| | Esterio Segura Moras Herzbomber und David Cernýs Mischwesen am Skulpturenplatz der Galerie Art Affair | |
Ob das nur gut geht? Im März 2004 fieberte die Kunstwelt der Eröffnung einer neuen südwestdeutschen Plattform für moderne und zeitgenössische Kunst aus den letzten 120 Jahren entgegen. Der heute 81jährige und seit 1985 auf Schloss Mochental residierende Galerist und Sammler Ewald Karl Schrade war das Wagnis eingegangen, mit viel Elan die Neugründung einer Kunstmesse zu einer Zeit zu initiieren, in der man anderswo bereits ins Straucheln geriet. Das acht Jahre zuvor etablierte Art Forum Berlin hatte seinen Zenit überschritten und schloss 2010 nach fünfzehn Ausgaben für immer seine Tore. Ähnlich ging es etwa Kunstmessen in Düsseldorf oder Frankfurt. In Karlsruhe konnte man sich behaupten: Ewald Karl Schrade hatte den sicheren Instinkt für „den Hohlraum zwischen Köln und Basel“, wie er es auf der Eröffnungspressekonferenz formulierte, setzte auf das „Sammlerland“ Baden-Württemberg und das kunstaffine Klientel im Dreieck von Frankreich, Deutschland und der Schweiz. Rechnet man das digitale Messeformat im Corona-Jahr 2021 hinzu, kann Schrade nun auf zwanzig Ausgaben der Art Karlsruhe zurückblicken. Danach ist für ihn Schluss.
Trotz vieler Kritiken an der Art Karlsruhe – etwa an der überbordenden Größe von heuer 207 Galerien aus 15 Ländern, 180 One-Artist-Shows, Sonderausstellungen und nunmehr 26 Skulpturenplätzen nebst einem Skulpturengarten im Atriumhof der Messe, insgesamt rund 1500 Künstler*innen von weltweiten Berühmtheiten bis hin zu völlig unbekannten Namen mit allzu vielen epigonalen „Looks like“ – überwog stets die Neugierde vieler Besucher*innen, sich in den weiten Tageslichthallen über Kunst und ihre Produzenten zu informieren. Die gewaltige Bandbreite des Kunstmarkts von arrivierten Positionen wie Miró, Nolde oder Picasso über Vertreter der ZERO-Gruppe bis hin zu diskussionsbedürftigen aktuellen Objekten verlangt viele differenzierte Blicke, die das von Schrade initiierte Konzept der künstlerischen Vielfalt und damit auch Beliebigkeit beinhaltet. Gerade dies soll die Funktion der Art Karlsruhe als Marktplatz mit Informations-, Diskussions- und Kontaktcharakter unterstreichen. Trotz anderweitiger Absichten haben sich viele Aussteller noch im letzten Moment entschieden, wieder mit dabei zu sein. Vermissen wird das Publikum trotzdem etwa die Konstanzer Galerie Geiger mit ihrer hochklassigen Hard Edge-Kunst, die Galerie Henze & Ketterer aus der Schweiz als Nachlassverwalter von Ernst Ludwig Kirchner oder die Mannheimer Galerie Döbele. Abgesehen von 48 ausländischen Teilnehmern kommt die Ausstellermasse aus Deutschland, wobei lediglich fünf Karlsruher Galerien einen Stand gebucht haben.
Nachhaltige Kunst und solche im Dienste der Nachhaltigkeit finden sich dezidiert im Messeprogramm bei einer Reihe von Ausstellern. Die tierischen Skulpturen des 1986 geborenen Schweizer Künstlers Matthias Garff, der von den Galeristen Tobias Schrade und Werner Tammen vertreten wird, gehören zu den Hinguckern. Aus Recyclingmaterialien und Fundstücken zusammengesetzt, wollen sie den Umwelt- und Artenschutz betonen. Nach Sonderschauen vieler prominenter Sammler wie Rik Reinking, Frieder Burda oder Peter C. Ruppert verabschiedet sich diesmal der 1941 geborene Ewald Karl Schrade mit der Vorstellung seiner eigenen Kollektion. Schrade, der bei einem Motorradunfall seine rechte Hand verlor und seine Ausstellungstätigkeit als Zweigstellenleiter einer Bank in den 1970er Jahren begann, favorisiert Künstler der Nachkriegszeit. Aus nunmehr über 50 Jahren Tätigkeit als Galerist zeigt er auf der Messe 45 private Werke von Georg Meistermann, Erich Heckel, Walter Stöhrer, Cornelia Schleime, HA Schult oder des von ihm mit entdeckten Christopher Lehmpfuhl.
