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Marktberichte |
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Bei der Moderne-Auktion von Bassenge in Berlin träumt August Macke 1914 von einem sommerlichen Idyll. Die grausame Realität hatte ihn wenige Wochen später eingeholt Künstlererinnerungen
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| | August Macke, Garten am Thunersee III, 1914 | |
Es ist schon ein zartes irdisches Paradies, was August Macke im Sommer 1914 in seinem Aquarell „Garten am Thunersee“ festgehalten hat. Nichts trübt das heitere, tektonisch gestaffelte Bunt der Wiese, Pflanzen und Häuser. Die Natur ist wie in einem Glasfenster lichterfüllt, aus allem scheint die strahlende Sonne. Kurz nach der legendären Tunisreise mit Paul Klee und Louis René Moilliet im April 1914, bei der sie sich gegenseitig künstlerisch befruchteten, schuf Macke mehrere Aquarelle vom Grün im Haus Rosengarten in Hilterfingen am Thunersee und führte in ihnen Farbe, Form und Ausdruckswerte zu einer faszinierenden Synthese zusammen. „Es ist fast zu schön hier“, schrieb Macke an seinen Mäzen Bernhard Koehler nach Berlin. Und tatsächlich scheint die Schönheit dieses Idylls unverbrüchlich. Doch das trügt. Wenige Wochen später war Macke eines der frühen Opfer im Ersten Weltkrieg und fiel am 26. September 1914 im Alter von nur 27 Jahren an der Westfront in der Champagne. Das seit den 1950/60er Jahren in Berliner Privatbesitz beheimatete Blatt steht nun an der Spitze der Auktion „Moderne und zeitgenössische Kunst“ bei Bassenge und könnte die anvisierten 120.000 Euro durchaus übertreffen.
Die Lebensfreude feierte August Macke 1912 ebenso mit seinen „Drei Badenden“ im lebendigen munteren Spiel der Aquarellfarben (Taxe 30.000 EUR) oder mit seinem stilisierten schwarzweißen Linolschnitt „Begrüßung“, der später in die dritte Mappe der Bauhaus-Drucke aufgenommen wurde (Taxe 1.200 EUR), während er in seiner Federzeichnung dreier spielender Mädchen aus einem Skizzenbuch des Jahres 1914 eine eher nachdenkliche Note anschlägt (Taxe 8.000 EUR). Gut 250 Positionen hat Bassenge in den ersten Teil seiner Versteigerung zur Kunst des 20. Jahrhunderts aufgenommen, bei der nicht nur die großen Namen der Kunstgeschichte überzeugen. Zu den Gründungsmitgliedern der Berliner Secession gehörte etwa der Franzose George Mosson, der ein Blumenarrangement verschiedenfarbiger Chrysanthemen in geschlossenem, gleichwohl kontrastreichem Kolorit aus dem Jahr 1912 für 9.000 Euro beisteuert. Von dieser Gruppe spaltete sich 1910 in Berlin die Neue Secession ab, zu deren Gründern neben Pechstein und Tappert auch Harold Bengen gehörte. Seit 1905 verweilte der Expressionist gerne auf Hiddensee, wo auch um 1910 ein Sonnenaufgang über dem Meer im Spektralfarbenverlauf entstand (Taxe 2.500 EUR).
Maritime Motive bevorzugten außerdem Lesser Ury 1890 mit seinem Blick über das Meer bei Capri in den frühen Morgenstunden mit den farbigen Reflexen des Lichts auf dem Wasser und am Himmel (Taxe 15.000 EUR), Karl Hagemeister 1914 mit seiner von tosendem Wind und flackerndem Licht gezeichneten Steilküste auf Rügen unter dräuendem Himmel (Taxe 30.000 EUR) und Fidus mit seiner symbolistischen Darstellung „Der Morgen“. Der Maler, der eigentlich Hugo Höppener hieß, lässt eine weiße, über dem Meer schwebende Gottesgestalt einen nackten Mann, der in dunklem Braun der Erde verhaftet ist, mit offenen Armen empfangen (Taxe 15.000 EUR). 1924 schweifte dann Erich Heckels Blick auf einem Aquarell unspektakulär über „Felder am Meer“ in Osterholz an der Flensburger Förde (Taxe 10.000 EUR), während es ihn vier Jahre später ins Mainfränkische zog, wo er einen Weinberg auf einem wuchtigen Hügel entdeckte (Taxe 12.000 EUR). In Hiddensee lebte und arbeite auch Clara Arnheim, die dort mit Malerinnen den „Hiddenseer Künstlerinnenbund“ ins Leben rief. Ihre vier luziden Gouachen vom Strand mit Fischerbooten aus den frühen 1920er Jahre hat Bassenge auf zwei Losnummer für je 1.000 Euro aufgeteilt.
