 |  | Max Beckmann, Adam und Eva, 1917 | |
Max Beckmann gilt als Jahrhundertmaler. Seine auf Leinwand realisierten Landschaften, Gesellschaftsbilder und bühnenhaften Triptychen werden regelmäßig in groß angelegten Ausstellungen und Retrospektiven präsentiert. Rund 850 Gemälde hat der Künstler im Laufe seines Lebens geschaffen. Beckmanns ebenso expressive wie realistische Gemälde, aber auch seine oft feinsinnigen Arbeiten auf Papier reflektieren die für ihn wichtigen Orte und Menschen, seine Auseinandersetzung mit den Geschlechtern, der Gesellschaft, Stadt, Landschaft und Mythologie. Die Hamburger Kunsthalle untersucht jetzt unter dem Titel „Max Beckmann. weiblich-männlich“, welche Rolle Geschlechterfragen im Werk des Ausnahmekünstlers spielen. „Max Beckmann ist eher als viriler, kantiger Maler, als einer, der das weibliche Prinzip erforscht, bekannt“, erläutert Kunsthallendirektor Alexander Klar. Und fügt hinzu: „Dies ist eine Ausstellung, die dem sehr gegenwärtigen Thema der Geschlechterrelation unter einer neuen Fragestellung eine neue Dimension abgewinnt.“
Stichwort: Gender-Debatte. „Es ist der Versuch, einen gegenwärtigen Blick darauf zu werfen“, so Alexander Klar. Max Beckmann im 21. Jahrhundert: Wie betrachten wir heute seine sensiblen Darstellungen eleganter Frauenfiguren mit extrem gelängten Gliedmaßen oder das Porträt des homosexuellen, jüdischen Filmregisseurs Ludwig Berger, der zwei violette Blumen sanft über seinen linken Handrücken gleiten lässt? Die Kuratorin der Schau, Karin Schick, erläutert ihre Herangehensweise: „Was ist an Beckmanns Werk irritierend, und wie kann ich es ausdrücken? Ich wollte die Nuancen des Farbenreichtums sowohl in den Bildern als auch in den Gedanken greifbar machen.“ Dafür hat sie rund 140 Gemälde, Plastiken und Arbeiten auf Papier versammelt, darunter Leihgaben aus Deutschland, Amsterdam und den USA. Karin Schick hat mit dem Nachlass Beckmann zusammengearbeitet und konnte auch aus dem umfangreichen Beckmann-Bestand der Hamburger Kunsthalle schöpfen.
Der 1884 in Leipzig geborene Max Beckmann, dessen Lebensstationen unter anderem nach Weimar, Frankfurt, Berlin, ins erzwungene Exil nach Amsterdam und schließlich nach erfolgreicher Auswanderung nach New York führten, hat sich zeitlebens mit philosophischen, naturgeschichtlichen und psychologischen Schriften auseinandergesetzt. Die zu seiner Zeit viel diskutierten Theorien von Sigmund Freud oder Carl Gustav Jung waren ihm vertraut. „Ihn beschäftigte die Frage: Was ist männlich, was ist weiblich?“, so Karin Schick. „Dies ist jedoch keine Ausstellung, die vom Geschlechterkonflikt handelt.“
Vielmehr geht es in dem in acht Kapiteln gegliederten Ausstellungsparcours um Fragen der Identität, die sich gerade auch in den Selbstporträts immer wieder neu stellen. Das Selbst im philosophischen Sinne Schopenhauers durchzieht das gesamte Werk Max Beckmanns als wiederkehrendes Thema mit immer neuen Varianten. Spezifisch für Beckmann sind auch seine Doppelselbstbildnisse, die ihn mit seinen beiden Ehefrauen Minna und der wesentlich exaltierteren Mathilde, genannt „Quappi“, zeigen. Hier begegnet man dem weiblichen Element als komplementärem Part seines männlichen Selbst.
Auch in seinen Gesellschaftsbildern tauchen Frauenfiguren auf: als Sammlerinnen, Salonbetreiberinnen, elegante Lebedamen, seltener als Mutterfiguren oder Familienmenschen. In seinen geradezu psychologischen Porträts entwickelt Beckmann eine große Sensibilität für sein Gegenüber. Ob höllische Kriegsszenen, Transferzonen in Hotels und Bars, mythologische Erzählungen oder Szenen von Lust und Leid – bei Max Beckmann treffen die Geschlechter in unterschiedlichen Konstellationen aufeinander: ineinander verschlungen, dominant, unterwürfig, leidenschaftlich, gleichberechtigt, aber nie einander gleichgültig.
Gegen Ende der sehenswerten Schau wird deutlich, dass Max Beckmann auch den androgynen Momenten immer wieder nachgespürt hat. Urlandschaften, die Geburt aus einem Ei und die Verschmelzung der Geschlechter tauchen hier als Themen auf. Auch Beckmanns Enkelin, die Kunsthistorikerin Mayen Beckmann, die die Hamburger Ausstellung wohlwollend begleitet hat, lobt den geschlechterspezifischen Ansatz des Ausstellungskonzepts: „Es zeigt, dass die Bandbreite von seinem Werk viel größer ist, als es seine virilen Selbstbildnisse vermuten lassen.“
Die Ausstellung „Max Beckmann. weiblich-männlich“ ist bis zum 24. Januar 2021 zu sehen. Um einen Besucheransturm in der Corona-Zeit zu vermeiden, ist der Eintritt über Zeitfenstertickets geregelt. Sie sind für jeden Wochentag außer montags von 10 bis 12 Uhr, von 12 bis 14 Uhr, von 14 bis 16 Uhr und von 16 bis 17:30 Uhr zu haben, donnerstags zusätzlich von 17:30 bis 19 Uhr und von 19 bis 20:30 Uhr sowie freitags und samstags von 16 bis 18 Uhr und 18 bis 19:30 Uhr. Die Hamburger Kunsthalle hat an Heiligabend und 1. Weihnachtstag geschlossen. Der Eintritt beträgt 14 Euro, ermäßigt 8 Euro. Der Ausstellungskatalog aus dem Prestel Verlag kostet im Museum 29 Euro, im Buchhandel 45 Euro. |