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Marktberichte |
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Das Wiener Dorotheum versteigert über 300 Objekte aus Jugendstil, Art Déco und der angewandten Kunst des 20. Jahrhunderts Die Empfindliche
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| | Gerhard Henning, Princess of the pea, 1918 | |
Hoch oben thront die Prinzessin und hat dennoch ihr Gesicht sauertöpfisch verzogen. Irgendetwas scheint sie zu stören. Es wird wohl die kleine Erbse sein, die unter einem voluminösen Stapel Federbetten verborgen ist. Trotzdem hält die Geplagte stoisch die Unannehmlichkeiten ihres Lebens aus. So hat sich Gerhard Henning das Märchen von der „Prinzessin auf der Erbse“ des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen vorgestellt. Ab 1909 arbeitete der schwedische Bildhauer für die Porzellanmanufaktur Royal Copenhagen und orientierte sich drei Jahre später für seine wohl bekannteste Figur am kapriziösen französischen Rokoko. So unterstreichen der weite Reifrock und die hohe Perücke das Launenhafte der Prinzessin. Das Dorotheum hat Hennings zweiteilige Porzellanplastik nun zweimal im Angebot: Die weiß belassene Ausführung verlangt 5.000 bis 10.000 Euro, die farbig staffierte Variante, bei der weitere Märchenmotive deutlicher zutage treten, 8.000 bis 15.000 Euro.
Mit etwas über 300 Objekten bestreitet das Wiener Auktionshaus am 9. Juli seine Versteigerung „Jugendstil und angewandte Kunst des 20. Jahrhunderts“. Die populären Namen, vor allem der Wiener Werkstätte, stellen die teuersten Stücke. Josef Hoffmann darf etwa 3.000 bis 5.000 Euro für einen hölzernen Stuhl mit oval-eckiger Rückenlehne samt spinnennetzartiger Marketerie von 1908, 6.000 bis 10.000 Euro für eine rechteckige Zigarettenkassette aus Alpaka im Hammerschlagdekor oder 20.000 bis 30.000 Euro für eine Deckenlampe aus Messing mit stilisierten, gedrehten Blumen als Leuchterarmen vor 1923 erwarten. In diese Preiskategorie reiht sich zudem Michael Powolnys Putto mit buntem Blumenkranz als Allegorie des Winters von 1913/19 bei 25.000 bis 35.000 Euro ein; seine hohe weißblaue Ziervase mit einem Blütenberg rangiert dagegen bei 10.000 bis 15.000 Euro. Otto Prutscher stellt mehrere Trinkgläser mit geometrischen Glasschliffen zur Verfügung, etwa in Kobaltblau und runder Kuppa für 5.000 bis 10.000 Euro oder mit rosafarbener trichterförmiger Kuppa für 5.000 bis 7.000 Euro.
Weniger geläufig für die Wiener Werkstätte ist der 1887 in Ungarn geborene Architekt und Gestalter Philipp Häusler, der in den 1910er Jahren als Assistent bei Josef Hoffmann arbeitete. Seine große Silberschale von etwa 1923 erinnert in ihren Faltenzügen und dem leichten Hammerschlagdekor daher an seinen Lehrmeister (Taxe 8.000 bis 12.000 EUR). Die Frauenriege der Wiener Werkstätte war vor allem in der Keramikabteilung zuhause. Als Figurengruppen haben Vally Wieselthier 1927 ihre stehenden Frau, die einem kleinen Mohren aus einem Buch vorliest (Taxe 15.000 bis 20.000 EUR), und Erna Kopriva in dieser Zeit ihre ebenfalls bewegte Golfspielerin mit Caddi angelegt (Taxe 3.000 bis 5.000 EUR). Susi Singer hat ihre junge Frau um 1924 zu einem Leuchterweibchen mit zwei Kerzentüllen auf dem Kopf umfunktioniert (Taxe 1.200 bis 1.800 EUR), Kitty Rix ihr gemischt geschlechtliches Paar um 1927/28 zu Schalenträger für Salz und Pfeffer (Taxe 800 bis 1.200 EUR), und bei Gudrun Baudisch muss ein Mann mit kariertem Pullover als „Kakteenträger“ herhalten (Taxe 3.000 bis 5.000 EUR).
