Der Erste Weltkrieg hinterließ deutliche Spuren in der deutschen Gesellschaft, und Berlin war der Kristallisationspunkt dieser Entwicklungen. Auf der einen Seite stand die Vergnügungssucht der Goldenen Zwanziger in den Theatern, Kabaretts, Konzerthallen, Restaurants und Bars der Metropole, auf den Schattenseiten die Kriegskrüppel, leichten Mädchen, verarmten Leute und Zuhälter, die auch etwas von der schillernden Welt abbekommen wollten. Die Diskrepanz der Zeit war ein gefundenes Reservoir für die Veristen, George Grosz einer ihrer bedeutendsten Vertreter, der die Kriegsgewinnler und Kriegsverlierer mit hoher Präzision und schneidender Ironie in seine Bildwelt holte. 1922 waren es „Ganoven an der Theke“, drei finstere Gestalten in einer Kneipe, die eben vom Betrachter gestört werden und ihn unwirsch fixieren. Der Tisch mit den Spielkarten, dem Bierhumpen, der Weinflasche und dem umgestoßenen Schnapsglas zeugt von einem munteren Abend in dem zwielichtigen Ambiente. Der vordere grobschlächtige blonde Kerl mit wulstigen Lippen und rot geäderter Trinkernase hat schon seinen Schlagstock ergriffen, während der zweite Herr in feinem Zwirn sich mürrisch und drohend vor einer durchtrieben blickenden Dame mit orangerot gefärbtem Haar und grell geschminktem Gesicht aufbaut. Lauert Gefahr? Solche meisterhaft aquarellierten Tuschezeichnungen Grosz’ schätzt die weltweite Sammlerschaft. Entsprechend hat Lempertz nun den Wert für die Ikone des modernen Lebens marktgerecht auf 250.000 bis 300.000 Euro angesetzt.
Auch die Jäger sind schon da. Noch recht unbekümmert schaut der grün gewandete Weidmann aus Emil Noldes Ölgemälde von 1918 (Taxe 300.000 bis 350.000 EUR), während er bei Georg Baselitz schon mit Jagdhunden und aufgrund es Schnauzbarts als Hitler-Verschnitt gefährlicher auftritt. Das in vier Flächen aufgeteilte Gemälde von 2007 aus der „Remix“-Serie, in der Baselitz versatzstückhaft Themen seiner früheren Werke rezitiert, soll 450.000 bis 550.000 Euro einspielen. Nolde ist in dem Kölner Evening Sale mit der Kunst aus dem 20. Jahrhundert überhaupt gut vertreten. Die Macht des Kolorits kostete der Meister der Farbe 1946 in seiner aquarellierten Stimmung „Abendmeer mit Segelboot und Dampfer“ voll aus (Taxe 120.000 bis 150.000 EUR), während seine beiden anderen Aquarelle „Dschunken auf dem gelben Fluss“ von 1913 und „Marschlandschaft mit Abendwolken“ um 1925/30 gemäßigter ausfallen und daher nur mit der Hälfte bewertet sind.
Moderne Kunst
Einen starken Auftritt in der Moderne-Sektion hat am 1. Juni ebenso Lovis Corinth mit drei thematisch unterschiedlichen Leinwänden. Dem inszenierten Selbstporträt widmete er sich 1913 und verwandelte sich dafür in einen Nürnberger Landsknecht der Renaissance unter Feder geschmücktem Hut (Taxe 100.000 bis 120.000 EUR). Ein Jahr später malte Corinth eines seiner furiosen Stillleben, die prachtvollen „Römischen Blumen“, die bei ihm aber auch für den Vanitas-Gedanken stehen (Taxe 250.000 bis 300.000 EUR). Das Dionysische prägte seine Malerei in den 1890er Jahren; dabei griff Corinth gerne auf mythologische Sujets zurück, etwa 1896 bei seinem „Bacchantenzug“, auf dem sich junge Bacchanten und Mänaden nackt um einen alten Bacchus scharen, der Lust und dem Wein frönen und wohl auch nicht vor sexuellen Handlungen zurückschrecken, angedeutet durch die Hasen (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR). Auch wenn Pierre-Auguste Renoir in seinem kleinen, zartfarbigen Gemälde „Nu debout en pied“ aus dem Jahr 1879 (Taxe 180.000 bis 220.000 EUR) und Karl Hofer in seinem stillen „Mädchen am Fenster“ von 1942 ebenfalls das Thema Akt behandeln (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR), so geht es doch bei ihnen doch nicht so frivol und ausschweifend zu.
