Schon der Auftakt war grandios. Mit dem ersten Teil der brillanten Brücke-Sammlung Hermann Gerlingers eröffnete Ketterer am vergangenen Freitag seinen „Evening Sale“, und wie erwartet konnte der Münchner Versteigerer alles losschlagen, was der 90jährige Würzburger Unternehmer seit den 1950 Jahren von der berühmten deutschen Expressionisten-Gruppe zusammengetragen hatte. Keine der 45 Positionen blieb liegen; stets wurden die Schätzungen erreicht, meist aber überboten. Schon einen ersten Millionenwert konnte Ketterer hier einfahren. 1909/10 malte Erich Heckel Fränzi, das fast noch kindliche Lieblingsmodell der Brücke-Künstler, die zusammen mit einem Jungen nackt und in Blau auf einer roten Liege in einem grünen Zimmer ruht. Für Heckels mit 600.000 bis 800.000 Euro nicht allzu hoch taxierten Farbrausch interessierte sich vor allem ein Sammler aus dem Rheinland, der die nicht allzu aktive Konkurrenz bei 1,1 Millionen Euro aus dem Rennen werfen konnte. Angesichts der vergleichbaren musealen Qualität und dem Auktionsrekord von 2,6 Millionen Pfund, den Christie’s seit 2015 für Heckels „Badende am Waldteich“ vom 1910 hält, hätte es für das avantgardistische Meisterstück auch etwas mehr sein dürfen.
Neben vereinzelten Ölgemälden, darunter Hermann Max Pechsteins expressivem Aktbild „In der Hängematte“ aus dem Jahr 1910 von den Moritzburger Teichen für 320.000 Euro (Taxe 300.000 bis 400.000 EUR) und Ernst Ludwig Kirchners später farbkräftiger Komposition „Ringer“ von 1923 für 400.000 Euro am unteren Schätzrand, hatte Ketterer für die erste Tranche der Gerlinger-Kollektion vor allem Arbeiten auf Papier oft aus bester Brücke-Zeit ausgewählt. So steuerte Kirchner noch seinen seltenen wunderbaren Farbholzschnitt „Wintermondnacht (Längmatte bei Monduntergang)“ unter tiefrotem Bergwelthimmel von 1919 für 500.000 Euro (Taxe 250.000 bis 350.000 EUR) oder die farbintensive Kreidezeichnung „Selbstbildnis mit Modell“ von 1910 im gemusterten Hausrock für 420.000 Euro bei (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR). Für seinen kantigen schwarzweißen Holzschnitt „Nacktes Paar auf dem Kanapee“ von 1909 gab es die oberen anvisierten 90.000 Euro, für seinen flott skizzierten und aquarellierten „Akt mit rotem Hut“ am Strand von 1912 dann nochmals 125.000 Euro (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR).
Die anderen Brücke-Künstler standen dem nicht nach. Während Karl Schmidt-Rottluff sein 1926 in Öl gemaltes, später von den Nazis beschlagnahmtes Stillleben „Afrikanische Schale“ noch taxgerecht für 220.000 Euro abgab, konnten seine furios entwickelten Aquarelle „Gutshof“ von 1910 mit 240.000 Euro und „Leuchtturm“ von 1922 mit 130.000 Euro ihre Schätzungen verdreifachen. Seine fast noch pointillistische Buntstiftzeichnung „Landstraße im Frühling“ von 1905 glänzte mit einem Zuschlag bei 105.000 Euro (Taxe 50.000 bis 70.000 EUR). Erich Heckel durfte sich dann noch über 95.000 Euro für sein fast unspektakuläres, leicht hingewischtes Aquarell „Gelbes Haus“ von 1908 (Taxe 30.000 bis 40.000 EUR), über 85.000 Euro für sein kräftiger ausformuliertes Blatt „Fränzi mit Decke“ von 1909 (Taxe 80.000 bis 100.000 EUR) und über 54.000 Euro für seinen monotypieartig eingefärbten Holzschnitt „Weiße Pferde“ von 1912 freuen (Taxe 15.000 bis 20.000 EUR). Und auch Fritz Bleyl und Otto Mueller, die jeweils nur mit einer Arbeit vertreten waren, nutzten die rege Kauflust: Bleyl mit einem gezeichneten stehenden Viertelstundenakt zu 7.000 Euro (Taxe 3.000 bis 4.000 EUR), Mueller mit der um 1912 aquarellierten, unter Palmen hockenden Südseeschönheit zu 50.000 Euro (Taxe 15.000 bis 20.000 EUR). Inklusive Aufgeld erwirtschaftete die Gerlinger-Sammlung 5,94 Millionen Euro, die nun an drei wohltätige Institutionen gehen: die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, den Bund Naturschutz und die Würzburger Stiftung Juliusspital.