Dagobert Peche lässt sich diesmal nur mit einem Fragezeichen für einen zwölfflammigen weiß-golden gefassten Luster aus stilisierten Blättern und Blüten um 1914 (Taxe 12.000 bis 20.000 EUR) und für eine vergoldete hölzerne Tischuhr um 1922 in gleichem Zuschnitt verantwortlich machen (Taxe 7.000 bis 12.000 EUR). Gesichert ist für Peche ein Anhänger mit filigranem floralem Dekor über einem braunweißen ovalen Stein (Taxe 2.500 bis 4.000 EUR). Als Schmuckkünstler treten ebenfalls Eduard Josef Wimmer-Wisgrill mit einem Halsband aus schwarzem Samt von 1910, auf dem drei goldenen Spangen mit unregelmäßigen Volutenmotiven aufgezogen sind (Taxe 12.000 bis 20.000 EUR), und Wilhelm Lucas von Cranach mit einem Anhänger in Blütenform an, aus der sich eine mit Rubinen besetzte Schlange windet. Zudem hat der Berliner Jugendstilkünstler um 1900 daran vier Perlen angehängt (Taxe 5.000 bis 8.000 EUR). Ein Zentrum des Jugendstilschmucks in Deutschland war Pforzheim, Theodor Fahrner einer der größten Fabrikanten. Für ihn war unter anderem Franz Boeres tätig, der ein Halsband und eine Brosche aus Silber mit Kreisen und Dreiecken aus blauem Email entwarf (Taxe 4.000 bis 6.000 EUR und 2.000 bis 4.000 EUR).
Gustav Gurschner ließ sich gerne vom Motivschatz der Kelten inspirieren und überzog mit Spiralen und bandartigen Verwebungen 1905 eine dunkelbraune Bronzevase (Taxe 6.000 bis 10.000 EUR) oder eine Tischuhr aus gleichem Material, auf deren Front er zusätzlich ein Liebenspaar in mittelalterlicher Tracht reliefiert hat (Taxe 4.000 bis 8.000 EUR). Gegen so viel Zierrat setzte Adolf Loos das ihm in den Mund gelegte Diktum „Ornament ist Verbrechen“ und schuf schon 1897 eine auf das Wesentliche reduzierte Tischuhr. Das rechteckige Glasgehäuse mit dem scheinbar schwebenden runden Uhrwerk stand in dem Wiener Schneidersalon Ebenstein, dem ersten bekannten Werk des berühmten Architekten. Daher erklärt sich auch die hohe Schätzung von 120.000 bis 150.000 Euro. Aus der Ideenschmiede von Adolf Loos stammt gleichfalls das Liege-Sitz-Fauteuil „Knieschwimmer“ mit einem neuwertigen ockerfarbenen Lederbezug für 15.000 bis 20.000 Euro. Von einem übertriebenen Schmuck kann auch bei schlanken Bodenstanduhr wohl aus der Münchner Werkstätte für Wohnungseinrichtung von Karl Bertsch kaum die Rede sein, für die Adelbert Niemeyer 1906 das Ziffernblatt aus Porzellan beigesteuert hat (Taxe 8.000 bis 12.000 EUR).
