| | Wilhelm Leibl, Ein Kritiker, 1868 | |
1869 gelang dem jungen Wilhelm Leibl bei der „I. Internationalen Kunstausstellung im königlichen Glaspalaste“ in München der Durchbruch. Dort präsentierte der erst 24jährige Maler, noch Schüler Pilotys an der Münchner Akademie, neben vier weiteren Gemälden sein frühes Meisterwerk „Ein Kritiker“, das im Katalog lapidar als „Genrebild“ verzeichnet war. Doch das greift zu kurz. Denn Leibl thematisierte darin seine eigene aktuelle Situation: Es zeigt genau den Moment, in dem ein junger Künstler seine Arbeit dem Urteil eines Kritikers aussetzt – und besteht! Was Leibl sich beim Malen des Werkes erträumt und erhofft hatte, wurde mit der Präsentation 1869 Realität. Unter den knapp 2.400 Werken im Glaspalast stach sein „Kritiker“ den Kritikern, aber auch seinen Künstlerfreunden, Verwandten und Sammlern ins Auge, so dass Leibl seinem Bruder kurz nach der Ausstellungseröffnung vermelden konnte: „Von vielen wird behauptet, mein Genrebild sei unter den Münchenern das Beste u. gleichfalls mein Portrait.“ Die dortigen Künstler, so berichtete Leibl später, trugen ihn im Triumph auf den Schultern, und Wilhelm von Kaulbach proklamierte ihn gar zum „Malerkönig“.
Dass ein Bild von so umfassender und auch persönlicher Bedeutung nicht oft weitergegeben wird, ist verständlich. So ist der „Kritiker“ noch im Entstehungsjahr 1868 vom Künstler direkt in Familienbesitz übergegangen, in dem er bis jetzt auch geblieben ist. Nun trennt sich eine rheinische Privatsammlung von diesem beachtlichen Debutwerk Leibls und bringt es nach gut 150 Jahren für 200.000 bis 250.000 Euro über das Auktionshaus Lempertz erstmals auf den Kunstmarkt. Humorvoll nimmt der weißrussische jüdische Maler Abel Pann in seinem „Salon“ den französischen Kunstbetrieb aufs Korn: Eine Gruppe distinguierter Herrschaften betrachtet in einer Ausstellung die Skulptur eines weiblichen Akts. Pann überzeichnet die Personen karikaturhaft, lässt einen älteren Herrn sogar sein Opernglas zücken, um die Nackerte genauer zu studieren, und charakterisiert die anderen durch ihre noch nicht überzeugten, fragenden Minen. Die schelmische Kunstbetrachtung von 1910 soll 30.000 bis 40.000 Euro einbringen.
Alte Meister
Die beiden Kataloge zur Auktion „Alte Kunst und 19. Jahrhundert“ hat Lempertz wieder gut gefüllt. Zeitlich beginnt es am 18. November mit spätgotischer Tafelmalerei, etwa mit dem ab 1450 in Köln nachweisbaren Jüngeren Meister der heiligen Sippe, der auf seinem Altargemälde die Apostel Simon Zelotes und Jakobus den Jüngeren vor einem wertvollen Goldbrokatvorhang in einem gotischen Raum positioniert hat (Taxe 120.000 bis 140.000 EUR). Einen ersten Höhepunkt erreicht die Offerte mit dem um 1520 in Brügge tätigen, ebenso nur mit einem Notnamen belegten Meister des heiligen Blutes. Auf seinem Flügelaltar treffen die auf einer Rasenbank vor einer weiten Hügellandschaft thronende Maria lactans, die heilige Elisabeth von Thüringen auf dem linken Seitenflügel und ihr gegenüber ein in einen vornehmen schwarzen Mantel gehüllter, anbetender Stifter aufeinander (Taxe 400.000 bis 450.000 EUR).
Erst 2019 hat die Kunsthistorikerin Isolde Lübbeke den Künstler Hans Ostendorfer aus dem Notnamenregister herausgehoben und Werke, die bis dahin unter dem „Meister der Philippuslegende“ liefen, dem Münchner Hofmaler zugewiesen, so auch seinen „Zug der Seligen“, bei dem es sich um den linken Flügel eines Retabels handelt, das wohl eine Verherrlichung oder Himmelfahrt Mariens zum Inhalt hatte. Denn die Repräsentanten des geistlichen Standes und das Volk, unter dem Lübbeke sogar ein Portrait von Ostendorfers gleichnamigen Sohn ausmacht, blicken nach oben (Taxe 70.000 bis 90.000 EUR). Bisher eindeutiger zu verorten war ein Christus als Schmerzensmann mit Dornenkrone und den Wundmalen, der auch nach dem jüngsten Gutachten des Cranach-Experten Gunnar Heydenreich „ein qualitätsvolles Werk von Lucas Cranach d.Ä. und Werkstatt“ aus den späten 1530er Jahren darstellt (Taxe 200.000 bis 240.000 EUR).