Sichere Wertanlage: Expressionismus
Außerhalb der Brücke-Sammlung Gerlingers riss die Erfolgsserie für Ketterer weiterhin nicht ab. Mit einem Halbjahresumsatz von 44 Millionen Euro – eingerechnet sind dabei neben den Kunst- auch die Bücher- sowie die Internetauktionen und die Private Sales – sieht sich Robert Ketterer wieder an der Spitze der deutschen Kunstversteigerer. Dabei setzt der Chef des Münchner Auktionshauses vor allem auf sichere Werte und konstatiert im High End-Segment einen weiterhin sehr starken weltweiten Kunstmarkt. Dazu trug bei ihm der „Evening Sale“ mit einem Gesamtumsatz von knapp 27 Millionen Euro, vier Zuschlägen in Millionenhöhe und 57 sechsstelligen Werten den größten Anteil bei. Als einziger Kandidat auf einen siebenstelligen Preis war August Mackes paradiesisches marktfrisches Gemälde „Mädchen mit blauen Vögeln“, eines der letzten Werke des Bonner Expressionisten vom Sommer 1914, mit einer Schätzung von 2 bis 3 Millionen Euro angetreten. Für den dichten gelbgrünen Wald, in dem das Mädchen zwischen violetten Baumstämmen in sich versunken und fast mystisch zwei blauen Reihern gegenübersteht, engagierten sich zwei Bieter an Telefon, bis der Hammer schnell bei 2,1 Millionen Euro zugunsten eines deutschen Sammlers fiel.
In Deutschland bleibt zudem Emil Noldes mit pastosem Farbauftrag moduliertes Blumenbild „Rittersporn und Silberpappeln“ von 1929, das nach fast neunzig Jahren in Familienbesitz wieder auf dem Kunstmarkt auftrat. Allerdings musste sich der Käufer hier deutlicher mit 950.000 Euro gegen seine Mitbewerber durchsetzen (Taxe 500.000 bis 700.000 EUR). Aus dem Expressionismus reüssierten weiterhin Conrad Felixmüllers kubistisch zergliederte Figurenkomposition „Balkon am Abend“ von 1918 bei 250.000 Euro (Taxe 180.000 bis 240.000 EUR), Ernst Ludwig Kirchners Blumenstillleben „Verblühte Tulpen“ von 1914 bei 360.000 Euro (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR) oder Hermann Max Pechsteins bunte, akkurat aufgereihte „Fischerkutter“ von 1923 an der Ostsee bei 380.000 Euro (Taxe 250.000 bis 350.000 EUR).
Da fiel es fast schon auf, dass für Max Beckmanns „Holländischen Radfahrerweg“ von 1940/42 die Gebote schon an der untere Schätzgrenze von 300.000 Euro stockten. Als Zeichner tat sich Egon Schiele mit einem flüchtigen existenziellen Selbstportrait von 1913 bei 200.000 Euro hervor (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR), als Druckgrafiker Edvard Munch mit seinem Holzschnitt „Mädchen auf der Brücke“ von 1918 in reicher Farbvariante bei 320.000 Euro (Taxe 160.000 bis 200.000 EUR). Und auch André Derain schaffte mit seiner 1908 gemalten, nachfauvistischen dunklen Landschaft „Arbres aux environs de Martigues“ eine Verdreifachung der Erwartung auf 300.000 Euro.