Reichhaltig und vielgestaltig ist das Angebot aus der Glashütte Johann Lötz Witwe. Von den typischen metallisch irisierenden Vasen um 1900 stehen eine gedreht verzogene Form mit lachsfarben-blauem Wellendekor und verstreuten Silberflecken oder eine schmale Variante von Robert Holubetz mit einem dunkelblauen und silbergelben Streifmuster am Schaft von Koloman Moser, das sich entsprechend der Verbreiterung des Gefäßes an der Standfläche zu tropfenförmigen Ballen entwickelt, zur Verfügung (Taxe je 4.000 bis 6.000 EUR). Bei einer hohen Tischlampe halten zwei aufragende Schlangenkörper aus Bronze den runden grünen Schirm der böhmischen Manufaktur (Taxe 9.000 bis 12.000 EUR). Auf die Farbe Dunkelblau und helle kleine Lufteinschlüsse setzte Lötz Witwe 1912 bei einer eleganten Vase, die wie einer Fischhaut wirkt (Taxe 8.000 bis 12.000 EUR). Ins Art Déco um 1924 datiert Marey Beckert-Schiders Vase mit ihrem zackigen energiegeladenen Dekor (Taxe 4.000 bis 6.000 EUR). Für die französische Glasproduktion stehen etwa eine Tischlampe der Daum Frères um 1900/05, über der Blattwerk und Früchte der Brombeere wuchern (Taxe 5.500 bis 8.000 EUR), und die frühe gelb-braune Stangenvase „Scabiosa“ von Emile Gallé um 1893/94 mit Metallfolieneinschmelzungen sowie gemalten Insekten und Blüten des Grindkrauts (Taxe 4.000 bis 7.000 EUR). Auf die Fauna griff Gallé dann bei einem Satz von vier Beistelltischen mit Katzendarstellungen zurück (Taxe 5.000 bis 7.000 EUR).
Einen Kampf der Tiere dachte sich Arthur Storch 1921 für die Aelteste Volkstedter Porzellanmanufaktur und ließ eine Schlange gegen einen übermächtigen Adler antreten (Taxe 8.000 bis 10.000 EUR). Ansonsten geht es beim Porzellan friedlich zu, etwa mit Franz Barwigs „Affen auf einem Baumstamm“, entworfen 1924 für Augarten, der intensiv mit dem Fellputz beschäftigt ist (Taxe 500 bis 800 EUR), oder mit Theodor Kärners stolzem Silberfasan auf einem Aststumpf für Rosenthal um 1930 (Taxe 1.800 bis 2.500 EUR). Dass der Tanz eine der bestimmenden Kunstformen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war, zeigen mehrere Produkte der Wiener Manufaktur Friedrich Goldscheider: für 4.000 bis 6.000 Euro lässt hier Stanislaus Czapeks „Indische Tänzerin“ – gemeint ist Ruth St. Denis bei ihrem Tanz „Radha“ – ihren weiten Glockenrock in die Höhe steigen, für 10.000 bis 14.000 Euro dreht Paul Philippes Tänzerin in Pfauenkostüm ihre erotischen Pirouetten. Ins Wasser geht es dann mit Stephan Dakons eleganter Modedame mit Foxterrier in einem Boot aus dem späten 1930er Jahren (Taxe 2.500 bis 4.000 EUR), auf die hohe See mit Otto Poertzels zwei kecken Frauen in Segelkostümen aus Elfenbein und kalt bemalter Bronze um 1925/30 (Taxe 6.000 bis 10.000 EUR). Bei den Statuetten aus Chryselephantine hat zudem Demetre Chiparus’ junge Tänzerin „First Flowers“ um 1925 bei 30.000 bis 40.000 Euro ihren großen Auftritt.
Auch eine schön gedeckte Tafel kann man sich im Dorotheum zusammenstellen. Mehrere Teile aus dem umfangreichen Speiseservice mit dem „Flügelmuster“, das Rudolf Hentschel um 1900/01 entwarf und die Meißner Porzellanmanufaktur bis in die 1980er Jahre auflegte, listet der Katalog zwischen 2.200 Euro und 5.000 Euro. Ebenso weitgehend abstrahiert hat Maurice Dufrène um 1900 die floral inspirierte Malerei in Rot und Olivgrün auf seinem 15teiligen Tee- und Mokkaservice, während sich Emanuel Josef Margold um 1910 bei seinem Teeservice für sechs Personen an bunten Blumenbordüren hielt (Taxe je 1.200 bis 1.800 EUR). Die Tischdecke steuert Ferdinand Nigg mit seinem Reigen von „Frauen vor mittelalterlicher Architektur“ im blauweißen Damast von 1903 bei (Taxe 1.500 bis 2.500 EUR).
