Der lange Hals ist schwungvoll nach hinten gebogen, sodass der Kopf beinahe das Federkleid des Rückens berührt. Dennoch ist dem Storch auf dem Farbabzug aus der Serie „Le Bestiaire“ des Fotografen und Architekten Wilmar Koenig keinerlei Anstrengung anzusehen, anmutig hebt sich seine schwarz und weiß gefiederte Silhouette von der unscharfen Landschaft im Hintergrund ab. Der exaltierte Gestus des Storchs gehört zur Sammlung des 2018 früh verstorbenen Koenig. Der 1952 geborene Berliner war als Künstler, Kurator und Vermittler zeitgenössischer Fotografie bekannt. Schon während seines Studiums der Mathematik und Architektur von 1974 bis 1982 beschäftigte er sich mit der Lichtbildnerei, engagierte sich in dem Workshop- und Ausstellungsprojekt „Werkstatt für Photographie“ und leitete es in den Jahren 1982 bis 1985. Koenigs gut 130 Positionen umfassende Sammlung steht nun bei Bassenge zum Verkauf, der Storch als erster von drei Abzügen von 1992 für 1.200 Euro.
Neben Koenigs eigenen Erzeugnissen sind in der Berliner Auktion am 2. Dezember auch Bilder bekannter und befreundeter Künstler vertreten, etwa von Michael Schmidt, der die „Werkstatt für Photographie“ 1976 gründete und Mentor Koenigs war. Trostlos wirken die verlassenen, steinernen Baracken mit ihren geflickten und durch Holzbalken beschwerten Wellblechdächern auf Schmidts „Blick von der Monumentenbrücke nach Schöneberg“ von 1975 (Taxe 3.000 EUR). In der Berliner Stadtlandschaft tat sich Schmidt immer wieder um und sah 1984 noch einen eng begrenzten, bedrückenden Hinterhof. Für das fast monochrom blaue großformatige „Stadtbild I“ müssen die Bieter mit 4.000 Euro etwas tiefer in die Tasche greifen. „To Wilmar ‚Always the Best’ John“, vermerkte der amerikanische Fotograf John Gossage handschriftlich auf dem Foto des dunkel aufragenden Ullsteinhauses in Berlin, das er seinem Freund Wilmar Koenig 1982 überreichte (Taxe 1.200 EUR). Nicht allein durch die minimalistische, blockhafte Eingangsarchitektur, sondern insbesondere durch seine hohe Bewertung von 20.000 Euro ist der Vintage „Corona del Mar“ von Lewis Baltz aus der Serie „The Prototype Works“ imposant. Baltz hielt darin 1971 die Bebauung der kalifornischen Landschaft mit anonymen Wohn- und Gewerbebauten fest.
Nach „Autorenfotografie“ in Schwarzweiß – einer Sparte, die sich durch persönlich motivierte dokumentarische Aufnahmen von bisher üblichen journalistischen Fotografien absetzte – ging Wilmar Koenig zu individuellen Porträts über. Sein Konvolut von Gesichtern in Frontal- und Dreiviertelansicht aus den Jahren 1981 bis 1983 stellte er ein Jahr später in der Berliner Galerie Fahnemann vor. 21 von 25 Arbeiten dieser Serie in einer einmaligen Auflage von je zehn Stück sollen bei Bassenge 4.000 Euro einspielen. Nach einem Studienaufenthalt bei William Eggleston 1984 in Memphis wandte er sich der Farbfotografie zu, etwa mit elf Straßenschluchten aus Kopenhagen von 2004 (Taxe 1.000 EUR). Als besonderes Schmuckstück seiner Sammlung erachten die Experten zwei Arbeitsbücher mit über 120 Aufnahmen, die sein Freund Eggleston zwischen 2006 und 2008 in den USA und Spanien schoss. Sie enthalten unter anderem ein signiertes Porträt Egglestons, Stadtansichten und eine von ihm angefertigte wilde bunte Kreidezeichnung (Taxe 20.000 EUR).
Wilmar Koenigs Bilderwelten
Egglestons Landsmann Robert Adams stellt den Architekturfotos die von der Natur gebeutelte Landschaft Colorados gegenüber. Den einsamen, teils abgebrochenen Pappelbaum vor weiten flachen Feldern im Osten der Stadt Longmont entdeckte Adams 1984, den Gelatinesilberabzug gab er vier Jahre später in 30 Exemplaren heraus (Taxe 7.500 EUR). Fast metaphysisch mutet die Landschaft in Ralph Gibsons „The Somnambulist“ von 1970 an. Dabei will eine Hand mit einem Füller in den Himmel über den Sträuchern einer Sanddüne schreiben (Taxe 800 EUR). Surrealistisch hat Gibson 1973 zudem ein Foto aus der Serie „Days at Sea“ ausgearbeitet und lässt darauf einen angeschnittenen Frauenakt über einem am Boden liegenden Mann knien. Der spätere Abzug soll 900 Euro einspielen.
