Zum Tod von Helga Paris„Mich haben immer nur die Menschen interessiert“. Das hat Helga Paris eindrucksvoll bewiesen. Mit ihren unaufgeregten Schilderungen von Müllmännern, Jugendlichen, Leuten in der Berliner Eckkneipe, Textilarbeiterinnen oder Punks aus der DDR ist die Fotografin berühmt geworden. Man spürt auf ihren meist schwarzweißen Bildern die Nähe zu den Dargestellten, denen sie sachte, beinahe schüchtern gegenübertrat. Paris wollte immer „das versteckte Gesicht“ der Menschen festhalten, wenn sie zur Ruhe kommen und ganz bei sich sind, und deren Geschichten und existenziellen Erfahrungen auf ihren Bildern vermitteln. Dabei hat sie den Alltag und oft auch die Tristesse in der DDR authentisch eingefangen.
1938 wurde die Fotografin im pommerschen Gollnow in eine Arbeiterfamilie geboren. Nach der Flucht ließ sich die Familie in Zossen im südlichen Berliner Umland nieder. Im Anschluss an ein Studium der Modegestaltung in Berlin arbeitete Helga Paris zunächst als Dozentin für Kostümkunde und als Gebrauchsgrafikerin. Aber das war nicht ihre Sache. 1961 heiratete sie den Maler Ronald Paris, der auch als Bühnenbildner für die Berliner Volksbühne tätig war. In der Mitte des Jahrzehnts wurde die Fotografie in ihrem Leben immer dominanter. Sie brachte sich die technischen Grundlagen des Mediums autodidaktisch und arbeitete von 1967 bis 1968 zunächst als Fotolaborantin, daran anschließend freischaffend als Fotografin. Ihren Lebensunterhalt verdiente sich Paris mit Auftragsarbeiten, etwa mit Portraits von Bildhauern und Schriftstellern oder mit Aufnahmen von Theaterinszenierungen.
Schon früh bewegte sich Helga Paris im Umfeld regimekritisch eingestellter Dissidenten wie Wolf Biermann und Robert Havemann. Mit den Schriftstellerinnen Christa Wolf und Sarah Kirsch pflegte sie freundschaftliche Kontakte. Ausgehend von den Menschen ihrer unmittelbaren Nachbarschaft am Prenzlauer Berg, fertigte sie 1974 Fotoserien von Berliner Müllfahrern bei der Arbeit und dokumentierte das bunte Treiben in den Eckkneipen ihres Viertels. In der Serie „Frauen im Bekleidungswerk Treff-Modelle“ von 1984 porträtierte Helga Paris Arbeiterinnen einer Berliner Textilfabrik. Dabei wollte sie immer die augenblickliche Stimmung, keinen inszenierten Moment einfangen. Ihr Augenmerk galt den unterschiedlichen Individuen in der DDR zwischen Anpassung und Aufbegehren, zwischen kleinem Glück und großer Sehnsucht. Daneben entstanden Bilder auf Reisen nach Rumänien und Polen, nach Georgien, New York oder Rom.
Einmal spürte Helga Paris die Restriktionen des DDR-Staates. Ihre Serie „Häuser und Gesichter, Halle 1983-85“ zeigte ungeschönt den grauen Alltag in einer verwahrlosten Stadt, deren Fassaden vom öligen Rauch aus den Schornsteinen der Chemiekombinate braun geworden waren. Die Kulissenhaftigkeit einer vermeintlichen Geisterstadt mit bröckelndem Putz, zugemauerten Fenstern und funzeligen Straßenlaternen. Überall Leere, dazwischen ab und zu ein Passant, der sich durch die Dunst verhangene Tristesse seinen Weg bahnt. Solche Bilder entsprachen nicht den Propagandazielen des in seiner Eitelkeit gekränkten Staatsapparates. Paris durfte sie öffentlich nicht zeigen.
Für ihr Lebenswerk erhielt sie 2019 den Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie. Sie habe sich vor allem als eine Chronistin ihrer Zeit verdient gemacht, da sie die ostdeutsche Lebensrealität künstlerisch anspruchsvoll festgehalten hat, hieß es damals in der Begründung. Ihre Bilder überzeugten in sensibler Vielschichtigkeit und Nuancierung stiller Grautöne. Schon mehrere zuvor hatte Paris gesagt, sie habe „alles gesehen, alles fotografiert und registriert“. Das war 2011, als sie ihre Kamera in die Ecke stellte. „Die Erregung ist weg“, erklärte sie, „in mir ist es still und friedlich, ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte.“ Nun die die Grande Dame der Fotografie in der DDR gestorben. Sie ist am 5. Februar in ihrer Wohnung am Prenzlauer Berg friedlich eingeschlafen, berichtet ihre Tochter Jenny. |