Als Jüdin überlebte Arnheim das Konzentrationslager Theresienstadt nicht, genauso wie Julie Wolfthorn, die vor allem als Portraitmalerin während der Weimarer Republik Erfolge feiern konnte. Ihr Ölgemälde „Mädchen mit Katze“ zeigt schemenhaft eine junge Frau unter breitkrempigem blauschwarzem Hut, die mit ihrer weißen Katze gedankenversunken auf einem Stuhl sitzt (Taxe 18.000 EUR). Noch weiter ins Elegische dringen sechs Radierungen mit weiblichen und männlichen Akten von Wilhelm Lehmbruck vor, die Bassenge als „Rarissimum“ verzeichnet, da es sich um frühe Abzüge oder Zustands- und Probedrucke handelt (Taxen 1.200 bis 3.500 EUR). Das dralle lustige Leben feiert dagegen Heinrich Zille mit seinen beiden gezeichneten Karikaturen „Neuordnung. Oktobertage 1918.“ von 1918 und „Die Nackttänzerin“ von 1921 für 7.000 Euro respektive 5.000 Euro. Die grafische Sektion ist bei Bassenge wieder gut ausgestattet, etwa noch mit Emil Noldes Farblithografie „Große Mühle“ von 1907/15 in einem Probedruck aus Blaugrün und Schwarz (Taxe 15.000 EUR), Otto Muellers schwarzweißer herber Lithografie „Zwei Mädchen – Halbakte“ von 1920 (Taxe 9.000 EUR) und vor allem mit dem Mappenwerk „Die Schaffenden“ mit 40 Blättern von Lyonel Feininger, Christian Rohlfs, Hermann Max Pechstein, Heinrich Campendonk, Maria Uhden, Werner Gothein oder Milly Steger. Die vier Mappen des ersten Jahrgangs 1919 in der seltenen Luxusausgabe auf Japanpapieren sollen 50.000 Euro einspielen.
Auch Freunde der Skulptur kommen bei Bassenge auf ihre Kosten. Als Personifizierung von Ruhe und Besonnenheit schuf Ernst Barlach 1936 seinen „Buchleser“ in kontemplativer Haltung, der in einem dunkelbraunen posthumen Bronzeguss für 40.000 Euro vorliegt. Ihm folgt im Katalog Käthe Kollwitz mit ihrem kompakten Bronzerelief „Die Klage“, das sie 1938 als trauernde Kopfform „Zum Gedenken Ernst Barlachs“ mit selbstbildnishaften Zügen schuf. Der posthume autorisierte Guss für die Londoner Marlborough Gallery soll 20.000 Euro erzielen. Schon in die Nachkriegszeit datiert Gerhard Marcks’ drolliger „Hockender Gnom“ von 1954 mit auffallender großer Nase, der nach Aussagen des Künstlers auf einen Eindruck vom Hamburger Hauptbahnhof zurückgeht (Taxe 6.000 EUR). Mit Michael Schoenholtz’ formreduzierter „Landschaft, gespiegelt“ aus Carrara-Marmor von 2004 (Taxe 1.200 EUR) und John Bocks Assemblage aus Magazinillustrationen mit PVC-Klebebandwucherung von 2009 streift die Skulptur auch die jüngere Gegenwart (Taxe 800 EUR).
