 |  | Rudolf Bauer, Ohne Titel, 1911/17 | |
„Man fühlt ein Bild, wie man Musik fühlt. Wie man in der Musik Ton für Ton nachempfindet und sich an ihrer Folge und Klangfarbe erfreut, so soll man in der Malerei Farbe für Farbe nachempfinden. Man verfolgt von einer Stelle eines Bildes aus nacheinander die sich anschließenden Formen, wie sie sich bekämpfen, begatten, verdrängen, auflösen, ergänzen, wie sie leben in Bewegung und Gegenbewegung; man verfolgt die Farben, wie sie sich gegenseitig steigern, wie sie sich verschmelzen, wie sie eine Schönheit an die andere reihen.“ Schaut man sich eine titellose Leinwand Rudolf Bauers aus den 1910er Jahren an, kann man seine Gedanken zur Malerei trefflich nachvollziehen. Der deutsch-amerikanische Künstler, der seine ungegenständlichen Gemälde gerne mit musikalischen Begriffen wie „Dreiklang“, „Pizzicato“, „Andante“ oder „Improvisation“ belegte, lässt dort bunte amorphe Formen durch den Bildraum schweben, die sich anziehen und abstoßen, im Fluss des Kosmos vorandrängen und sich zu verwandeln scheinen. Der Einfluss Wassily Kandinskys auf Bauer, den Herwarth Walden in seiner „Sturm“-Galerie protegierte, ist unverkennbar. Doch scheinen die kontrastreiche Materialität und das imposante Farbspektrum noch extremer, fast eklektisch explosiv, was das Berliner Auktionshaus Bassenge nun mit nicht allzu hohen 60.000 Euro honoriert wissen will.
Gar nicht mal so unähnlich mutet auf den ersten Blick eine Temperaarbeit von Otto Dix aus dem Jahr 1917 an. Doch der Hintergrund ist ein vollkommen anderer, ganz unharmonischer: Mit seinem expressiven, kubofuturistischen „Zerstörten Gehöft“ reagierte er auf die Gräuel des Ersten Weltkriegs und hielt die Trümmer eines zerstörten Bauernhofes in einer ebenfalls versehrten Landschaft fest (Taxe 35.000 EUR). Dix steuert zur Auktion „Moderne und Zeitgenössischen Kunst“ am 2. Dezember in Berlin noch zwei Zeichnungen bei, seinen kleinen, leicht trotzigen, molligen Sohn Ursus mit geballten Fäusten, eingefangen 1928 in Rötel (Taxe 8.000 EUR), und den mit feinem Silberstift vier Jahre später entwickelten weiblichen „Akt mit Tuch“ (Taxe 10.000 EUR). Noch weiter in der sozialkritischen Potenz dringt Dix mit der Kaltnadelarbeit „Internationaler Reitakt“ aus der Mappe „Zirkus“ von 1922 vor (Taxe 5.000 EUR), ebenso George Grosz mit seiner Federzeichnung „Der Vergiftete“ um 1911/12 (Taxe 2.500 EUR) oder seiner fast debilen „Frau mit pelzverbrämter Jacke“ von 1922 (Taxe 4.000 EUR). Zu den Künstlern des Verismus, die mit ihrer Arbeit auf die Missstände in Politik und Gesellschaft aufmerksam machen wollten, gehört auch Max Beckmann, der in seiner Bleistiftskizze „Zivile und Soldaten in der Kneipe“ von 1915 einen Ruhepunkt während des Ersten Weltkrieg thematisierte (Taxe 4.500 EUR) und mit seiner Radierung „Liebespaar I“ aus der Folge der „Gesichter“ von 1916 die erotische Zweisamkeit armer Menschen in den Fokus nahm (Taxe 3.200 EUR).
