Mit Personalen, die Werken von Kiki Kogelnik, Helmut Newton, David Hockney und Rebecca Horn galten, hat sich das Wiener Kunstforum in den vergangenen zwei Jahren vorrangig international bekannten Künstlerpersönlichkeiten gewidmet. Die aktuelle Schau macht da keine Ausnahme. Mit „Robert Motherwell – Pure Painting“ werden Arbeiten eines wichtigen Vertreters des Abstrakten Expressionismus vorgestellt. Überfällig? Entbehrlich? Seit 25 Jahren, so wird es in der Ankündigung zur Ausstellung betont, hat es in Europa keinen Überblick über Motherwell gegeben. Die letzte Schau in Österreich, die im 1976 im Museum Moderner Kunst zu sehen war, fand vor fast 50 Jahren statt. Der 1915 in den USA geborene Maler wird zwar immer wieder erwähnt, wenn von seinen Mitstreitern und Freunden Barnett Newman, Mark Rothko, Clyfford Still oder Jackson Pollock die Rede ist, aber sein Œuvre ist weniger bekannt als das der Kollegen, und nur wenige seiner Werke sind hierzulande in öffentlichen Sammlungen vertreten.
Die mit rund 40 Werken ausgestattete Schau wurde in Kooperation mit dem Modern Art Museum of Fort Worth in Texas organisiert. Die Leihgaben stammen aus Sammlungen und Museen der ganzen Welt, unter anderem aus dem Guggenheim Museum, dem MoMA in New York, dem Museo Reina Sofia in Madrid sowie ein Gemälde aus dem Wiener Museum Moderner Kunst. Dieses gehört zu einer der wichtigsten Werkgruppen von Robert Motherwell, die er ab dem Jahr 1948 begonnen und bis zu seinem Tod 1991 mit 150 Arbeiten fortgesetzt hat. In „Elegies to the Spanish Republic“ beschäftigte sich der Künstler intensiv mit dem Spanischen Bürgerkrieg und prangerte so metaphorisch Unrecht aller Art, Gewalt und Menschenrechtsverbrechen an. „The Spanish Death“ lautet der Titel des am 30. August 1975 fertiggestellten Gemäldes, das im Hauptraum des Wiener Kunstforums und zusammen mit weiteren Arbeiten aus der Werkserie präsentiert wird. Es entstand nur knapp drei Monate vor dem Tod General Francos, der Spanien 1936 in den Bürgerkrieg gerissen hatte und dort nach dem Sieg der aufständischen Nationalisten bis zu seinem Tod 1975 diktatorisch regierte.
Motherwell nahm den Ausbruch des Bürgerkrieges während seiner Studienzeit in Kalifornien zwar nur aus der Ferne wahr, doch seit einer ausgedehnten Reise, die er als Zwanzigjähriger nach Frankreich, Italien, die Schweiz, Deutschland, die Niederlande und England unternommen hatte, sowie durch seine Beschäftigung mit der modernistischen Kunst und Literatur fühlte er sich den europäischen Avantgarden eng verbunden. Im New York der 1940er Jahre trat der junge Maler schließlich in Kontakt zu exilierten Vertretern der Pariser Surrealisten, zu Max Ernst, Marcel Duchamp, André Breton, André Masson und Wolfgang Paalen sowie zu dem aus Chile stammenden Roberto Matta; mit ihnen begegnete er bereits renommierten Künstlerkollegen, die eine nicht unwesentliche Rolle dabei spielten, dass Motherwell und andere Künstler seiner Generation eine von Grund auf erneuerte Malerei entwickelten, die schließlich unter dem Schlagwort „Abstrakter Expressionismus“ bekannt wurde.
In „The Spanish Death“ von 1975 dominieren mächtige schwarze Farbfelder über einem hellen Bildgrund und provozieren einen intensiven Farb- und Formkontrast. Die dunkle Form scheint alles andere im Bild zu verdecken und zu verdrängen. Motherwell beschrieb die Bilderserie später als „general metaphors of the contrast between life and death, and their interrelation“, als „allgemeine Metaphern für den Gegensatz zwischen Leben und Tod und deren Beziehung“. Anders als Pablo Picasso, der sich der Bestialität des Krieges 1937 mit seinem berühmten Werk „Guernica“ auf figürliche Weise zuwandte, entschied sich Motherwell mit „The Spanish Death“ für eine ungegenständliche Gestaltung, deren Sinn sich nicht durch das Instrumentarium herkömmlicher Ikonografie erschließen lässt. Durch seinen Bildtitel erhält das Gemälde eine im Motiv selbst nicht eindeutig indizierte, sondern allenfalls formal evozierte Bedeutung. Vor allem ist es aber die Malerei selbst, die Interaktion von Farbe und Form, aus der sich die spezifische Stimmung des Bildes erklärt.