Ein Millionenfest
Zugkräftig in der Nachkriegsepoche erwies sich Ernst Wilhelm Nay, angefangen bei der Werkreihe der „Hekate-Bilder“ mit dem „Maurischen Mädchen“ von 1948 für 320.000 Euro (Taxe 90.000 bis 120.000 EUR) über die „Rhythmischen Bilder“ mit „Omikron“ von 1952 bei 380.000 Euro (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR) bis zu dem Scheibenbild „Chromatische Ketten“ von 1954 für 340.000 Euro (Taxe 300.000 bis 400.000 EUR). Noch ungestümer und hitziger brachte Nays Informel-Kollege Emilio Vedova 1962 die Farbe für „Ciclo 1962 BB4“ auf den Bildträger und wurde nun mit 510.000 Euro geehrt (Taxe 120.000 bis 150.000 EUR). Aber auch ruhige Farbwelten waren gefragt, so Pierre Soulages’ horizontal ausgerichtete „Peinture 54 × 73 cm, 26 septembre 1981“ mit breit lagernden Balken in Schwarz, unterbrochen nur von ein wenig Weiß und Mittelbraun, bei 550.000 Euro im oberen Schätzbereich. Rupprecht Geiger gesellte sich mit seiner tiefrot glühenden Leinwand „377/62“ von 1962 hinzu, die nun mit 160.000 Euro den Spitzenplatz in seinem Auktionsranking besetzt (Taxe 50.000 bis 70.000 EUR). Die österreichische Aktionskunst hatte mit einem frühen blutroten Schüttbild von Hermann Nitsch aus dem Jahr 1963 einen gewinnbringenden Auftritt bei 240.000 Euro (Taxe 70.000 bis 90.000 EUR).
Fast alles, was am 10. Juni im Hauptteil der Abendauktion verkauft wurde, schwang sich in die Sechsstelligkeit auf. Von den 51 Objekten erreichten nur fünf die Grenze von 100.000 Euro nicht. Zu den Gewinnern gehörten etwa Eduardo Chillidas annähernd quadratische Tonplatte „Óxido G-150“ mit runden Löchern und teils schwarz gefassten rechteckigen Erhebungen und Vertiefungen für 160.000 Euro (Taxe 70.000 bis 90.000 EUR) oder Konrad Klapheck mit seinen der Realität seltsam enthobenen Maschinenbildern, die für menschliche Beziehungen und Emotionen stehen. So kletterte seine in ungewöhnlicher Perspektive aufgenommene Wenderolle „Zuversicht“ von 1976 von 70.000 Euro auf 210.000 Euro, seine sirenenartige und mit der Aufschrift „Alarme“ versehene Konstruktion „Im Zeichen der Angst“ von 1963 von 80.000 Euro auf 310.000 Euro. Karin Kneffel gab ihr fotorealistisches Stillleben mit riesigen, knackig grünroten Äpfeln von 1996 erst bei 150.000 Euro ab (Taxe 90.000 bis 120.000 EUR).
Für die beiden übrigen unerwarteten Millionenwerte sorgten dann Georg Baselitz und Gerhard Richter, Baselitz mit seinem auf dem Kopf stehenden expressiven Hochformat „Waldweg“ von 1974 bei 1,1 Millionen Euro (Taxe 700.000 bis 900.000 EUR), Richter mit seinem 1988 gerakelten kleinen Farbüberlagerungen „Abstraktes Bild“ bei 1,4 Millionen Euro (Taxe 600.000 bis 800.000 EUR). Konrad Lueg, Richters früher Künstlerkollege vom Kapitalistischen Realismus und späterer erfolgreicher Düsseldorfer Galerist, hatte mit zwei poppigen „Fußballspielern“ in Rückenansicht von 1964 bei 210.000 Euro seinen Auftritt (Taxe 180.000 bis 300.000 EUR), A.R. Penck mit seiner farbintensiven Strichmännchen- und Symbol-Vision „Roter Planet“ von 1999 bei 300.000 Euro (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR). Katharina Grosses lustvoll und bunt gesprühter Farbauftrag auf großformatiger Leinwand von 2016 heimste 320.000 Euro ein (Taxe 180.000 bis 240.000 EUR) und Norbert Biskys leuchtende Jungmännerfantasie „Catastroika“ von 2012 ebenfalls gute 110.000 Euro (Taxe 50.000 bis 70.000 EUR).