Die Moderne
Vor allem mit grafischen Werken hat Bassenge seine Versteigerung wieder gut bestückt. Glanzpunkt ist hierbei ein komplettes Set aller vier Bauhaus-Mappen mit 52 Grafiken, die zwischen 1921 und 1923 erschienen und einen Überblick über die zeitgenössische europäische Grafik geben sollten. Der Erlös der Sammelmappen in geringer Auflage war ursprünglich für das Bauhaus bestimmt, doch der Verkauf gestaltete sich schwierig, so dass bereits kurz nach Publikation große Teile der Auflagen in staatlichen Besitz übergingen und während der Nazi-Zeit durch die Aktion „Entartete Kunst“ und durch den Krieg vernichtet wurden. 240.000 Euro hat Bassenge dafür vorgesehen. Von Alexej von Jawlensky gibt es mit dem „Liegenden weiblichen Akt I“ und dem „Sitzenden weiblichen Akt I“ zwei poetische Blätter aus der Mappe „Akte“ von 1920 (Taxe 4.000 EUR), denen malerisch und in den üppigen Köperformen Roger Bissières Rückenakt „Nu de dos“ von 1921 folgt (Taxe 12.000 EUR). Auf Oskar Kokoschkas Kreidezeichnung von etwa 1910 läuft der noch kindliche „Weibliche Akt“ dagegen freudig und beflügelt davon (Taxe 20.000 EUR), und bei Georg Tapperts aquarelliertem Federblatt stützt sich die nackte Betty beinahe etwas unsicher an einer Stuhllehne ab (Taxe 3.200 EUR).
In die Natur geht es dann mit Alexander von Szpingers postimpressionistischem „Sonnenuntergang am Waldrand“ von 1924 (Taxe 2.400 EUR), Otto Modersohns 1941 ausschnitthaft angelegten „Birken“ (Taxe 12.000 EUR) und Otto Muellers schwarzweißer Lithografie „Landschaft mit Baum und Wasser“ um 1920 (Taxe 5.400 EUR). Hermann Max Pechstein sah 1920 ein heftig stürmendes „Gewitter an der See“ mit zackigem gelbem Blitz (Taxe 25.000 EUR). Der 1917 mit 25 Jahren an der Westfront gefallene Maler Max Zachmann beschwört in einem Ölgemälde von 1913 die Einheit aller Geschöpfe, indem er in expressiver Farbigkeit zwei nackte Menschen in einer hügeligen Landschaft neben mehreren Tieren, darunter einem Löwen, traulich beieinander lagern lässt (Taxe 3.500 EUR). Auch bei Christian Rohlfs’ um 1885/95 entstandener antiker symbolistischer Szene mit einer Schalmei blasenden Frau in rotem Rock und mehreren Schweinen auf einer Wiese scheint diese Einheit noch nicht gestört (Taxe 10.000 EUR). Elegisch präsentieren sich mehrere Skulpturen des belgischen Symbolisten George Minne, darunter der Gipsguss des gedankenverloren „Knienden vom Brunnen“ aus dem Jahr 1898 (Taxe 5.000 EUR).
Neben Zille und Kollwitz gehörte Hans Baluschek zu den wichtigsten Vertretern des Berliner Realismus in der Moderne. Davon zeugt sein junger Mann in preußischer Uniform, der seiner Angebeteten gerade einen „Kuss“ gibt. Doch der düstere Grundton der Gouache von 1900 trübt die Idylle und die glanzvolle Kaiserzeit ein (Taxe 18.000 EUR). Wilhelm Morgners gleichsam mit innerem Blick erlebte, ins Extreme gesteigerte „Kreuzigung“ in expressiver Farbigkeit aus dem Jahr 1912 soll nach einigen vergeblichen Anläufen nun 40.000 Euro einspielen. In Karl Schmidt-Rottluffs Aquarell-Jahr 1909 datiert der „Hof des Landhauses“. Dabei setzte der Brücke-Maler kurze breite Pinselstriche nass in nass nebeneinander, so dass die Farben verschwimmen (Taxe 45.000 EUR). Weitaus präziser ging Carl Grossberg 1920 bei seiner aquarellierten Federzeichnung einer menschenleeren Straßenflucht aus „Stralsund“ ans Werk (Taxe 6.200 EUR). Aus dem Kriegsjahr 1943, als Arthur Segal bereits nach London geflüchtet war, stammt das naturalistische Stillleben „Kornblumen in einer Keramikvase“, das so gar nicht an die Umstände der Zeit erinnert. Ungegenständlich wird es bei der Moderne nur selten, neben Bauer etwa noch mit zwei Bleiglasfenstern von Jan Thorn Prikker, die er in geometrischen Formen um 1912 für die Kirche „Heilige Drei Könige“ in Neuss (Taxe 3.500 EUR) und um 1928 für das Kölner Gotteshaus „St. Georg“ schuf (Taxe 12.000 EUR).
