| | Auf der Art Cologne 2023 | |
Von der Reduktion bis zum kompletten Verschwinden – so lief es für viele Kunstmessen in den letzten Jahren. Dafür poppten plötzlich neue Initiativen auf, verdrängte Althergebrachtes, waren ein Strohfeuer oder konnten sich etablieren. Die Art Cologne, gegründet 1967 als „Kölner Kunstmarkt“, gehört zu den ältesten Veranstaltungen ihrer Art und hat die Zeitläufe überdauert. Doch auch sie blieb von Veränderungen nicht verschont. Heuer geht es abermals einige Schritte rückwärts: Die Laufzeit wurde auf drei Tage reduziert, die Zahl der Aussteller verminderte sich um weitere 50 auf rund 170, die aus 400 weltweiten Bewerbungen ausgewählt wurden, die Integration der Cologne Fine Art wurde aufgegeben. Sie ist damit endgültig Geschichte. Lediglich vier Galerien mit dem Fokus auf außergewöhnliche Objekte und Design sind heuer in Köln vertreten. Denn man möchte sich „auf die Kernkompetenz fokussieren“, so der Messedirektor Daniel Hug. So verteilen sich auf zwei nicht voll bespielten Etagen Galerien aus 29 Ländern, gewichtet nach klassisch-modernen Werken inklusive der Nachkriegskunst und zeitgenössischer Kunst auf der oberen Ebene. Mit diesem „Gesundschrumpfen“ wirkt die Art Cologne heuer kompakt und aufgeräumt und macht für den Wegfall von Antiquitäten und Alter Kunst das mangelnde Interesse in der Sammlerschaft verantwortlich.
Die Messeleitung wird nicht müde zu betonen, dass nach wie vor bedeutende internationale Galerien die Art Cologne tragen und für konstante Qualität sorgen. Neue Aussteller sind diesmal aus England und Dänemark hinzugekommen, ehemalige Teilnehmer wie Meyer Kainer aus Wien nun wieder mit dabei. Alle Kontinente sind vertreten, zwei Galerien sind aus Südafrika, eine aus Australien angereist. Generelle Tendenzen der Kunst sind laut Daniel Hug auch auf der diesjährigen Ausgabe unübersehbar: Der Vormarsch von weiblichen Kunstschaffenden, queeren sowie außereuropäischen Positionen. Wieder neues Gewicht besitzt die figurative Malerei.
Mit Sorge betrachtete zu Beginn auf der Pressekonferenz Anke Schmidt, zweite Vorsitzende des Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler, die Entwicklung, dass es kaum Neugründungen im Kunstmarkt gebe, und geißelte die immer weiter ausufernde Bürokratie und die steigenden Abgaben, Aspekte, die in Gesprächen alle Aussteller bitter beklagen. So sei die Künstlersozialabgabe laut Schmidt mittlerweile auf fünf Prozent gestiegen und die von der EU nun genehmigte Möglichkeit, die Mehrwertsteuer auf Kunstwerke von neunzehn auf sieben Prozent zu senken, von der Bundesregierung immer noch nicht umgesetzt.
Dass weniger aber auch mehr sein kann, beweist die deutlich gesteigerte Übersichtlichkeit und klare Strukturierung der Messekojen. Dies macht sich besonders auf der unteren, vorwiegend klassisch-modernen Positionen vorbehaltenen Ebene bemerkbar, wo es ohnehin ruhiger zugeht. Zwischen den Zugängen hat sich die Galerie Koch aus Hannover geschickt positioniert. In einer hinteren Ecke ihres Standes sind mehrere, über zwei Meter hohe Stehlinsen von Adolf Luther platziert, die hier zum Nähertreten animieren. Sie werden für 19.000 Euro angeboten und von einem frühen Spiegelobjekt des Krefelders aus dem Jahr 1968 mit „Zwei Brennpunkten“ für 190.000 Euro ergänzt. Dazwischen sorgt ein anderer „Lichtkünstler“ für einen Hingucker: Heinz Macks „Chromatische Konstellation“, eine Komposition aus sattblauen Trapezen und Dreiecken von 2018, kostet 68.000 Euro. Etwas weiter offeriert Mike Karstens aus Münster die großformatige wie rätselhafte fotografische Ansicht „Fred & Red’s Cafe“ von Thomas Wrede aus dem Jahr 2015 für 24.500 Euro, wobei man sich fragt, wer und wie man zu dem einsamen Wüstenort mit dem Bausatz des legendären Diner an der Route 66 gelangt.
