 |  | Max Beckmann, Selbstbildnis gelb-rosa, 1943 | |
Es ist wohl das Verdienst von Bernd Schultz, dem scheidenden Chef des Auktionshauses Grisebach, dass Max Beckmanns „Selbstbildnis gelb-rosa“ nicht zu einem der internationalen Auktionsriesen abgewandert ist. Denn so ein Meisterwerk landet normalerweise bei Christie’s oder Sotheby’s in London oder New York. In seiner Zeit als Geschäftsführer der Galerie Pels-Leusden hatte Schultz die stoische Selbstbefragung des Expressionisten direkt aus dem Nachlass Beckmanns an eine Schweizer Privatsammlung vermittelt, die den Berliner Versteigerer, der von Schultz 1986 mit vier Kunsthändlerkollegen gegründet worden war, jetzt wieder mit der Vermittlung beauftragte. Das Gemälde aus dem Amsterdamer Exiljahr 1943 kam Anfang Dezember auf 20 Millionen Euro und ist damit das teuerste jemals auf Auktionen in Deutschland gehandelte Kunstobjekt. Veröffentlichte Grisebach zunächst, dass sich ein Bieter aus der Schweiz erfolgreich gegen Interessenten aus fünf Ländern zur unteren Schätzung durchsetzen konnte, wurde inzwischen bekannt, das Reinhold Würth das Selbstbildnis seiner umfangreichen Kunstsammlung für brutto 23,2 Millionen Euro einverleibt hat. Der 87jährige Unternehmer und Kunstmäzen will das stille frontale Portrait in seinen Museen und Ausstellungen präsentieren, wo es unter anderem auf Beckmanns Bildnis seiner Frau „Quappi in Blau im Boot“ trifft.
Bernd Schultz konnte nach der Auktion am 1. Dezember daher erfolgreich bilanzieren: „Dieses Jahrhundertwerk erzielt zu Recht einen Spitzenpreis! Mit diesem Ergebnis setzt Grisebach für den deutschen Kunsthandel eine internationale Marke und hat Berlin wieder zum Schauplatz mit Auktionsergebnissen auf Weltniveau gemacht. Diese Einlieferung und das hervorragende Ergebnis sind ein großer Vertrauensbeweis in die Expertise und Ausstrahlungskraft unseres Hauses.“ Mit seinen „Ausgewählten Werken“, bei denen knapp Dreiviertel der insgesamt 57 Positionen veräußert wurden, spielte Grisebach brutto gut 34 Millionen Euro ein. Dazu kommen die Auktionen „Moderne Kunst“ und Zeitgenössische Kunst“ vom 2. Dezember mit zusammen rund 9 Millionen Euro, womit sich das Jahresergebnis 2022 nach eigenen Angaben auf 73 Millionen Euro erhöhte und Grisebach auf das erfolgreichste Jahr seiner Geschichte zurückblicken kann.
Zwei weitere Werke drangen am 1. Dezember in die hohe Sechsstelligkeit vor: Bei Lynn Chadwicks zweiteiliger Bronzeplastik „Sitting Figures“ von 1979/80 mit den charakteristischen eckigen Köpfen orientierte sich eine Privatsammlung aus Niedersachsen an der unteren Taxgrenze von 800.000 Euro; diesen Wert verbuchte gleichfalls Otto Dix’ metallisch glänzendes, fast naives Gemälde „Katzen (Theodor Däubler gewidmet)“, die des Nachts unbekümmert auf den Dächern einer Großstadt herumklettern (Taxe je 800.000 bis 1.200.000 EUR). Sein sozialkritisches veristisches Aquarell „Mädchen mit roter Tasche“ und großen, strahlend blauen Augen von 1924 konnte sich eine amerikanische Sammlung erst bei 240.000 Euro sichern (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR). Chadwicks Skulptur und Dix’ Aquarell waren zwei Höhepunkte der Sammlung Maren Otto, die insgesamt 21 Arbeiten zu den „Ausgewählten Werken“ beitrug. Bei der Witwe des Versandhausgründers Werner Otto behaupteten sich die Arbeiten Max Liebermanns recht erfolgreich, etwa seine frühe naturalistische „Schafherde“ von 1888, die bei 360.000 Euro nach Südamerika abwanderte (Taxe 250.000 bis 350.000 EUR), oder der impressionistische „Reiter am Meer nach rechts“ von 1912, für den sich bei 650.000 Euro vor allem ein norddeutsches Museum interessierte (Taxe 300.000 bis 500.000 EUR). Der Kunsthandel übernahm Liebermanns ausdrucksvolle Zeichnung „Selbstbildnis mit Schirmmütze“ von 1923 für hohe 115.000 Euro (Taxe 30.000 bis 40.000 EUR).