Ein gesellschaftliches Zeitdokument schuf August Sander 1927 mit seinem „Wandernden Maurergesellen“, der 1975 nochmals als Jahresgabe für die Mitglieder des Kölnischen Kunstvereins neu aufgelegt wurde. Unter den fünf Alltagsdokumenten des ostdeutschen Fotografen Christian Borchert aus den Jahren 1977 bis 1983 finden sich beispielsweise eine Frau beim Ausschenken von Wein oder Kinder vor einem Hauseingang (Taxe je 1.200 EUR). Ulrich Wüst steuert aus seiner Werkreihe „Stadtbilder“ trostlose, oft menschenleere Stadtwüsten der frühen 1980er Jahre aus Magdeburg, Karl-Marx-Stadt oder Rostock bei (Taxe je 750 EUR), Gundula Schulze Eldowy sieben natürliche Aktportraits von gewöhnlichen Menschen jeglichen Alters aus der DDR (Taxe 900 EUR). Mit einer guten Portion Humor konstruierten Peter Fischli und David Weiss 1985 eine wackelige Komposition aus verschiedenen Alltagsgegenständen und nannten den einsturzgefährdeten Balanceakt „Die missbrauchte Zeit“. Die Säge hält zwar das Gleichgewicht, die Taxe entschwebt jedoch ins obere Preissegment: 7.000 Euro sind für den Gelatinesilberabzug des Schweizer Künstlerduos angedacht.
Obwohl sie frontal und mit unbewegtem Gesichtsausdruck in die Kamera blickt, wirkt Thomas Ruffs „Portrait (C. Pilar)“ einer Frau aus dem Jahr 1988 nicht streng. Dies mag einerseits an dem Farbfoto, andererseits an dem Seitenscheitel, dem sichtbaren linken Ohrring und ihrem mit Blumen gemusterten Oberteil liegen, die die Komposition auflockern. Der Abzug aus dem 1989 vom Essener Museum Folkwang herausgegebenen Portfolio „Fotobilder“ verlangt 1.200 Euro. Eher Schnappschusscharakter verlieh Manfred Willmann 1984/85 seinen beiden Arbeiten aus der Serie „Für Christine“. In den von Koenig gerahmten, zweigeteilten Fotografien stellte der 1952 geborene Grazer in der oberen Hälfte jeweils dieselbe Frau mittleren Alters in unterschiedlichen Posen arrangierten Alltagsgegenständen in der unteren Hälfte gegenüber (Taxe je 1.200 EUR). Wilmar Koenig tritt dann in Tina Barneys Foto „The Chruchyard“ von 2004 rauchend vor der Seitenwand einer Backsteinkirche (Taxe 800 EUR) oder in Marsha Burns’ elfteiligem Portfolio von Mitgliedern der „Werkstatt für Photographie“ von 1984/85 selbst in Erscheinung (Taxe 750 EUR).
Gespielt aufmerksame Zuhörer
Zu der ältesten Gattung der Fotografie gehört das Portrait. War es doch mit dem jungen Lichtbild möglich, die Malerei durch ein direktes und unverfälschtes Abbild des Menschen zu ersetzen. Mit überschlagenen Beinen und Händen im Schoß sitzen zwei elegant gekleidete Herren auf ihren Stühlen, die ein unbekannter Daguerreotypist in den 1850er Jahren vor seiner Platte inszenierte. Ringe, Uhrketten und Manschettenknöpfe blitzen hell in diesem überraschend ungezwungenen Portrait im originalen Rahmen hervor (Taxe 1.200 EUR). Weniger auf das Prestige der Person, als vielmehr auf ihre Ausdruckskraft konzentrierte sich um 1855 Nadar bei seinem Salzpapierabzug der Malerin Friederike Emilie Auguste O’Connell, die den Betrachter in einem weiten Gewand selbstbewusst, fast energisch anblickt (Taxe 2.000 EUR).
