Fritz Winter endlich in Kassel  |  | Fritz Winter, Komposition vor Blau und Gelb, 1955 | |
Lange hat es gedauert: Eigentlich sollte die Schau „Fritz Winter. documenta-Künstler der ersten Stunde“ schon 2020 in Kassel stattfinden. Doch dann kam die Corona-Pandemie dazwischen, und die Präsentation zum Schaffen einer der Galionsfiguren in der bundesdeutschen Nachkriegskunst musste verschoben werden. Mit der heute startenden Ausstellung zeichnet Kuratorin Anna Rühl in der Neuen Galerie Winters künstlerischen Weg und seine vielfältigen Verbindungen mit der Documenta und der Stadt Kassel nach. Im Zentrum stehen die ersten drei Documenta-Ausgaben in den Jahren 1955, 1959 und 1964, an denen Fritz Winter maßgeblich beteiligt war. Dafür konnte sie mit den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und der dort angesiedelten Fritz-Winter-Stiftung sowie dem Fritz-Winter-Haus in Ahlen und dem Documenta Archiv zusammenarbeiten. Zu den rund 90 Kunstwerken aus Malerei, Grafik und Bildwirkerei zählen signifikante Arbeiten Winters, mit denen er auf der Documenta vertreten war.
Geboren 1905 in Ahlen, ging Fritz Winter 1927 zum Studium ans Bauhaus nach Dessau. Als Verfechter einer abstrakten Kunst fand er ab 1933 in Deutschland keine Ausstellungsmöglichkeiten mehr. Nach dem Krieg gehörte Winter dann zu den Gründungsmitgliedern der Gruppe der Gegenstandslosen, später ZEN 49, die für eine künstlerische und moralische Erneuerung eintrat, und war einer der Protagonisten des Informel. Am 1. Mai 1955 übernahm Winter eine Professur an der Werkakademie in Kassel an, wo er bis 1970 lehrte. In den folgenden Jahren arbeitete er eng mit dem Documenta-Gründer Arnold Bode zusammen und war zunehmend in die Entscheidungs- und Organisationsstrukturen der Großausstellung eingebunden. So hatte Winter auf der ersten Documenta 1955 einen fulminanten Auftritt. Mit seinem eigens für diesen Anlass geschaffenen, sechs Meter breiten Gemälde „Komposition vor Blau und Gelb“, das 2022 aus seinem Nachlass für die Neue Galerie angekauft werden konnte, trat er als einer der wichtigsten Vertreter der abstrakten Malerei auf. Als zentrale Rauminstallation im Malereisaal des Museums Fridericianum inszeniert, hing das geschichtsträchtige Werk gegenüber Pablo Picassos „Mädchen vor einem Spiegel“ aus dem MoMA. Mit dieser Präsentation wurde der Anschluss der westdeutschen Malerei an die internationale, unter den Nazis verhinderte Kunstentwicklung eindrücklich demonstriert.
Auf der zweiten Documenta 1959 zog Winters monumentaler, ebenfalls abstrakter Wandteppich mit markanten Farbformen in der Halbrotunde des Fridericianums die Blicke auf sich. Zudem war neben zahlreichen Gemälden eine Gruppe von Serigrafien Winters aus dem Jahr 1950 zu sehen, die zu den ersten in Deutschland entstandenen künstlerischen Siebdrucken zählen. Zur Documenta 3 präsentierte Fritz Winter dann keine aktuellen Werke, sondern eine Folge großformatiger, dunkelgrundiger Papierarbeiten aus dem Jahr 1933, die er nie zuvor gezeigt hatte. Diese von den Nationalsozialisten als „entartet“ diffamierten Werke hielt er über Jahre in eigens gebauten Verschlägen auf dem Dachboden seines Bauernhauses in Dießen am Ammersee versteckt. Die mächtigen amorphen Kompositionen basieren auf den Strukturen seiner Zellen- und Sternbilder, in denen er, interessiert an den bildgebenden Verfahren der Naturwissenschaften wie Mikroskop und Teleskop, den Ursprung des Lebens mit den Weiten des Weltalls kombinierte.
Die Ausstellung „Fritz Winter. documenta-Künstler der ersten Stunde“ läuft vom 20. Oktober bis zum 28. Januar 2024. Die Neue Galerie von Hessen Kassel Heritage hat dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr, jeden vierten Freitag im Monat zusätzlich bis 19 Uhr geöffnet. Geschlossen bleibt ab Heiligabend, ersten Weihnachtsfeiertag und Silvester. Der Eintritt beträgt 6 Euro, ermäßigt 4 Euro. Für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre ist er frei. Der Ausstellungskatalog kostet im Museum 24,90 Euro.
Hessen Kassel Heritage – Neue Galerie
Schöne Aussicht 1
D-34117 Kassel
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