Für eine skulpturale Erweiterung dieser künstlerischen Aufgabe sorgt Karl Hartung mit seiner über zwei Meter langen Bronzeplastik „Große Liegende“ von 1951. Die markante Aktfigur aus additiv zusammengesetzten, vereinfachten Körperformen in einer wellenförmigen Bewegung soll in ihrer träumerisch selbstvergessenen Art 150.000 bis 170.000 Euro und damit den neuen Auktionsrekord erwirtschaften. Während seines ersten Aufenthalts an der Kurischen Nehrung im Jahr 1909 stand Hermann Max Pechstein eine „Bäuerin aus Nidden“ Portrait, die er mit intensiven, vor allem „kurischen Farben“ in Blau und Grün, wie er sie in einem Brief an Erich Heckel beschrieb, auf die Leinwand bannte (Taxe 140.000 bis 160.000 EUR). Um das einfache bäuerliche Leben kümmerte sich zudem Mela Muter in ihrem Dorfplatz bei Sommerregen in locker gesetzten Pinselstrichen (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR). In die Großstadt Paris geht es mit Lyonel Feiningers Gemälde „An der Seine“ von 1912. Das mit Arbeitern und Lastkähnen angereicherte Brückenmotiv überarbeitete der Künstler mehrere Jahre hinweg stark, um es seinen neuen künstlerischen Vorstellungen anzupassen (Taxe 150.000 bis 180.000 EUR). Die Deli-Collection aus Monaco, die schon in der Lempertz-Auktion mit Alten Meistern mehrere Werke zugunsten der Ukraine-Hilfe versteigern ließ, stellt diesmal Adolf Erbslöhs blau gesättigte, gespenstische Szenerie einer kriegszerstörten Häuserfront in „Montigny“ zwischen Nancy und Straßburg um 1916/17 für den guten Zweck zur Verfügung (Taxe 30.000 bis 40.000 EUR).
Die Nachkriegsepoche
In die unmittelbaren Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg datieren zwei Zeichnungen Arshile Gorkys. Trotz der weitgehend spontanen und ungeplanten zeichnerischen Aktion sind die Blätter von ausgewogener kompositorischer Schönheit und lassen sowohl dramatische, als auch lyrische Elemente zur Geltung kommen. Sie sind für 80.000 bis 100.000 Euro, respektive 200.000 bis 300.000 Euro zu haben. Drei weitere Arbeiten auf Papier des Abstrakten Expressionismus konnte Lempertz aus einer Hongkonger Privatsammlung übernehmen: Helen Frankenthalers blauen Farbsee mit blauer Linie, der 1968 als Titelillustration für den Gedichtband „The blue stairs“ der Lyrikerin Barbara Guest entstand (Taxe 20.000 bis 30.000 EUR), und zwei spontan gekritzelte Zeichnungen Cy Twomblys mit skripturalen Elementen von 1962 und 1963, die die Preisgestaltung von Gorky übernehmen.
Für das deutsche Informel stehen Ernst Wilhelm Nays Ölgemälde „Grüne Flucht“ von 1951 aus der Werkreiche der „Fugalen Bilder“ in neu gewonnener Dynamik (Taxe 200.000 EUR) oder Emil Schumachers dunkle schrundige Farbwüste „Melan“ mit weißem Farbklecks von 1961 (Taxe 55.000 bis 65.000 EUR). Bei Karel Appels pastosen Farbschlachten ist immer noch ein Nachsinnen an Figuratives, meist an das Menschenbild, zu spüren. So hat er 1962 das traditionelle Motiv der Badenden in einer Landschaft in einem ungestümen Farbauftrag mit tiefen Furchen auf die Leinwand geworfen (Taxe 200.000 bis 220.000 EUR) und schon ein Jahr zuvor das ebenfalls klassische Thema Akt in kräftiger Palette behandelt (Taxe 150.000 bis 180.000 EUR). Zwischen 1958 und 1961 arbeitete Richard Hamilton an seinem Gemälde „$he“, in dem er sich mit moderner konsumgeprägter Häuslichkeit und der Identität der Frauen auseinandersetzte. Eine mit Gouache, Aquarell, Tinte und Bleistift entwickelte Studie für das ikonische Werk, ein Geschenk Hamiltons an Joseph Beuys und seither im Besitz der Familie Beuys, steigt nun bei 140.000 bis 160.000 Euro in den Auktionsring.
