| | in der Ausstellung „Théo Mercier: Outremonde – Dream Hunters“ | |
An den drei Tagen des Zurich Art Weekends fand in den Räumen von Luma Westbau die Performance „Dream Hunters“ des französischen Künstlers Théo Mercier statt. In einem Setting aus Sandskulpturen, für das Mercier überwiegend Matratzen und scheinbar schlafende Jagdhunde nachbildete, konnten die Gäste eine Live-Performance erleben, in der fünf Darsteller*innen vom zehnjährigen Jungen bis zum mittelalten Mann in stark verlangsamten, traumartigen Bewegungen miteinander und mit dem Material interagierten. Im Vordergrund standen Motive des Schlafens, der Wachsamkeit, der inneren Einkehr und der Jagd. Die daraus resultierende, sich verändernde Installation „Outremonde – Dream Hunters“ bliebt noch bis zum 4. September bestehen. Weitere Performances gehen Ende August im Rahmen des Zürcher Theater Spektakels über die Bühne.
Zu den teilnehmenden Veranstaltungsorten des Zurich Art Weekends zählten auch Privatsammlungen und private Stiftungen. So etwa die Tichy Ocean Foundation des Zürcher Psychiaters und Sammlers Roman Buxbaum. Hier ist der Leipziger Künstler Stefan Vogel zu Gast, der unter dem Titel „Wo der gelbe Fleck ist und das Scheitelhaar liegt, da tut es weh“ eine ortsspezifische Installation im Erdgeschoss der Stiftung konstruiert hat. Es handelt sich dabei um die vierte Station eines Ausstellungszyklus, der sich mit verschiedenen Zonen des Hauses beschäftigt. Mittlerweile ist der an Materialerforschungen und prozesshaften Vorgängen interessierte Künstler beim Thema Dach angekommen. Den Galerieboden hat Stefan Vogel mit den Materialien Dachpappe, Bitumen und Blitzableiterstangen in ein begehbares Flachdach verwandelt. An den Wänden hängen, abgesehen von zwei großen Gemälden, ausschließlich Arbeiten, die direkt vor Ort entstanden sind. Vogel untersucht unterschiedliche Konzepte des Zeichnens. Er stellt aber auch prozesshafte Arbeiten her, beispielweise in Plexiglasboxen eingebettete Stoffe, die er in unterschiedliche Flüssigkeiten, darunter Motoröl oder mit Pigmenten angereichtes Wasser, getaucht hat. Versuchsanordnungen wie diese delegieren das Malen sozusagen an das Material selbst und den gesteuerten Zufall. Werktitel wie „Drauf ziehts drunter“ oder „Ach und ächer“ belegen das Faible des Künstlers für Konkrete Poesie (bis 21. August).
In Kooperation mit der Tichy Ocean Foundation bespielt Stefan Vogel noch die im Zentrum Zürichs gelegene Wasserkirche mit der raumfüllenden Installation „Kommen, Abhängen“. Aus Dutzenden Wäscheständern hat der Künstler hier eine fast bis unter die Decke gehende, begehbare Arbeit aufgebaut, die dezidiert auf das Kirchengebäude reagiert. Alle Wäscheständer sind mit in Gips getränkten und ausgehärteten Kleidungsstücken und Zeichnungen behängt. Mit ihren subtilen Anspielungen auf den menschlichen Körper, auf Reinigungs- und Bußrituale fügt sich diese Arbeit perfekt in die Architektur des Kirchenbaus ein (bis 10. Juli).
Zwischen dem Kunsthaus Zürich und dem zentralen Bellevueplatz konzentriert sich in der Rämistrasse und der Waldmannstrasse bereits seit Jahrzehnten der etablierte Teil der Zürcher Kunsthandelsszene. Die Galerie Mai 36 setzt hier auf Lawrence Weiner und die Ausstellung „As Long as it Lasts“, die eine Vielzahl von für die Wand bestimmten Schriftarbeiten, aber auch ausgewählte Editionen des im Dezember 2021 verstorbenen Konzeptkünstlers versammelt. Daneben sind zwei Fotoporträts von Robert Mapplethorpe und Albrecht Fuchs, die Lawrence Weiner in verschiedenen Phasen seines Lebens festgehalten haben, im Angebot (bis 13. August). Eine umfangreichen Schau bei Tobias Mueller Modern Art kümmert sich dann um selten gezeigte Collagen, Papier- und Mixed Media-Arbeiten des insbesondere für seine gestickten Weltkarten bekannten italienischen Arte Povera-Künstlers Alighiero Boetti, die den Blick auf eine eher unbekannte Seite seines Werkes richten (bis 27. August).
Die Schau in der Galerie Peter Kilchmann am Standort in der Rämistrasse bietet Gemälden, Papierarbeiten und Skulpturen des griechischen Künstlers Vlassis Caniaris (1928-2011) ein Podium, darunter einer Figur aus seiner Serie „Immigrant“ von 1971/76, die einen typischen Exilanten darstellt. Dem stehen farbintensive Gemälde des 1981 geborenen kalifornischen Künstlers Raffi Kalenderian zur Seite. Seine unter anderem von Songs der irischen Post-Punk-Band Fontaines D.C. inspirierten Bilder schlagen einen visuellen Spannungsbogen von der Porträtmalerei des Schweizer Félix Vallotton aus der Moderne in das späthippieske Soziotop des Künstlers im zeitgenössischen Kalifornien (beide Ausstellungen bis 29. Juli).
