Trauer um Hermann Nitsch  |  | Der Aktionskünstler Hermann Nitsch ist gestorben | |
Die österreichische Kunstwelt trauert um einen ihrer bekanntesten und prägendsten Künstler: Wie die Nitsch Foundation mitteilte, starb Hermann Nitsch am Ostermontag nach schwerer Krankheit in Mistelbach nördlich von Wien. Er wurde 83 Jahre alt. „Mit ausdrucksstarken Bildern und Aufsehen erregenden Aktionen hat er die heimische Kunstwelt neu definiert. Nun ist der Großmeister des Aktionismus von uns gegangen: Hermann Nitsch ist tot“, würdigte der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Verstorbenen. „Konsequent hat Hermann Nitsch über Jahrzehnte hinweg an seinem kultischen Stil gearbeitet, seine Werke und sein Wirken haben niemanden kaltgelassen. Österreich trauert um einen unbestechlichen und faszinierenden Maler und einen beeindruckenden Menschen. Sein Werk wird weiterleben, dessen bin ich mir gewiss“, so Van der Bellen weiter.
Auch die österreichische Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer hob die Bedeutung Nitschs hervor und sprach von einem „wahrhaft einzigartigen Künstler“. „Seine vielfältige Auseinandersetzung mit Kunst, Ästhetik, Religion und Philosophie hat Hermann Nitschs Werk förmlich durchzogen. Seine Großformate ziehen Menschen in ihren Bann wie es kaum andere Kunstwerke können. Mit den Orgien-Mysterien-Spielen hat Nitsch außerdem die Grenzen des Kunstschaffens neu definiert. Was mich persönlich an Nitsch beeindruckt hat, ist seine Durchsetzungskraft und seine Standhaftigkeit trotz aller Kritik, die ihm vor allem zu Beginn entgegengeschlagen ist“, so Mayer.
Zur Welt kam Hermann Nitsch am 29. August 1938 in Wien. Nach einer Ausbildung an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt arbeitete er zunächst als Grafiker am Technischen Museum in Wien. Seit 1957 beschäftigte er sich mit der Idee des Orgien-Mysterien-Theaters und gehörte damit zu den Begründern des Wiener Aktionismus, einer Bewegung Wiener Künstler, die in den 1960er Jahren ausgehend von tachistischer Malerei das Konzept von Happening und Fluxus aufgriffen und in provokanter Weise umsetzten. 1962 realisierte er seine „1. Aktion 19.12.1962, Kreuzigung und Beschüttung eines menschlichen Körpers, Wohnung Otto Muehl“. Mit diesen Aktionen, die um den Mythos von Geburt und Tod, von Opfer und Erlösung kreisen, erregte Nitsch immer wieder öffentliches Ärgernis, was zu Konflikten mit den Behörden und drei mehrwöchigen Gefängnisaufenthalten führte, die den Künstler 1968 veranlassten, nach Deutschland überzusiedeln. Hier wurde er zunächst Gastprofessor an der Frankfurter Städelschule und übernahm 1988 eine Klasse für interdisziplinäre Kunst bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2001.
Sein größter Traum ging wohl zwischen dem 3. und 9. August 1998 in Erfüllung. Auf dem weitläufigen Gelände von Schloss Prinzendorf in Niederösterreich, das Nitsch 1971 erwerben konnte, fand das sogenannte „6-Tage-Spiel“ statt. Damit konnte Nitsch sein seit langem konzipiertes, sechs Tage dauerndes Urdrama mit Hunderten von Teilnehmern, rituellen Schlachtungen und Opferhandlungen, Blaskapellen und Orchestern verwirklichen. Für das orgiastische Gesamtkunstwerk verwendete er jeweils eine Tonne Weintrauben und Tomaten, 20.000 Blumen, 1.000 Liter frisches Blut, etliche bereits geschlachtete Schweine und Schafe, drei ausgeweidete Stiere und 13.000 Liter Wein. Mit Blut und Innereien wurden zahlreiche nackte, an Händen und Füßen gefesselte junge Männer und Frauen besudelt. Trotz heftiger Proteste von Kirchenvertretern, Tierschützern und lokalen Politikern sowie anonymer Morddrohungen konnte das ekstatisch-dionysische Fest unter massivem Polizeischutz gefeiert werden. Überbleibsel dieser Rituale waren seine Schüttbilder aus Blut und Farbe oder seine Aktionsrelikte, für die auf Auktionen heute bis zu einer halben Million Euro bewilligt werden.
Die internationale Beachtung ließ nicht lange auf sich warten. So wurde der Erfinder, Chefdenker und Regisseur des Orgien-Mysterien-Theaters 1972 von Harald Szeemann zu Documenta 5 nach Kassel in der Abteilung „Individuelle Mythologie“ eingeladen. Zehn Jahre später nahm er ein zweites Mal an der Documenta teil. Tagesgespräch in Paris war seine Aktion zur Eröffnung der ersten Fiac im Jahr 1974. Ausstellungen und Aufführen seines alle Sinne ansprechenden Orgien-Mysterien-Theaters führten ihn zudem nach Prag, New York, Berlin, Eindhoven, Triest, München, Florenz, Arnheim, Frankfurt, Havanna oder Neapel, zur Weltausstellung nach Sevilla oder zur Biennale nach Sydney, und auch die österreichischen Museen präsentierten umfangreich sein Schaffen. Seine Auffassung von Kunst als theatralischem Ritual brachte er auch in die Oper ein; so führte Nitsch mehrmals Regie und war auch für die Ausstattung verantwortlich, zuletzt 2021 bei den Bayreuther Festspielen für die halbszenische Inszenierung der „Walküre“.
Neben vielen anderen Auszeichnungen wurde Hermann Nitsch 1984 mit dem Kunstpreis für Bildende Kunst, 1988 mit dem Preis der Stadt Wien für Bildende Kunst, 2004 mit dem Würdigungspreis des Landes Niederösterreich und 2005 mit dem Großen Österreichischen Staatspreis geehrt. 2007 wurde dann das Hermann Nitsch Museum in Mistelbach eröffnet, ein Jahr später folgte das Museo Nitsch in Neapel, 2009 wurde die Nitsch Foundation in Wien gegründet, deren Ziel die Präsentation, Vermittlung und Dokumentation seines Gesamtkunstwerks aus Malerei, Musik, Theater und Performance ist. Kurz vor seinem Tod hatte Hermann Nitsch angekündigt, dass es nach pandemiebedingten Ausfällen in den beiden letzten Jahren heuer wieder ein „6-Tage-Spiel“ geben soll. Seine Ehefrau Rita hat nun versprochen, wenigsten einen Teil davon im Sommer in Schloss Prinzendorf aufführen zu lassen. |