Lieblinge, Ausfälle und Aufregungen bei der Sammlung Otto
Aber nicht alles, was Maren Otto zur Verfügung stellte, traf den Geschmack des Publikums. Vor allem die älteren Werke taten sich schwer und stellten sich nicht auf der Zuschlagsliste ein, darunter Philips Wouwermans um 1643 gemalte kleine „Falkenjagd“ (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR) oder die charmante Bleistiftstudie eines liegenden weiblichen Rückenakts des 1809 geborenen Dessauer Malers Franz August Schubert aus seiner italienischen Zeit zwischen 1834 und 1839 (Taxe 8.000 bis 12.000 EUR). Auch aus den drei vergoldeten Bronzegruppen, die Karl Friedrich Schinkel als Folge „Ritt der Nereiden“ von 1827 gestaltete, wurde nichts (Taxe je 50.000 bis 70.000 EUR), ebenso aus Aristide Maillols klassischem stehendem Bronzeakt „Jeune fille debout“ nach 1902 (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR). Dafür langten die Käufer etwa bei Eduard Gaertners biedermeierlich ruhigem „Blick in die Straße Unter der Linden, Ecke Charlottenstraße, mit dem Hôtel de St. Petersbourg“ von 1843 mit 460.000 Euro kräftig zu (Taxe 120.000 bis 150.000 EUR) und verdoppelten den Wert von Christian Daniel Rauchs spätklassizistischer Marmorbüste „Friedrich dem Großen nach Schadow“ auf 120.000 Euro.
Keine Probleme hatte Maren Otto auch mit Lovis Corinths flott auf die Leinwand geworfenem Portrait von „Erika“, der Tochter seines Wirts im Heiligendammer Sommerurlaub des Jahres 1916, bei 120.000 Euro (Taxe 120.000 bis 150.000 EUR) und mit Egon Schieles inniger Umarmung von „Mutter und Kind“ auf einer Kreidezeichnung des Jahres 1918 für 180.000 Euro (Taxe 180.000 bis 240.000 EUR). Anders sah dies bei Wassily Kandinsky und seinem kleinen Aquarell aus dem Jahr 1928 aus. Zwar wurde die kosmische Abstraktion für 310.000 Euro zum Doppelten der oberen Schätzung zugeschlagen, doch wollte die polnische Botschaft in Berlin sie mit der Behauptung beschlagnahmen lassen, das Werk sei 1984 im Warschauer Nationalmuseum gestohlen worden, und schickte die Polizei zum Auktionshaus in der Fasanenstraße. Wie Grisebach mitteilte, bestünden juristisch keine Ansprüche Polens auf das Werk. Dennoch habe man mit Maren Otto und dem Käufer eine ergänzende gerichtliche Überprüfung vereinbart.