Als „flämischen Raffael“ titulierten seine Zeitgenossen Michiel Coxcie I, der sich zehn Jahr in Rom aufhielt und hier die klassische Antike und die Werke der großen italienischen Renaissance-Meister studierte. Das sieht man auch seinem italienisch inspirierten „Letzten Abendmahl“ in einem Renaissance-Palast wohl aus den 1570er Jahren an (Taxe 120.000 bis 140.000 EUR). Auch sein jüngerer Brüsseler Kollege Hendrik de Clerck ging zur Weiterbildung nach Rom und verknüpfte in seiner „Anbetung der Hirten“ die italienische Figurenkultur des 16. Jahrhunderts mit einem nordalpinen Manierismus (Taxe 120.000 bis 160.000 EUR). Aus dem flämischen Barock stammt dann eine „Heilige Familie“ mit dem kleinen Johannes dem Täufer und seinen Eltern, die Jacob Jordaens in drei Versionen ausführte und so lebensnah in einer fast derben familiären Häuslichkeit anlegte, dass der religiöse Gehalt nur in dem zart angedeuteten Heiligenschein um dem blumenbekränzten Kopf des Jesusknaben aufschimmert. Das um 1620 in Antwerpen entstandene Werk befand sich über zwei Jahrhunderte im Besitz einer westfälischen Adelsfamilie, wurde 2012 bei Lempertz schon einmal für 450.000 Euro netto gehandelt und tritt nun für 300.000 bis 400.000 Euro erneut an.
Gut aufgestellt ist die Auktion bei der Stilllebenkunst. Während Cornelis de Heem bei seinem Arrangement aus Pfirsichen und Kirschen auf einem Silberteller, ergänzt um Nüsse, Trauben, Orangen, Mispeln und andere Früchte sowie eine Sonnenblume, in hoher Prachtentfaltung schwelgt (Taxe 180.000 bis 220.000 EUR), legt sich Willem Claesz Heda bei seinem Römer in einer Steinnische samt venezianischem Flötenglas, Silberbecher und blauweißer Schale mit geschälter Zitrone von 1649 feine Zurückhaltung auf (Taxe 160.000 bis 180.000 EUR). Dazwischen rangiert Georg Flegels wohl geordnete Mahlzeit mit einem Teller Erdbeeren, Walnüssen, Brot, Butter und Wein (Taxe 60.000 bis 70.000 EUR). Über den 1678 in Stockholm geborenen Schweden Magnus Rommel ist nicht viel bekannt. Von seinem malerischen Können zeugen zwei schlichte Stillleben mit Wein- und Bierglas, Austern und Räucherwerk, die Rommel 1731 in Gouache auf Papier als Pendants ausgeführt hat (Taxe 14.000 bis 18.000 EUR). Das Thema der Vanitas bedient Edwaert Collier mit seiner frühen Komposition von 1661 und betont die Vergänglichkeit alles Irdischen mit dem erloschen Licht eines Kerzenständers, dem Totenschädel, der Uhr, dem umgestürzten Römer, den Musikinstrumenten samt Notenblättern und dem aufgeschlagenen Buch „Geschichte der gläubigen Märtyrer“ (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR). Eine Mischung aus Figurenstück und Stilllebenmalerei ist der Fischer an einer Küste mit einem Korb voller Fische, für das die jüngste Zuschreibung die Neapolitaner Massimo Stanzione und Giovanni Battista Recco verantwortlich macht (Taxe 100.000 bis 140.000 EUR).
