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Matthew Barney im Museum Ludwig

The Big Nothing



Matthew Barney, Richard Serra als Architekt in Cremaster 3, 2002

Matthew Barney, Richard Serra als Architekt in Cremaster 3, 2002

Das Studium an der Yale University in New Haven schloss Matthew Barney 1989 mit einer Arbeit ab, die aus einer Mischung aus Sexual- und Technikfetischismus bestand. Seitdem bedient sich Barney, der 1967 in San Francisco geboren wurde, immer wieder dieser Mittel. Auch der Werkzyklus des Cremaster, den das Kölner Museum Ludwig derzeit präsentiert, basiert auf dieser Grundlage: Mythologische Themen, sexuelle Phantasien und Bilder der Pop- und Konsumkultur verbinden sich zu manieriert postbarocken Ensembles, die an eine Ästhetik der Kitschart von Jeff Koons erinnern.



1994 begann Barney die Arbeit an dem Cremaster–Zyklus. Mit „Cremaster“ wird ein Muskel bezeichnet, der für das Senken oder Heben der Hoden verantwortlich ist. Er verwendet die Bilder des „Aufstiegs“ als weiblichen und „Abstiegs“ als männlichen Weg der embryonalen Entwicklung. Indifferenz und Identitätsfindung werden in einem selbst-referentiellen System aus Signifikanten, die auf andere Signifikanten verweisen, auf poetischer Ebene verknüpft. Tatsächliche Orte und mythologische oder historische Überlieferungen und Barneys eigenes Leben werden zum Ausgangspunkt seiner Fiktionen, die er mit seinen Sexualmetaphern verbindet.

Die eklektische Collage der Bilder weist Parallelen zur Vorgehensweise der Bildfindung des Surrealismus auf. Zentrales Thema ist die Entwicklung der Geschlechtsorgane, welches in mythisch und scheinbar narrativ anmutende Szenen gebettet ist. Dabei scheint es, als habe Barney Bilder grosser Mythen herbeizitiert, um triviale und alltägliche Vorgänge ins unproportional Überdimensionale aufzublähen. Direkte Aussagen werden dabei nicht gemacht. Ein Konglomerat von hochglänzenden Fetischobjekten bietet zwar der Rezeption eine bereite Projektionsfläche für Interpretation, bleibt aber letztendlich leer. Ähnlich wie der Filmepos „Startrek“ ist die Filmreihe von Barney nicht chronologisch nach ihrem Entstehungsdatum numeriert, sondern folgt auch darin einem eigenen Regelwerk.

Der Zyklus beginnt mit “Cemaster 4“ von 1994. Dieser spielt auf der Isle of Man. Ein Kandidat durchläuft in dieser Inszenierung Metamorphosen vom dezent angedeuteten Satyr zum Verweis auf den auf der Insel beheimateten vierfach gehörnten Schafsbock, den Loughten Bock. Diese Genese dient als Bild der Willensfindung. Die jeweils nach oben und unten gebogenen Hörner sind Symbol der geschlechtlichen Indifferenz. Die Entwicklung des Protagonisten läuft parallel zu einem Motorradrennen zwischen einem gelben und einem blauen Fahrzeug.

Das nicht ausdifferenzierte Geschlecht thematisiert auch der 1995 entstandene „Cremaster 1“, der im Sportstadion von Barneys Heimatstadt Boise in Idaho spielt. Über dem Stadion schweben zwei in Ausstattung und Besetzung spiegelbildliche Goodyear–Zeppeline. Einzig eine Vaselineskulptur zierende Weintrauben erscheinen einmal rot und einmal grün. Aus diesen Trauben legt die platinblonde Popallegorie „Goodyear“ ornamentale Strukturen, die einer Revue im Stadion als Plan der Choreografie dienen. Die Formen nähern sich immer wieder der Darstellung der noch nicht definierten Geschlechtsorgane an.