Bei anderen Werken war die Aufregung nur auf den Verkauf gerichtet, etwa bei dem 1896 in Ratibor geborenen, kaum bekannten Georg Kinzer, von dem so gut wie keine Bilder mehr erhalten sind. In seinem Gemälde „Blinder Bettler“, der um 1930/33 in der Berliner Tauentzienstraße vor den vollen Warenauslagen eines großen Kaufhauses seine Streichhölzer den Passanten zum Kauf anbietet, kritisierte Kinzer mit veristischem Impetus die sozialen Missstände der Zeit. Diese eindringliche Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen Verhältnisse während der Weimarer Republik hievte die internationale Sammlerschaft von 30.000 Euro auf den Spitzenpreis von 130.000 Euro. Mit nicht ganz so sezierendem Blick verewigte Hans Baluschek in seinem Gemälde „Frühling“ von 1911 einen Vagabunden in Rückenansicht, der an einem sonnigen Tag von erhöhtem Standpunkt rauchend über eine Großstadtstraße mit Industrieanlagen und Mietskasernen sieht. Auch diese Sicht auf das proletarische Leben, die erst im Juni 2022 bei Michaan’s Auctions im kalifornischen Alameda von 4.000 Dollar auf 48.400 Dollar hochschoss, gab sich erst mit 80.000 Euro zufrieden (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR). Einen Rekordzuschlag generierte dann wieder der Belgier Victor Servranckx mit seiner vom Kubismus, Konstruktivismus und Surrealismus beeinflussten, mensch-maschinenartigen Abstraktion „Opus 9“ von 1924 bei 250.000 Euro aus US-amerikanischer Hand (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR), während sein drei Jahre jüngeres, ebenso marktfrisches „Opus 5“ von 1927 verschmäht wurde (Taxe 70.000 bis 90.000 EUR).
In Deutschland blieben dann Max Liebermanns 1929 furios gemalte Vegetationsfülle „Blumenstauden im Nutzgarten nach Nordwesten“ bei 500.000 Euro (Taxe 300.000 bis 400.000 EUR) und seine sommerliche Impression „Corso auf dem Monte Pincio in Rom“ von 1930/32 bei 300.000 Euro (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR). Hermann Max Pechsteins Urlaubserinnerung „Fischerhäuser in Nidden“, gemalt im Sommer 1909 mit wogenden Feldern unter gelb glühender Sonne, ließ sich ein Schweizer Käufer bei 450.000 Euro nicht entgehen (Taxe 400.000 bis 600.000 EUR), und seine kleinformatige Landschaft „Sonnendurchbruch“ in der dicken Wolkendecke von 1921 platzierte sich bei 110.000 Euro innerhalb der Taxgrenzen. Britischer Kunsthandel übernahm Georges Braques ausgewogenes Stillleben „Les Citrons“ von 1952 für gute 290.000 Euro (Taxe 150.000 bis 200.000 EUR).
Die Kunstströmungen nach dem Zweiten Weltkrieg starteten so richtig mit Ernst Wilhelm Nays frei schwingender „Figurale – Nausikaa“ von 1950; die informelle Komposition erreichte mit 150.000 Euro die obere Preisvorstellung. Wojciech Fangors pulsierende Kreiskomposition „B 26“ mit Op-Art-Effekten von 1965 ergänzte die ungegenständliche Suite bei 280.000 Euro (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR), ebenso Hermann Nitschs monumentale gestische „Kreuzwegstation“ von 1992 in pastosem Rot mit integriertem Malhemd bei 180.000 Euro (Taxe 180.000 bis 240.000 EUR). Zwischen Abstraktion und Figuration waren Roy Lichtensteins auf Edelstahl gedruckter „Water Lily Pond with Reflections“ von 1992 für 280.000 Euro (Taxe 220.000 bis 280.000 EUR) und Marwans Farbberg von 1975, aus dem sich dann doch ein „Kopf“ herausschält, für 120.000 Euro angesiedelt (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR).