A.R. Penck reduzierte seine Bildsprache auf einfache Symbole und Strichmännchen. Sein Ölgemälde „Ich in London 1“ entstand 1982 zwei Jahre nach seiner Ausbürgerung aus der DDR, was eine freiere und ungezwungenere Malweise und einen verschwenderischen Umgang mit er Farbe auch auf diesem positiv gestimmten Werk zur Folge hatte (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR). Da war Gerhard Richter schon längst in der BRD angekommen und hatte sich als Künstler etabliert. Mit seinen Vermalungen und Grauen Bildern und deren radikal objektiver Gestaltlosigkeit war er aber nach eigener Aussage in eine schöpferische Sackgasse geraten. So ging er 1976 zu seinem ersten „Abstrakten Bild“ über. Im Jahr darauf führte Richter die neue Werkphase fort und schuf eine kleine quadratische Leinwand mit einem lasierend aufgetragenen, verschwommenen Hintergrund, auf dem zwei Farbkleckse zu schweben scheinen (Taxe 240.000 bis 280.000 EUR).
Die jüngste Kunst
Der Ungegenständlichkeit huldigte gleichfalls der Tscheche Zdenek Sýkora und produzierte seine Ideen unter anderem am Computer, so 1992 seine „Linie Nr. 102“. In trägen Wellenbewegungen gleiten intensive Farbbänder horizontal durch den quadratischen Bildraum und erzeugen eine Malerei von hoher Dichter und Präsenz (Taxe 180.000 bis 250.000 EUR). Bei Günther Förg sind es dann Farbflächen, die er oft auf Bleigrund spannungsvoll gegeneinander setzte. Bei einer unbetitelten Arbeit aus sechs hochrechteckigen Einzelbilder brachte er 1989 im rechten Viertel der unterschiedlich monochromen Farbflächen eine breite vertikale Linie in dunklem Rot auf, die in Anlehnung an den sprichwörtlichen „Roten Faden“ die Werke optisch aneinanderbindet (Taxe 500.000 bis 600.000 EUR). Während Herbert Brandl im Jahr 2000 auf einem Großformat von sechs Metern Breite eine rotglühende Farbsymphonie mit dunklen Passagen in Braun und Grünblau orchestriert hat (Taxe 150.000 bis 180.000 EUR), nutzt die jüngere Künstlergeneration genauso nonchalant figurative Tendenzen, etwa die Fotokünstlerin Candida Höfer, die 2006 ihren Blick streng in die alten Räume der „Biblioteca Universitaria di Bologna“ richtete (Taxe 30.000 bis 40.000 EUR).
Bei seiner Performance „Project#65“ ließ Maurizio Cattelan 1998 einen Darsteller in überdimensionaler Kopfmaske mit den Zügen von Pablo Picasso und dessen charakteristischem Matrosenpulli als „Karikatur“ des größten aller modernen Künstler im New Yorker Museum of Modern Art auftreten und entmystifizierte damit die Sakralität des Museums. Nach dieser Performance gestaltete Cattelan ein Jahr später einen C-Print, auf dem er selbst als Alter Ego von Picasso vor Roy Lichtensteins „Interieur with Mobile“ aus der Sammlung des MoMA posiert. Auch hier trägt der Italiener seinen Spott über museale Institutionen vor und spielt subversiv mit Hoch- und Populärkultur (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR). Kräftig in den Farbtopf langt Norbert Bisky bei seinen homoerotischen Jungmännerbildern und verbindet in „Neozon“ von 2020 einen jungen muskulösen Mann samt geschlossenen Augen und geöffnetem Hemd mit dem Kaufhallen-Logo der DDR zu einem zwischen sozialistischem Realismus und westlicher Pop Art changierenden Gemälde (Taxe 80.000 bis 90.000 EUR).
Der „Evening Sale“ bei Lempertz beginnt am 1. Juni um 18 Uhr. Eine Besichtigung der Objekte ist bis zum 31. Mai möglich, der Katalog ist im Internet unter www.lempertz.com abrufbar. |