 |  | Cappenberger Kopf, Niedersachsen. Hildesheim, 1150-1171 | |
Wer wurde da vom Thron gestoßen? Sogleich rückt das vornehmste aller Möbel ins Blickfeld. In die Jahre um 1070 datieren die in Bronze gegossenen Thronlehnen aus Goslar. Zu Gesicht bekam die durchbrochenen Ranken, Blatt- oder Blütenmotive wohl selten jemand, denn bei Gebrauch verdeckten kostbare Stoffe die Lehnen. Experten zählen das Objekt zu den kunsthistorisch eindrucksvollsten Schmiedearbeiten des Mittelalters. Zuletzt wurde es 1871 bei der Eröffnung des Reichstages in Berlin von Wilhelm I. verwendet, der damit augenfällig an das römische Kaiserreich anknüpfen wollte.
Das Thema der großen Mainzer Landesausstellung ist damit schon klar definiert. Es geht um Kaiser und Säulen ihrer Herrschaft im frühen und hohen Mittelalter von Karl dem Großen bis zu Friedrich I. aus dem Geschlecht der Staufer. 330 hochkarätige und lange nicht mehr ausgeliehene Objekte versammelte das Team um den Forscher Bernd Schneidmüller von der Uni Heidelberg und Stefanie Hahn von der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, um Einblicke in Strukturen der Macht und Machterhaltung, Legitimation und Symbolik über einen Verlauf von 400 Jahren zu vermitteln. Der Ort ist dabei bezeichnend: Die Region am Oberrhein agierte zunächst als Zentrum des seit 395 geteilten römischen Reiches. Während das Ostreich mit Konstantinopel eine zentrale Hauptstadt besaß, herrschte im Westen die „praesentia regis“ in Form von Pfalz zu Pfalz ziehenden „Reisekaisern“. Wegen der ungemein verkehrsgünstigen Lage am Rhein kristallisierte sich der Großraum zwischen Aachen und Basel, Metz und Frankfurt am Main als Zentrum heraus. Die drei Kaiserdome zu Mainz, Speyer und Worms versinnbildlichen dies bis heute, ebenso wie die Ansässigkeit europäischer Institutionen in Straßburg oder Frankfurt am Main.
Die nicht an ein Jubiläum geknüpfte Ausstellung erzählt keine kaiserlichen Biografien. Am Exempel von vier Kaisern als „Leitfiguren“ stellen vier Kapitel Gefüge des Machtgeschehens vor. Den sprichwörtlichen „Säulen der Macht“ begegnet man im ersten, Karl dem Großen gewidmeten Segment. Im Jahr 800 ließ er sich in Rom vom Papst zum Kaiser des Westreiches krönen. Zwei spätantike Säulen aus grünem Porphyr stammen aus der kaiserlichen Pfalzkapelle in Aachen. Bewusst wurden sie importiert und wieder verwendet, um den Bedeutungsgehalt antiker Symbolik auf das junge Kaisertum zu übertragen. Besondere Aufmerksamkeit verdient ein in Mainz gefundener bronzener Türflügel. In Durchbruchornamentik gestaltete Rauten- und Schuppenfelder zieren ihn eindrucksvoll. Nach kürzlich erfolgten Analysen der Bronze-, Zinn- und Bleilegierung konnte die Herkunft des Materials im rheinischen Schiefergebirge verortet werden, was das um 50 nach Christus datierte Meisterwerk nicht als Import, sondern als einheimische Arbeit klassifiziert.
Münzen, Waffen, Codices, Keramiken, liturgisches Gerät oder Architekturfragmente vermitteln in einem breiten Panorama die Aura des frühen Mittelalters. Eine Vielzahl von Schätzen verweist auf die enge Verschmelzung von weltlicher und geistlicher Herrschaft. Dazu zählt das aus Trier entliehene „Ada-Evangeliar“. Um 800 in der Hofschule Karls des Großen gefertigt, erhielt es um 1499 aus alten Bestandteilen einen neuen vergoldeten Einband. Inmitten der kreuzförmigen Figurenordnung zeigt eine antike Kamee den Kaiser Konstantin nebst Familie, ein weiterer Hinweis darauf, wie sehr sich der Herrscher als Nachfolger der römischen Imperatoren verstand.
Bei allem Glanz, den die Schau verbreitet, sollte nicht vergessen werden, dass über 90 Prozent der aus Bauern, Händlern oder Tagelöhnern bestehenden Bevölkerung keinen Anteil an der Macht besaß. Diese musste der Kaiser im engen Dialog mit Bischöfen, Ministerialen, Fürsten und zunehmend wachsenden und mächtiger werdenden Städten austarieren. Eindrucksvoll beleuchtet dies der ab 1170 verfasste „Lorscher Codex“. Benediktinermönche trugen in dem Güterverzeichnis fast 4.000 Orte, Grundherrschaften und Besitzungen zusammen; viele davon finden erstmals Erwähnung. Das Dokument sollte primär als Nachweis ihrer Grundherrschaft dienen und damit Ansprüche und Abgaben festschreiben – ein Dokument, das eindrucksvoll offen legt, wie sehr Adel und Kirche das „gemeine Volk“ in Abhängigkeit hielten.