Dann stehen die Besucher*innen bei der Galerie Bastian aus Berlin schon vor dem teuersten Werk der Messe: Pablo Picassos flott gemaltes Spätwerk „Le peintre et son modèle“ aus dem Jahr 1964 soll 3,75 Millionen Euro einbringen. Wem dies bei weitem zu viel ist, dem sei eine daneben hängende kleine Landschaft mit zwei Figuren des Impressionisten Pierre-Auguste Renoir für 340.000 Euro empfohlen. Mit immer wieder erlesenen Werken klassischer Künstler kann auch diesmal die Züricher Galerie von Vertes aufwarten. Von der gerade in Wien mit einer großen Retrospektive geehrten Gabriele Münter bietet sie ein exotisches „Javanerkind“ in tiefer Bergschlucht aus den Jahren um 1927 für 290.000 Euro an. Davor lockt ein organisch geformtes bronzenes „Architectural Project“ des Briten Henry Moore aus dem Jahr 1969 für stolze 780.000 Euro.
Die Schweizer Galerie Henze & Ketterer legt ihren Schwerpunkt wieder auf Ernst Ludwig Kirchner, dessen Nachlass sie betreut. Kirchners „Spielende Badende“ im schablonenartigen Spätstil des ehemaligen Expressionisten für 1,5 Millionen Euro sind von Arbeiten Hann Triers oder Fred Thielers umgeben. Bei Benden & Ackermann kann man zwei Künstler in einem Kunstwerk erwerben: Andy Warhol schuf 1986 den Siebdruck „Joseph Beuys in Memoriam“ auf blau-grau-braunem Camouflagemuster, der in einer Auflage von 90 Exemplaren 48.000 Euro verlangt. Für Robert Indiana ungewohnt erotisch sind zwei Bleistiftzeichnungen männlicher Genitalien aus dem Jahr 1988 für jeweils 16.000 Euro. Originelles hat aus Düsseldorf die Galerie Schwarzer nach Köln verfrachtet. Hier entdeckt man ein frühes zartes weißgrünes Kissenbild des einstigen Düsseldorfer Akademieprofessors Gotthard Graubner von 1968 für 240.000 Euro. Deutlich tiefer muss mit 870.000 Euro derjenige in die Tasche greifen, der sich für Alexej von Jawlenskys südlichen Küstenstreifen „Rote Palme (Bordighera)“ aus dem Jahr 1914 interessiert.
Die Kölner Galerie Kaune hat sich auf Fotografie spezialisiert. Die Architekturaufnahmen weltweit verorteter Projekte von Hans Georg Esch bestechen durch ihre Details, Zusammenhänge, Perspektiven oder Bauphasen. Besonders beeindruckend ist die 180 auf 270 Zentimeter messende, verwirrende Ansicht vom Bau des Ufo-ähnlichen neuen Nationalmuseums in Doha für stolze 45.000 Euro. Etwas weiter hat Ernst Hilger aus Wien seinen Messestand aufgeschlagen. Heuer lockt eine raumgreifende, auf Baumwolle fixierte und frei hängende Malerei von Sophie Esslinger mit dem Titel „Patschouli“. Ihr beinahe duftendes Potpourri farbkräftiger abstrakter Sujets, das scheinbar über die Grenzen des Bildes hinausdrängt, ist für 15.000 Euro zu haben. Hilgers Wiener Kollegin Christine König hat ihre Förderkoje in der Reihe „New Positions“ der 1978 geborenen Rimma Arslanov aus Tadschikistan gewidmet. Die heute in Düsseldorf lebende Künstlerin zeigt in ihren traumartigen Arbeiten, die die Grenzen zwischen Bild, Skulptur, Architektur und angewandter Kunst überschreiten, alltägliche Dinge wie Vorhänge oder Möbel, zu denen Elemente aus einer surreal verfremdeten Welt kommen. Dabei bringt Arslanov Einflüsse aus der orientalischen, muslimischen und sowjetischen Kultur mit zeitgenössische Produktionsweisen zusammen. Zu den diesmal erfreulich vielen österreichischen Teilnehmern gehören zudem Wienerroither & Kohlbacher aus Wien. Direkt vor ihrem Stand platzierten sie einen technoiden, surrealistischen und silbrig-matten Aluminiumguss des österreichischen Plastikers Bruno Gironcoli für 250.000 Euro.
Die Dortmunder Galerie Utermann hat eine recht gelungene Auswahl zusammengestellt. Gabriele Münters Landschaft „Rote Wolke mit Haus“ von 1910 war über 35 Jahre im Besitz einer Privatsammlung in den USA und kommt jetzt in Europa für 650.000 Euro zum Verkauf. Daneben hat sie aus dem Nachlass von Fritz Winter das farbintensive informelle Streifenbild „Rot-Schwarz-Blau vertikal“ aus dem Jahr 1967 für 190.000 Euro arrangiert. Auch die baden-württembergische Galerie Schlichtenmaier hält der Art Cologne weiterhin die Treue. Zwei Bilder des für seine nüchternen, teils klaustrophobischen Raumdarstellungen bekannten Malers Ben Willikens, das jüngere von 2022 mit einem hoffnungsvollen Fensterausblick, laden für 30.000 Euro und 35.000 Euro zum Sinnieren ein. Zudem stößt man bei Schlichtenmaier auf eine kleinformatige, 120.000 Euro teure „Figurenmauer“ von Willi Baumeister aus dem Jahr 1946.
