Piktorialismus in Wien | | Heinrich Kühn, Dämmerung, 1896 | |
Die Kunstfotografie um 1900 war ein wichtiger Aspekt der Wiener Moderne. Diese These vertritt die Albertina Modern in ihrer Sonderausstellung „Piktorialismus“, die morgen ihre Türen öffnet. Ziel der internationalen Bewegung, die über drei Jahrzehnte hinweg zahlreiche Anhänger fand, war die Gleichstellung der Fotografie mit der bildenden Kunst. Kuratorin Astrid Mahler nimmt insbesondere ihre österreichischen Landsleute in den Blick und zeigt Parallelen zwischen der Kunstfotografie um 1900 und den zeitgenössischen künstlerischen Avantgarden wie dem Historismus, dem Jugendstil oder der Moderne auf. Die Schau ist außerdem ein Anlass, bislang vernachlässigte Exponate des hauseigenen Bestandes hervorzuholen und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Den Parcours ergänzen ausgewählte Objekte aus Wiener Sammlungen.
Die Schau vollzieht anhand von 104 Exponaten die Entwicklung der internationalen fotografischen Bewegung von französischen und englischen Pionieren wie Louis Jacques Mandé Daguerre und William Henry Fox Talbot über lokale österreichische Größen wie Heinrich Kühn, Hugo Henneberg oder Hans Watzek bis hin zu internationalen Vertretern wie dem Deutschen Nicola Perscheid oder dem amerikanischen Fotografen Paul Strand nach. Im Fokus steht zudem der kunstfotografische Einfluss auf die professionelle Porträtfotografie, der bis in die Zwischenkriegszeit anhielt.
Auch wenn die Einführung der Silbergelatine-Trockenplatte und Talbots Rückgriff auf das Positiv/Negativ-Verfahren die Bedienung der Kamera vereinfachte, konnten sich bei Gründung des Wiener Camera-Clubs im Jahr 1887 zunächst nur wohlhabende Amateurinnen und Amateure eine so kostspielige Freizeitbeschäftigung leisten. Dabei steht die Malerei der Fotografie sowohl in technischer – gewachstes Aquarellpapier wird als Negativmaterial verwendet – als auch in stilistischer Hinsicht Pate. In den 1880er und 1890er Jahren setzte sich nach dem Vorbild des britischen Arts and Crafts Movement auch in der Laienfotografie das Bestreben durch, die Fotografie ästhetisch und künstlerisch aufzuwerten. Dabei standen die führenden österreichischen Köpfe Kühn, Henneberg und Watzek sowohl im Austausch mit amerikanischen Fotografen wie Alfred Stieglitz und Edward Steichen als auch mit Vertretern der progressiven Wiener Kunstszene. Die aufwendige Technik des Gummidrucks ermöglichte durch wiederholte Druckvorgänge und den Einsatz verschiedener Pigmente eindrucksvolle malerische Kompositionen, die 1902 in der Wiener Secession präsentiert wurden.
Neben der Porträtfotografie, die zunehmend schlichtere Inszenierungen und eine ausgefeilte Beleuchtung bevorzugte, griff der Piktorialismus auch auf die Reisefotografie, die Botanik oder die Landschaftspanoramen über. 1907 brachten die Brüder Lumière die Autochromplatte auf den Markt, mit der die Farbe Einzug in die Fotografie hielt. Als eines der ersten kommerziellen Fotostudios, die in Wien ab der Mitte der 1910er Jahre eröffneten, übernahm das Atelier d’Ora von Dora Kallmus sowohl den aufwendigen Porträtstil als auch die Edeldrucktechniken von den Piktorialisten. Insbesondere Studierende der ehemaligen kaiserlich und königlichen Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien, neben Kallmus auch Rudolf Koppitz oder Trude Fleischmann, verhalfen der Kunstfotografie in den 1920er Jahren zu einer zweiten Blütezeit. In den Folgejahren verdrängen Fotografen wie László Moholy-Nagy, Alexander Rodtschenko und Albert Renger-Patzsch die Kunstfotografie durch gestochen scharfe, abstrakte und oberflächenorientierte Bilder und verhalfen dem „Neuen Sehen“ zum Durchbruch.
Die Ausstellung „Piktorialismus. Die Kunstfotografie um 1900“ läuft vom 3. Februar bis zum 26. April. Die Albertina Modern hat täglich von 10 bis 18 Uhr sowie mittwochs und freitags bis 21 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 14,90 Euro, ermäßigt 12,90 Euro. Für Kinder unter 19 Jahren ist er kostenlos. Begleitend zur Schau erscheint ein Katalog, der im Museumsshop für 24,90 Euro erworben werden kann.
Albertina Modern
Karlsplatz 5
A-1010 Wien
Telefon: +43 (0)1 – 534 830 |