Es ist wenig wiegender Wasserschlag von Wellen wahrzunehmen, wenn man Emil Noldes Aquarell „Tosendes Meer“ aus den 1930er Jahren betrachtet. Hier gibt es große, gischtgekrönte Brecher, die die Oberfläche einer aufgewühlten See bilden. Vor dem glutroten Horizont tobt in Dunkelblau, Türkis und Weiß die unendliche Wasserwüste. Aber wenn Richard Wagner das sanfte Schwappen des Rheins mit „Woge, du Welle“ bezeichnet, so passt dieses Bild gut zu der Auktion moderner bis zeitgenössischer Kunst bei Lempertz, wo Noldes farbenprächtiges Blatt versteigert wurde. Es gab bedeutende Höhen, manches trudelte ruhig ins Ziel und einige Objekte bekannter Namen gingen mit Mann und Maus unter. Das „Tosende Meer“ gehört zu den Spitzenstücken der Versteigerung. Denn bereits auf 100.000 bis 130.000 Euro taxiert, sorgten stürmische Bieter dafür, dass der Hammer erst bei 220.000 Euro fiel. Das Aquarell „Dampfer auf einem Fluss“, das Nolde zwanzig Jahre früher mit sporadischem zurückhaltendem Farbauftrag anlegte, fand kein Gefallen und dampfte bei 25.000 bis 30.000 Euro wieder zurück nach Hause. Hingegen glänzte Noldes drittes Aquarell „Tulpen und Amaryllis“, ein kleiner, immer blühender Blumenstrauß aus Gelb, Weiß und Rot, und verdoppelte seinen Preis auf 180.000 Euro.
Dieses Schwanken der Käufergunst – nur rund 50 Prozent der Objekte wechselten während der Auktion den Besitzer, weiter sieben Prozent danach – traf auch andere Werke. Nachdem am 8. Dezember die kleine, aber exquisite Sammlung Bischoff mit Gemälden Alter Meister triumphiert hatte, wurde es im Kölner Auktionssaal merklich ruhiger. Dabei legte der „Evening Sale“ mit Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts einen erfolgreichen Start an den Tag: Xanti Schawinskys gegenstandslose „Explosion“ von 1926 mit einigen geometrischen Körper, die lautlos und watteweich durch das schwarze Universum fliegen, hob zu 65.000 Euro ab (Taxe 35.000 bis 45.000 EUR), und kurze Zeit später siegte das veristische Gemälde „Der Betrunkene“ von Otto Ritschl. Der schon grün angelaufene und mitten auf der Straße liegende Mann verdreifachte die Schätzung auf den Auktionsrekord von 95.000 Euro. Lebens- und farbenfroh regte der kämpferisch krähende Hahn aus dem Nachkriegsœuvre Otto Dix’ von 1949 gleichfalls die Kauffreude an und brachte mit seinen drei pickenden Komplizinnen 34.000 Euro ein (Taxe 25.000 bis 30.000 EUR). Sein weniger joie de vivre versprühendes Mädchen mit der diabolisch blickenden Ziege aus demselben Jahr wurde erst im Nachverkauf bei 32.000 Euro erlöst (Taxe 40.000 bis 50.000 EUR), und Dix’ frühe, noch von den Impressionisten geprägte, pastose Ansicht „Elbufer in Dresden“ reizte wiederum keinen Käufer (Taxe 28.000 bis 32.000 EUR).
