| | in der Ausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“ | |
Das „Wunder des Lebens“ geschah 1935 in Berlin. Hauptattraktion der so betitelten Nazi-Propagandaschau war ein gläserner Mensch, dessen innere Organe in einem abgedunkelten Raum per Knopfdruck aufleuchteten. Der Grafiker Herbert Bayer setzte dies in einem bestechend modernen Ausstellungsplakat um. Ab 1921 war er Student am Bauhaus, ab 1925 dort als Lehrer tätig. In den 1930er Jahren galt er als bestbezahlter deutscher Werbegrafiker. Als Leiter des Berliner Ateliers Dorland entwarf zahlreiche moderne Plakate für Textilien oder Hygieneartikel, so auch eines für die regenabweisende Kleidung „Regnol“ der Arbeitsgemeinschaft deutsch-arischer Bekleidungsfabrikanten, kurz Adefa. In einem innovativen Trompe l’œil-Effekt implantierte Bayer wie echt aussehende Regentropfen samt Adefa-Aufkleber ins Sujet. Er sah den Entwurf als so bedeutend an, dass er ihn 1938 mit in die USA nahm und 1976 zweitverwertete, allerdings ohne den Zusatz „aus arischer Hand“ und das Adefa-Signet.
Von kaum einer Persönlichkeit der Bauhaus-Geschichte wurden so viele Belege für eine ambivalente Haltung aufgedeckt wie bei Herbert Bayer. Basierend auf eigenen Beständen und unter Einbeziehung lokaler Aspekte geht die Klassik Stiftung Weimar im Rahmen ihres Themenjahres „Auf/Bruch“ der Frage nach, wie sich Bauhaus-Künstler*innen zur nationalsozialistischen Zeit verhielten. Ziel des umfangreichen Ausstellungsvorhabens ist es, diese Materie breit aufgefächert in den Blick zu nehmen. Das Kuratorenteam aus Anke Blümm, Elizabeth Otto und Patrick Rössler verfolgte in achtjähriger Vorbereitung die Strategie, das ausufernde Thema durch eine Konzentration auf Biografien griffig zu visualisieren. Nun stellen sie 58 Künstlerinnen und Künstler in drei thematischen Sektoren an verschiedenen Standorten mit ihrem Lebensweg und Werken vor.
Vieles davon ist bereits seit langem bekannt und wurde in anderen Zusammenhängen in Ausstellungen oder Publikationen analysiert. So stand das Schaffen von Herbert Bayer in der Stuttgarter Ausstellung „50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus“ 2018 umfassend im Fokus. Ludwig Mies van der Rohes Unterstützung des „Aufrufs der Kunstschaffenden“ von 1934 sowie dessen Entwürfe für Bauten und Propagandaschauen des NS-Regimes sind weithin publik. Das Schaffen vieler weiterer Bauhaus-Künstler im Dritten Reich wurde in Retrospektiven aufgearbeitet, etwa das des Möbeldesigners Erich Dieckmann im Berliner Kunstgewerbemuseum 2022. Insofern bringt die Weimarer Präsentation keine fundamental erweiterten Erkenntnisse. Das Neue an dem verdichteten Resümee des aktuellen Forschungsstands ist ein übergreifender Blick auf den gesamten Kontext. Aufgrund der vielen Texte gerät die immense Zahl von rund 400 Exponaten stark in den Hintergrund, wobei die Verteilung auf drei Standorte in Weimar das Thema unnötig zerfleddert.
Das weitaus umfangreichste und gewichtigste Kapitel ist im Schiller-Museum platziert. Unter der Überschrift „Lebenswege in der Diktatur 1933-1945“ stehen Werke und Künstlerbiografien im Fokus. Zum Einstieg werden harte Fakten angeführt: Von den erfassten 1253 Studierenden am Bauhaus plus 119 Lehrenden, also insgesamt fast 1400 „Bauhäuslern“, blieben nach 1933 rund 900 in Deutschland. 188 davon, darunter 18 Frauen, engagierten sich als Mitglieder in der NSDAP, 15 in der Sturmabteilung (SA) und 14 in der Schutzstaffel (SS). Tätigkeitsfelder, Entwürfe und Produkte von ihnen werden exemplarisch und nach Disziplinen geordnet vorgestellt. Breiten Raum nehmen zunächst die Grafik und Herbert Bayer ein. Anfang des 20. Jahrhunderts zum ersten Massenmedium aufgestiegen, diente der Inhalt von Plakaten und Publikationen dem neuen Regime. Im künstlerischen Ausdruck allerdings behielten sie trotz Infiltration propagandistischer Botschaften den modernen Duktus bei, wie Bayers Entwürfe plausibel zeigen. Wenn moderne Formen ansprechend und nützlich waren, wurden sie nie abgelehnt.