Als Operninszenierung in Budapest gibt sich „Cremaster 5“ von 1997. Die Beziehung zwischen einer Kettenkönigin, gespielt von Ursula Andress, einem Zauberer und einer männlichen Operndiva kulminiert im Tod aller drei Protagonisten und der Ausrichtung des Hoden eines von Wassergeistern umgebenen Riesen im unter der Bühne befindlichen Thermalbad.

„Cremaster 2“ entstand 1999 als Metapher für den Beginn der Geschlechtsdifferenzierung. Die Geschichte der Hinrichtung von Gary Gilmore 1977 wird verwoben mit Verweisen auf Bienenstaaten. Anlass für das Morden Gilmores ist nach Barney sexuelle Begierde. Die freie Wahl des Geschlechtes wird symbolisiert durch die Annahme des Todesurteils als letzter freier Entscheidung.

Dem Bau des Chrysler-Buildings in New York folgt der in diesem Jahr entstandene „Cremaster 3“. Das Gebäude ist hierbei Metapher für eine Person, in der widersprüchliche Kräfte am Werke sind. Dieses Interagieren wird dargestellt durch die Inszenierung der Freimaurerlegende. Als Darsteller des Hiram Abiff, des Architekten, konnte Barney Richard Serra gewinnen. Er selbst tritt als dessen Lehrling auf, welcher Abiff betrügen wird. Als weiterer Verweis auf die „reale“ Kunstwelt ist ein Initiationsritus im Guggenheim Museum, aufgeführt von Matthew Barney selbst, zu sehen.

Im Museum verbindet Matthew Barney seinen Filmzyklus mit Installationen der Filmausstattung. Objekte aus Vaseline, Honig oder Salz wurden zu eigenständigen Kunstwerken zusammengefügt und neu arrangiert. Ausserdem sind Standbilder der Filme in selbstschmierendem Plastik gerahmt separat präsentiert. In den so inszenierten Räumen laufen Sequenzen der zu der jeweiligen Ausstattung gehörigen Filme, während die Filmreihe in Kinosaal gezeigt wird.

Die von Nancy Spector kuratierte Schau läuft noch bis zum 1. September. Geöffnet ist dienstags von 10 Uhr bis 20 Uhr, mittwochs bis freitags von 10 Uhr bis 18 Uhr und am Wochenende von 11 Uhr bis 18 Uhr. Der Eintritt beträgt 6 Euro, ermäßigt 3,5 Euro, ein Kombiticket für das ganze Haus kann für 8,5 Euro, ermäßigt 6 Euro erworben werden. Begleitend zur Ausstellung erschien ein aufwendig gestalteter Katalog zum Preis von 49 Euro. In einem im Katalog enthaltenen „Cremaster Glossar“ wird der Kontext der im Filmzyklus verwendeten Metaphern, welche von der „Anus–Insel“ bis hin zum „Zusammenschluss von Buda und Pest“ reichen, aufgeschlüsselt.

Kontakt:

Museum Ludwig Köln

Heinrich Böll Platz

DE-50667 Köln

Telefax:+49 (0221) 221 241 14

Telefon:+49 (0221) 221 261 65

Startseite: www.museenkoeln.de



08.08.2002

Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Sabine Boehl

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06.06.2002, Matthew Barney

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Matthew Barney, Cremaster 5, 1997
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Matthew Barney, Installation der Ausstattungstücke im Museum Ludwig
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Matthew Barney, Cremaster 1, 1995
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Matthew Barney, Ursula Andress als Kettenkönigin in Cremaster 5, 1997
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Matthew Barney, Cremaster 1, The Goodyear Chorus, 1995
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Matthew Barney, Cremaster 5, 1997

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Matthew Barney, Installation der Ausstattungstücke im Museum Ludwig

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Matthew Barney, Cremaster 1, 1995

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Matthew Barney, Ursula Andress als Kettenkönigin in Cremaster 5, 1997

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Matthew Barney, Cremaster 1, The Goodyear Chorus, 1995

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Matthew Barney, Cremaster 4, 1994

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Matthew Barney, Orchidella aus Cremaster 1, 1995

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Matthew Barney, Cremaster 2, 1999

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Matthew Barney, Cremaster 3, 2002

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