Bei den silbernen Tischwaren machen dann noch zwei deutsch-jüdische Frauen auf sich aufmerksam: Emmy Roth wartet mit fünf schlichten querrechteckigen Silberschälchen um 1926/30 auf (Taxe 1.800 bis 3.000 EUR), Paula Straus mit einem etwa gleichaltrigen bauchigen Kaffee- und Teeservice, besetzt mit kleinen Rosetten (Taxe 5.000 bis 8.000 EUR). Für das Silberbesteck geht es noch einmal nach Dänemark: 112 Teile für 14 Personen des Entwurf „Antik/Continental“ von Georg Jensen aus dem Jahr 1906 gibt es für 11.000 bis 15.000 Euro, die ebenfalls schlichte Gestalt bei den 44 Teilen von Svend Weihrauch aus dem Jahr 1938 fordert 3.500 bis 5.000 Euro, und bei den 47 Stücken von Jens Harald Quistgaards Besteck „Champagne“ von 1947 stehen 2.500 bis 4.000 Euro auf dem Preisschild. Recht zeitgenössisch mutet Verner Pantons große rechteckige zerknautsche Silberschale um 1988 an (Taxe 10.000 bis 15.000 EUR). Noch einige Jahre jünger ist der farbige gewebte Wandteppich mit exotischen Vögeln, Palmen und Früchten der Brasilianerin Madeleine Colaço um 1992 (Taxe 400 bis 700 EUR).
Die Auktion beginnt am 9. Juli um 16 Uhr. Die Besichtigung ist bis zum Auktionsbeginn täglich von 10 bis 17 Uhr möglich. Der Internetkatalog listet die Objekte unter www.dorotheum.com. | | Kontakt: Dorotheum Dorotheergasse 17 AT-1010 Wien |
| Telefon:+43 (01) 515 60 0 | Telefax:+43 (01) 515 60 443 | | | E-Mail: client.services@dorotheum.at | | Startseite: www.dorotheum.com |
06.07.2020 |
Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Ulrich Raphael Firsching | |
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Eduard Josef
Wimmer-Wisgrill,
Halsband, 1910 | | Taxe: 12.000 - 20.000 EURO Losnummer: 69 | | | | | |
Demetre Chiparus,
First Flowers, um
1925 | | Taxe: 30.000 - 40.000 EURO Losnummer: 154 | | | | | |
Philipp Häusler,
Silberschale, um
1923 | | Taxe: 8.000 - 12.000 EURO Losnummer: 68 | | | | | |
Josef Hoffmann,
Deckenlampe, vor
1923 | | Taxe: 20.000 - 30.000 EURO Losnummer: 77 | | | | | |
Emile Gallé,
Stangenvase
„Scabiosa“, um
1893/94 | | Taxe: 4.000 - 7.000 EURO Losnummer: 198 | | | | | |
Maurice Dufrène,
Tee- und
Mokkaservice, um
1900 | | Taxe: 1.200 - 1.800 EURO Losnummer: 247 | | | | | |
Wilhelm Lucas von
Cranach, Anhänger
mit Kette, Berlin um
1900 | | Taxe: 5.000 - 8.000 EURO Losnummer: 137 | | | | | |
Erna Kopriva,
Golfspielerin mit
Caddi, um 1927 | | Taxe: 3.000 - 5.000 EURO Losnummer: 53 | | | | | |
Madeleine Colaço,
Wandteppich, um 1992 | | Taxe: 400 - 700 EURO Losnummer: 116 | | | | | |
Paul Philippe,
Tänzerin in
Pfauenkostüm, um
1924/25 | | Taxe: 10.000 - 14.000 EURO Losnummer: 166 | | | | | |
Ferdinand Nigg,
Tischdecke „Frauen
vor
mittelalterlicher
Architektur“, 1903 | | Taxe: 1.500 - 2.000 EURO Losnummer: 254 | | | | | |
Paula Straus,
Kaffee- und
Teeservice, ab 1930 | | Taxe: 5.000 - 8.000 EURO Losnummer: 261 | | | | | |
Michael Powolny,
Putto mit
Blumenkranz
„Winter“, um 1907 | | Taxe: 25.000 - 35.000 EURO Losnummer: 78 | | |
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