sich nach dem Zweiten Weltkrieg weiterhin für die Entwicklung der zeitgenössischen Kunst ein und agierte auch international als Berater für Sammler und als Ausstellungsmacher. Als Grohmann 1968 starb, hinterließ er eine umfangreiche Kunstsammlung, oft als Geschenke der Künstler. Sie ging an seine Schwägerin Renate Glück über, die selbst eine passionierte Dresdner Sammlerin war.
Im Dezember 2018 starb auch Renate Glück mit 95 Jahren. Den finalen Teil des Nachlasses dieser beiden außergewöhnlichen Persönlichkeiten versteigert Lempertz nun in seiner Herbstrunde, aufgeteilt in die Auktionen mit moderner sowie zeitgenössischer Kunst. Interessierte sich Grohmann für die europäische und deutsche Kunst seit dem Ersten Weltkrieg, legte Glück ihren Schwerpunkt auf regionale sächsische Kunstschaffende wie Hermann Glöckner, Albert Wigand und Max Uhlig. Bei den Zeitgenossen tun sich gleich mehrere Werke von Hans Hartung aus der Grohmann-Sammlung hervor. „T 1955-23a“ von 1955 ist eine seiner typischen, durch schwarze Striche und von Energie aufgeladenen Leinwände, die ein geordnetes Chaos in Form eines eruptiven schwarzen Sterns bilden (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR). Ruhiger und mit Akzenten in Blau und Orange schweben dicke und schlankere schwarze Striche, geschwungene Kurven und zwei Kreuze in seinem fünf Jahre früher geschaffenen „T 1950-60“ (Taxe 40.000 bis 60.000 EUR). Auch Josef Albers’ „Structural Constellation U-7“, ein „unedited multiple“ von 1955 mit verschachtelten und verwirrend Rhomben und Kuben, gehörte einst Will Grohmann, während das beidseitig kleinteilig und versponnen bemalte Transparentpapier „Studium der Verstandestätigkeit II: als verknüpfende Tätigkeit“ des Bildpoeten Carlfriedrich Claus aus dem Besitz von Renate Glück stammt (Taxe je 10.000 bis 15.000 EUR).
Die Trias der teuersten Posten liegt am 29. November außerhalb des Grohmann-Glück-Nachlasses. Yves Klein nimmt mit dem typisch blau gefärbten Leinen auf der kleinen hochrechteckigen Holztafel „IKB 132“ von 1957 bei 400.000 bis 600.000 Euro den Spitzenplatz ein. Dann folgen zwei Arbeiten von Gerhard Richter. Der 1932 in Dresden geborene Maler vermischte 1997 in Schichten und durch Schaben mit der Rakel Ölfarbe auf zwei kleinen Alu-Dibond-Tafeln. Entsprechend leuchten durch das dominierende Gelb und Rot der beiden „Abstrakten Bilder“ grüne, teils auch weiß, blaue oder violette Töne (Taxe je 300.000 bis 400.000 EUR). Wildere Farbzüge durchbrechen Richters Papierarbeit „13.11.1985“. Auch hier legte er mehrere Farbschichten übereinander, kratzte und schabte sie wieder frei und ließ eine gebündelte Energie in Rot, Weiß, Gelb und Grau walten (Taxe 250.000 bis 350.000 EUR). Monochrom „Grau“ präsentiert sich dagegen Richters querrechteckige Leinwand von 1973, die ihre malerwirsche Wirkung durch die Grate der Pinselhaare bezieht (Taxe 150.000 bis 200.000 EUR).
Mit dem Tschechen Zdenek Sýkora konnte Lempertz schon häufiger Erfolge feiern. Diesmal sind wieder zwei seiner verspielten, aber nach mathematischen Prinzipien komponierten Luftschlangenbilder zu haben. Lediglich in Schwarz, dunklem Blau und Braun gestaltete er 1987 in „Linien Nr. 45“ die unterschiedlich dicken Bögen, Sprünge und Kreisen zu einer beinahe ornamentalen Struktur (Taxe 170.000 bis 200.000 EUR). Die Kraft des Zufalls, der für Sýkora ein wichtiges mitwirkendes Element war, wird in „Linien Nr. 69“ von 1990 greifbar, die in einzelnen kleinen Gruppen krakelig übereinanderliegen. Hierbei ziehen sie sich vorwiegend in Braun und Schwarz über die weiße Leinwand mit einigen Akzenten in Grün, Gelb, Blau oder blassem Rosa (Taxe 150.000 bis 200.000 EUR). Ruhige Geometrie mit einem türkisfarbenen Rechteck samt schwarzer Teilumrandung kombiniert Imi Knoebel leicht aus der Mitte versetzt mit einem rosafarbenen Grund in seiner „Puren Freude (75)“ von 2002 (Taxe 35.000 bis 45.000 EUR).