Die neue Führungsstruktur steht bereits und sieht nach Schrades Abgang eine interne Leitung in der Person von Olga Blaß vor, die seit 2011 zum Team der Art Karlsruhe gehört. Die zweite Spitze besteht aus einem gestärkten externen Beirat, der mit einem leitenden Vorsitzenden am Markt agiert. Dafür wurde der Berliner Galerist Kristian Jarmuschek auserkoren. Auch er ist im Messegeschäft nicht unerfahren; hat Jarmuschek doch die Preview Berlin und später die Positions Berlin und die tourenden Paper Positions mit aus der Taufe gehoben. Zudem ist er Vorstandsvorsitzender im Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler. Eine gewisse Ämterkumulierung kann man ihm nicht absprechen. Da bleibt zu hoffen, dass Jarmuschek ebenso wie Schrade die nächsten 20 Jahre durchhält.
Als Schwerpunkt hat sich die Messeleitung in diesem Jahr die Nachhaltigkeit vorgenommen. Dies gilt nicht nur für die recycelbaren Ausstattungsgegenstände, sondern greift auch auf die künstlerischen Arbeiten über. Von Matthias Garffs skurrilen Tieren aus wiederverwendeten Gegenständen offeriert Galerist Tobias Schrade ein aus Kokosnuss, Leder, Kupfer und Schusterleisten geformtes Rotkehlchen für 2.800 Euro. Daneben hängen Objektkästen für je 900 Euro, in denen Garff putzige Käfer oder Insekten wie in der Klassifizierung einer zoologischen Schausammlung angeordnet hat. Auch der Skulpturenplatz davor ist mit Graffs Plastiken angefüllt und lässt Enten, Kraniche oder Gänse munter aufmarschieren. Ein Buntspecht aus dieser Serie ist auch bei der Berliner Galerie Tammen in der Nachbarhalle für 6.800 Euro zu erwerben.
Doch zurück zur Contemporary Art-Halle. Die Regensburger Galerie Art Affair präsentiert die studierte Ärztin und in New York sowie Budapest weitergebildete ungarische Malerin Anikó Boda. In ihren hyperrealistischen Gemälden lässt sie eine gewöhnungsbedürftige Gemengelage zwischen dem Finden eines eigenen Lebenswegs und ihren medizinische Kenntnissen durchscheinen. In dem großformatigen Werk „Chose your fate“ bringt sie für 15.000 Euro ihre Gefühle zum Ausdruck, die sie im Alter von Jesus Christus erlebte, als dieser gekreuzigt wurde. Esterio Segura Mora und David Cerný bespielen davor den Skulpturenplatz mit ihren Herzbombern und den an Bruno Gironcoli erinnernden, kräftig technoiden, großen Mischwesen.
Das Thema des Wiederverwendens und die Arbeitswelt spiegeln Installationen des 1974 geborenen Künstlers Stefan Bircheneder im Rahmen einer Einzelschau auf dem Stand der Brouwer Edition. Wer Freude an Toilettenkabinen hat, kann eine etwas heruntergekommene Dreierausgabe mit blauen Fliesen für 55.000 Euro mitnehmen, wer Duschen vorzieht, muss 45.000 Euro blechen. Daneben sorgt eine raumgreifende Installation von Fahar Al-Salih am Skulpturenplatz von Yvonne Hohner Contemporary für eine weitere Attraktion: Aus Palmenblattabfall produzierten Vogelkäfigen formte der 1964 geborene Iraker einen mächtigen Torbogen, den er als Symbol für Schutz, Heimat, Migration und Eingesperrtsein versteht.
Wer sich im 50. Todesjahr für den Jahrhundertkünstler Pablo Picasso interessiert, der sei auf ein verzerrtes Frauenporträt hingewiesen. Die Frankfurter Galerie Raphael bietet den 1962 gedruckten Linolschnitt „Jacqueline au bandeau de face“ für stolze 185.000 Euro an. Wer eher Keramiken dieses Meisters bevorzugt, kann gegenüber am Stand der Galerie Koch aus Hannover fündig werden. Die Irdenware „Petite chouette“, ein weißblau gefasster Krug mit Anklängen an eine Eule, ist hier für vergleichsweise günstige 13.000 Euro zu haben. Daneben steht die bronzene Statuette zweier sich verabschiedender Frauen. Die durch eine lineare Abstraktion bestechende Plastik von Gerhard Marcks soll 15.000 Euro einbringen.
