Der „Liegende Akt“ ist ein Paradebeispiel für die Kunst von Heinrich Campendonk. Gemalt 1918 in der selbstgewählten Abgeschiedenheit von Seeshaupt am Starnberger See, steht die farbintensive Traumwelt für einen künstlerischen und persönlichen Neuanfang. 1914 und 1916 waren seine Malerfreunde Macke und Marc im Ersten Weltkrieg gefallen, Kandinsky und Jawlensky mussten aus politischen Gründen Deutschland verlassen, und die verschiedenen Künstlerkreise, vor allem der „Blaue Reiter“, waren in Auflösung begriffen. Erst nachdem Campendonk den Tod Marcs verkraftet und sich seine Lebenssituation gefestigt hatte, fand er die innere Gelassenheit, sich wieder auf sein Schaffen zu fokussieren und die kubistisch-kantige Bildsprache mit weicheren, runden Formen fortzusetzen. Thematisch blieb er sich treu, rückte oft eine menschliche Gestalt ins Zentrum seiner Kompositionen, die er mit Elementen der Flora und Fauna umgab, und schuf hiermit die Utopie eines friedlichen Miteinanders von Mensch und Natur, so auch im „Liegenden Akt“, in dem er mit den weißen Kreuzen im Hintergrund auf die toten Künstlerfreunde aufmerksam machte.
Bis vor kurzem hütete Heinrich Campendonks Familie diese Paradiesvision in ihrem Besitz und zeigte sie während der vergangenen zwanzig Jahre als Leihgabe im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen und im Museum Penzberg. Nun trennte sie sich über das Auktionshaus Lempertz erfolgreich davon: Im „Evening Sale“ mit Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts fiel für das marktfrische Werk der Hammer bei der oberen Schätzung von 800.000 Euro zugunsten eines rheinischen Sammlers, der mit Aufgeld 996.000 Euro auf den Tisch blätterte. Doch nicht alles, was der Kölner Versteigerer Anfang Juni aufgeboten hatte, löste eine vergleichbare Euphorie aus. So liegt die losbezogene Verkaufsrate samt Nachverkauf zwar bei guten 63 Prozent, doch vieles spielte sich im unteren Bereich der Erwartungen oder darunter ab, etwa bei Emil Noldes intensiv in Gelb und Rot blühenden „Dahlien“ von 1948. Das Gartenbild, das aus dem Erbe von Noldes zweiter, erst 2010 verstorbener Ehefrau Jolanthe stammte und bis vor kurzem im Brücke Museum in Berlin hing, kam nur auf 650.000 Euro (Taxe 700.000 EUR).
Weitere Werke aus renommierten Sammlungszusammenhängen mit musealen Weihen waren Pierre Bonnards unspektakuläre stille Flusslandschaft „La Seine à Vernon“ von etwa 1922 und Henri de Toulouse-Lautrecs frühe, noch untypische Leinwand „Nice. Sur la promenade des Anglais“ von 1880. Die Dauerleihgaben der Sammlung Corboud im Kölner Wallraf-Richartz-Museum gaben sich aber schon mit 115.000 Euro respektive 110.000 Euro zufrieden (Taxe je 150.000 bis 200.0000 EUR). Ernst Ludwig Kirchners Rarität, die schwarz-weiße Lithografie „Rheinbrücke in Köln (Hohenzollernbrücke)“ von 1914, von der im ersten Druckzustand nur ein Exemplar bekannt ist, gab mit ihrer rückseitigen Aktzeichnung „Zwei Mädchen im Tub“ von 200.000 Euro leicht auf 190.000 Euro nach. Bei der jüngeren Kunst generierte Georg Baselitz’ neoexpressives Frakturbild „Ein Werktätiger“ von 1967 mit 320.000 Euro kein allzu großes Interesse (Taxe 350.000 bis 450.000 EUR), ebenso wie Jonas Burgerts kryptisches Panoptikum „Täuschung“ von 2010 mit 120.000 Euro (Taxe 150.000 bis 200.000 EUR).
Für den zweiten Star des Abends, Hermann Max Pechsteins expressionistisches „Stillleben mit Pfeife“ von 1917 samt Südseeimpression mehrerer „Palau-Mädchen“ auf der Rückseite, fand sich überhaupt kein Käufer; es hätte wie das Campendonk-Gemälde bis zu 800.000 Euro bringen sollen. So erging es auch Paul Klees fantastisch-poetischer Szene „Tagesspuk auf dem Hauptplatz“ von 1929 (Taxe 170.000 bis 200.000 EUR), Egon Schieles Bleistiftzeichnung zweier weiblicher, sich umarmender Akte von 1913 (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR), Carlos Cruz-Diez’ scheinbar schwebenden Farbrechtecken der „Physichromie No. 548“ von 1971 (Taxe 70.000 bis 90.000 EUR) oder Rosemarie Trockels beweglicher zweiteiliger Wandinstallation „Reißverschlussphantom“ von 2005 (Taxe 300.000 bis 400.000 EUR).