Figuration und Abstraktion stehen sich bei der Kunst aus der Nachkriegsepoche gegenüber. So listet der Katalog eine menschenleere stille neusachliche „Toskanische Landschaft“ von Franz Lenk aus dem Jahr 1951 (Taxe 10.000 EUR) oder das bunte Treiben mehrerer Boote im Hafen von Alexandria der 1919 geborenen Ägypterin Zeinab Abd al-Hamid aus dem Jahr 1954 (Taxe 20.000 EUR), aber auch Fritz Winters schwebende blaue Farbbahnen neben einem schwarzen runden Ruhepol auf der grauen Papierarbeit „Ruhig“ von 1952 (Taxe 16.000 EUR) oder Emilio Vedovas wilde Tuschearbeit „Dal Ciclo della Paura“ mit Aussprengtechnik über Marmorierung von 1963 (Taxe 15.000 EUR). In eine gestisch-expressive Richtung geht es zudem mit dem griechischen Documenta-Teilnehmer Jannis Spyropoulos bei seiner gesteinsartigen, erdverbundenen Mischtechnik „Lyktos“ von 1961 (Taxe 8.000 EUR), während Hans Laabs bei seiner „Zeit der Mandelblüte“ eine abstrakte Frühlingsstimmung in hellem Pastellrosa entwarf (Taxe 2.200 EUR).
Der Mensch steht dann wieder bei Pablo Picasso im Mittelpunkt, der 1962 seine junge Ehefrau Jacqueline Roque ein Jahr nach der Hochzeit in dem farbigen Linolschnitt „Portrait de Jacqueline au bandeau, accoudée“ mit ihren langen schwarzen Haaren verewigte (Taxe 50.000 EUR), ebenso bei Hans Thiemann, der 1976 auf seinem Ölgemälde „Römische Abteilung“ aus der Gruppe der „Atelierbilder“ eine antike Büste und eine Frauenfigur im Empirekleid mit einem üppig wuchernden Muster überlagerte (Taxe 8.000 EUR). Ironie und Satire bringt Matthias Koeppel auf seiner Leinwand „Schöne Musik“ von 1968 ins Spiel: In einem gut bürgerlichen Wohnzimmer mit altem Tonbandgerät liegt ein Paar nach dem Liebesakt erschöpft am Boden, während ein Herr in überzeichneter fratzenhafter Mimik neben ihnen seinen Unwillen ausdrückt (Taxe 4.000 EUR). Als Chronist der Berliner Nachwendezweit erweist sich Fritz Kreidt mit seinen Bildern der vielen Baustellen in der deutschen Hauptstadt, so auch in seiner fast fotorealistischen Dachaussicht „Reporter auf dem Reichstag“ von 2009/12 (Taxe 4.000 EUR).
Die Konzeptkünstler Hanne Darboven, die eng mit Sol LeWitt befreundet war, erzählt uns 1975 eine „Kalender-Geschichte“ und widmet sich auf der mathematischen Zeichnung ihrem Lieblingsthema Zeit etwa in Quersummenberechnungen von Tagesdaten (Taxe 4.000 EUR), genauso wie bei ihrer mehrteiligen, um ein Foto bereicherten, druckgrafischen Arbeit „Für Sol LeWitt“ von 1990 (Taxe 6.000 EUR). Linie und Licht, gebunden an die Farbe Weiß, sind die zentralen Elemente in Leo Erbs Schaffen, so auch auf einem feinen minimalistischen Exemplar seiner „Linienbilder“ von 1987, auf dem sich zwei Waagrechte in Pappmaché von einem Rand zum anderen ziehen und mit ihrer kaum wahrnehmbaren Erhebung eine Schattenkante erzeugen (Taxe 5.000 EUR). Die deutsche Gegenwartskunst vertreten noch Georg Baselitz mit seiner aquarellierten Zeichnung „Schlafender Hund“ von 1998 (Taxe 15.000 EUR), Imi Knoebel mit seiner titellosen vierteiligen Farbfeldcollage von 2002, deren zentrale Felder er mit andersfarbigen vertikalen Randleisten betonte (Taxe 20.000 EUR), André Butzer mit einer Gouache samt bunten Farbverläufen in sicher gesetztem Pinselstrich aus dem Jahr 2000 (Taxe 5.000 EUR) oder Birgit Megerle mit ihrer geheimnisvollen, surreal anmutenden Szene „Das alte Leitmotiv“ in einem bühnenartigen Setting von 2007 (Taxe 2.500 EUR).
