Roberto Sebastián Antonio Matta Echaurren galt neben Wifredo Lam, Diego Rivera und Frida Kahlo jahrzehntelang als einer der wenigen international bekannten Künstler aus Südamerika. Zwischen 1959 und 1977 mehrfach auf der Documenta in Kassel ausgestellt, war das Interesse für Werke des baskisch-stämmigen Malers nach seinem Tod 2002 ein wenig abgeebbt. Nun ermöglicht das Bank Austria Kunstforum in Wien eine Wiederbegegnung mit der Kunst Roberto Mattas und zeigt in einer Übersicht, die in enger Zusammenarbeit mit dem Matta Archiv in Tarquinia bei Rom und der Galerie Gmurzynska in Zürich erfolgte, eine Auswahl an Werken, die zwischen 1939 und 1982 entstanden.
1911 in Santiago di Chile als Kind spanisch-französischer Eltern geboren, studierte Matta auf Wunsch des Vaters zunächst Architektur. 1933 verließ er Chile, ging nach Paris und arbeitete zunächst im Atelier von Le Corbusier, in dessen Auftrag er quer durch Europa reiste und die Bekanntschaft mit Federico García Lorca, Salvador Dalí, Walter Gropius, László Moholy-Nagy, Henry Moore, Roland Penrose und René Magritte machte. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Assistent für den spanischen Pavillon auf der Weltausstellung in Paris 1937 lernte er Pablo Picasso kennen, der als Reaktion auf die Bombardierung der gleichnamigen baskischen Kleinstadt durch die deutsche Legion Condor mit „Guernica“ sein epochales Anklage-Bild gegen jede Form von Krieg schuf. Es war das wohl prägendste und einflussreichste Erlebnis für den jungen Matta, der als Maler Autodidakt war und seine Karriere mit Zeichnungen startete, die er über Vermittlung seines Freundes, des Dichters Federico García Lorca, Salvador Dalí zeigte. Dieser stellte wiederum den Kontakt zum Surrealistenkreis um André Breton her. Im Januar 1938 war Matta bereits mit vier Zeichnungen in der legendären „Exposition Internationale du Surréalisme“ in Paris vertreten.
Unter Bretons Patronat entwickelte sich Roberto Matta sehr bald zu einem prominenten Mitglied der surrealistischen Gruppe. Noch im selben Jahr schuf er seine ersten Gemälde, „Inscapes“ oder „Psychologische Morphologien“ genannt, die sich durch leuchtende Farben und die Verschmelzung von architektonischem Raum und biomorphen Formen auszeichnen. Matta trug die Farbe mit den Fingern auf, verwischte sie mit einem Lappen und bearbeitete die so entstandenen „automatischen Formen“ anschließend mit dem Pinsel weiter. Mit „Morphologie psychologique“ aus dem Jahr 1939 zeigt das Kunstforum ein Gemälde aus der frühen Malperiode. Durch die Andeutung von Landschaftselementen suchte Matta hier einerseits noch den Bezug zur Wirklichkeit, gleichzeitig erzeugte er mit den ungegenständlichen, amorphen Gebilden eine Atmosphäre des Undeutlichen, des nur schwer Fassbaren.
Wie viele Künstler*innen des Surrealismus emigrierte Roberto Matta Ende 1939 in die Vereinigten Staaten und lernte in New York die ältere Generation von Surrealisten und Dadaisten kennen. Vor allem Marcel Duchamp faszinierte ihn. Gemeinsam mit Robert Motherwell reiste er 1941 nach Mexiko, wo ihn vor allem die kontrastreiche Landschaft beeindruckte, die ihn zu einer Serie von Gemälden anregte, in denen er der „erschreckende Gewalt der Erde“ thematisierte. 1942 beteiligte er sich an der Ausstellung, die den Surrealismus in New York bekannt machte: „First Papers of Surrealism“. Aufgrund seiner guten Englischkenntnisse und seiner Kontaktfreudigkeit fand Matta rasch Anschluss an die New Yorker Kunstszene und hatte neben dem freundschaftlichen Austausch mit Motherwell engen Kontakt mit den jungen Künstlern des Abstrakten Expressionismus, wie Jackson Pollock, William Baziotes und Arshile Gorky.