Zu den festen Namen der deutschen Händlerszene gehört die in Erfurt und Frankfurt ansässige Galerie Rothamel, in deren Koje als Blickfang die „Irrlichter“ des gebürtigen Vietnamesen Nguyen Xuan Huy hängen. Das großformatige, von Dichte geprägte, kulissenartige Nachtbild mit zahlreichen Akten bei kryptischen Tätigkeiten spielt für 42.000 Euro sein übertriebenes Pathos aus. Aus Anlass des im nächsten Jahr gefeierten 250. Geburtstags von Caspar David Friedrich schlägt Jörk Rothamel den Bogen in die Jetztzeit: Der Japaner Hiroyuki Masuyama mixt in einer Lichtboxedition dessen Motive mit Darstellungen seiner Familie und implantiert für 12.000 Euro drei Mitglieder in Friedrichs berühmten Kreidefelsen auf Rügen.
Die Düsseldorfer Galerie Schwarzer hat einen „Kleinen Mann“ in rotem Hemd, aber ohne Eigenschaften nach Karlsruhe verfrachtet. Die Skulptur von Stephan Balkenhol verlangt 110.000 Euro. Etwas mehr als das Doppelte muss hier der Liebhaber für Gerhard Richters übermalten Offsetdruck „Kerze II“ von 1989 mit 225.000 Euro bezahlen. Nebenan haben die Stuttgarter Galerie Schlichtenmaier wie immer einen ausladenden Messestand arrangiert. Zart und fein macht hier die weltweit ausgestellte und vielfach publizierte Eilöl-Tempera-Abstraktion „A.4.Juni 64“ von Julius Bissier mit Anklängen an die ostasiatische Tuschemalerei für 55.000 Euro auf sich aufmerksam. Markanter tritt dann die „Dithyrambe auf Rot“ von Markus Lüpertz aus den frühen 1960er Jahren für 98.000 Euro in Erscheinung. Die Besucher*innen verabschiedet hier das wandfüllende, vedutenartige, fast schon surreale Konstrukt „Raum 1434-1433“ von Ben Willikens aus dem Jahr 2019, das unlängst noch im Schauwerk Sindelfingen präsent war. Nicht übersehen werden sollte die grandiose One-Artist-Show von Herbert Zangs, die der Münchner Galerist Hans Maulberger aus dessen Nachlass bestreitet. Ein seltenes Guss-Relief um 1954/55 kostet hier 168.000 Euro.
In der Halle Kunst nach 1945 und Gegenwartskunst empfängt der Franke Markus Döbele die Messeinteressenten mit einer Auswahl von Werken Max Ackermanns und will für dessen Pastell mit einer 1937 schnittig illustrierten Figurengruppe 18.000 Euro sehen. Martin Mertens aus Berlin legt einen Fokus auf Fotografien der Niederländerin Tessa Verder. In ihrer Serie „New Europeans“ porträtiert sie Migranten und bittet sie, für das Bild ihre traditionelle Tracht samt Schmuck anzulegen. Ihre Inkjet Prints auf Dibond wünschen sich jeweils 6.000 Euro. Der Minimalist Daniel Buren ist mit seinen diesmal in einem Karree arrangierten Streifenbildern auf dem Stand der Mainzer Galeristin Dorothea van der Koelen zugegen. Sowohl die gelbe, als auch die blaue Variante kosten je 150.000 Euro. Schließlich schlägt Art Affair aus Regensburg den Bogen ins aktuelle Karlsruher Geschehen, wo Markus Lüpertz vor wenigen Tagen mit dem neuen Keramikzyklus „Genesis“ in den U-Bahn-Stationen für Aufsehen und intensives Stadtgespräch sorgte. Aus den Vorzeichnungen hat Lüpertz eine vierzehnteilige Holzschnittserie erstellt, die Art Affair einzeln für 2.750 Euro, komplett für 13.900 Euro verkauft.
Die Art Karlsruhe läuft vom 4. bis zum 7. Mai und hat donnerstags von 11 bis 20 Uhr, freitags und samstags von 11 bis 19 Uhr sowie sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 25 Euro, ermäßigt 21 Euro, die Zweitageskarte 33 Euro bzw. 31 Euro und die Abendkarte ab 16 Uhr 20 Euro. Bei Online-Buchungen sind die Tickets jeweils 2 Euro günstiger.
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