Im Auf und Ab der Bietergunst
Die zwei spazierenden Damen mit dem in ihre Mitte genommen Herren, die mit ihrem Rokoko-Habitus nicht die Urheberschaft August Mackes vermuten lassen, fanden erst im Nachgang der Auktion bei 7.800 Euro einen Liebhaber. Obwohl ein untypisches Frühwerk von 1906, sieht man doch, was den späteren Macke ausmacht: Farbenfreude und würdevoll dargestellte Menschen (Taxe 8.000 bis 12.000 EUR). Mackes schwarze Tuschpinselzeichnung, die eben jene Spaziergänger des frühen 20. Jahrhunderts zeigt, die man von ihm kennt, wurde mit 22.000 Euro ihrer angegebenen Schätzung von mindestens 25.000 Euro ebenfalls nicht ganz gerecht. Alfred Kubin füllte seine aquarellierte Tuschfederzeichnung „Aschermittwoch“ um 1922 mit skurrilem Inhalt: Einer trächtigen Sau, einem Raben, einer Kutsche ohne Pferde, leeren Straßenzügen, durch die Hunde hetzen, und einer nackten Varietédame, die ihren Proportionen nach noch aus dem Fin de Siècle zu kommen scheint. Hier wurde der Schätzwert von 70.000 Euro noch um 3.000 Euro überboten. Kubins gesellschaftskritischer „Radfahr-Klub Stahlrad“ mit verkrüppelten Veteranen auf den seltsamsten Gefährten blieb hingegen bei Lempertz (Taxe 30.000 bis 40.000 EUR).
Die farbenfrohen Bilder Gabriele Münters aus Bayern und Otto Modersohns aus Norddeutschland liefen hingegen etwas besser. Münters frühsommerlicher „Garten mit zwei gelben Häusern“ ging für 52.000 Euro (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR) und Modersohns Birkenallee zu einem Bauernhaus „In Worpswede“ von 1903 für 22.000 Euro weg (Taxe 20.000 bis 30.000 EUR). Sein in warmen Farbtönen gehaltener „Herbst im Moor“, der 1942 ein Jahr vor seinem Tod entstand, schwappte exakt an der oberen Erwartung von 20.000 Euro an Land. Mit 53.000 Euro waren Adolf Hölzels kleinteiliges und lebhaftes Buntglasfenster „Lesende“ (Taxe 40.000 bis 60.000 EUR) und der dazu passende Entwurf mit 30.000 Euro ebenfalls ‚im Wasser‘ (Taxe 30.000 bis 40.000 EUR). Noch günstiger hielt sich Mela Muter mit ihrer mit lebhaftem Pinsel in hellen Tönen ausgeführten Stadtvedute „Avignon, Saint-Agricol“ von 1935. Mit 34.000 Euro wurde hier die Bewertung verdoppelt, während ihr „Stillleben mit Flasche“ mit 33.000 Euro (Taxe 25.000 bis 30.000 EUR) und ihre in erdigen Tönen gemalte Ansicht einer provenzalischen Stadt von 1923 mit 80.000 Euro in ruhigeren Gewässern segelten (Taxe 80.000 bis 100.000 EUR).
Alexej von Jawlenskys bunte „Variation: Purpurgold (Herbst)“ mit ihren sichtbaren Pinselstrichen blieb bei 100.000 Euro unter der Erwartung von 120.000 bis 150.000 Euro. Eine ähnliche Zurückhaltung legten die Käufer des verschneiten „Moulin de la Galette à Montmartre“ von Maurice Utrillo mit 75.000 Euro (Taxe 80.000 bis 100.000 EUR) und der zu kompakten geometrischen Formen stilisierten „Drei Arbeiterköpfe“ des Kölner Progressiven Franz Wilhelm Seiwert von 1926 mit 85.000 Euro an den Tag (Taxe 90.000 bis 120.000 EUR). Bei den drei Gemälden von Max Liebermann, darunter dem „Konzert in der Oper“ um 1923 für 80.000 bis 120.000 Euro, hielten sie sich komplett zurück. Deutlich mehr Engagement legten die Sammler dann bei Jean Fautriers „Nature morte“ mit dunklen, fast gegenstandslosen Blumen von 1929/30 bei 68.000 Euro an den Tag (Taxe 30.000 bis 50.000 EUR). Herbert Böttgers tristes und trostloses „Fallendes Blatt“ konnte seinen Preis sogar auf 13.000 Euro vervierfachen. Auf die hohe See ging es dann wieder mit Lyonel Feininger. Seine beiden farbigen Entwurfsskizzen zur einer nicht ausgeführten Wandarbeit auf dem Atlantikliner SS Constitution von 1949 schipperten erst bei 50.000 Euro und 65.000 Euro über den Schätzungen davon. Und auch sein Sohn Theodore Lux Feininger reüssierte mit seinen bewegten Hochseebildern „Französische, englische, amerikanische und belgische Schiffe“ von 1932 bei 30.000 Euro (Taxe 20.000 bis 30.0000 EUR) und „Hafeneinfahrt“ von 1934 bei 34.000 Euro (Taxe 25.000 bis 35.000 EUR).