Der Übergang zu den jüngeren und neusten Positionen auf der höheren Ausstellungsebene gestaltet sich fließend. Rosemarie Schwarzwälder von der Galerie nächst St. Stephan in Wien offeriert für 300.000 Euro ein hochrechteckiges, abstraktes sowie atelierfrisches Acrylgemälde in schwungvollen Farbbahnen von Katharina Grosse. Die asiatische Galeristin Pearl Lam ist dieses Jahr nach Lagos gereist, hat sich in der nigerianischen Kunstszene umgetan und dort die 1994 geborene Malerin Deborah Segun entdeckt. In ihren bunten Gemälden von flächig dekonstruierten, fast kubistischen Frauengestalten in übertriebenen Formen beschäftigt sich Segun mit weiblicher Identität in Afrika und ihrer gesellschaftspolitischen Rolle. Dafür müssen Käufer untere fünfstellige Beträge übrighaben.
Wenig vertreten sind diesmal die Videokünste; eine Ausnahme bildet Harlan Levey Projects aus Brüssel. Hier kann man vor der fünf mal sechs Bildschirme großen „VideoSculpture XXVIII“ von Emmanuel Van der Auwera verharren, der dokumentarisches Bewegtmaterial mittels eines digitalen Streifenfilters verfremdet und damit für 70.000 Euro eine Verbindung zum Malerischen schlägt. Gerrit Friese hat aus Berlin ein titelloses Acrylbild von Dieter Krieg mitgebracht. Für die gestisch vermittelte und pastose rote Tulpe in einem Blumentopf will er 60.000 Euro sehen. Während die Galerie Schönewald sich mit einer roten Quadratschachtelung von Josef Albers aus der Reihe „Homage to the Square“ für 2 Millionen Euro recht klassisch gibt, präsentiert Max Hetzler ein über drei Meter langes und eineinhalb Meter hohes Foto von Thomas Struth für etwas über 100.000 Euro, das vordergründig eine skurrile Situation aus Fabrikationshalle und Lager wiedergibt, aber einen Blick in Kernforschungszentrum CERN bei Genf gewährt.
Einige Galerien feiern auf dieser Ebene Jubiläen, etwa der Salzburger Thaddaeus Ropac, der seit 40 Jahren im Geschäft ist und heuer mit einem von Georg Baselitz verfassten, überraschend ungegenständlichen „Gruß aus Holland“ in Höhe von 1,5 Millionen Euro auf der Art Cologne für Furore sorgt. Zum Verkaufsschlager mutierten bei Ropac an der gestrigen Vernissage die als Negativbild angelegten Grafitzeichnungen von Marc Brandenburg zwischen 18.000 Euro und 33.000 Euro, darunter eine Parkbank mit der Aufschrift „Homo“ von 2022. Auch Tony Craggs gleichaltrige, auf Hochglanz polierte, floral anmutende Stahlskulptur „Incident (Upwards)“ fand bei 325.000 Euro schon einen Liebhaber. Die Galerie Eigen & Art, die 1983 von Gerd Harry Lybke in Leipzig gegründet wurde, begeht ebenfalls ihren 40. Geburtstag. Der aus dem Bergischen stammende und in Leipzig lebende Landschaftsmaler David Schnell bereichert mit seinen verfremdeten und sich zersetzenden architektonischen Versatzstücken die Messekoje. Sein junges Bild „Abschied“ gewährt für 96.000 Euro einen Blick auf die undefinierte, in einzelne Farbflächen zerlegte Dachlandschaft einer Stadt von oben. Mit Karsten Greve kann ein Urgestein der Art Cologne sogar auf 50 Jahre Galeristentätigkeit zurückblicken. Der heute im schönen Engadin lebende Greve feiert dies, wie nicht anders zu erwarten, mit musealen Werken, darunter einem dreiteiligen monochrom schwarzen Acrylbild von Pierre Soulages aus dem Jahr 2015 für 2,8 Millionen Euro oder einem großformatigen gelb-braunen Kissenbild von Gotthard Graubner für 850.000 Euro.
Die 56. Art Cologne läuft noch bis zum 19. November in Halle 11 der Kölner Messe und hat täglich von 11 bis 19 Uhr, sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 30 Euro, ermäßigt 25 Euro, die Abendkarte ab 16 Uhr gibt es ebenfalls für 25 Euro. |