 |  | in der Ausstellung „Hilma af Klint und Wassily Kandinsky. Träume von der Zukunft“ | |
„Der europäischen Kunstgeschichte eine neue Perspektive hinzuzufügen und so den fest geschriebenen Kanon zu erweitern“, begründet Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, die Intentionen zur Schau „Hilma af Klint und Wassily Kandinsky. Träume von der Zukunft“. Dazu sind in Düsseldorf nun rund 120 Ölgemälde, Aquarelle, Gouachen und Zeichnungen der Schwedin und des Russen versammelt, breiten das Werkschaffen dieser beiden Pioniere der Abstraktion aus und suchen nach Gemeinsamkeiten und Unterschiede beim Weg in die Gegenstandslosigkeit. Dabei sind sich Hilma af Klint und Wassily Kandinsky, die beide entscheidende Beiträge zu Entwicklung der Malerei geleistet haben, nachweislich nie begegnet, und ob sie Kenntnis vom Schaffen des jeweils anderen hatten, ist zwar wahrscheinlich, muss aber Spekulation bleiben. Zugleich sind die Vielstimmigkeit und die Diversität ein Anliegen Gaensheimers: „Seit Jahren arbeiten wir daran, unsere Sammlung zu erweitern, indem wir gezielt Werke bedeutender Künstlerinnen der klassischen Moderne präsentieren und erwerben.“
Die Ausstellung in K20 am Grabbeplatz ist der Versuch, die zwei Vorreiter abstrakter Kunst auf ein und dieselbe Stufe zu heben. Doch sofort verdichtet sich die Anmutung völlig unvergleichlicher Ansätze, die sich auch durch recht gesucht initiierte Dialoge des Kuratorenduos Julia Voss und Daniel Birnbaum nicht tilgen lassen. Konträr stehen sich Methoden und Strategien Klints und Kandinskys gegenüber. Da begegnen einem die schweren, mächtigen Farbklänge Kandinskys, die sich als Resultat eines ordnenden Sehens ruhend vom Abmalen zum Extrakt bewegen. Ausgehend von Farbe, Linie und Form der Sujets sammeln sich rational kontrollierte, empirische Vorgänge in magischen, starren, aber sinnigen Kombinationen. Dem stehen Hilma af Klints wässrig-sanfte Schwingungen gegenüber. Es fließt und strömt von gelben Schneckenformen, stilisierten Blüten, weit ausholenden Spiralen, Kugeln und Schlangenlinien vor hellem Grund. Beginnend mit kleinen Formaten, werden ihre Bilder immer größer, zunehmend strenger, und das Organische weicht geometrischen Formen.
Hilma af Klint, der 1862 geborene Spross einer vermögenden schwedischen Adelsfamilie, durfte als eine der ersten Frauen an der Königlichen Akademie der freien Künste in Stockholm studieren. Zunächst machte sie sich als Landschafts- und Porträtmalerin einen Namen und beteiligte sich an Ausstellungen. Von 1900 bis 1904 arbeitete sie als Zeichnerin am Veterinärmedizinischen Institut in Stockholm. Als „Werkzeug der Ekstase“ bezeichnete die nachfolgend stark der Anthroposophie zugewandte, von okkulten Kräften, spirituellen wie religiösen Effekten beeinflusste Künstlerin ihr Schaffen, das sie als Medium der Transzendenz betrachtete. Zu keiner Zeit hat sie ein Bild signiert.
Um 1906 wandte sich Hilma af Klint von naturalistischen Illustration ab und begann, gegenstandslos zu malen. Mehrfach traf sie Rudolf Steiner und besuchte dessen Vorlesungen. Im Juni 1913 präsentierte sie ihr Schaffen auf dem Kongress der Theosophen in Stockholm. Nachdem ihre Kunst auf einer Ausstellung stark kritisiert, ja verspottet wurde, stellte sie nie mehr aus und verfügte Anfang der 1930er Jahre, dass ihre Werke erst zwanzig Jahre nach ihrem Ableben öffentlich gezeigt werden dürfen. Sie träumte zuletzt von einem spiralförmigen Gebäude, einer Art Tempel als Kirche und spirituellem Ort, in dem sie ihre wichtigsten Werke unterbringen wollte. Am Schluss der Düsseldorfer Ausstellung ist ein nach einer Zeichnung in einem ihrer Notizbücher erstelltes Modell zu sehen. Nach ihrem Tod infolge eines Straßenbahnunfalls bei Stockholm im Jahr 1944 hinterließ sie ihrem Neffen Erik af Klint über 1.000 Gemälde und 100 Notizbücher.
Hilma af Klint blieb zeitlebens unverheiratet und kinderlos. Wie Wassily Kandinsky war auch sie akademisch gebildet und verfolgte das Prinzip der Gruppenarbeit. Kandinsky suchte stets die Auseinandersetzung mit Kollegen, speziell am Bauhaus. Hilma af Klint bewegte sich in einer höchst eigenen, von Frauen beseelten Kunstwelt. In jenen Frauenkollektiven versetzte man sich untereinander in Ekstase und unterhielt Liebesbeziehungen. Zusätzlich fanden weitere Tendenzen der Zeit ihren unverkennbaren künstlerischen Niederschlag, etwa die Erforschung unsichtbarer Kräfte und folglich die Verleihung von Nobel-Preisen an einschlägige Forscher wie etwa Wilhelm Conrad Röntgen. Dies zeigt, dass der Versuch der Entgrenzung und das Interesse an übernatürlichen Phänomenen generell in der Luft lagen. Im Gegensatz zu Kandinsky arbeitete Klint in Serien. „Die Zehn Größten“, die sich mit den Lebensaltersstufen befassen, oder das „Urchaos“ münden in das Projekt „Gemälde für den Tempel“, einen überwiegend aus abstrakten Bildern bestehenden Zyklus aus 193 Gemälden.
Auch bei Wassily Kandinsky wirkten geistige und anthroposophische Kräfte in sein malerisches Suchen hinein. Um 1910 näherte er sich gleichfalls der totalen Abstraktion. Anders als Hilma af Klint suchte er aber das Rampenlicht und nutzte geschickt ein Netz von verschiedenen künstlerischen Gruppen, Museen, Institutionen, Verlagen, Galerien, Sammlerinnen und Sammlern, um seine Kunst bekannt zu machen. So war Kandinsky 1916 mit einer Ausstellung in Galerie Gummeson auch in Stockholm präsent, nur wenige Gehminuten entfernt von Hilma af Klints Wohnung. Doch es finden sich in Klints umfangreichen Aufzeichnungen keine Einträge dazu, obwohl das Presseecho auf Kandinskys Schau groß war. Wohl zu unterschiedlich waren ihre künstlerischen Keimzellen. Erst 1927 taucht Kandinskys Name in ihren Notizbüchern auf. Hilma af Klint verstieg sich in einer eigenen, esoterisch wie feministisch verorteten Welt, während Kandinsky weit abseits davon den Klang der Welt absorbierte.
Die Ausstellung „Hilma af Klint und Wassily Kandinsky. Träume von der Zukunft“ läuft bis zum 11. August. Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in K20 hat täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr, jeden ersten Mittwoch im Monat bis 22 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 16 Euro, ermäßigt 14 Euro; für Kinder und Jugendliche bis 17 Jahren ist er kostenlos. Zur Ausstellung ist eine Begleitpublikation zum Preis von 32 Euro erschienen. |