| | Broncia Koller-Pinell, Die Ernte, 1908 | |
Sie war Künstlerin, Kunstförderin und Sammlerin, nahm an mehr als 50 Ausstellungen teil und saß als einzige Frau im Wiener Café Museum am „Tisch der Großen“, an der Seite von Klimt, Moser, Wagner und Munch. Zum neunzigsten Todestag widmet das Belvedere in Wien Broncia Koller-Pinell eine umfangreiche Präsentation, in der nicht nur zahlreiche ihrer Hauptwerke zu sehen sind, sondern auch gezielt auf die Freundschaften der Malerin, ihre Beziehungen zu anderen Künstlern und ihre Aktivitäten in der Kunstförderung eingegangen wird. Gegliedert in fünf Kapiteln, zeichnet die von Katharina Lovecky und Alexander Klee kuratierte Schau den Lebensweg der Künstlerin nach. Gleichzeitig haben die Kurator*innen die Wechselbeziehungen und Beeinflussungen zwischen Broncia Koller-Pinell und anderen Künstler*innen mittels Arbeiten von Heinrich Schröder, Anton Faistauer, Egon Schiele, Karl Hofer und ihrer Tochter Silvia Koller herausgearbeitet.
Wer war Broncia Koller-Pinell? Eine reiche Jüdin aus gutbürgerlichem Haus, die auch malte? Eine Mäzenin mit künstlerischem Anspruch? Eine Förderin der (männlichen) „Jungen“ ihrer Zeit? Fest steht: Koller-Pinell schuf nicht nur ein beachtliches Werk, sie war auch ungewöhnlich gut vernetzt, respektiert und stand im Mittelpunkt eines illustren Künstler- und Freundeskreises. Aus heutiger Sicht war es sicherlich nicht einfach, sich diese Stellung zu erarbeiten. Doch nach ihrem Tod geriet ihr Werk zu Unrecht in Vergessenheit und wurde erst in den letzten Jahrzehnten Schritt für Schritt wieder entdeckt. 1980 fand in der Landesgalerie Niederösterreich erstmals nach ihrem Tod eine große Personale statt, 1993 folgte eine Einzelausstellung im Jüdischen Museum Wien. Dass die Rolle Koller-Pinells im Österreich der frühen Moderne nicht hoch genug eingestuft werden kann, belegen auch Beteiligungen bei wichtigen Ausstellungen zur Wiener Moderne wie „Facing the Modern: The Portrait in Vienna 1900“ 2013/14 in der National Gallery in London, „Stadt der Frauen“ 2019 im Belvedere und „After Impressionism – Inventing Modern Art“ 2023 wiederum in der Londoner National Gallery. Unbestritten gilt Koller-Pinell heute als eine der wichtigsten österreichischen Künstlerinnen ihrer Zeit.
1863 wurde sie als Bronislawa Pineles im damals habsburgischen Galizien geboren. Die aus einer wohlhabenden jüdischen Familie stammende Broncia verbrachte gemeinsam mit ihren vier Geschwistern ihre ersten Lebensjahre in Sanok am San im heutigen Südosten Polens. 1873 verlegte die Familie nach einer vermutlich antisemitisch motivierten beruflichen Auseinandersetzung des Vaters ihren Lebensmittelpunkt nach Wien. Broncia profitierte von ihrem liberalen Elternhaus: Zu einer Zeit, in der Frauen der Zugang zur Kunstakademie grundsätzlich verwehrt war und allenfalls der Weg in ausgewähltes Kunsthandwerk blieb, finanzierte ihr der Vater privaten Malunterricht. Mit 18 begann sie ihre künstlerische Ausbildung. 1888 zog sie nach München. Mit der sogenannten „Damenakademie“ des Münchener Kunstvereins bot sich der jungen Malerin immerhin die Möglichkeit, sich in einer getrenntgeschlechtlichen Malklasse weiter zu professionalisieren. Unter dem Einfluss der Münchner Realisten und Impressionisten wie Fritz von Uhde fand die Künstlerin zu einer dunkeltonigen Malweise, die ihre ersten Werke wie den „Nachmittag bei der Großmutter“ von 1890 prägte.