Die Kunst seit 1945
In der Nachkriegssektion geht es mit informeller Abstraktion los, etwa einer energiegeladenen Farbexplosion von Fred Thieler in Öl und Gouache auf Velin von 1956 (Taxe 4.000 EUR) oder mit Fritz Winters strak rhythmisierter Komposition „Schwarz-Weiß-Blau“ von 1968 (Taxe 35.000 EUR). Auch auf Hannah Höchs Papiercollage „Die Braunellen“ aus der Mitte der 1950er Jahre ist nichts Konkretes zu erkennen. Mit einem Zug ins Surreale verweist sie vielleicht auf einen Vogel oder eine Pflanze (Taxe 17.000 EUR). In den späten 1940er Jahren beschäftigte sich Ben Nicholson mit der Druckgrafik und schuf eine Kaltnadelarbeit mit einem feinen Liniengespinst, das von seinen Gefäßstillleben inspiriert ist (Taxe 8.000 EUR). Auf einer roten Feuergouache von Otto Piene hat sich ein Kopf im Profil mit strubbeligen Haaren herausgebildet, die der ZERO-Künstler denn auch mit „Icarus“ betitelt hat (Taxe 20.000 EUR). Eine kleine Besonderheit sind drei Modeentwürfe von Karl Lagerfeld. Dass die Skizzen zu sommerlichen Damenkleidern mit zahlreichen Details und Anmerkungen aus den 1960er Jahren, als der Couturier für das römische Modehaus Tiziani arbeitete, überhaupt erhalten sind, ist dessen Gründer Evan Richards zu verdanken. Denn Lagerfeld selbst warf stets alle seine Entwürfe weg (Taxe 4.500 EUR).
Die Spezialität des 1956 in Nantes geborenen Jean-Charles Blais ist es, alte Plakate als Bildträger zu verwenden. Auf den teils mehrschichtigen Palaktabrissen bringt er dann seine markanten überproportionierten Figuren mit grobem Pinsel auf und richtet die Komposition nach der unregelmäßigen Form des Bildträgers aus. Mehrere seiner Werke sind aus der Sammlung des 2020 verstorbenen Kunsthistorikers und ehemaligen FAZ-Feuilletonchefs Wilfried Wiegand in der Auktion zu haben, darunter die kopflose Männergestalt „Rouge Sang“ von 1982 (Taxe 15.000 EUR) oder ein wandfüllender, auf blauem Grund rennender Mann von 1985 (Taxe 20.000 EUR). Eine zweite Sammlung haben Irmelin und Reinald Nohal zusammengetragen, der im vergangenen Jahr verstorbene Mitbegründer der legendären Paris Bar in Berlin. Aus diesem Kontext und den Freundschaften zu den Künstler*innen stammen auch die spontanen, hintersinnigen, meist kleinen Skizzen, wie Martin Kippenbergers unansehnliches Portrait „Is it you or the Drawing of Mine“ von 1995 (Taxe 8.000 EUR), André Butzers Rötelblatt „Todeskatze von Ronald Reagan“ aus dem Jahr 2004 (Taxe 3.000 EUR), Bjarne Melgaards psychedelische Grafitzeichnungen sich überlagernder und mehransichtiger Köpfe von 2000 (Taxe 800 EUR) oder Marianna Uutinens kecke Katze aus der Serie „Be an Animal“ von 2001 (Taxe 300 EUR).
Die Welt des Gerhart Hauptmann
Als Gerhart Hauptmann 1946 in seiner prächtigen Villa Wiesenstein im niederschlesischen Agnetendorf starb, hinterließ der Literaturnobelpreisträger neben dem ausufernden Schriftgut auch ein reiches Erbe: Sammlungen aus den verschiedensten Gebieten, Kunstwerke aller Art, darunter Skulpturen, Druckgrafiken und Gemälde, sowie Möbel und kunsthandwerkliche Objekte. Von einem Teil dieses Nachlasses trennt sich nun Anja Hauptmann, Tochter von Hauptmanns jüngstem Sohn Benvenuto. Für die 70 Losnummern hat Bassenge einen eigenen Katalog aufgelegt, der in der Herbstrunde am 30. November auf dem Programm steht. Neben zahlreichen Kleinigkeiten, wie einem spätgotischen Kästchen mit floralen Eisenbeschlägen wohl aus dem Rheinland für 2.500 Euro oder Hans Sebald Behams briefmarkengroßem Kupferstich „Die beiden Liebespaare“ von 1535 für 900 Euro, ragen preislich vor allem die Gemälde heraus. Der Berliner Secessionist Leo von König portraitierte seinen Freund Gerhart 1927 formatfüllend im schlichten Regenmantel, der wiederum das Bildnis im Frühstückszimmer der Villa aufhängen ließ (Taxe 80.000 EUR).