Doch Lempertz verzeichnete auch einige deutliche Gewinner. Schon die erste Position der Auktion, Andy Warhols Serigrafie „Details of Renaissance Paintings“ von 1984 mit dem Kopf der berühmten Botticelli-Venus auf himmelblauem Grund, zog von 60.000 Euro auf 100.000 Euro an. Victor Vasarely freute sich über 115.000 Euro für seine Op-Art-Täuschung „Zoeld-D-SZ“ aus gelben, braunen und grauen Kreis- und Quadratelementen (Taxe 80.000 bis 100.000 EUR), Eduardo Chillida über 95.000 Euro für seine spartanische Tusche-Collage „Gravitación“ von 1990 (Taxe 40.000 bis 60.000 EUR) und Otto Modersohn über 36.000 Euro für seine abendliche Worpswede-Stimmung „Unter Birken“ von 1902 mit junger Schäferin (Taxe 20.000 bis 30.000 EUR). Mit 50.000 Euro lag Max Slevogts unprätentiöses Stillleben „Amaryllis und Flieder“ von 1916 gleichfalls in der Gunst der Bieter (Taxe 35.000 bis 40.000 EUR), ebenso Oskar Schlemmers charakteristisches Aquarell „Drei Frauen von rückwärts“, eine um 1932 entstandene Studie zu seinem prominenten Gemälde „Bauhaustreppe“, das bei 150.000 Euro an eine deutsche Sammlung weitergereicht wurde (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR), und die dunkle „Paysage (Gorges du Tarn)“ aus dem noch figurativen Frühwerk Jean Fautriers von 1925 mit 60.000 Euro (Taxe 40.000 bis 50.000 EUR).
Geteilt waren die Reaktionen auf die Arbeiten von Max Ernst aus der Sammlung des Kölner Arztes Peter Schneppenheim. Die surreale Collagemalerei „Mobiles Herbarium“ von 1920 stieg von 250.000 Euro auf 300.000 Euro, die lustige doppelansichtige Bronzeplastik „Janus“ von 1974 von 50.000 Euro auf herausragende 92.000 Euro. Ernsts hintergründiges Querformat „Les trois philosophes“ aus der Mitte der 1950er Jahre blieb indes liegen (Taxe 200.000 EUR), während die zeitgleich gefertigte Grattage und Décalcomanie „Les antipodes du paysage“ sich taxkonform bei 150.000 Euro behauptete. Im Rahmen der Erwartungen schlossen zudem Wassily Kandinskys schwarz-weiße, geometrisch-konstruktive Tuschezeichnung von 1936 bei 36.000 Euro, Hans Purrmanns heitere Impression „Garten der Villa Romana“ von 1941 bei 75.000 Euro und Kim Tschang-Yeuls 1983 täuschend echt gemalte transparente Wassertropfen auf hellbraunen Hanfstoff bei 100.000 Euro ab.
Gut lief es für das bildhauerische Angebot. Wilhelm Lehmbrucks 1910 datierter Bronzeakt „Mädchen mit aufgestütztem Arm“ reüssierte als einer von zwei bekannten Lebzeitengüssen bei 75.000 Euro (Taxe 50.000 bis 70.000 EUR), Käthe Kollwitz’ posthumer Guss ihrer „Pietà“ folgte bei 60.000 Euro (Taxe 50.000 bis 60.000 EUR), und Gerhard Marcks’ lebensgroße Bronzeplastik der nackten „Schwimmerin II“, die wenige Tage zuvor schon im Berliner Auktionshaus Grisebach deutlich zulegte, ließ sich auch bei Lempertz mit einem Zuschlag von 240.000 Euro nicht lumpen (Taxe 150.000 EUR). Allerdings hatte Lempertz vor zehn Jahren bereits einmal 320.000 Euro für diese Skulptur realisiert. Mit zwei großformatigen Textilbildern, die schon in Ausstellungen in Wien und Bregenz zu sehen waren, konnte Cosima von Bonin neue Maßstäbe setzen: Ihre Arbeit „Misdemeanour“ von 2008 spielte 90.000 Euro ein, die ein Jahr ältere Stoffcollage „Can Cry at Will“ sogar 95.000 Euro (Taxe je 40.000 bis 60.000 EUR). Cady Nolands Wandobjekt „Pole Distortion“ von 1989 aus einem Aluminiumrohr mit angehängtem metallenem Münzbehälter wanderte zur unteren Schätzung von 120.000 Euro in die USA zurück.
Die Ergebnisse verstehen sich als Zuschlag ohne das Aufgeld. |