Streng arrangierte Felice Beato die Offiziere des niederländischen Kriegsschiffs „Medusa“, als er sich im Dienst der British Naval Forces zur Unterstützung der Niederlande in Japan aufhielt. Das Gruppenbild gehört zu einem Album aus den Jahren 1863 bis 1865, dessen 30 Porträt- und Alltagsaufnahmen von der japanischen Bevölkerung durch 31 fotografierte Aquarelle des Malers und Karikaturisten Charles Wirgman gleichen Inhalts ergänzt werden (Taxe 8.000 EUR). Etwas lebendiger geht es bei der Lesung Anton Tschechows aus seinem Stück „Die Möwe“ für Mitglieder der Moskauer Kunsttheaterkompanie zu. Dennoch hat Petr Petrovich Pavlov 1899 die versammelten Damen und Herren in seinem Studio genau um einem Tisch positioniert und ihnen verschiedene Gebärden und Haltungen vorgegeben (Taxe 2.500 EUR).
Um 1875 richtete Louis-Emile Durandelle seinen Blick auf die Anhöhen des Pariser Stadtteils Montmartre und dokumentierte dort den Baubeginn von Sacré-Cœur (Taxe 2.000 EUR). Das Grab des Sultans Suleiman war 1854 schon längst fertiggestellt, als James Robertson das prächtige Bauwerk in einem Salzpapierabzug festhielt (Taxe 2.200 EUR). Zur Reisefotografie lassen sich noch Félix Teynards in selber Technik abgelichtete Tempelanlagen aus dem ägyptischen Armant von 1852 (Taxe 3.500 EUR) und die beiden arabischen Mädchen einordnen, die Rudolf Lehnert und Ernst Landrock nach 1904 mit strahlendem Lächeln nach der beliebten Orientalismus-Mode in Szene setzten (Taxe 1.500 EUR). Ähnlich ausstaffiert wie die mit Schmuck und Blumen posierenden Mädchen sind die männlichen Modelle Wilhelm von Gloedens. Mittels Kostümierung wollte er um 1900 in Taormina ein antikes Arkadien mit erotischem Unterton aufleben lassen und ließ die Heranwachsenden etwa als junge Bacchanten mit Blumenkranz und Panflöte (Taxe 2.000 EUR) oder auf einer Terrasse lagernd vor einer Meereskulisse auftreten (Taxe 1.800 EUR).
Die Ängste einer Mutter
1956 gelang Diane Arbus die Fotografie einer jungen Mutter, die ihren Sohn durch den herbstlichen Central Park in New York trägt. Ihr besorgter Gesichtsausdruck lässt zweifeln, ob der der Junge nur schläft (Taxe 6.000 EUR). Auch auf Raghubir Singhs Farbfoto „After Crossing the Luni River, Barmer, Rajasthan“ von 1975 ist eine junge Inderin mit ihrem Kind im Arm von Furcht befallen und weiß nicht so recht, wie es weitergeht, während zwei Männer ein Boot ausladen (Taxe 1.000 EUR). Ellen Auerbach setzte 1957/58 ihren Kollegen Eliot Porter in New York als kleine Figur ins Bild, der von der regennassen Straße mit mehreren Autos zu ihr heraufschaut (Taxe 1.800 EUR). Einen direkteren Straßenausschnitt mit einem Abflussgitter, Kaugummipapieren auf dem Teer und einer Schuhspitze auf der Kante eines Bordsteins wählte Walker Evans im Jahr 1962 für sein Vintage „Grate with toe of shoe and chewing gum wrapper“ (Taxe 2.200 EUR). Mondän muten dagegen die in „Miami Beach“ geparkten Schlitten an, mit deren Kotflügel Elliott Erwitt 1962 den Blick in die Tiefe auf die repetierenden Bögen eines Gebäudes lenkte (Taxe 2.500 EUR).
Norman Parkinson fokussierte 1959 bei seinem Modefoto „Adele Collins“ die florale Stoffbahn im Hintergrund und stellte sein Modell im roten Barett für die britische Vogue unscharf (Taxe 2.500 EUR). In den 1970er Jahren war es schon noch etwas provozierend, dass Nan Goldin ihr eigenes Umfeld, ihre Freundschaften oder ihr Liebesleben zum Thema ihrer Kunst machte, so auch ihre intime Bettszene „Self-Portrait with Brian Having Sex, NYC“ aus dem Jahr 1978 (Taxe 3.000 EUR). Ebenfalls freizügig und ungezwungen agieren die Jungen des Internats Schloss Salem 1963 bei ihrer gemeinschaftlichen Morgendusche vor der Linse Will McBrides (Taxe 2.000 EUR). In seinem Projekt „Hidden Image“ entwickelte Jirí David zwischen 1990 und 1995 aus vertikal geteilten Fotografien von Gesichtern neue spiegelbildliche Porträts und legte damit verborgene Persönlichkeitswerte etwa von Paul McCarthy oder Francis Ford Coppola offen (Taxe je 1.200 EUR).