Künstler*innen auf den Gebieten von Buchgestaltung, Ausstellungsdesign, Kunstgewerbe und Industriedesign, Textilien, Tapeten, Fotografie und Film, Architektur oder Möbel offenbaren eine Fülle individueller Vorgehensweisen. Hierbei gibt es teils überraschende Details zu entdecken, wie bei Gerhard Marcks. Der durchaus konservativ eingestellte Künstler galt einerseits als „entartet“, konnte aber weiter ausstellen und verkaufen. Seine 1935 geschaffene Skulptur „Selene“, ein Modell der Jüdin Trude Jalowetz, durfte nach der Ausstellung in der Berliner Galerie Buchholz 1937 nicht mehr gezeigt werden. Noch 1941 gestaltete Marcks eine Büste von Adolf Hitler, die er sogar nach dem Krieg 1949 in Bronze goss, um seinem persönlich wahrgenommenen Blick mit verkniffenen Mund, scharfen Wangenknochen und vorstehender Nase Ausdruck zu verleihen! Der ebenfalls verfemte Oskar Schlemmer, dessen Wandbilder im Weimarer Bauhaus-Gebäude bereits 1930 entfernt wurden, fand Arbeit in der Wuppertaler Lackfabrik von Kurt Herberts, in dessen Auftrag er 1941 das realistische Gemälde eines im Trockendock liegenden Feuerschiffes malte, das die Situation des Künstlers ausdrucksvoll pointiert. Der Industriedesigner Wilhelm Wagenfeld stand der NSDAP ablehnend gegenüber und blieb konsequent seinen Grundsätzen klare Form, Materialgerechtigkeit und Zweckmäßigkeit treu. Als künstlerischer Leiter der Lausitzer Glaswerke schuf er 1938 das Kubusgeschirr aus Pressglas, das bis 1961 hergestellt wurde. Auch Wagenfeld profitierte von der NS-Wirtschaftspolitik, die sein kostengünstiges Geschirr als zweckmäßig und funktional einstufte und in großen Mengen abnahm.
Margaretha Reichardt hingegen, eine der talentiertesten Weberinnen am Bauhaus, stieg als politisch unauffälliges Mitglied der Reichskulturkammer zur wichtigsten Textilgestalterin des Hitler-Reiches auf und fügte sich bei der Gestaltung von Tapisserien in den ideologischen Kontext ein. Zu den erschreckenden Arbeiten zählen die im biederen Heimatschutz-Stil von Franz Ehrlich entworfenen und von KZ-Häftlingen in Buchenwald ausgeführten Möbel für den Lagerkommandanten. Im Gegensatz dazu ließ sich Adolf Hitler auf einem Stahlrohrsessel ablichten, den Anton Lorenz, ein ehemaliger Schüler Marcel Breuers, gestaltet hatte. Stahlrohrmöbel gehörten zum Markenzeichen des Bauhauses, und dem wollte auch der Führer zumindest propagandistisch Tribut zollen, um Offenheit vorzutäuschen. Ehrlich war es auch, der das eiserne Eingangstor des KZ mit seiner typografisch modernen, aber zynischen Inschrift „Jedem das Seine“ entwarf, das in Kopie die Besucher vor dem Museum empfängt. Der bei Hannes Meyer ausgebildete und 1931 bei Ludwig Mies van der Rohe diplomierte Architekt Fritz Ertl übernahm nach Tätigkeit im elterlichen Baubetrieb in Linz eine Leitungsfunktion in der SS-Sonderbauabteilung für Auschwitz, wo er ab 1940 an der Konzeption der Vernichtungsstätten mitwirkte. Ein Lageplan dokumentiert auf erschreckende Weise die moderne Zweckrationalität sowie standardisierte Funktionalität. Zu den erschütterndsten Dokumenten gehört ein Foto des Bauhäuslers Fritz Heinze: 1941 dokumentierte er in einem Gewächshaus eingesperrte jüdische Frauen und Kinder, die auf den Tod warteten.
Im Weimarer Bauhaus-Museum geht es unter dem Titel „Abgehängt – Beschlagnahmt – Angepasst 1930/1937“ um den Raub verfemter Kunst. Zu den Highlights gehört Lyonel Feiningers 1921 entstandenes Gemälde „Gelmeroda VIII“, das aus dem New Yorker Whitney Museum noch einmal an seinen alten Aufbewahrungsort zurückkehrte. Bis 1930 in der modernen Abteilung im Weimarer Schloss zu sehen, wurde die prismatisch aufgesplitterte Ansicht des Dorfs bei Weimar 1937 beschlagnahmt. Hier hing auch Paul Klees Ölfarbenzeichnung „Löwen, man beachte sie!“ von 1922, die heute die Düsseldorfer Kunstsammlung NRW bereichert. Ebenso erging es Klees gleichaltrigem Aquarell „Sterbende Pflanzen“, das heute im Museum of Modern Art in New York zu sehen ist. Als die konsequent konstruktivistische „Komposition Q VIII“ von László Moholy-Nagy 1924 in einer Ausstellung im Weimarer Landesmuseum gezeigt wurde, erregte sie Widerstand beim bürgerlichen Kunstgeschmack und konnte nicht erworben werden.