Die Auktion beginnt am 10. Juni um 14 Uhr. Der Internetkatalog ist unter www.bassenge.com abrufbar. | | Kontakt: Galerie Bassenge Erdener Straße 5a DE-14193 Berlin |
| Telefon:+49 (030) 893 80 290 | Telefax:+49 (030) 891 80 25 | | | E-Mail: info@bassenge.com | | Startseite: www.bassenge.com |
09.06.2023 |
Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Ulrich Raphael Firsching | |
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| | Weitere Inhalte: Gesamt Treffer 20 | Seiten: 1 • 2 • 3
Events (1)•Adressen (1)•Berichte (1)•Kunstwerke (16)•Im Verkauf - Events (1) | | • | Veranstaltung vom: 10.06.2023, Moderne und Zeitgenössische Kunst
II | | • | Bei: Galerie Bassenge
| | • | Bericht: Verlorenes
Paradies | | | • | Kunstwerk: Clara
Arnheim, Fischerboote am Strand – Fischer mit seinem Boot, wohl frühe 1920er Jahre | | • | Kunstwerk: Clara Arnheim, Beim Fischfang –
Vertäute Fischerboote, wohl frühe 1920er Jahre | | • | Kunstwerk: Ernst Barlach, Der Buchleser (Lesender Mann im
Wind), 1936 | | | • | Kunstwerk: August Macke, Drei spielende Mädchen, 1914 | | • | Kunstwerk: Lesser Ury, Marine Capri, 1890 | | • | Kunstwerk: Heinrich Zille, Neuordnung. Oktobertage 1918, 1918 | | |
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Ernst Barlach, Der
Buchleser (Lesender
Mann im Wind), 1936 | | Taxe: 40.000,- EURO Zuschlag: 36.000,- EURO Losnummer: 8098 | | | | | |
Käthe Kollwitz, Die
Klage (Zum Gedenken
Ernst
Barlachs/Selbstbildnis),
1938/41 | | Taxe: 20.000,- EURO Zuschlag: 15.000,- EURO Losnummer: 8099 | | | | | |
George Mosson,
Weiße, violette und
rote Chrysanthemen,
1912 | | Taxe: 9.000,- EURO Zuschlag: 9.000,- EURO Losnummer: 8032 | | | | | |
Clara Arnheim, Beim
Fischfang – Vertäute
Fischerboote, wohl
frühe 1920er Jahre | | Taxe: 1.000,- EURO Zuschlag: 800,- EURO Losnummer: 8073 | | | | | |
Hugo Höppener,
genannt Fidus, Der
Morgen, wohl um
1920/23 | | Taxe: 15.000,- EURO Zuschlag: 11.000,- EURO Losnummer: 8052 | | | | | |
Lesser Ury, Marine
Capri, 1890 | | Taxe: 15.000,- EURO Zuschlag: 27.000,- EURO Losnummer: 8007 | | | | | |
Heinrich Zille, Die
Nackttänzerin, 1921 | | Taxe: 5.000,- EURO Zuschlag: 3.500,- EURO Losnummer: 8014 | | | | | |
Heinrich Zille,
Neuordnung.
Oktobertage 1918,
1918 | | Taxe: 7.000,- EURO Zuschlag: 7.000,- EURO Losnummer: 8013 | | | | | |
Wilhelm Lehmbruck,
Aktstudie (Junges
Weib, sich
umwendend), 1912 | | Taxe: 2.500,- EURO Zuschlag: 4.800,- EURO Losnummer: 8026 | | | | | |
August Macke, Drei
Badende, 1912 | | Taxe: 30.000,- EURO Zuschlag: 31.500,- EURO Losnummer: 8036 | | | | | |
Julie Wolfthorn,
Mädchen mit Katze | | Taxe: 18.000,- EURO Zuschlag: 16.000,- EURO Losnummer: 8071 | | | | | |
Clara Arnheim,
Fischerboote am
Strand – Fischer mit
seinem Boot, wohl
frühe 1920er Jahre | | Taxe: 1.000,- EURO Zuschlag: 800,- EURO Losnummer: 8072 | | |
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