Venus gegen Trümmerhund
Schwankendes Glück war dann wieder den Bildhauern der Moderne beschieden. Emy Roeders „Pariserin“ in der Haltung der Venus Medici knackte mit 11.000 Euro die Schätzung von 6.000 bis 8.000 Euro. Auch ihr markanter Bildniskopf von Hans Purrmann aus den Jahren 1950/51 ließ die Taxe von 10.000 bis 12.000 Euro um 4.000 Euro hinter sich, während Renée Sintenis’ „Jagendes Fohlen“ von 1929 die untere Schätzgrenze von 10.000 Euro um 1.000 Euro verfehlte. Dafür heulte ihr eindrucksvoller „Klagender Trümmerhund“ von 1946 zu 18.000 Euro auf (Taxe 8.000 bis 10.000 EUR). Ernst Barlach konnte allerdings wenig überzeugen. Immerhin kam seine kleine stille „Christusmaske VI“ von 1931 für 7.500 Euro erfolgreich an den Mann (Taxe 4.000 bis 5.000 EUR), aber sein „Singender Mann“ von 1928 (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR), „Der Zweifler“ von 1930 (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR) und „Die Flamme“ wurden nicht veräußert (Taxe 25.000 bis 30.000 EUR).
Besser erging es jüngeren Skulpturen. Zwar schrammten Joannis Avramidis’ bronzene, aus bauchigen Zylindern aufgebaute „Mittlere Zweifigurengruppe“ von 1964 mit einem Vorbehaltszuschlag von 140.000 Euro und Donald Judds roter, schlicht und edel scheinender „Half solid tube piece“ bei 400.000 Euro jeweils am unteren Ende der Taxierung entlang, dennoch macht diese Tatsache Judds minimalistischen Kubus zum teuersten Werk der ganzen Auktion. Niki de Saint Phalles dralle und bunte Engelsvase von 1993 schwang sich gleichfalls nur zu den unteren anvisierten 38.000 Euro auf. Tony Craggs kleine kumulative Stahlplastik „Grenze weg“ mit Rostpatina, eine Edition der Bild-Zeitung aus dem Jahr 2015, kam dann gewinnbringend bei 44.000 Euro ins Ziel (Taxe 35.000 bis 40.000 EUR). Wie ein von der Wand genommenes, abstraktes Graffito wirkt die jüngste Skulptur. Donald Sultans „Big red lantern flowers, April 16“ von 2014 übertraf die Taxe von 50.000 bis 60.000 Euro um 5.000 Euro. Außerdem ging es für Thomas Lenks „Torskulptur“ von 1967/68 aus einem silbernen und ansonsten schwarzen, hintereinander geschichteten Quadraten bei 32.000 Euro leicht bergauf (Taxe 25.000 bis 30.000 EUR).