Ein fast unmerklicher Farbverlauf von Violett zu tiefem Rot zeichnet Jef Verheyens subtile quadratische Leinwand „The emotional effect of Flaming light“ aus dem Jahr 1975 aus (Taxe 70.000 bis 90.000 EUR). Klug kalkuliert ist gleichfalls der tatsächliche und gemalte Schattenwurf auf François Morellets weißem Gemälde „Ombre portée Nr. 7“ von 1990 (Taxe 30.000 bis 40.000 EUR). Mit einer Farbe, aber inhärenten Strukturen kommt Joseph Marioni bei seinem „Red Painting No.7“ von 1999 und seinem „Yellow Painting“ von 2003 aus (Taxe je 20.000 bis 30.000 EUR). 1989 knüpfte die in vielen Medien arbeitende Rosemarie Trockel den schwarz-braunen Teppich „Plus Minus Big“ mit den entsprechenden mathematischen Zeichen (Taxe 30.000 bis 40.000 EUR).
In seiner Auseinandersetzung mit der Wirkung von Licht nutzt Heinz Mack diverse Materialien. So entstanden auch einige Glasmosaike, die stets im großen Format konzipiert sind. 1993/95 erstellte Mack für den Einzelhandelsgiganten Kaufhof in Köln das „Große Mosaik (Klang-Farben)“ in Blau, die von dunklem Marine- über leuchtendes Königsblau bis ins Türkisfarbene changieren. Mack zitiert hier ein eigenes Werk und lässt das blaue wandfüllende Mosaik umso intensiver wirken, indem er gezielte Kontraste mit kleineren und größeren Farbeinschüben in Orange, Gelb, Grün oder Weiß erwirkt (Taxe 150.000 bis 250.000 EUR). Handlicheren Formats ist sein „Relief mit Dreiecken“ aus sechs quadratischen Aluminiumplatten mit kleinen Wölbungen, die Mack 1971 jeweils in zwei Dreieckssegmente geteilt hat. Auch hier spielt das Licht eine wichtige Rolle, das im schimmernden Glanz des Metalls reflektiert wird, durch die Erhöhungen auch Schatten wirft und der Arbeit eine pulsierende Dynamik verleiht (Taxe 20.000 bis 25.000 EUR). Noch weiter in die Dreidimensionalität dringt Agostino Bonalumi mit seinem gestreiften „Rosso“ von 1968 vor. Zwei diagonal positionierte runde Segmente schieben den roten Stoff aus der Flächigkeit hinaus und erzeugen eine Art Bild-Konstrukt (Taxe 50.000 bis 70.000 EUR).
Sinn für Humor beweist Fausto Melotti mit seiner charmanten „La Vacca Lunatica“ von 1961. Die auf Messingstäbe reduzierte Kuh mit zwei Glöckchen blickt mit ihrem abstrahierten Kopf zur Seite. Aus ihrem Rücken erhebt sich ein Stab mit einer Mondsichel, die die verrückte Kuh damit direkt beeinflusst (Taxe 35.000 bis 45.000 EUR). Ein lyrischer Formzauber liegt über Leiko Ikemuras „Libelle“ aus der Serie „Wald“. Ihre ockerfarben glasierte kegelförmige Terrakottaskulptur von 1991 ragt hoch und schlank in den Raum. Die Libelle ist nur durch ein langes Flügelpaar mit grünen Spitzen zu erahnen. Es befindet sich in einer Metamorphose zwischen Hasenohren, Insektenflügeln oder einem geöffneten Maul (Taxe 60.000 bis 70.000 EUR).
Die weiche Körperlichkeit eines Neugeborenen in schlafender Position übersetzte Antony Gormley 1999 zu seinem befremdlichen „Iron Baby“. Die Schwärze und Härte des Eisens kontrastiert mit gängigen Vorstellung des schutzlosen lebensgroßen Babys, das zudem noch die Nähte des Gusses aufweist (Taxe 120.000 bis 180.000 EUR). Etwas höher liegt Joseph Beuys’ „Sonnenkreuz“ von 1947/48 mit 180.000 bis 200.000 Euro. Die abstrahierte Christusfigur in Bronze mit goldbrauner Patina ist an den Strahlen der Sonne gekreuzigt und schwebt im Raum. Bis 1952 setzte sich der Künstler mit religiösen Themen auseinander und fertigte mehrere Taufsteine, Kreuze und Pietà-Darstellungen. Oft veränderte Beuys dabei die übliche die Ikonografie. So trägt der Erlöser hier auch nicht die Dornenkrone, sondern einen Kranz aus Weinlaub. Das Motiv des Sonnenrads, das im Frühwerk mehrfach zu beobachten ist, verweist auf antike Sonnenkulte, der Kranz aus Weintrauben etwa auf an den Dionysoskult.