Die Favoriten auf niedrigerem Niveau
Preislicher Höhepunkt in der Versteigerung „Moderne Kunst“ am 2. Dezember waren die 100.000 Euro, die jeweils für Karl Hagemeisters impressionistischen „Teich in der Mark mit Seerosen und Schilfhalmen“ von 1907 (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR) sowie für François Pompons stilisierte schwarze Vogelskulptur „Corbeau“ von 1928 zusammenkamen (Taxe 40.000 bis 60.000 EUR). An vorderster Front spielte auch die 1884 früh verstorebene Ukrainerin Marie Bashkirtseff mit, deren vom Realismus geprägtes zurückhaltendes Bildnis einer jungen Frau seinen Wert bei 70.000 Euro fast verdreifachen konnte. Einträglich waren zudem die 48.000 Euro für Lesser Urys abendliches pastelliges „Motiv aus dem Grunewald“ mit einigen Bäumen im Vordergrund (Taxe 12.000 bis 15.000 EUR), die 80.000 Euro für Hans Purrmanns farbleuchtende südliche Sicht auf die „Kirche in Castagnola“ von 1943 (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR) oder die 38.000 Euro für Lidy von Lüttwitz’ spätexpressionistische Holzfigur eines elegischen sitzenden weiblichen Akts (Taxe 3.000 bis 4.000 EUR). Auch Jacoba van Heemskerck van Beests demonstrierte bei ihrer gegenstandslosen Farbkomposition „No. 61“ mit amorphen, stark konturierten Formen von 1916/17 für 48.000 Euro ihre Stärke (Taxe 15.000 bis 20.000 EUR), ebenso Friedrich Schröder-Sonnenstern bei seinem 1957 gezeichneten erotischen Fantasiewesen „Mondelinchen, fortschrittliche Recordleisterin zu Lande Luft und Meer“ für rekordträchtige 52.000 Euro (Taxe 7.000 bis 9.000 EUR).
Bei der „Zeitgenössischen Kunst“, deren losbezogene Verkaufsrate mit 76,5 Prozent nur knapp unter der für die Moderne mit 78,1 Prozent lag, hatte Rosemarie Trockel das Sagen. Ihr monochromes titelloses Strickbild von 1990 in intensivem Blau entlockte einem Bieter aus den USA den oberen Schätzpreis von 400.000 Euro. Ein hoher Zuschlag von 135.000 Euro für das großformatige Aquarell „Portrait“ aus dem Jahr 1991, auf dem Martha Jungwirth aus einem Wirbel an Strichen und Punkten einen menschlichen Körper entstehen lässt, bestätigt die wachsende Bedeutung der Österreicherin am Kunstmarkt (Taxe 50.000 bis 70.000 EUR). Genauso impulsiv ging Rainer Fetting 1978 bei seinen farbkräftigen „Schlittschuhläufern“ ans Werk, die bei 130.000 Euro ebenfalls davonflitzten (Taxe 40.000 bis 60.000 EUR). Aus Martin Dislers gestischem Farbmeer von 1987 tauchten für 34.000 Euro figürliche Anklänge an Mensch und Tier auf (Taxe 15.000 bis 20.000 EUR). C.O. Paeffgens plakative und ironische Bildsprache einer „Katze“ von 1977 mit Otto-Provenienz honorierten die Bieter mit 40.000 Euro (Taxe 18.000 bis 24.000 EUR).
Aber auch rational abgeklärte Positionen erfreuten sich regen Zuspruchs, etwa Richard Paul Lohses quadratische Leinwand „12 systematische Farbreihen“ von 1945/82 (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR) oder die chromglänzende „Halbe Kugel um zwei Achsen“ seines Kollegen bei den Züricher Konkreten Max Bill von 1965/79 bei jeweils 150.000 Euro (Taxe 40.000 bis 60.000 EUR). Daran schloss sich Gerhard von Graevenitz mit seinem kinetischen Objekt einer runden drehbaren Scheibe mit applizierten beweglichen Halbkugeln unter dem Titel „Weiße Bälle auf Weiß“ von 1964 bei 40.000 Euro an (Taxe 12.000 bis 15.000 EUR). Kuno Gonschiors analytische Farbuntersuchung „Initio I“ von 2002 schaffte einen Sprung von 20.000 auf 60.000 Euro, Ulrich Erbens 1992 ebenso sachlich intendierte Malerei „Farben der Erinnerung (Ostia)“ von gleicher Basis aus auf 42.000 Euro, und Meusers titellose Stahlstele aus einem senkrecht aufgerichteten Breitflanschträger auf kleineren Sockelstück von 1988 reüssierte bei 24.000 Euro (Taxe 6.000 bis 8.000 EUR).
Die Ergebnisse verstehen sich als Zuschlag ohne das Aufgeld. |