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Journal

Ein sommerlicher Rundgang mit Kunst und Architektur in Basel

Viel Raum für kreatives Denken



Auf dem Dreispitzgelände in Basel: das Archivgebäude von Herzog & de Meuron und das HEK

Auf dem Dreispitzgelände in Basel: das Archivgebäude von Herzog & de Meuron und das HEK

Man kann Basel als ein Mekka für Architekturfans bezeichnen. In der schweizerischen Metropole am Rhein entstehen immer wieder architektonisch außergewöhnliche Gebäude für unterschiedliche Nutzungen, so auch im Erlenmatt Ost, einem neuen innovativen Viertel mit günstigem Wohnraum für Künstler*innen, Architekt*innen und andere Kreative unweit des Badischen Bahnhofs. Das von dem Architekten Heinrich Degelo entworfene Areal zeugt von zeitgemäßer Stadtplanung, der Nachnutzung industrieller Bauten und einem großen Bewusstsein für ökologische Bauweisen und zeitgemäße urbane Lebensformen. Hier hat zum Beispiel der 1979 geborene Schweizer Künstler Kilian Rüthemann sein selbst ausgebautes Loft mit angeschlossenem Atelier.


Der für seine großformatigen Skulpturen aus unorthodoxen Materialien bekannte Bildhauer präsentiert in seinen mit großen Fenstern und hohen Decken ausgestatteten Räumen die Videoarbeit „Re-Position“ von 2023. Sie zeigt, wie acht sogenannte Art Handler, darunter versteht man Profis im Ein- und Auspacken, Transportieren und Aufstellen von Kunst, sich unter großer Anstrengung bemühen, eine 200 Kilogramm schwere, rote Skulptur aus Silikon zu bewegen und zu positionieren. Das schwabbelige, von Rüthemann selbst gegossene und an eine große Turnmatte erinnernde Gebilde entwickelt dabei eine ungeahnte Widerspenstigkeit. „Es geht hier um den Prozess, eine Skulptur zu platzieren“, erläutert Kilian Rüthemann seinen im Spannungsfeld zwischen Institutionskritik, Kontextkunst und Performance oszillierenden Ansatz. Unterlegt ist der Film mit experimentell anmutender Saxophonmusik des befreundeten Musikers Tapiwa Svosve. Konzeptuelle und administrative Tätigkeiten erledigt Rüthemann von hier aus. In einem anderen Stadtteil von Basel unterhält er ein weiteres Atelier für die „schmutzigen“ Arbeiten, wie er es nennt, und werkelt dort etwa mit Zement, Sand, Gips oder Asphalt.

In dem von Degelo Architekten mit viel Mut zum Unfertigen errichteten Gebäude auf dem ehemaligen Gelände eines Güterbahnhofs wohnt und arbeitet auch die Malerin Luisanna González Quattrini. Die in Lima geborene Künstlerin kam nach Stationen in Italien, Frankreich und Genf, wo sie 2005 an der renommierten Kunsthochschule HEAD ihren Abschluss gemacht hat, vor einigen Jahren nach Basel und ist hier ganz bewusst „hängengeblieben“. Gerade bereitet sie sich auf die Gruppenausstellung „Come As You Are“ in der Kunsthalle Basel im September vor, bei der Arbeiten der Preisträger*innen des Kunstkredits Basel-Stadt 2023 präsentiert werden. Das jährlich ausgeschriebene Programm wurde bereits 1919 ins Leben gerufen. Heute beinhaltet es neben Wettbewerben und Ankäufen für die Sammlung auch Initiativen wie den Basler Kunstpreis und andere gezielte Fördermaßnahmen.

Auf einem kleinen Tisch in ihrem Atelier liegt ihre aktuelle Lektüre, von der Luisanna González Quattrini sich bei der Malerei zuweilen inspirieren lässt: James Ensor, Hannah Höch, Raoul de Keyser und Francisco de Goya. „In meinen Bildern geht es um die Anwesenheit und das Verschwinden“, erläutert die Wahl-Baselerin den Eindruck des Instabilen und Ephemeren, den ihre Gemälde ausstrahlen. Themen wie Migration, das Wasser und das Leben im Wasser reflektiert sie mit zartem und durchscheinendem Farbauftrag auf Bildern in verschiedenen Größen. In der Kunsthalle Basel wird sie eher kleine Formate zeigen, die sie gerade in ihrem Atelier noch wie eine Bibliothek ordnet.

Was tut sich aktuell in den Kunst- und Kulturinstitutionen in Basel? Mehrere Häuser haben in letzter Zeit renommierte Architekturbüros beauftragt, Umbauten vorzunehmen beziehungsweise große Neubauten zu planen und zu vollenden. So wird der Erweiterungsbau der 1997 von Renzo Piano errichteten Fondation Beyeler in Riehen von Peter Zumthor vorangetrieben. Das meistbesuchte Museum der Schweiz erhält dadurch 1.500 Quadratmeter an zusätzlicher Ausstellungsfläche. Die Eröffnung ist für 2025 geplant. Eine andere ehrwürdige Basler Kunstinstitution, das Kunstmuseum Basel, bezog 2016 seinen Erweiterungsbau mit einem unterirdischen „Underpass“ zum Grundstück auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Idee und Ausführung stammen von den Basler Architekten Christ & Gantenbein. Wenn demnächst auch der in den 1930er Jahren errichtete Hauptbau des Kunstmuseums grundsaniert wird, werden Emanuel Christ und Christoph Gantenbein ebenfalls die ausführenden Baumeister sein.