Zeitgenössische Kunst II
Kostengünstige Irreführungen der Augen stehen bei Lempertz am 30. November mit Jesús Rafael Sotos „Sotomagie“ von 1967 zur Verfügung. Die übereinander geblendeten verzerrten Kreisformationen in Schwarz und Weiß sollen 8.000 bis 10.000 Euro einspielen. Das reflektierende und schattenwerfende Licht spielt eine wichtige Rolle in Hermann Goepferts „Rhombus“, einem kinetischen Reflektor ebenfalls von 1967. Vor dem rötlichen Messinggrund sind Aluminium-Lamellen an Nylonfäden gespannt und ergeben im Zentrum einen Rhombus (Taxe 8.000 bis 12.000 EUR). Auch Andreu Alfaro nutzte 1976 verschieden lange Metallstreifen 1976 für seine Skulptur „Drei“. Um eine Mittelachse drehen sich die Edelstahlstangen und formen damit eine auf- und abschwingende Dreieckslandschaft (Taxe 6.000 bis 8.000 EUR). Indem Vera Molnar in zwei bordeauxroten Rechtecken je ein Dreieck ausschneidet, kreierte sie 2007 ihre „2 Rectangles coupés en M“ (Taxe 10.000 bis 15.000 EUR).
Medizinisch eigenwillig zeigt sich Lambert Maria Wintersbergers „Verletzung“ von 1967: Drei Finger schimmern beinahe durchsichtig auf der Leinwand, in deren Mitte sich eine eigentümliche Kneifkonstruktion schiebt (Taxe 3.000 bis 4.000 EUR). Beunruhigend präsentiert sich auch Jutta Koethers Acrylgemälde „Nach Botticelli die Ausweidung“ von 2007. Die heitere Welt des Renaissance-Meisters übersetzt Koether in eine düstere Waldlandschaft in schwarz-weißem Kolorit. Eine Art weißer Blitz dringt von oben herab und führt den Blick zur Ausweidung einer Toten durch eine zweite Gestalt. Eine Dritte ist im Weggehen begriffen und hebt durch den Horror des Gesehenen die Arme über das Gesicht (Taxe 15.000 bis 20.000 EUR). Das Wesen und Aussehen der Alpen fängt Ralph Fleck in seiner Serie aus sechs großformatigen Arbeiten mit Gebirgsmassiven in unterschiedlichen Wetterlagen ein. Das 1980 in freier Pinselführung gemalte Sextett „Alpenstück I-VI“ wird einzeln für je 8.000 bis 12.000 Euro verkauft.
Im Figurativen bleibt auch Marwan mit seiner unheimlichen „Marionette“ von 1980. Wie für ihn üblich, überzieht ein pastoser, beinahe lebendig wirkender Farbauftrag in vielen Nuancen den Bildträger, aus dem ein weißes Gesicht mit schwarzem Haar blickt (Taxe 13.000 bis 15.000 EUR). Rätselhaft gibt sich Martial Raysses „Portrait de France“ von 1961. Der Druck eines Frauenantlitzes auf leuchtend pinkfarbenem Grund schimmert gehemnisvoll durch einen weißlichen Schleier aus Taschentüchern, der nur einen Teil des Gesichtes freilegt (Taxe 10.000 bis 15.000 EUR). Mehrere Fotos von Berühmtheiten, darunter Janis Joplin, Martin Luther King und John F. Kennedy, vereinte Robert Rauschenberg 1970 in Collagemanier auf seiner Farbserigrafie „Signs“ zur amerikanischen Gegenwartsgeschichte (Taxe 15.000 bis 20.000 EUR). Für seine „Intarsie“ verwendete Marcel Odenbach 1991 Rokoko-Ornamente wie die Rocaille oder ein vegetabil aus einer Ranke sprießendes Kopfwesen. In Grautönen gehalten, überlagerte er mit diesem aus Zeitungsseiten ausgeschnittenen Zierrat Bildkopien deutscher Geschichte und Geistesgrößen (Taxe 6.000 bis 8.000 EUR). Das Brustbild einer schwarzhaarigen Chinesin in blauem Wasser lichtete Roland Fischer 2007 mit „Chinese Pool Portrait (4088, Zhu Zhu)“ ab (Taxe 5.000 bis 7.000 EUR).
Die Auktion „Contemporary Art I“ findet bei Lempertz in Köln am 29. November ab 19 Uhr statt. Die Posten können bis zum 27. November von 10 bis 17:30 Uhr, am 28. November von 10 bis 14 Uhr besichtig werden. Alle Lose sind online unter www.lempertz.com abrufbar. |