Das Leitmotiv der schwankenden Käuferlust findet sich auch bei den Objekten der zeitgenössischen Kunst. Von Gerhard Richter – ein Muss bei Lempertz – blieb unter anderem das bunte Hinterglasbild „Abdallah“ liegen (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR). Sein auf Schwarz, Weiß und die dazwischen liegenden Graustufe reduzierte Nachahmung von „Blech“, eine gemalte Jahresgabe des Bonner Kunstvereins von 1988, platzierte sich innerhalb der Schätzwerte bei 75.000 Euro, und die mit Schlieren übermalte Fotografie des Florentiner Domes vom „11. Jan. 2000 (Firenze)“ kletterte dann auf 50.000 Euro (Taxe 35.000 bis 45.000 EUR). Vergleichbares geschah mit Andy Warhol. Sein farblich etwas unspektakuläres Portrait der Drag Queen „Wilhelmina Ross“ in Rot und hellem Violett aus der Serie „Ladies and Gentlemen“ von 1975 wurde bei 130.000 bis 150.000 Euro verschmäht, während sein Polaroid von Sylvester Stallone aus dem Jahr 1980 um 1.000 Euro auf 7.000 Euro zulegen konnte, sein zweites Foto mit dem fressenden „Fiesta Pig“, das er 1979 auch in einer Farbserigrafie verwenden sollte, gar von 5.000 Euro auf 8.500 Euro.
Noch nicht ganz
Mit 320.000 Euro unter Vorbehalt ist noch Marcel Broodthaers’ „Gestalt-Bild-Abbildung“, eine Kombination von neun, mit Worten bedruckten Leinwänden aus dem Jahr 1973, zu haben (Taxe 350.000 bis 400.000 EUR), ebenso sein schwarz-weißer Sockel mit 95.000 Euro, den er 1967 nur mit seinem Monogramm und der Jahreszahl zum Kunstwerk erhoben hat (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR). Sein gleichaltriges titelloses Bild aus dieser Werkgruppe erreichte wenigstens die untere Schätzung von 60.000 Euro. Geteilt war wiederum der Zuspruch bei Karel Appel. Für die mit wildem Pinsel in bunten Farben gemalte „Nue“ von 1961 kamen 180.000 Euro zusammen (Taxe 180.000 bis 220.000 EUR), seine ein Jahr jüngere „Badende“ muss bei 200.000 bis 220.000 Euro noch etwas im Wasser ausharren. Für positive Überraschungen sorgten in der Tagesauktion, die Lempertz losebezogen immerhin zu 70 Prozent absetzen konnte, einige Maler der „Jungen Wilden“, etwa Werner Büttner mit seiner lapidaren Bildaussage „Rundholz trifft Kantholz im Atlantik“ von 1981 bei 26.000 Euro und Helmut Middendorf mit seiner ebenfalls neoexpressiv gemalten „Gitarre“, die aussieht als wäre sie für ein knalliges Cover angefertigt, bei 42.000 Euro (Taxe je 15.000 bis 20.000 EUR).
Gut schnitt genauso William Nelson Copleys „Trust Lust“ ab. Das mit Acryl auf Leinwand gemalte Paar, das sich in einem Raum mit gemusterter Tapete küsst, propagiert mit seinen Lokalfarben geradezu plakathaft seine Liebe zueinander und freut sich über 170.000 Euro (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR). Distanziert und sachlich betrachtete hingegen das Fotografenpaar Bernd und Hilla Becher aufgegebene Industrieanlagen. Ihr Portfolio mit zehn Vintages von Förderanlagen und Kühltürmen sammelte 32.000 Euro ein (Taxe 18.000 bis 20.000 EUR). Sam Francis’ späte, auf einem Querformat getropfte Farbwelt „SF 92-41“ von 1992 konnte ein Sammler erst bei 52.000 Euro mitnehmen (Taxe 35.000 bis 40.000 EUR). Über dieses rätselhafte, wogende Auf und Ab der Auktion scheinen sich zwei Frauen in Leonor Finis „Les Adelphes“ von 1968 zu unterhalten, während eine dritte nackt zu ihren Füßen liegt. Mit lichten Farben wird hier ein ungewöhnliches Bild mit bemerkenswerter Stimmung erzeugt, das Lempertz für 110.000 Euro verließ (Taxe 80.000 bis 100.000 EUR).
Die Ergebnisse verstehen sich als Zuschlag ohne das Aufgeld. |