Auch Landschaftliches bietet der Katalog, passend zur kommenden Jahreszeit unter anderem Isaac van Ostades „Winter in Holland“ mit zahlreichen einfachen Leuten beim Vergnügen auf dem zugefrorenen Fluss vor einer Stadt (Taxe 340.000 bis 400.000 EUR). Auch Jan Havicksz Steen hat in seine Flusslandschaft mit einem Turm zahlreiche Bauern bei ihrer Tätigkeit oder bei der Rast integriert (Taxe 140.000 bis 160.000 EUR). Noch reger ist das Treiben an einem Markttag in einem Dorf, in das Philips Wouwerman einmal nicht sein sonst obligatorisches Pferd eingefügt hat (Taxe 70.000 bis 90.000 EUR). Einen konkreten Ort hat Jacques d’Arthois auf seiner Holztafel eingefangen: das im 15. Jahrhundert erbaute, heute nicht mehr existente Hôtel de Nassau auf dem Coudenberg bei Brüssel, vor dem wohl David Teniers d.J. zwei Männer mit ihren Hunden platziert hat (Taxe 30.000 bis 35.000 EUR). Schließlich ließ Christian Georg Schütz I. 1754 seinen Blick über den Main und die alte Steinbrücke auf die beiden Stadtseiten von Frankfurt schweifen (Taxe 65.000 bis 75.000 EUR).
Skulpturen
Teuerstes Objekt in der Skulpturenabteilung ist ein norddeutsches Aquamanile der Romanik aus der Zeit um 1200. Das bronzene Gefäß in Gestalt eines zahmen Löwen, das in der Messfeier zur Handwaschung des Priesters benutzt wird, ist mit 80.000 bis 100.000 Euro veranschlagt. Die Gotik aus Frankreich steuert eine lothringische Madonna aus Kalkstein mit geringfügigsten Resten einer farbigen Fassung, bei der allerdings der Kopf des Jesuskindes fehlt (Taxe 25.000 bis 30.000 EUR), und ein Elfenbeinrelief bei. Die in Paris durchbrochen geschnitzte Arbeit mit einer Verkündigung an Maria und dem Erzengel Michael sowie Johannes dem Täufer, die von hochgotischen Architekturelementen gerahmt sind, datiert ebenfalls ins 14. Jahrhundert (Taxe 27.000 bis 30.000 EUR). Dann aber dominieren Skulpturen aus Deutschland, etwa eine markante Figurengruppe aus einer Kreuzigung Christi, die um 1480/90 wohl in Mitteldeutschland geschnitzt und gefasst wurde (Taxe 12.000 bis 14.000 EUR), oder eine gleichaltrige anmutige heilige Barbara vermutlich aus Bayern (Taxe 7.000 bis 8.000 EUR).
Künstlernamen lassen sich nur selten sicher greifen. Ein junger heiliger Johannes Evangelist mit dem Kelch in spätgotischen Formen wird dem in Ulm um 1500 tätigen Niklaus Weckmann zugeschrieben (Taxe 12.000 bis 14.000 EUR). Der 1501 in Wien verstorbene Lorenz Luchsperger soll einen stehenden Heiligen verantwortet haben, dem die Attribute fehlen und der daher nicht näher bestimmbar ist (Taxe 9.000 bis 10.000 EUR). In das Umfeld des Allgäuer Bildschnitzer Jörg Lederer, dessen Werkstatt in Kaufbeuren seit etwa 1510 Werke bis nach Südtirol lieferte, lokalisieren die Experten eine voluminöse heilige Barbara mit dem Kelch (Taxe 22.000 bis 24.000 EUR). Und auch die barocke Elfenbeinfigur des stämmigen und fleischigen Herkules mit Keule und Fell des von ihm getöteten Nemeischen Löwen kann dem flämischen Bildhauer Frans van Bossuit nur zugewiesen werden (Taxe 27.000 bis 30.000 EUR).
Neuere Meister
Neben dem Leibl-Gemälde hat das 19. Jahrhundert weitere Schätze zu bieten und startet mit einer kleinen Suite zu Jakob Philipp Hackert, der mit seiner spätklassizistischen fiktiven „Kombinationslandschaft“ aus Italien samt Fluss, Wasserfall und Hirten mit ihrer Herde von 1806 auftrumpft (Taxe 60.000 bis 70.000 EUR), aber auch mit dem im Jahr 1800 in brauner Feder und Pinsel fein gezeichneten Landschaftsausschnitt „Alle Cascine di Pisa“ mit einem Jäger und seinem Hund überzeugt (Taxe 10.000 bis 12.000 EUR). Höhepunkt der Hackert-Suite ist sein malerisch vorzüglich ausgearbeiteter weiter „Blick auf das Arnotal und Fiesole“ aus dem Jahr 1804, bei dem man nach Goethes Beschreibung „die zahlreichen Landhäuser, die Kirchen und Klöster alle wiedererkennen, jedem Pfad nachgehen, den Hügel von Fiesole besteigen, den Arno verfolgen kann…“ (Taxe 80.000 bis 100.000 EUR).