Aus Motherwells Sicht wurde der Krieg zu einer Metapher für alles Unrecht. Seine „Elegien an die spanische Republik“ konzipierte er als Gedenken an das menschliche Leid und als abstrakte Symbole für den unaufhaltsamen Kreislauf von Leben und Tod. Seine Anspielung auf die menschliche Sterblichkeit durch eine nichtreferentielle Bildsprache zeugt von seiner Bewunderung für den französischen Symbolismus, eine Wertschätzung, die er mit seinen Malerkollegen des Abstrakten Expressionismus teilte. Motherwell ließ sich insbesondere von der Vorstellung des symbolistischen Dichters Stéphane Mallarmé inspirieren, dass ein Gedicht nicht ein bestimmtes Wesen, eine Idee oder ein Ereignis beschreiben sollte, sondern vielmehr die emotionale Wirkung, die es erzeugt. Über die Elegien sagte Motherwell: „Nachdem ich sie eine Zeit lang gemalt hatte, entdeckte ich das Schwarz als eines meiner Themen - und mit dem Schwarz, dem kontrastierenden Weiß, einen Sinn für Leben und Tod, der für mich ziemlich spanisch ist. Sie sind im Wesentlichen das spanische Schwarz des Todes, kontrastiert mit dem schillernden Sonnenlicht à la Matisse.“
Diese und andere Bemerkungen Motherwells zur Entwicklung seiner „Elegien“ zeigen, dass die Form der Ikonografie vorausging. Wenn man bedenkt, dass die Serie auf eine Tuscheskizze aus dem Jahr 1948 zurückgeht, die zu einem Gedicht von Harold Rosenberg angefertigt wurde, das nichts mit dem Spanischen Bürgerkrieg zu tun hatte, und dass ihre kompositorische Syntax immer intensiver wurde, scheint es umso offensichtlicher, dass die „Bedeutung“ jedes Werks der Serie subjektiv ist und sich im Laufe der Zeit entwickelte. Motherwell hat später mehrfach darauf hingewiesen, welche Mühe er auf Titel verwandte, um die gewünschten Assoziationen auszulösen – mit dem Ergebnis, dass für fast identische Bilder ganz verschiedene Metaphern herauskommen konnten.
Persönliche Befindlichkeiten thematisierte der Maler zum Teil in seinen frühen Werken, als er sich von der Gegenständlichkeit der 1940er Jahre und dem Einfluss von Pablo Picasso und Joan Miró verabschiedete und zunehmend zu seiner abstrakten Sprache fand. In einer 1955/57 entstandenen Serie verarbeitete er in die Trennung von seiner zweiten Frau Betty Little in farbintensiven, abstrakten Kompositionen, in die er bilddominierend die titelgebenden Worte „Je t’aime“ einfügte.
Kuratorin Evelyn Benesch präsentiert Robert Motherwell in der Schau als das intellektuelle Pendant zum medienwirksamen Jackson Pollock. Sie weist insbesondere auf sein Philosophiestudium, die intensive Beschäftigung mit Literatur und seine Tätigkeit als Kunstkritiker hin, der über Jahre die berühmten „Documents of Modern Art“ herausgab, Zeitschriften redigierte, später Kunstschulen gründete und als Integrationsfigur in der sich herausbildenden amerikanischen Kunstszene eine wichtige Rolle spielte. Vorgeführt wird ein Künstler, der zwar spät zur Malerei kam, aber schnell Erfolg hatte. Seine erste Einzelausstellung fand 1944 in der Museumsgalerie „Art of This Century“ der wichtigen Mäzenin Peggy Guggenheim statt. 1965 widmete ihm das Museum of Modern Art in New York mit nur 50 Jahren eine Retrospektive. Die Ausstellung mit rund 70 Werken aus den 1940er Jahren bis 1965 war anschließend im Stedelijk Museum in Amsterdam, in der Whitechapel Art Gallery in London, im Palais des Beaux-Arts in Brüssel, im Museum Folkwang in Essen und in der Galleria Civica d’Arte Moderna in Turin zu sehen. Zuvor war Motherwell an der legendären Ausstellung „New American Painting“ beteiligt, die Werke von siebzehn abstrakt-expressionistischen Künstlern in acht westeuropäischen Metropolen und anschließend im Museum of Modern Art in New York zeigte. Die von Dorothy Canning Miller, der einflussreichen Kuratorin des MoMA, zusammengestellte Show veränderte das Bild Europas von der Kunst der USA.
