Ausdrucksstarke Gesichter in Wien Die Albertina in Wien widmet sich derzeit in ihrer Ausstellung „Faces. Die Macht des Gesichts“ der Modernisierung der Porträtfotografie im Deutschland und Österreich der 1920er und 1930er Jahre. Die Künstler der Zwischenkriegszeit wandten sich vom klassischen Porträt ab und experimentierten mit dem menschlichen Gesicht, das sie nach ihren Vorstellungen formten. Kurator Walter Moser hat dafür 154 Fotografien, sieben Filmclips sowie sieben Bücher versammelt, die Geschlechterverhältnisse hinterfragen, das Gesicht als Projektionsfläche für politische Ideologien nutzen oder die menschlichen Züge durch Licht-Schatten-Kontraste oder Nahaufnahmen abstrahieren.
Ausgehend von dem Werk des jüdischen Fotografen, Kameramanns und Filmemachers Helmar Lerski spiegeln sich in den fünf Kapiteln der Schau die gesellschaftlichen, politischen und künstlerischen Umbrüche der Epoche wider. Lerski wurde 1871 als Israel Schmuklerski in Straßburg geboren und wanderte auf Grund des sich in Deutschland entwickelnden Antisemitismus 1932 nach Palästina aus. Im Alter von 39 Jahren schuf er seine ersten fotografischen Porträts, die er mit Hilfe von Licht spektakulär inszenierte. Die Ausstellung nimmt insbesondere Lerskis Porträtserien „Köpfe des Alltags“, „Araber und Juden“ sowie „Verwandlungen durch Licht“ in den Blick und stellt seine Arbeiten in den einzelnen Kapiteln in einen Dialog mit den Fotografien anderer Künstler, etwa von Irene Bayer-Hecht, Andreas Feininger, Lotte Jacobi, Elfriede Stegemeyer oder Stanislaw Ignacy Witkiewicz.
Die Abteilung „Rollenspiele“ thematisiert die theatralische Inszenierung der eigenen Person, für die sich die Fotografen und Fotografinnen an Requisiten, Mimik und Ausleuchtung expressionistischer Stummfilme orientierten. Gezeigt werden unter anderem Aufnahmen Marta Astfalck-Vietz’ und der Bauhauskünstlerin Gertrud Arndt, die maskiert unterschiedliche Frauentypen festhielten und damit die Rollenklischees hinterfragten. In Beziehung zum Bauhaus-Umfeld standen die Experimente mit Hell-Dunkel-Kontrasten im Kapitel „Verwandlungen durch Licht“, die Gesichtsformen stärker konturierten oder unheimlich verzerrten. Hier präsentiert Moser dem Betrachter beispielsweise Fotogramme des Bauhaus-Lehrers László Moholy-Nagy. In eindrücklichen Nahansichten lenken unter anderem die Aufnahmen Paul Edmund Hahns oder die Fotomontagen Kurt Kranz’ den Fokus auf einzelne Formen der Mimik und der Gesichtspartien.
Der Themenbereich „Der Mensch zwischen Individuum und Typ“ hinterfragt im Zuge des damaligen Physiognomiediskurses, inwiefern ein Mensch oder eine Gesellschaft anhand von Gesichtszügen gelesen werden kann. So entstand beispielsweise August Sanders Langzeitprojekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“, der Mitglieder der Gesellschaft in ihrem alltäglichen Umfeld fotografierte. Eine ähnliche Zielsetzung hatten der Film „Arbeitslos. Ein Schicksal von Millionen“ von Willy Zielke aus dem Jahr 1932, der jedoch nach der Machtergreifung nationalsozialistisch umgeschrieben wurde, sowie Helmar Lerskis Porträtserie „Köpfe des Alltags“ aus den Jahren 1928 bis 1931. Das nationalsozialistische Regime machte sich die Porträtfotografie zunutze, um ihre Lehren von Typenhierarchien zu veranschaulichen. Im letzten Abschnitt „Das Volksgesicht“ sind unter anderem Porträts von Erna Lendvai-Dircksen, Erich Retzlaff und Rudolf Koppitz ausgestellt, die den Bauernstand als eine scheinbar homogene Gruppe festhielten.
Die Ausstellung „Faces. Die Macht des Gesichts“ ist bis zum 24. Mai zu sehen. Die Albertina hat täglich von 10 bis 18 Uhr unter den geltenden Abstands- und Hygieneregeln geöffnet. Der Eintritt beträgt 16,90 Euro, ermäßigt 12,90 Euro bzw. 11,90 Euro; für Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren ist er kostenlos. Der Ausstellungskatalog aus dem Hirmer Verlag kostet 34,90 Euro.
Albertina
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