Ein architektonischer Coup der anderen Art ist vor kurzem auf dem Dreispitz-Gelände etwas außerhalb der Basler Altstadt an der Grenze zum Kanton Baselland gelungen. Hier, wo die Straßen nach Metropolen wie Mailand, Rotterdam oder Neapel benannt sind, befand sich seit den 1920er Jahren das Zollfreilager der am Dreiländereck Schweiz, Frankreich, Deutschland gelegenen Handelsstadt Basel. Es diente dazu, Waren, die aus dem Ausland über Basel in ein Drittland exportiert wurden, vor dem Weitertransport zollfrei zu lagern. Mitte der 1990er wurde das Zollfreilager dann nach und nach aufgelöst, und auf dem von Lagerhäusern und Bahnschienen geprägten Gelände wuchs ein bunter Mix unterschiedlicher Nachnutzungen: Handwerksbetriebe, Speditionen, Agenturen, Architekturbüros, das Königlich Dänische Generalkonsulat, aber auch die Hochschule für Gestaltung und Kunst HGK fanden auf dem weitläufigen Areal ein neues Zuhause.

Zuletzt eröffnete hier im April das Kunsthaus Baselland, das bisher abseits vom Basler Zentrum in Muttenz im Kanton Baselland beheimatet war, einen spektakulären Neubau. Das Basler Architekturbüro Buchner Bründler hat dazu ein ehemaliges Lagergebäude, in dem einst Champagnerflaschen auf ihren Weitertransport warteten, in ein ebenso elegantes wie funktionales Museumsgebäude verwandelt. Charakteristisch für das Kunsthaus ist die Öffnung des Daches mit drei aufragenden Türmen, die nicht nur eine statische Funktion haben, sondern dem Bau auch eine gliedernde Struktur verleihen und den Ausstellungsräumen Tageslicht zuführen. Ein wenig fühlt man sich hier an eine zeitgemäße Sichtbetonversion der berühmten Geschlechtertürme des toskanischen Städtchens San Gimignano erinnert. Das Kunsthaus Baselland verfügt jetzt über große, lichte Säle auf zwei Etagen. Die Architektur bietet mit ihrer Abfolge ausgedehnter und kleiner Räume und diversen etagenübergreifenden Blickachsen ideale räumliche Verhältnisse für große Wechselausstellungen.

Zu erleben war das in der gerade beendeten Eröffnungsschau „Rewilding“, für die Künstler*innen zahlreiche ortsspezifische, auf das Gebäude zugeschnittene Arbeiten schufen, so zum Beispiel den „Altar des Prekären“ mit allerlei scheinbar nutzlosen, teils trashigen, teils chemisch bearbeiteten Objekten des Künstlerpaars Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger, die im Kanton Baselland leben und in der Region so etwas wie Kultstatus genießen. Oder das dicht gehängte Arrangement unter der Decke schwebender Papierdrachen aus nachhaltigem Material der in Berlin lebenden US-Künstlerin Joan Jonas. Im ersten Stock waren dann feministische Positionen von Andrea Bowers, Anne-Lise Coste oder Leonor Serrano Rivas zu finden, die in ihrer Kunst das Wissen von Hexen vermitteln möchte.

Das Kunsthaus Baselland befindet sich auf dem Dreispitzgelände in guter Gesellschaft. Das Areal des ehemaligen Transit- und Freilagers gelangte durch eine Schenkung der Christoph Merian Stiftung in den Besitz der Stadt Basel. Seit einigen Jahren läuft hier ein international beachteter städtebaulicher Transformationsprozess. In die ehemaligen Lagerhallen sind Kulturinstitutionen eingezogen wie beispielsweise bereits 2014 die Hochschule für Kunst und Gestaltung, für deren Bau die Architekten Meinrad Morger und Fortunat Dettli verantwortlich zeichnen, oder vor nunmehr zehn Jahren das Haus der Elektronischen Künste (HEK). Seit 2012 prägt Sabine Himmelsbach, die aus Deutschland stammende Gründungsdirektorin des HEK, das Programm und den Aufbau der Sammlung. Vier bis fünf Ausstellungen pro Jahr widmen sich aktuellen Diskursthemen rund um elektronische und digitale Kunst.