Auf diesem Preisniveau gesellen sich noch Barend Cornelis Koekkoeks stimmungsvoll schimmernde „Winterlandschaft“ von 1834 im leicht goldenen Abendlicht bei 100.000 bis 120.000 Euro und Alfred von Wierusz-Kowalskis gemütliche Fahrt eines Zweispänners in der winterlichen Abenddämmerung bei 100.000 bis 140.000 Euro hinzu. Der Winterzeit huldigte zudem Andreas Schelfhout 1845 mit seinem „Gefrorenen Flusslauf mit Schlittschuhläufern“ (Taxe 90.000 bis 120.000 EUR). Die Abendstimmung in rötlichem Licht gehört zur Sammlung Rademakers, die 2019 schon bei Koller in Zürich für Furore sorgte. Der niederländische Fernsehproduzent Jef Rademakers hat über Jahrzehnte eine einzigartige Kollektion von Gemälden der holländischen und belgischen Romantik aufgebaut, die bereits in mehreren Ausstellungen in Europa zu sehen war. Nun trennt er sich bei Lempertz von insgesamt zehn Werken, darunter noch von Johan Hendrik Louis Meijers bewegter See mit Frachtschiffen vor einer Küste von 1862 (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR), Hermanus Koekkoeks „Sturm auf der Oosterschelde bei Haamstede“ von 1845 (Taxe 15.000 bis 20.000 EUR) oder David Emile Joseph de Noters Prunkstillleben mit Blumenstrauß, Früchten, einem Hummer, einer Gans und zwei Tauben (Taxe 18.000 bis 24.000 EUR).
Auch die Portraitkunst kommt bei Lempertz zu ihrem Recht. Als Maler des europäischen Hochadels gilt der 1805 im beschaulichen Schwarzwald-Dorf Menzenschwand geborene Franz Xaver Winterhalter, der 1853 in dem Bildnis der jungen Diplomatentochter Gabrielle de Lagrené sein Können in der Behandlung der kostbaren Stoffe und in der Wiedergabe des emailhaft schmelzenden Inkarnats und der weichen dunklen Haare unter Beweis stellte (Taxe 50.000 bis 70.000 EUR). Als Sohn eines königlich-sächsischen Obersts und Generaladjutanten war Ferdinand von Rayski dazu prädestiniert, zum Chronisten vor allem des sächsischen Adels zu werden. So portraitierte er auch 1854 mit Wolf Saladin von Schönberg einen sächsischen Rittmeister im 1. leichten Reiterregiment in Freiberg (Taxe 10.000 bis 12.000 EUR). In einem historisierenden Kostüm im Stil des späten 18. Jahrhunderts mit großem federgeschmückten Hut sah Franz von Lenbach 1897 seine fünfjährige Tochter Marion beinahe schon als erwachsene Frau (Taxe 18.000 bis 24.000 EUR).
In fast identischem Kolorit schuf Carl Rottmann Jahrzehnte zuvor eine ebenfalls schemenhafte Landschaft mit einem gewaltigen Wolkenhimmel über einer in Brauntönen gehaltenen, weiten Fläche, die motivisch und kompositionell einem seiner letzten Werke außerordentlich nahesteht, dem „Schlachtfeld bei Marathon“ aus der Alten Nationalgalerie in Berlin. Auch bei dem Bild der Lempertz-Auktion dürfte sich es um eine griechische Küstenebene handeln (Taxe 30.000 bis 40.000 EUR). Konkreter lässt sich die impressionistische Landschaft verorten, die Jean-Baptiste Antoine Guillemet 1882 im Pariser Salon vorstellte: es ist der sommerliche Strand von Morsalines in der Normandie auf der Halbinsel Cotentin am Ärmelkanal, wohin sich Guillemet in den 1880er und 1890er Jahren zum Malen häufiger zurückzog (Taxe 25.000 bis 30.000 EUR). Mit dieser Bewertung steigt auch die Grafitzeichnung des Wallpavillons im Dresdner Zwinger, mit der Adolph von Menzel seiner Freude am Rokoko frönte, bei Lempertz auf das Auktionspult.
Die Auktion beginnt am 18. November um 11 Uhr. Die Besichtigung ist bis zum 17. November täglich von 10 bis 17:30 Uhr möglich. Der Internetkatalog listet die Objekte unter www.lempertz.com. |