Titel und Idee der Gruppenschau „Earthing“ bei Eva Presenhuber in der Waldmannstrasse stammen von dem in ihrem Programm vertretenen Künstler Ugo Rondinone. Er hat aktuelle Arbeiten von Miststreitern der Galerie ausgewählt, die sich mit Naturelementen und natürlichen Energien beschäftigen. Mit dabei sind etwa die US-Malerinnen Shara Hughes und Karen Kilimnik sowie Doug Aitken mit einem Leuchtkasten. Josh Smith beteiligt sich mit kleinen Keramikskulpturen und Gemälden, und Rondinone selbst setzt auf eine Reihe von Shaped Canvases mit Wolkendarstellungen sowie einen sitzenden weiblichen Akt aus Wachs, koloriert mit Erdpigmenten (bis 30. Juli).
Eva Presenhuber und Peter Kilchmann sind jedoch nicht nur im Viertel unterhalb des Kunsthauses ansässig, sondern auch in der Zahnradstrasse im hippen Zürcher Westen. Das ehemals von Industrie und Speditionen geprägte Maag-Areal ist seit einigen Jahren ein beliebter Standort für Galerien und Kultureinrichtungen. Eva Presenhuber präsentiert hier unter der Überschrift „Airports and Cars“ Arbeiten aus der berühmten „Airport“-Serie des Schweizer Künstlerduos Peter Fischli und David Weiss. Von 1987 bis zum Tod von David Weiss im Jahr 2012 haben die beiden Künstler immer wieder an ihren Bildern von Flughäfen gefeilt. Es handelt sich um eines der Großprojekte der künstlerischen Fotografie, das mit ähnlich umfangreichen Werkgruppen von Bernd und Hilla Becher, Ed Ruscha oder Dan Graham verglichen werden kann. Fischli und Weiss verhandeln die menschenleeren Rollfelder von Flughäfen als geisterhafte Nicht-Orte zwischen Fernweh und der Banalität des Massentourismus. Die Serie „Cars“ wiederum beleuchtet einen anderen Aspekt der Mobilität. Sie besteht aus verkleinerten Gipsskulpturen prototypischer, jedoch nicht spezifischer PKW-Modelle der 1990er Jahre, die ganz in Weiß gehalten sind (bis 30. Juli).
Bei Peter Kilchmann ist eine Soloschau der mexikanischen Künstlerin Teresa Margolles zu sehen. Eigentlich bekannt dafür, sich in ihren ebenso drastischen wie andachtsvollen Arbeiten mit dem gewaltsamen Tod von Menschen zu beschäftigen, widmet sich Margolles in der Ausstellung „Estorbo“ nun den Themen Migration und prekäre Beschäftigung. In einer Videoarbeit thematisiert sie, wie venezolanische Flüchtlinge über eine Grenzbrücke ihr Land verlassen, um jenseits der Grenze in Kolumbien ein besseres Leben anzufangen. Für die titelgebende Arbeit „Estorbo“ – soviel wie Hindernis oder Störung – porträtierte sie über 180 venezolanische Männer, die als Lastenträger arbeiten. Ihre vom Schweiß der Arbeit getränkten T-Shirts erhielt Teresa Margolles im Tausch gegen dringend benötigte andere Bedarfsgüter. Sie goss die T-Shirts dann in quaderförmige Betonkuben ein, die anschließend mit den Initialen der Porträtierten versehen und jetzt auf dem Boden des Ausstellungsraumes in Reihen aufgestellt wurden. Insofern konserviert Margolles’ Arbeit die Erinnerung an das namenlose Heer von Tagelöhnern an der kolumbianisch-venezolanischen Grenze (bis 29. Juli).
Das Zurich Art Weekend setzte einmal mehr auf die Vernetzung der unterschiedlichen Orte und Szenen innerhalb des breit aufgestellten Zürcher Kunstbetriebs. Wer möglichst viel qualitätvolle Kunst schauen wollte, hatte auch am Ende des Wochenendes noch zahlreiche Orte auf seiner To-Do-Liste stehen. Und wer stärker an inhaltlichen Auseinandersetzungen und Diskussionen interessiert war, konnte etwa an einer halbtägigen Konferenz über NFTs und das Metaverse im Kunsthaus Zürich teilnehmen, an der ETH Zürich wissenschaftlichen Vorträgen und Diskussionen über Künstliche Intelligenz beiwohnen oder aber im Schwarzen Café auf dem Löwenbräu-Areal an einem Talk mit der auf Instagram äußerst erfolgreichen amerikanischen Art-Bloggerin Jerry Gogosian aka Hilde Lynn Helphenstein über den Tod des Kunstkritikers und neue Role-Models teilnehmen.
In jedem Fall ist es Charlotte von Stotzingen und ihrem Team auch in diesem Jahr wieder eindrucksvoll gelungen, das Zurich Art Weekend zu einer festen Größe für alle Kunstinteressierten von der Kunststudentin bis zum Top-Sammler zu etablieren. Am Sonntagnachmittag ließen sich dann auch noch etliche am Zürcher Flughafen frisch eingetroffene internationale Sammler*innen mit schwarzen Limousinen zu den Galerien chauffieren, um einen ersten Vorgeschmack auf die Art Basel zu bekommen oder bereits die ein oder andere Arbeit zu erwerben.
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