Die gerade zu Ende gegangene Schau „Virtual Beauty“ war besonders auf ein jüngeres Publikum zugeschnitten. „Die Ausstellung zeigt, wie sich der Schönheitsbegriff mit den neuen Technologien verändert hat“, erläutert Marlene Wenger, eine der vier Kurator*innen. Ob Alter Egos als Avatare im Internet, Gesichtsoptimierungen für Internet-Posts, ein virtueller Beautysalon, die klassische Schönheitsoperation im Live-TV der französischen Künstlerikone Orlan oder ein Film des US-Amerikaners Bunny Kinney über ein fiktives Unternehmen, das die Transformation der eigenen Person nach einem Katalogmuster anbietet: „Wir sind davon vielleicht gar nicht so weit entfernt, wie wir denken“, kommentiert Marlene Wenger. Die Stärke der Präsentation bestand gerade darin, aus verführerischen Bildern kritische Impulse abzuleiten.

Verlässt man das HEK, angefüllt mit all den flimmernden virtuellen Realitäten, kann man — angekommen im analogen Hier und Jetzt — noch das weitere Dreispitzgelände mit seinem nach wie vor beträchtlichen Entwicklungspotential erkunden. Mit einigen architektonisch ansprechenden Wohngebäuden, haben hier auch die Basler Platzhirsche Herzog & de Meuron ihre Spuren hinterlassen. Neben dem HEK befindet sich ihr Archivgebäude, wo nicht nur die vielen Architekturmodelle lagern, sondern auch noch die Sammlung historischer Industriefotografie, die von den Eltern Jacques Herzogs stammt. Diese soll irgendwann einmal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, doch das ist noch Zukunftsmusik.

Derzeit entsteht direkt neben dem größten Hindu-Tempel der Schweiz am Rande des Dreispitzgeländes das neue Hauptquartier des international gefragten Architekturbüros. Jacques Herzog und Pierre de Meuron beschäftigen gegenwärtig rund 350 Mitarbeitende, verstreut auf mehrere Standorte. Auf dem Weg zum neuen Hauptquartier entlang alter Bahnschienen kommt man noch an einem Minigolfplatz der etwas anderen Art vorbei. Die einst als spießig verschriene, zur Zeit aber wieder angesagte Freizeitbeschäftigung wird hier einmal in einer neuen Formensprache praktiziert: Beton, Asphalt, verzinkte Gitterroste und kantige Stahlträger definieren eine Art „Minigolf reloaded“ im Jahr 2024. Und wer dann noch eine weitere Pause braucht, schaut bei Daniel Gosteli vorbei. Der Ex-New Yorker betreibt etwas versteckt in einem ehemaligen Lokschuppen die Craftbier-Brauerei Birtel – ebenfalls ein cooler Ort zum Abhängen und Genießen. Gerade neu im Programm: das „Mango Sour“ für heiße Sommerabende.

Zurück in der Innenstadt lohnen im Kunstmuseum Basel sowie im dazugehörigen Museum für Gegenwartskunst noch zwei sehenswerte Ausstellungen. Unter dem Titel „Inmitten Alter Meister“ lockt bis Mitte September eine Schau Anri Salas mit eher untypischen Werken. Der eigentlich für Konzept- und Videoarbeiten bekannte albanische Künstler hat sich in seiner aktuellen Serie mit dem Thema Fresko beschäftigt und sechs Freskomalereien geschaffen, die nun mit Werken aus der Sammlung Alter Meister des Museums in einen Dialog treten. Ein paar Hundert Meter weiter am Rheinufer befindet sich das Museum für Gegenwartskunst. Unter dem Überschrift „When We See Us – Hundert Jahre panafrikanische figurative Malerei“ läuft hier noch bis zum 27. Oktober ein Kaleidoskop der figurativen afrikanischen Malerei aus den letzten 100 Jahren. Versammelt sind rund 150 Werke von über 120 Künstler*innen aus Afrika, aber auch den schwarzen Communities in den USA, Großbritannien und Frankreich.

Nach dem Ausstellungsbesuch im Museum für Gegenwartskunst empfiehlt sich die Überfahrt mit der kleinen historischen Fähre ans andere Rheinufer. Hier im Stadtteil Kleinbasel befindet sich der ideale Zugang zum Rhein, um mit dem sogenannten „Wickelfisch“, einer Art wasserfestem Rucksack, der die eigene Kleidung sicher und trocken verwahrt, getragen von der Rhein-Strömung ein erfrischendes Bad zu nehmen.

ruethemann.net
luisanna.net
fondationbeyeler.ch
kunstmuseumbasel.ch
kunsthausbaselland.ch
hek.ch
birtel.ch

Kontakt:

Haus der elektronischen Künste Basel

Freilager-Platz 9

CH-4142 Münchenstein/Basel

Telefon:+41 (061) 331 58 40

E-Mail: office@hek.ch

Startseite: www.hek.ch



30.08.2024

Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Nicole Büsing & Heiko Klaas

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Luisanna González Quattrini in ihrem Atelier

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Das erweiterte Kunstmuseum Basel mit Neubau (links) und Hauptbau (rechts)

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Daniel Gosteli von der Basler Craftbier-Brauerei Birtel

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