Abstrakte Fotokunst
Die Fotomontagen und Lichtgrafiken Heinz Hajek-Halkes fallen in den Sektor der experimentellen Fotografie. Für seine abstrakte „Vogeluhr“ aus dem Jahr 1967 bearbeitete er das Fotopapier direkt mit Chemikalien und belichtete es mehrfach (Taxe 2.000 EUR). Ähnlich ging sein Mitstreiter Kurt Wendlandt bei seiner Solarisation „Turmfigur“ aus den späten 1950er Jahren ans Werk und schuf aus Balkenelementen eine vertikale, spitz zulaufende, kantige Komposition (Taxe 1.500 EUR). Von diesen klaren Formen hebt sich seine „Studie zur Apokalypse“ von 1967 durch ihre verlaufenden quallenähnlichen Strukturen ab (Taxe 1.200 EUR). Aus dem Nachlass des deutschen Fotografen Hannes Kilian stammen zwei hochglänzende Gelatinesilberfotos von einer Fahrt nach Irland aus dem Jahr 1970, unter anderem ein struppiger Hund, der am Strand zum Sprung nach einem Ball ansetzt (Taxe 1.800 EUR).
Ostdeutsche Fotografen spielen in der regulären Auktion bei Bassenge ebenfalls eine Rolle, wiederum auch Christian Borchert mit einem gut komponierten Gelatinesilberabzug von 1971, auf dem sich eine junge Familie im strömenden Regen schutzsuchend gegen eine Mauer am S-Bahnhof Nöldnerplatz drückt (Taxe 900 EUR). Teilnahmslos begegnen sich die vier dunkel gekleideten Personen auf einer Plattform vor der „Müritz“, die Arno Fischer 1956 in Untersicht fotografierte und in den 1970er Jahren nochmals auflegte (Taxe 1.200 EUR). Dass es im Ostblock auch ein wenig Glamour gab, machen seine Modebilder für die Zeitschrift „Sibylle“ aus Moskau von 1967 oder über dem nächtlichen Ost-Berlin von 1974 deutlich (Taxe je 900 EUR). Dem schließt sich Hans Martin Sewcz mit seinen himmelblauen Schuhen hinter Schneeglöckchen und der Aufforderung „Jedem eine Lehrstelle“ in der Schaufensterauslage „Jugendmode Schwerin“ von 1986 an (Taxe 1.500 EUR).
Im Westen waren da Bernd und Hilla Becher schon zu den prägenden Gestalten der Fotokunst aufgestiegen. Ihre strengen Typologien von Industrieanlagen erstellen sie auch 1975 von den Fördergebäuden „Monceau Fontaine“ im belgischen Charleroi (Taxe 1.000 EUR) und 1982 von einem zwischen Bahngleisen stehenden Wasserturm in Trier-Ehrang (Taxe 2.400 EUR). Mit ihren menschenleeren „Übergangsräumen“ wie Wartesälen, Museen, Bibliotheken und Theatern ist Candida Höfer in die Fußstapfen der Düsseldorfer Becher-Schule getreten. Von ihr kommen die Farbfotografien „Neues Museum Berlin“ mit der Büste der Nofretete von 2009 und der Innenraum des „Teatro Degollado Guadalajara III“ in Mexiko von 2015 unter den Hammer (Taxe 1.200 und 2.400 EUR). Seinen Innenräumen widmete sich der Designer und Architekt Eckart Muthesius auch fotografisch und verewigte den von ihm in den 1930er Jahren im Bauhaus-Stil errichteten Palast Manik Bagh im indischen Indore. Davon liegen bei Bassenge mehrere Konvolute vor, etwa vier Vintages der exklusiven Art Déco-Ausstattung für 3.000 Euro oder zwei Außenansichten der weitläufigen Anlage für 2.000 Euro.
Die Auktion „Photography. Works from the Wilmar Koenig Collection“ beginnt am 2. Dezember um 18 Uhr. Die Vorbesichtigung läuft bis zum 30. November täglich von 10 bis 18 Uhr in der Rankestraße 24, 10789 Berlin, am 1. Dezember von 10 bis 15 Uhr. Das Auktionshaus bittet wegen der Corona-Lage und den damit verbundenen Einschränkungen um vorherige Anmeldung. Der Internetkatalog ist unter www.bassenge.com abrufbar. |