Im selben Jahr kehrte Broncia, die sich seit Beginn ihrer Ausbildung Pinell nannte, nach Wien zurück und nahm regelmäßig an Ausstellungen im Wiener Künstlerhaus und im Münchner Glaspalast teil. 1893 stellte sie sogar auf der Weltausstellung in Chicago aus. 1896 heiratete sie gegen den Willen ihrer Familie den katholischen Physiker und ausgebildeten Mediziner Hugo Koller, den sie im Freundeskreis um die Frauenrechtlerin und Künstlerin Rosa Mayreder kennengelernt hatte. Die berufliche Tätigkeit ihres Mannes brachte Umzüge nach Hallein und Nürnberg mit sich. 1896 kam ihr Sohn Rupert zur Welt, 1898 ihre Tochter Silvia. Schließlich ließ sich das Paar 1902 dauerhaft in Wien nieder. Hier wurde Koller-Pinell rasch in den Kreis um Gustav Klimt und der Secessionisten aufgenommen und sollte als einzige Frau an den Freitagstreffen der Klimt-Gruppe teilnehmen. Ab 1905 intensivieren sich die Freundschaften zu Koloman Moser und Josef Hoffmann, die in weiterer Folge die beiden Stadtwohnungen und das Anwesen der Kollers in Oberwaltersdorf restaurieren und ausstatten sollten. Hier trafen sich das Paar mit Egon und Edith Schiele, Lou Andreas-Salomé, Gustav und Alma Mahler, Hugo Wolf oder Anton Peschka.
Strömungen der Wiener Moderne griff Broncia Koller-Pinell nun bereitwillig auf. Auf Reisen lernte sie Werke französischer Impressionisten kennen, aber auch das lebendige Wien mit Gruppen und Strömungen wie der Secession oder der Wiener Werkstätte beeinflussten die Künstlerin. 1902 entstand ihr „Blick über das Wiental“, 1903 folgte mit dem „Orangenhain an der französischen Riviera“ eine großformatige pointillistische Hommage an die südfranzösische Landschaft mit drei schwebenden ätherischen Gestalten. Die bereits in Nürnberg begonnene Auseinandersetzung mit dem Holzschnitt setzte Koller-Pinell in Wien fort. Um 1905 schuf sie ihr aus hellen und dunkeln Flächen komponiertes „Selbstportrait“, in dem sich die Künstlerin im schwarzen Umhang und mit übereinander geschlagenen Händen, sitzend vor einem abstrakten, nur mehr aus horizontalen, blauen Streifen und hellen Farbflecken gestalteten Hintergrund, als moderne Frau präsentiert.
1906 begann die Ateliergemeinschaft von Broncia Koller-Pinell und dem jungen Künstler Heinrich Schröder. Anlässlich der von Gustav Klimt und Josef Hoffmann organisierten Kunstschau 1908 stellten sie die gegenseitigen Portraits aus. Auch bei der internationalen Kunstschau im darauffolgenden Jahr war die Künstlerin mit Arbeiten vertreten, 1911 waren ihre Werke in einer Kollektivausstellung gemeinsam mit Arbeiten von Schröder in der legendären Wiener Avantgardegalerie Miethke zu sehen.
Unter dem Einfluss Klimts ging Broncia Koller-Pinell zu einer Malerei mit heller, trockener Ölfarbe über. Deutlich wird dies in Arbeiten wie „Die Mutter der Künstlerin“ von 1907 und in ihrem wohl bekanntesten Gemälde „Sitzende (Marietta)“ aus dem selben Jahr. Hier posiert das titelgebende Modell Marietta nackt auf einer schmucklosen, hellen Liegefläche. Der Hintergrund ist in geometrische Flächen gegliedert, den Kopf umfängt ein goldenes Quadrat – eine Gestaltung, die an Portraits von Gustav Klimt, etwa an sein 1905 entstandenes Bildnis der Industriellentochter Margarethe Stonborough-Wittgenstein erinnert.