Weitere „Erinnerungen an Wiesenstein“, wie die Auktion überschrieben ist, lässt Ludwig von Hofmanns symbolistisches Gemälde eines jungen nackten Liebespaars beim „Frühlingserwachen“ aus dem Turmzimmer in Agnetendorf aufleben. Das Bild entstand 1892, als Hauptmann den Maler kennenlernte und sein Werk hoch einschätzte, da es für ihn „durch und durch vom Kultus der Schönheit“ durchdrungen war (Taxe 40.000 EUR). Des Dramatikers ältester Sohn Ivo Hauptmann war Meisterschüler bei Hofmann. Sein pointillistisches „Selbstbildnis“ mit wachem Blick im Profil von 1910/20, das früher die Wand der Bibliothek in Wiesenstein schmückte, lebt vom feinen Gespür für Kontur und Farbe (Taxe 20.000 EUR). Fotos von Hauptmann und seiner Familie, darunter Ernst Schneiders Aufnahmen von der Hochzeit Benvenutos mit der Prinzessin Elisabeth zu Schaumburg-Lippe in Sassnitz aus dem Jahr 1928 (Taxe 600 EUR), des Dichters Schreibtisch nach einer Vorlage des Wiener Biedermeier-Ebenisten Josef Ulrich Danhauser (Taxe 2.500 EUR), Devotionalien wie mehrere Haarlocken des Meisters für 600 Euro oder Widmungsexemplare von Bücher befreundeter Schriftsteller bereichern das vielgestaltige Angebot der Auktion.
Dass Gerhart Hauptmann selbst bildkünstlerisch tätig war und zunächst Bildhauerei und Zeichnen in Breslau und Dresden studiert hatte, macht seine elfenbeinfarbene Gipsbüste des jugendlichen Benvenuto von 1915 mit wallendem Haar deutlich (Taxe 1.200 EUR). Das vielleicht eindrücklichste Zeugnis aus diesem literarisch-künstlerisch-großbürgerlichen Kosmos ist das von Benvenuto betreute „Stammbuch“. Im Alter von zehn Jahren erhielt er diesen mittelalterlich anmutenden Lederband 1910 von seinem Vater geschenkt und erfreute sich daran, die Gäste in Wiesenstein und anderswo um einen Eintrag darin zu bitten. Dieser geriet manchmal lange wie bei Joseph Conrad oder künstlerisch wertvoll wie bei Max Liebermann, Emil Orlik, Willy Jaeckel oder César Klein. Auch die Musiker Siegfried Wagner, Fritz Kreisler oder Ottorino Respighi, die Schriftsteller Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Carl Sternheim oder Franz Werfel, die Theaterleute Otto Brahm, Felix Hollaender oder Alexander Moissi, die Gesellschaftsgrößen Alma Mahler und Lorenz Adlon, die Wissenschaftler Julius Meier-Graefe oder Hermann Georg Fiedler und die Politiker Walther Rathenau und Bernhard von Bülow verewigten sich darin, womit Benvenutos „Stammbuch“ ein Bild der damaligen Gesellschaft und eine vergangene Zeit in Deutschland spiegelt.
Die Auktion „Erinnerungen an Wiesenstein. Aus dem Nachlass Gerhart Hauptmann“ beginnt am 30. November um 15 Uhr. Am 2. Dezember folgt um 14 Uhr die „Moderne und Zeitgenössische Kunst“. Der Nachlass Hauptmann kann bis zum Auktionsbeginn in der Galerie Mond, Bleibtreustraße 17, 10623 Berlin, die „Moderne und Zeitgenössische Kunst“ bis zum 30. November in der Rankestraße 24, 10789 Berlin, besichtigt werden. Die Kataloge sind im Internet unter www.bassenge.com abrufbar. |