Andy Warhols komplette vierteilige Grafikfolge seiner „Goethe“-Adaption nach Tischbeins berühmtem Portrait hievte sich mit einer deutlichen Steigerung von 180.000 Euro auf 600.000 Euro auf das gleiche Niveau wie Roman Opalkas Zahlenbild „1965/1 - unendlich. Detail 2702874-2724888“. Die für den polnischen Konzeptkünstler typischen grau-weißen Zahlenreihen waren aber mit 400.000 bis 600.000 Euro höher angesetzt. Teuerste Skulptur wurde mit 380.000 Euro Tony Craggs auf Hochglanz poliertes Unikat „Point of View“, ein scheibenartig versetzt ausschwingendes Säulengebilde von 2008 (Taxe 250.000 bis 350.000 EUR). Für Bernar Venets „Indeterminate Line“ 1994 aus dickem rostigem aufgerolltem Stahl kamen 300.000 Euro zusammen (Taxe 150.000 bis 250.000 EUR), für Joannis Avramidis’ über drei Meter hohe Bronze „Große Trias“ von 1970 der neue Auktionsrekord von 190.000 Euro (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR).
Suche nach dem Ungewöhnlichen
In den Tagesauktionen verzeichnete Ketterer gleichfalls einige überraschende Preise. Bei der „Modernen Kunst“, die sich losbezogen zu knapp 70 Prozent absetzte und brutto 4,9 Millionen Euro einspielte, war es wiederum Ernst Ludwig Kirchner, der sich bei 460.000 Euro für sein Schweizer Bergweltgemälde „Kühe auf der Alp“ von 1918/19 bei 460.000 Euro hervorragend platzierte (Taxe 120.000 bis 150.000 EUR). Auch an Karl Hofer fanden die Kunden Gefallen und nahmen sein melancholisches „Mädchen am Fenster“ von 1943 für 140.000 Euro (Taxe 70.000 bis 90.000 EUR), seinen gleichaltrigen, ebenso stillen Landschaftsblick auf Muzzano im Tessin für 170.000 Euro mit (Taxe 30.000 bis 40.000 EUR). Rekorde gab es für deutsche Künstler aus der zweiten Reihe, so bei 75.000 Euro für den Surrealisten Edgar Ende und sein Gemälde „Die Brücke (Die Zeit)“ von 1936, auf dem bei unwirklicher Tag-Nacht-Beleuchtung mehrere Männer eine große Schale mit einem Uhrenziffernblatt über einen schmalen Holzsteg tragen (Taxe 20.000 bis 30.000 EUR). Auch für Marta Hegemann und ihre lustige dadaistische Assemblage um 1919/20 wurde mit 70.000 Euro soviel bewilligt, wie bisher noch nicht (Taxe 70.000 bis 90.000 EUR).
Bei der Abteilung „Kunst nach 1945/Contemporary Art“ lag die Verkaufsrate mit 82,2 Prozent wieder höher, das Gesamtergebnis mit 4,1 Millionen Euro aber niedriger. Hier ging es über 135.000 Euro nicht hinaus, die André Butzer für seine ungestüm und dick aufgetragene Farbschmiererei „Max von den Muppets“ aus dem Jahr 2010 generierte. Butzer begeisterte ein zweites Mal, holte sich aber dabei Unterstützung von seinen Kollegen, dem Maler Albert Oehlen und dem vor allem als Sänger und Regisseur bekannten Schorsch Kamerun, alias Thomas Sehl. 1999 schufen sie gemeinsam die stärker zwischen Abstraktion und Figuration changierende Leinwand „Schorsch Kamerun-Walker“ mit wilden New Wave-Versatzstücken und animierten die Käufer zu 115.000 Euro (Taxe je 60.000 bis 80.000 EUR). Auch hier konnte Ketterer einen Auktionsrekord aufstellen: Walter Stöhrer verknüpfte 1967 bei der Leinwand „Ania“ ebenfalls gestisch-abstrakte mit figürlichen Elementen, was nun in der oberen Schätzung von 40.000 Euro resultierte.
Die Ergebnisse verstehen sich als Zuschlag ohne das Aufgeld. |