Zurückzuführen ist der immens schnelle Aufstieg der „New York School“ auf eine Reihe von begünstigenden Faktoren. Durch den Krieg zur Emigration nach New York gezwungene europäische Künstler spielten hier genauso eine wichtige Rolle wie staatliche Förderprogramme für Künstler im Rahmen des New Deal, eines engen Netzwerks von Künstlern, Kritikern, Galerien und Museen, sowie das Aufkommen der modernen Massenmedien. Von besonderer Bedeutung war aber auch das Engagement verschiedener staatlicher Institutionen, die in der eigentlich als unpolitisch geltenden abstrakt-expressionistischen Kunst bestimmte amerikanische Eigenschaften ausgemacht hatten. Die abstrakten Gemälde konnten so als Gegenstück zum Sozialistischen Realismus der Sowjetunion inszeniert und somit letztlich als kulturelle Propagandawaffe im Kalten Krieg funktionalisiert werden. Dass die Werke des Abstrakten Expressionismus einen derart erfolgreichen Siegeszug durch die Museen der Welt unternahmen, wäre ohne die Ausstellungspolitik des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes wohl deutlich schwieriger geworden. Dieser hatte gleich nach der Gründung 1947 umfangreiche kulturelle Aktivitäten in Europa unternommen. Als offizielle Basis für seine Kulturpolitik benutzte die CIA den „Kongress für kulturelle Freiheit“, der 1950 im West-Berliner Titania-Palast von einer Gruppe antitotalitärer liberaler Intellektueller gegründet wurde. Die Mitgliederliste des „Committee for Cultural Freedom“ umfasste mehrere hundert Einträge, darunter auch bekannte Namen wie William Baziotes, Jackson Pollock und Robert Motherwell.
Diese Liaison von kulturellen Entscheidungsträgern und der amerikanischen Außenpolitik klammert die Wiener Ausstellung allerdings ebenso aus wie die Synergien, die beispielsweise aus der Beziehung mit Helen Frankenthaler entstanden, mit der Robert Motherwell zwischen 1958 bis 1971 verheiratet war. Die Retrospektive präsentiert eine ansprechend und chronologisch inszenierte Auswahl, die allerdings wenig von der Erregung nachklingen lässt, die Motherwell Riesenformate vor Jahren auszulösen vermochten. Die Ausstellung setzt ganz auf die Akzentuierung des künstlerischen Ansatzes einer „reinen, minimalistischen Malerei der Strenge und Reduktion“, mittels der der Maler Emotionen in „pure paintings“ übersetzte. Sie dockt damit an ein Statement an, das Robert Motherwell und Harold Rosenberg schon 1947 für die erste Ausgabe der Zeitschrift „Possibilities“ postulierten: „Political commitment in our times means logically – no art, no literature.“ Dabei wäre bei einer Präsentation der Werke von Robert Motherwell im Jahr 2023 durchaus die Frage spannend gewesen, wie es dazu kommen konnte, dass eine Kunst, die sich hartnäckig als unpolitisch verstand, als derart wirkungsvolles politisches Instrument benutzt werden konnte.
Die Ausstellung „Robert Motherwell – Pure Painting“ ist bis zum 14. Januar 2024 zu sehen. Das Bank Austria Kunstforum Wien hat täglich von 10 bis 19 Uhr, freitags bis 21 Uhr, an Heiligabend von 10 bis 14 Uhr, an Silvester von 10 bis 16 Uhr und an Neujahr von 12 bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 12 Euro, für Senioren 9 Euro und für 17- bis 27jährige 6 Euro, darunter 4,50 Euro. Der Katalog aus dem Hatje Cantz Verlag kostet im Bank Austria Kunstforum 37 Euro. |