In der Zusammenschau mit Werken von weiteren Künstlern, etwa von Koloman Moser oder Anton Faistauer, Design- und Schmuckgegenstände sowie Fotografien, die die Ausgestaltung der Wohnsitze durch die Wiener Werkstätte dokumentieren, macht die Schau deutlich, wie intensiv die Künstlerin sich mit den Kunstströmungen ihrer Zeit auseinandersetzte und immer wieder für Neues interessierte. Austausch und Prozess der künstlerischen Praxis schienen ihr wichtiger als die eigene Selbstverortung. Gleichzeitig war Broncia Koller-Pinell, wie vor allem der aufschlussreiche Ausstellungskatalog deutlich macht, eine wichtige Größe innerhalb der Wiener Kunstszene, mit einem bedeutenden Einfluss auch auf Künstler wie Egon Schiele, der von dem Künstlerpaar jahrelang finanziell unterstützt wurde. Von Egon und Edith Schiele schuf Koller-Pinell 1918 Portrait. Im selben Jahr beauftragte sie den Künstler mit einem Bildnis ihres Mannes.
Die Wiener Ausstellung arbeitet vor allem eines heraus: Koller-Pinells künstlerisches Repertoire lässt sich weniger an Hand eines Stils zusammenfassen als vielmehr in einer Haltung: sie näherte sich ihren Malobjekten – meist sind es Menschen aus ihrem nächstem Umfeld und oft stehen oder sitzen sie allein im Bild – in einer Art emphatischer Distanz. Die Künstlerin rückt die persönlichen Charakteristika ihrer Porträtierten in den Fokus, die dargestellten Personen und Gegenstände werden in ihrer Vereinzelung aufgefasst. Sie stellen dar, erzählen aber nichts.
Die persönliche Lebenssituation änderte sich für Broncia Koller-Pinell spätestens mit dem Ende des Ersten Weltkriegs: Den wachsenden Antisemitismus im Land bekamen die Jüdin, ihre Familie und ihre Kinder immer deutlicher zu spüren. Ein weiterer gravierender Einschnitt war der Tod von Gustav Klimt im Februar 1918, im Oktober des Jahres starben zudem Koloman Moser und Egon Schiele. In der Folge wurde ihre Tochter Silvia zur wichtigen Bezugsperson, die ebenso wie zuvor ihre Mutter, eine künstlerische Ausbildung anstrebte. Silvia traf 1921 in Berlin auf Karl Hofer, der sie fortan unterrichtete. Dadurch trat auch Broncia in Kontakt mit dem Künstler. 1924 reiste Hofer nach Wien und erhielt den Auftrag für ein großformatiges Porträt. Es zeigt die Malerin selbstbewusst und in sich ruhend, aber ohne künstlerische Utensilien.
Mit der Auflösung der Kunstschaugruppe verlor Broncia Koller-Pinell 1932 schließlich ihr wichtigstes künstlerisches Netzwerk. Jüdischen und weiblichen Mitgliedern der Künstlerreinigung stand der Eintritt in die Secession als Alternative nicht zur Verfügung. Im April 1934 starb Broncia Koller-Pinell nach langer Krankheit in Wien und wurde, ebenso wie ihr Werk, vielleicht kaum zufällig vergessen. Als einziger ihrer Künstlerkollegen verfasste Albert Paris Gütersloh einen Nachruf. Gütersloh brachte darin das Kernproblem der Künstlerin auf den Punkt: „Weil sie eine Frau und vermögend war, haben die männlichen und armen Maler sie nie recht gelten lassen wollen.“ Dass Broncia Koller-Pinell nicht nur eine herausragende Malerin war, sondern in der Konzeption ihrer Arbeit auch ihrer Mehrfachrolle als Künstlerin, Ehefrau, Mutter, Mäzenatin und Auftraggeberin gerecht werden musste, lässt sich in der sorgfältig kuratierten Ausstellung bildkräftig nachempfinden.
Die Ausstellung „Broncia Koller-Pinell. Eine Künstlerin und ihr Netzwerk“ ist bis zu 8. September mit Zeitfenstertickets zu sehen. Das Untere Belvedere hat täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt im günstigeren Onlineverkauf 14,60 Euro, für Senioren und Studenten 10,90 Euro; für Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren ist er frei. Der Ausstellungskatalog kostet 29,80 Euro. |