„Les Témoins de l’univers“, ein Gemälde das 1947/48 gegen Ende des New Yorker Aufenthalts entstand, markiert bereits einen Übergang. Die amorphen Formen lösen sich mehr und mehr auf, werden von feinen Gespinsten überzogen, die eine Bewegung suggerieren und den Bildraum nervöser werden lassen. Flugobjekte mit sondenartigen Auswüchsen, durchsichtige Blasen, amöbenartige Wesen bevölkern nun grellfarbige, unendlich scheinende Räume. Einerseits manifestiert sich hier Mattas Interesse für die Physik – er traute dieser gar zu, dass sie eine ganz neue Malerei entstehen lassen könnte –, andererseits spiegelt sich in dem Gemälde auch das Dämonische der Welt, das der Künstler durch technische Innovationen, vor allem auch unter Bedrohung durch die Atombombe immer stärker empfand. In seiner persönlichen und letztlich für Außenstehende nicht erklärbaren Raumvision fand Matta Ausdruck für das, was die Bedrohungen der Welt in seinem Inneren anrichteten. „The Great Invisibles“, wie Breton sie nannte, sind zugleich Handelnde und Leidende, ähnlich ambivalent wie der Zivilisationsapparat, der die Menschen manipuliert und zugleich von ihnen gesteuert wird.
1948 kehrte Roberto Matta nach Europa zurück. Im selben Jahr kam es zum Zerwürfnis mit den Surrealistenfreunden in Paris. Matta wurde vorgeworfen, eine Affäre mit Agnes Magruder, der Frau seines Freundes und Malerkollegen Arshile Gorky gehabt zu haben, der kurz nach der Liaison Selbstmord beging. Nach dem Ausschluss aus dem surrealistischen Kreis wegen „intellektueller Disqualifikation und moralischer Schmach“, den vor allem der österreichische Architekt Friedrich Kiesler betrieben hatte, ließ sich Matta in Rom nieder. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich künstlerisch bereits durchgesetzt. Ab Anfang der 1950er Jahre fanden Ausstellungen seiner Arbeiten in London, New York, Venedig, Rom und Santiago statt. 1954 zog Matta zurück nach Paris. 1957 zeigte das Museum of Modern Art in New York die erste Retrospektive seiner Werke.
Die meistern Arbeiten, die in Wien zu sehen sind, entstanden Anfang der 1950er bis Mitte der 1970er Jahre. Die Auswahl macht deutlich: stets galt Mattas Interesse dem unendlich Großen und dem ganz Kleinen. Ihm ging es darum, mittels Malerei neue Räume zu schaffen, die eine alternative räumlich-zeitliche Realität abbilden und jenseits der Traumwelt, des Automatismus, des Unbewussten, wie sie für den Surrealismus charakteristisch sind, angesiedelt sind. Gleichermaßen in Mikroskop und Teleskop schauend, bilden seine oft zeichenhaft über atmosphärische Farbfelder gelegten Motive Momentaufnahmen transzendenter Räume zwischen Mikro- und Makrokosmos.
Das hat in der Wiener Schau manchmal allerdings auch etwas Theatralisches, wenn beispielsweises mit dem Triptychon „La nature unie“ von 1965 und weiteren großformatigen Gemälden aus dieser Zeit ein Raumenvironment nachgestellt wird, das Matta ursprünglich 1973 für eine Präsentation im Maison de la Culture in Amiens entworfen hatte. Die unkonventionelle Präsentation der Bilder, die schräg in den Raum hineinragen, kippen und von der Decke hängen, sollen den Besucher*innen auch in Wien „ein körperliches Eintauchen in die Kunst ermöglichen“.
1967 kaufte Roberto Matta ein altes Kloster in Tarquinia nordwestlich von Rom, wo er fortan wohnte und arbeitete. Die Ausmaße der Leinwände, die er nun bearbeitete, wurden immer größer. 1972 entstand „Coïgitum“, ein monumentales Gemälde aus Mattas Landsitz, das für die Wiener Ausstellung erstmals auf eine Reise geschickt wurde und nun als Herzstück im hohen Mittelsaal im Kunstforum hängt. Über eine Fläche von zehn mal vier Metern schweben futuristische, an Maschinen und technische Apparaturen erinnernde Gebilde in einem sphärisch anmutenden, blaufarbigen Raum. Den Titel erklärt der Ausstellungstext als „humorvolle Wortkombination aus Cogitum – der Gedanke – und Coitus – Geschlechtsverkehr“, als die Urform der Schöpfung. Zwei Jahre vor der Vollendung des Bildes war Mattas Tochter Alisée zur Welt gekommen. Mit fünf Frauen zeugte der Künstler sechs Kinder, darunter auch Gordon Matta-Clark, der 1978 fast ein Vierteljahrhundert vor seinem Vater starb.