Die Widersprüchlichkeit der Kategorisierung als „entartet“ wird am Schaffen von Karl Pietschmann offenbar. 1937 wurden zwei Grafiken des zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit pendelnden Künstlers im Erfurter Angermuseum beschlagnahmt. Das hier präsentierte Sonnenblumenbild von 1931 entging der Beschlagnahme, und weitere Blumenbilder durfte der Künstler auf der Großen Deutschen Kunstausstellung von 1937 und 1938 in München ausstellen. Der ehemalige Bauhaus-Student Wilhelm Imkamp steht symptomatisch für Anpassung: 1933 gab er seine abstrakte Formensprache auf und schuf Propagandabilder und Porträts für den NS-Staat. Sein Bildnis der nationalsozialistischen Vorzeigepianisten Elly Ney von 1938 wurde später von Adolf Hitler erworben. Heinrich Basedow war einerseits ein begeisterter Parteianhänger und Ideologe, andererseits vertrat er als Meister einer surrealen Bildsprache den Magischen Realismus, weshalb sein Gemälde „Möwe mit Kutter“ von 1936 bei der Auswahl zur Großen Deutschen Kunstausstellung abgelehnt wurde. Diese Beispiele stehen für den differenzierten Blick auf Vorgehensweisen und Kriterien der Machthaber.
Das Museum Neues Weimar beleuchtet unter dem Titel „Politische Kämpfe um das Bauhaus 1919-1933“ die künstlerischen, gesellschaftlichen und politischen Konflikte, die bereits mit der Gründung der Kunstinstitution in Weimar begannen und sich in Dessau und Berlin unvermindert fortsetzten. Die von Walter Gropius verfolgten neuen Wege brachten viele Verwerfungen mit sich. 1936 wurde sein politisch und ästhetisch umstrittenes Denkmal für die Märzgefallenen in Form eines zackigen Blitzes aus Beton zerstört. Johannes Driesch verewigte als Abgesang auf die Weimarer Zeit in einem Gemälde von 1925 den „Letzten Tanz“ der Schule beim Bauhaus-Fest in Oberweimar. Als Nachfolgeeinrichtung des Bauhauses in Weimar wurde 1926 die Staatliche Hochschule für Handwerk und Baukunst, kurz Bauhochschule, gegründet. Ehemalige Bauhäusler wirkten hier als Lehrer. Nach Berufung des Architekten Paul Schultze-Naumburg allerdings mussten diese die Schule wieder verlassen. Auch Erich Dieckmann, der ein erfolgreiches Typenmöbelprogramm entworfen hatte, musste gehen. Walther Klemm allerdings, der als konservativer Bauhausmeister ohnehin den modernen Lehrmethoden kritisch gegenüberstand und schon 1921 an die vom traditionsliebenden Weimarer Bürgertum neu gegründete Hochschule für bildende Kunst zurückkehrte, durfte bleiben, was angesichts seines wenig innovativen Ölgemäldes vom Münchner Hauptbahnhof aus den Jahren 1922/23 nur allzu plausibel erscheint.
1925 ging das Bauhaus ins aufgeschlossenere Dessau und richtete hier die berühmten Bauhaus-Villen und das Bauhausgebäude ein. Doch auch nach dem erneuten Umzug von Dessau in eine leerstehende Berliner Telefonfabrik 1932 war das Ende des Bauhauses vorgezeichnet. Am 20. Juli 1933 beschloss der Lehrkörper die Selbstauflösung. Die vielen Schattierungen in der Einstellung der Künstler*innen zum Nationalsozialismus, die derzeit in Weimar präsentiert werden, verdeutlichen einmal mehr die Unhaltbarkeit der in den Nachkriegsjahren gepflegten Mär einer lupenreinen demokratisch-fortschrittlichen, von nachfolgenden Entwicklungen unberührten Institution. Das Bauhaus setzte zwar die Demokratie als Staatsform voraus und brauchte sie. Aber letztendlich lehrt auch hier die Geschichte, dass jeder Einzelne stets den ihm genehmen Weg alleine bestreitet.
Die Ausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“ ist noch bis zum 15. September im Bauhaus-Museum, Schiller-Museum und im Museum Neues Weimar zu besichtigen. Das Bauhaus-Museum und das Museum Neues Weimar haben täglich außer dienstags von 9:30 Uhr bis 18 Uhr, das Schiller-Museum täglich außer montags von 9:30 Uhr bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt in alle drei Ausstellungsteile beträgt 17 Euro, ermäßigt 12 Euro, für Schüler zwischen 16 und 20 Jahren 7 Euro. Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog im Hirmer Verlag erschienen, der im Museum 37 Euro, im Buchhandel 49,90 Euro kostet.
Neues Museum Weimar
Jorge-Semprún-Platz 5
D-99423 Weimar
Schiller-Museum
Schillerstraße 12
D-99423 Weimar |