Illustrer Gast: Sammlung Niescher in Hamburg Erst vor kurzem brachten Objekte der Wiener Werkstätte aus der ehemaligen Sammlung Niescher Rekordwerte im Düsseldorfer Auktionshaus Hargesheimer, nun stellt das Ernst Barlach Haus in Hamburg die Kollektion moderner Kunst des Chemnitzer Unternehmers vor. Dabei stützt es sich auf die Kunstsammlung Gera; denn dort ist die in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend vor den Augen der Öffentlichkeit verborgene Privatsammlung seit 2021 als Dauerleihgabe beheimatet. Aus diesem Bestand an rund 520 Gemälden, Zeichnungen, Aquarellen und Skulpturen von 30 Künstlerinnen und Künstlern stellt das Barlach Haus nun rund 70 Werke vor, die einen exquisiten Überblick über die deutsche Kunst zwischen den Polen von Expressionismus, Bauhaus und Neuer Sachlichkeit bieten.
Fritz Niescher, Jahrgang 1889 und Mitinhaber einer prosperierenden Margarinefabrik, interessierte sich ab den 1920er Jahren für die damals zeitgenössische Kunstproduktion und baute sich ein facettenreiches Kaleidoskop der Moderne auf. Einer seiner Favoriten war Ernst Barlach. 1929 erwarb Niescher eine erste Handzeichnung, bis 1932 folgten sechs weitere. 1939/40 gelang ihm ein Coup: aus dem Nachlass Barlachs übernahm Niescher auf einen Schlag 63 Werke. Bis 1965 wuchs seine Barlach-Sammlung auf 91 Zeichnungen und einige plastische Arbeiten an. Ein weiterer Hauskünstler und enger Freund des Sammlers war Otto Dix, den Niescher während der Nazi-Zeit mit Aufträgen und Ankäufen unterstützte. So schuf der Künstler für einen Gartenpavillon auf dem Grundstück des Fabrikanten 1938 das Gemälde „Orpheus und die Tiere“, eines seiner wenigen Wandgemälde, das 1945 bei Bombenangriffen aber vollständig zerstört wurde. Zwischen 1933 und 1939 wuchs Nieschers Kunstsammlung auf mehr als sechzig Dix-Werke an, darunter fünf Gemälde sowie über fünfzig hoch empfindliche und deshalb heutzutage nicht ausleihbare Silberstiftzeichnungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte noch das umfangreiche lithografische Spätwerk des Künstlers.
Als wichtiges Dix-Werk ist die großformatige Vorzeichnung für das 1934 entstandene Gemälde „Triumph des Todes“ nun in Hamburg zu sehen. Der mehrteilige Karton ist heute Fragment: Zwei der ursprünglich sechs Teile dieser Lebensalter-Allegorie wurden im Herbst 1945 von sowjetischen Soldaten vor den Augen Nieschers zerrissen. Dazu treten Aquarelle von George Grosz, die den Blick auf den Verismus in der Sammlung abrunden. Ein farbkräftiges Blumenstilleben Emil Noldes, späte Landschaften des Brücke-Malers Karl Schmidt-Rottluff oder Akte von Otto Mueller und Karl Hofer stehen für expressive Tendenzen. Geometrische Konstruktion und feines Linienspiel wiederum charakterisieren die Zeichnungen der beiden langjährigen Bauhaus-Lehrer Lyonel Feininger und Paul Klee. Eine Ergänzung zu den malerischen Arbeiten bilden die Kleinplastiken in Nieschers Sammlung, darunter Aktfiguren von Aristide Maillol und Georg Kolbe oder die Tierplastiken von Renée Sintenis.
Die Ausstellung „Dix, Grosz, Barlach, Klee – Illustre Gäste aus der Sammlung Niescher“ läuft bis zum 28. Januar 2024. Das Ernst Barlach Haus hat dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 9 Euro, ermäßigt 7 Euro; für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre ist er frei.
Ernst Barlach Haus
Baron-Voght-Straße 50a
D-22609 Hamburg
Telefon: +49 (0)40 – 82 60 85 |