Auf Roberto Mattas bewegte Lebensgeschichte, sein familiäres und künstlerisches Umfeld, auf die vielen Wohn- und Arbeitsorte, auf seine Reisen und auch auf sein politisches Engagement weist leider nur schlaglichtartig eine mit Fotografien bestückte und auf die Wand gedruckte Biografie hin. 1968 hatte sich der Künstler kollektiven Aktionen und Demonstrationen in Paris und Havanna angeschlossen. 1971 traf er in Chile Fidel Castro und nahm an Aktivitäten der „Brigada Ramona Parra“ teil, einer Künstlervereinigung, die mit ihren Wandgemälden im öffentlichen Raum politische Agitation betrieb. 1975 entstand in Auseinandersetzung mit einem 1952 erschienenen kurzen Text des kolumbianischen Schriftstellers Jorge Zalamea Borda „El Burundi Burunda ha muerto“, ein Gemälde, das mit seiner dunklen Tonigkeit und der Komposition der Figuren an Picassos „Guernica“ erinnert. Wie bei dem berühmten Vorbild misst auch bei Mattas Gemälde die Breite mehr als die doppelte Höhe. Ein solches Verhältnis eignet sich besonders für eine Reihung aufrechter Bildmotive, während Picasso eine Destruktionsszene mit zusammenbrechenden Formen und liegenden Figuren schaffen wollte. Bei Matta hingegen zieht eine Figurengruppe vom linken zur rechten Bildrand. Wie einen düsteren Comicstrip setzt er die literarische Vorlage um, die die Angehörigen eines Trauerzugs für einen Diktator beschreibt, kombiniert Körper mit Megaphonen und Dolchen, gewährt Röntgenblicke in Inneres, lässt spiralförmige Auswüchse aus geometrisch verkürzten Gebilden wachsen und eine Figur mit kleinen Flügelpaaren über der mehrdeutigen Szene schweben, in der Matta inhaltlich zu Pinochets Putsch Stellung nimmt. Das Besondere dabei ist, dass er konkrete Geschehnisse nicht dokumentiert, sondern verallgemeinert und durch ihre Ausdrucksfigurationen einer emotionalen Verarbeitung zugänglich macht. Noch im selben Jahr organisierte Matta eine Wanderausstellung, um die von der chilenischen Militärjunta begangenen Verbrechen anzuprangern.
Als Beleg der Aktualität verweisen die Kurator*innen der Wiener Ausstellung auf Mattas science-fictionaffine, manchmal comicartige und bis zum Graffitihaften reichende Bildthemen. Darüber hinaus lassen laut Direktorin Ingried Brugger „Mattas politisch wacher Geist, sein Eintreten für eine offene Gesellschaft… ihn heute als Pionier einer Kunst erscheinen, die soziale Verantwortung einforderte und jegliches inhaltliche wie auch formale Schweigegebot negierte“. Dass die Biografie Mattas zwischen Chile, seinem künstlerischen Initiationsort Paris, seinem Exil mit erfolgreichen Ausstellungen in New York und seinem Nachkriegsleben in Rom vielleicht interessanter ist, als die gezeigten Bilder, vermittelt vor allem der Katalog. Die Ausstellung selbst bietet wenige Hintergrundinformationen zu den spannenden Zusammenhängen zwischen persönlichen Lebensumständen und politischen Hintergründen. Auch ein In- Bezug-Setzen von Mattas Werken mit denen heimischer Kollegen wie Bruno Gironcoli oder seine Aktualität für zeitgenössische Künstler*innen wie Damien Hirst und Daniel Richter hätten sich als zusätzliche Themen angeboten. So bietet die Schau Mehrwert vor allem denen, die Mattas Werk pflegen, und denen, die es kommerziell veräußern. Trotzdem lohnt diese multidimensionale erschließende Malerei einen genaueren Blick. Ganz getreu Mattas Ansinnen: „Die Kunst soll das Universum erweitern!“
Die Ausstellung „Matta“ ist bis zum 2. Juni zu sehen. Das Bank Austria Kunstforum Wien hat täglich von 10 bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 14 Euro, für Senioren 10 Euro und für 17- bis 27jährige 7 Euro, darunter 4,50 Euro. Der Ausstellungskatalog „Matta-log. Morphology of Desire“ kostet 39 Euro. Auf Einladung des Bank Austria Kunstforums haben die Autorin Natascha Gangl und Rdeca Raketa, das elektronische Musikduo der Komponistinnen Maja Osojnik und Matija Schellander, eine Auswahl an Bildern Roberto Mattas zu Kurzhörspielen vertont. |