Die Zeit unter Heinrich II. erhellen überwiegend sakrale Artefakte, wie die aus der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts stammende „Essener Krone“, die sich durch vier auf den Kronreifen aufgesetzte Lilien auszeichnet. Unter den Reliquiaren, Textilien oder Insignien überstrahlt die „Große Mainzer Adlerfibel“ viele andere Stücke. Die erlesene Goldschmiede- und Emailarbeit aus der Zeit um 1000 setzt eindrucksvoll den Adler mit ausgebreiteten Flügeln und Fängen als Herrschersymbol in Szene. Zu besichtigen ist auch eine Version des vermutlich auf der Insel Reichenau im elften Jahrhundert gefertigten „Adelheidkreuzes“. Die wichtige Kreuzreliquie, mit Gold eingefasst und über und über mit Edelsteinen bestückt, galt es lange als Teil der Reichsinsignien. Im dem Herrscherduo Heinrich IV. und Heinrich V. gewidmeten Abschnitt ist auch die schlichte Grabkrone der Kaiserin Gisela zu sehen, die heute in einer vergrößerten Zweitfassung über dem Hochaltar im Dom zu Speyer hängt.
Im letzten Kapitel, das sich mit Epoche unter Kaiser Friedrich I. Barbarossa beschäftigt, findet sich dann der eigentliche Höhepunkt. Nur äußerst selten wird die Große Heidelberger Liederhandschrift „Codex Manesse“ verliehen und darf nun vor 2036 nicht mehr gezeigt werden. Das fragile Werk mit 426 Pergamentblättern aus den Jahren kurz nach 1300 überragt in hinsichtlich der Qualität seiner Illuminationen alles Vergleichbare. Ihm zur Seite steht die weltberühmte „Weingartner Welfenchronik“ aus dem letzten Viertel des zwölften Jahrhunderts. Eine Darstellung zeigt den durch Krone und Zepter ausgewiesenen Barbarossa flankiert von seinen Söhnen. Dies deutet auf Barbarossas neue Ausrichtung des Reiches als Wertegemeinschaft und die subtil schwindende kirchliche Macht hin. Neue selbst- und machbewusste Akteure traten hinzu. Mit der „Goldenen Bulle“ von 1356 wurde die Wahl des Königs in einer Art Grundgesetz fest formalisiert. Dies ist Thema des Epilogs, erläutert von Exemplaren der „Bulle“ sowie Bildnissen der Kurfürsten. Nun verlagerte sich auch das Zentrum der Macht vom Rhein in weitere Teile des Reiches.
Über zwei Dutzend Museen, Kirchen oder Ausgrabungsstätten begleiten die Mainzer Hauptschau mit kleinen eigenen Ausstellungen. Gerade repräsentative Pfalzen gelten als Zeugnisse mittelalterlicher Kunst. Schon in den Jahren um 790 nahm Karl der Große mit der Kaiserpfalz in Ingelheim ein Projekt in Angriff, das als dessen größte Bauleistung gilt. Über die Jahrhunderte verschmolz das Gebäudeensemble mit dem Ingelheimer Stadtzentrum und wurde überbaut. Heute ist es teils wieder freigelegt, konnte eingehend erforscht werden und zu einem Denkmalbereich gestaltet. Ein neu konzipierter Stadtrundgang beinhaltet das Heidesheimer Tor. Es stand im Scheitelpunkt des weiten Säulengangs eines Halbkreisbaus, der sich wie alle Bauteile von antiken Ideen speist. Die Stümpfe zeigen die Standorte der über drei Meter hohen Säulen.
Als Machtort ist die „Aula Regia“, die Thronhalle, bis heute von Bedeutung. Der gewaltige Rechtecksaal mit einer Firsthöhe von 23 Metern war innen mit farbigen Wänden verziert, wovon Planen einen Eindruck vermitteln. Mit dem symmetrischen Grundriss nimmt Ingelheim eine singuläre Stellung unter allen Pfalzen ein. Hier soll im Jahr 1163 ein Treffen zwischen Friedrich I. Barbarossa mit der Äbtissin und Prophetin Hildegard von Bingen stattgefunden haben, bei dem sich der Kaiser die Zukunft vorhersagen lassen wollte. Das Bingener „Museum am Strom“ widmet sich in einer Sonderschau den Kontakten der beiden mittelalterlichen Berühmtheiten.
Im römisch-deutschen Reich galt der Besitz der Reichskleinodien zu den wichtigsten Voraussetzungen für die Anerkennung des Königs. Heilige Lanze, Reichskreuz und die berühmte achteckige Plattenkrone mit Bügel und Stirnkreuz, ein Abbild des himmlischen Jerusalems, waren die Kernbestände eines größeren Fundus. Über längere Zeiträume wurden sie auf Burg Trifels verwahrt. Heute sind sie hier als Kopien in der Schatzkammer zu bewundern. Die drei SchUM-Städte Mainz, Worms und Speyer verweisen in weiteren Veranstaltungen auf die Bedeutung der jüdischen Minderheiten, ihre Sogwirkung und Vorbildfunktion sowie internationalen Kontakte, immensen Bildungsstand und Wirtschaftskraft, die somit auch eine Stütze der Macht waren.
Die Landesausstellung „Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht. Von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa“ ist bis zum 18. April 2021 zu sehen. Das Landesmuseum Mainz hat täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, dienstags bis 20 Uhr und jeden dritten Freitag im Monat bis 21 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 12 Euro, ermäßigt 9 Euro. Zur Ausstellung ist ein umfangreicher wissenschaftlicher Katalog erschienen, der im Museum 29 Euro kostet. |