| | Berta Fischer, Tiangaliron, 2024 | |
Weit oben scheint man auf Wolken zu schweben. Wie sich dies anfühlt, kann man derzeit im Skulpturenpark Waldfrieden erleben. Den höchsten Punkt des dicht mit Bäumen bestandenen Hangareals in Wuppertal krönt ein elliptischer Glaspavillon. Den lichtdurchfluteten Saal durchzieht nun in der Länge knapp über den Köpfen der Besucher*innen ein schwebender Schweif fluoreszierender, heller, rötlicher, blauer und grüner Farben. An den Enden verfeinert sich das Knäuel und löst sich im Nichts auf. An kaum sichtbaren dünnen Fäden hängen von der Decke 48 ineinander verschachtelte Elemente aus Plexiglas. Die Künstlerin Berta Fischer schneidet die leicht formbaren Kunststoffelemente aus, faltet und biegt sie zusammen, so dass sie im Konglomerat, getroffen von einfallenden, gebrochenen Lichtstrahlen, ein schillerndes Farbspiel entfachen. Schwerelosigkeit, leuchtender Schein und sanft evozierte Bewegungen sind Dinge, welche die Künstlerin faszinieren und deren Relevanz sie mit den von ihr benutzten leichten Materialien auslotet. Damit steht sie in der Tradition einer in den 1920er Jahren eingeleiteten Beschäftigung mit transparenten Kunststoffen und Spiegelflächen, die bedeutende Größen wie Naum Gabo oder László Moholy-Nagy zu einer Zeit angestoßen haben, als diese neuen Materialien für Autos oder Flugzeuge auch in der Kunst Einzug hielten.
Berta Fischer, Tochter des bekannten Düsseldorfer Galeristen und Malers Konrad Fischer und seiner Frau Dorothee wurde 1973 in Düsseldorf geboren und beendete ihre Studien in New York und Karlsruhe 1998 mit dem Diplom. Heute lebt und arbeitet sie in Berlin. Ihr „Tiangaliron“ gleitet wie eine riesige Datenwolke in fließenden, an den Enden ausgedünnten Formationen durch die Glashalle, wobei bonbonhafte Farben je nach Lichtbrechung die einzigen Wandlungen im zugleich bewegten und unbeweglichen, starren und fragilen Konstrukt bilden. Der spielerische Umgang mit biomorphen, kristallinen und fließenden Formen vermittelt nicht nur Leichtigkeit, sondern korrespondiert auch mit den unmittelbar benachbarten Naturformen vor den Fensterfronten. Dies zeichnet ebenso die drei weiteren Exponate Berta Fischers aus: die große Wandarbeit „Atysarium“, die in festem Styrofoam geformte und mit türkisblauem Lack überzogene wuchernde Struktur „Lysop“ und die Außenplastik „Izarido“.
Von der Höhe führt der Pfad durch das von Tony Cragg initiierte Skulpturenreich in tiefere, lebensnähere Welten. In den beiden unteren Pavillons hat Cragg zusammen mit Jon Wood eine Werkübersicht seines Landsmannes Eduardo Paolozzi kuratiert. Die Arbeiten des vor 100 Jahren bei Edinburgh geborenen Sohnes eines aus Italien eingewanderten Eisdielenbesitzers stehen im starken Kontrast zu jenen von Berta Fischer; einzig das Collagieren stellt ein verbindendes Element dar. Im Mittelpavillon sieht man sich acht kräftig derben, teils martialisch kühlen Plastiken aus den 1960er und 1970er Jahren gegenüber. Wie menschenähnliche Roboter aus Science-Fiction-Filmen erscheinen die frühen Bronzen „St. Sebastian IV“ von 1957 oder „The Frog Turning into a House“ von 1961. Paolozzi verarbeitete hierzu gesammelten Schrott und fügte ihn zu originellen Konstrukten zusammen.
Einiges mag sich vielleicht aus seiner Lebensgeschichte erschließen. Zu den prägenden Erfahrungen gehörte die Internierung des „Sohnes feindlicher Ausländer“ im Jahr 1940. Ab 1943 studierte Eduardo Paolozzi an mehreren Institutionen in Edinburgh, London und Paris, wo ihn Collagen von Max Ernst nachhaltig beeindruckten. Ab 1949 nahm er eine Reihe von Lehraufträgen und Professuren wahr, zunächst für Textildesign und Bildhauerei in London. Nach Professuren in Hamburg und für Keramik an der Fachhochschule Köln lehrte er bis 1989 an der Akademie der Bildenden Künste in München. Bereits 1947 hatte er seine erste Soloausstellung in der Londoner Mayor Gallery. Der viermalige Documenta-Künstler nahm ferner an der venezianischen Biennale im Jahr 1960 teil und wurde 1989 von Königin Elisabeth II. zum Ritter geschlagen. Im April 2005 verstarb er in London. Nicht zu vergessen sind seine zahlreichen Arbeiten im öffentlichen Raum, unter denen das 1989 vollendete begehbare Environment „Rheingarten-Skulptur“ am Kölner Rheinufer vor dem Museum Ludwig oder das gleichaltrige, mechanisch anmutende Konstrukt „For Leonardo“ vor der Alten Pinakothek in München zu den bekanntesten Werken gehören.
In den 1940er und 1950er Jahren nahm Eduardo Paolozzi mithilfe von Collagen aus Magazinausschnitten das Konsumverhalten in einer florierenden Warenwelt in den Blick und kombinierte Bilder aus der Populärkultur und der Werbung. Unter dem Einfluss von Surrealismus, Dadaismus und Primitivismus entwickelte er mit Illustrationen zur Massenkultur eine neue Ästhetik, womit er sich nicht nur provokativ von traditionellen und abstrakten Kunstrichtungen absetzte, sondern zugleich auch die Pop Art vorwegnahm. Diese Entwicklung mündete in kraftvollen Skulpturen und Grafiken, mit denen er das Verhältnis von Mensch und Wissenschaft, Mensch und Maschine erforschte. Frühe Arbeiten fertigte Paolozzi in Beton wie die 1946 entstandene Skulptur „Seagull and Fish“, zu der sich in der unteren Halle Bildnisse von Menschen in der Form gefalteter Gipsköpfe gesellen, die an Pablo Picassos kubistische Frauenbüsten erinnern. Hinzu treten Grafiken und Radierungen, die in starkfarbigen Abstraktionen zwischen Geometrie und Technologie pendeln, sowie die Maschinenstrukturen assoziierende Aluminiumplastik „The Twin Towers of the Sfinx – State II“ von 1962. Sie dokumentiert die in den 1960er Jahren einsetzende Beschäftigung mit geometrischen Formen und ihren Konstruktionen im Raum. Im Skulpturenpark Waldfrieden entfalten sich dabei auf besondere Weise visuelle Dialoge zwischen den rätselhaften, skulpturalen Bildwelten Paolozzis und der umliegenden Natur.
Die Ausstellungen „Eduardo Paolozzi“ und „Berta Fischer“ sind bis zum 1. Januar 2025 zu besichtigen. Der Skulpturenpark Waldfrieden hat bis zum 31. Oktober täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr, ab 1. November freitags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Am Heiligabend und Silvester ist er geschlossen. Der Eintritt beträgt 12 Euro, ermäßigt 9 Euro. Für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre ist er kostenlos. Begleitend zur Ausstellung von Eduardo Paolozzi wird ein Katalog erscheinen. |