Trauer um Thomas Hoepker Mit Thomas Hoepker ist eine der großen Figuren der internationalen Fotoszene gestorben. Wie seine Agentur Magnum Photos mitteilte, erlag er am 10. Juli in Santiago de Chile einem langjährigen Ringen mit seiner Alzheimer-Erkrankung. Er wurde 88 Jahre alt. Die Magnum-Familie habe heute eines ihrer teuersten Mitglieder verloren, schreibt die amtierende Magnum-Präsidentin Cristina de Middel in ihrem Nachruf. „Thomas Hoepker war ein großer Visionär, dessen Beiträge über seine bemerkenswerten, spielerischen und ergreifenden Fotografien hinausgingen. Als Präsident von Magnum Photos zwischen 2003 und 2006 führte er das Unternehmen mit unerschütterlichem Engagement und der Verpflichtung, die nächste Generation von Fotografen zu fördern und die Zukunft der Agentur als relevante Instanz zu sichern. Sein Vermächtnis innerhalb der Magnum-Gemeinschaft ist geprägt von Inspiration, Mentorschaft und einem unermüdlichen Streben nach Spitzenleistungen, gepaart mit Freundlichkeit und Großzügigkeit. Thomas Hoepkers Werk wird uns auch weiterhin inspirieren, bilden und uns daran erinnern, wie sehr die Fotografie unser Verständnis der Welt prägen kann.“
Hoepker, geboren am 1936 in München, kam schon als Jugendlicher in Kontakt mit der Fotografie, als sein Großvater ihm mit 14 Jahren eine Kamera schenkte. Nach der Schulzeit studierte er von 1956 bis 1959 Kunstgeschichte und Klassische Archäologie in München und Göttingen, war aber auch als Fotograf aktiv und gewann zweimal Preise beim Wettbewerb „Jugend photographiert“ auf der Kölner Photokina. Dann begann seine steile Karriere als Berufsfotograf, zunächst bei der „Münchner Illustrierten“ und der Zeitschrift „Kristall“, für die er zu Beginn der 1960er schon aus aller Welt berichtete. 1964 wechselte Thomas Hoepker dann zum „Stern“. Ab den 1970er Jahren arbeitete er auch als Filmemacher und Kameramann, ging 1974 er zusammen mit seiner damaligen Frau, der Journalistin Eva Windmöller, für den „Stern“ als Fotoreporter nach Ost-Berlin und verlegte 1976 seinen Lebensmittelpunkt nach New York, wo er weiterhin für den Stern tätig war, aber auch als Art Director an der amerikanischen Ausgabe der neu gegründeten Reportagezeitschrift „GEO“ mitwirkte.
In New York entstand auch eines seiner ikonischen Bilder, mit denen sich Thomas Hoepker ins Gedächtnis der Menschen eingebrannt hat: den Terrorangriff auf das World Trade Center vom 11. September 2001. Umrahmt von sonnenbeschienenen Zypressen sitzen fünf junge Menschen in Williamsburg am East River und plaudern scheinbar unberührt, während hinter ihnen über der Skyline von Manhattan bereits dicke Rauchschwaden am blauen Himmel aufsteigen. Die Fotografie, die Hoepker erst fünf Jahre nach den Anschlägen veröffentlichte, löste einige Kontroversen aus. Denn das vordergründige Freizeitvergnügen und die vermeintliche Ignoranz der jungen Leute, die es nach ihrem eigenen Bekunden so nicht gegeben hat, stehen im Kontrast zur gut wahrnehmbaren Katastrophe. Mit diesem Bild von Normalität im Angesicht des Terrors verewigte Hoepker einen historisch gewordenen Augenblick.
Auch mit anderen Fotos wird Thomas Hoepker der Nachwelt erhalten bleiben, etwa mit den Porträtaufnahmen der Boxlegende Muhammad Ali aus dem Jahr 1966: der Weltmeister im Schwergewicht streckt seine geballte Faust wie im Kampf in Hoepkers Objektiv, während er selbst leicht verschwommen im Hintergrund zu sehen ist, oder er springt kindlich verspielt von einer Brücke über den Chicago River. Zudem lichtete Hoepker die Pop Art-Größen Roy Lichtenstein und Andy Warhol in ihren New Yorker Ateliers ab, letzteren etwa in einer aufschlussreichen Doppelbelichtung 1981 in Warhols „Factory“ am Union Square. Hoepker wurde 1989 als erster deutscher Fotograf Vollmitglied der international angesehenen Agentur Magnum Photos, dann 1992 zum Vizepräsidenten und 2003 zum Präsidenten.
Die Reportagen führten den Bildjournalisten Hoepker aber auch in entlegene Regionen der Welt, oft von bitterer Armut geprägt und von Kriegen und Krisen gebeutelt. 1967 war er bei der Hungerkatastrophe im indischen Bundesstaat Bihar zugegen, 1973 dokumentierte er die verheerende Hungersnot in Äthiopien. „Ich möchte versuchen, mit meinen Bildern zu provozieren, ohne Sensationen künstlich zu schaffen und ohne die Wahrheit zu entstellen. Aber ich möchte hin und wieder etwas in Bewegung bringen, um zu helfen“, formulierte Thomas Hoepker 1965 sein fotografisches Ethos. Dies vermitteln gleichfalls seine Bilder von den Indianerstämmen der Konibo im Amazonas-Gebiet von Peru oder von Leprakranken in Äthiopien, die auf Friedhöfen in zerfallenen Gräbern und Erdlöchern leben. Fotografie war für Thomas Hoepker immer eine Möglichkeit, sich für eine gerechtere Welt einzusetzen. Dem geschundenen Menschen gab er ein Gesicht und eine Würde.
Im Jahr 2017 wurde bei Hoepker dann Alzheimer diagnostiziert. Daraufhin beschlossen er und seine jetzige Ehefrau, die Filmemacherin Christine Kruchen, einen Roadtrip durch die USA zu unternehmen. Daraus entstand in der Regie von Nahuel Lopez der intime Dokumentarfilm „Dear Memories“, der Hoepkers Leben und seine Arbeit anhand seiner Erinnerungen erforscht. Zugleich arbeitete Thomas Hoepker an dem Buch „The Way It Was“, in dem er die Farbfotografien seiner letzten großen Reise älteren Schwarz-Weiß-Bildern gegenüberstellte und so ein sich wandelndes Bild von Amerika lieferte. Während der Corona-Pandemie begannen Hoepker und Kruchen, seine allerersten Schwarzweißfilmnegative zu sichten. Eine ihrer Entdeckungen war eine Serie von 10.000 Negativen, eine fotografische Studie über das Leben im Italien der späten 1950er Jahre, aufgenommen mit der Leica MP, die er im Alter von 19 Jahren mit dem Erlös seiner allerersten Bildverkäufe gekauft hatte. Daraus entstand das Fotobuch „Italia“, das als letztes großes Werk Hoepkers im vergangenen Jahr im Verlag Buchkunst Berlin erschien. |