Hamburg präsentiert Lohse-Wächtlers Kunst der Selbstermächtigung | | Elfriede Lohse-Wächtler, Lissy, 1931 | |
Das Ernst Barlach Haus in Hamburg ehrt den anstehenden 125. Geburtstag von Elfriede Lohse-Wächtler im Dezember mit der Retrospektive „Ich als Irrwisch“. Erstmals seit 25 Jahren sind Werke der Malerin wieder in der Hansestadt zu sehen. Die Ausstellung will einer der wichtigen künstlerischen Stimmen des frühen 20. Jahrhunderts wieder Gehör verleihen, die seit ihrer Euthanasie 1940 in Pirna weitgehend verstummt war. Laut Museumsmitteilung sei die dynamische, von Empathie getragene Bildsprache der 1899 in Dresden geborenen Künstlerin in der Kunst der Neuen Sachlichkeit ohne Vergleich. Der Fokus der Schau liegt auf dem Schaffen Lohse-Wächtlers, da sonst häufig ihr bewegtes Leben im Zentrum der Aufmerksamkeit steht.
Mit 16 Jahren verlässt Elfriede Wächtler ihr Elternhaus, lebt eigenständig in Dresden und belegt zwischen 1916 und 1919 an der dortigen Kunstakademie Kurse zur Grafik und Malerei. Ab 1918 ist sie als ‚Nikolaus Wächtler‘ in den Kreisen der Dresdner Avantgarde aktiv und zählt die Maler Otto Dix, Conrad Felixmüller oder den Dadaisten Johannes Baader zu ihren Freunden. Auch der Maler und Opernsänger Kurt Lohse gehört diesem Dresdner Zirkel an, den Elfriede 1921 heiratet. Ab 1925 leben beide in Hamburg, trennen sich 1926 und kommen mehr oder weniger wieder zusammen. Es folgen fünf Hamburger Jahre, die Elfriede Lohse-Wächtler persönlich stark belasten, sie künstlerisch jedoch produktiv und erfolgreich werden lassen. Ihre Lebenskrise führt zu psychischen Problemen und 1929 zu einem ersten Aufenthalt in der Staatskrankenanstalt Hamburg-Friedrichsberg. Dort entstehen Portraits von Mitpatientinnen, die sogenannten „Friedrichsberger Köpfe“, mit denen sie im Mai 1929 eine erfolgreiche Ausstellungspremiere in Hamburg feiert.
Elfriede Lohse-Wächtler schafft kraftvolle Werke: Sie dringt in Männerwelten und Sperrbezirke vor, malt im Hafen und auf St. Pauli. In rascher Folge entstehen um 1930/31 atmosphärisch dichte Bordell- und Kneipenszenen, unkonventionelle Typenporträts und eindringliche Selbstbildnisse, etwa die farbig skizzierte Arbeit „Das Vergnügen von St. Pauli“ von 1930, die einen am Tisch sitzenden Mann im Frack und vor ihm mit Rücken zum Betrachter eine nackte Prostituierte präsentiert. Breitbeinig und selbstbewusst hört sie ihrem Kunden zu, im Hintergrund sieht man eine Band und tanzende Revuedamen. Auf ihrem Selbstportrait „Die Zigarettenpause“ zeigt sich Elfriede Lohse-Wächtler in einer blauen Jacke, kinnlangem lockigem braunem Haar und einer locker in der Rechten gehaltenen Kippe. Ihre Kleidung leuchtet farblich auf. Blaue und grüne Schatten überziehen das Gesicht und das Haar, zusammen mit den roten Akzenten wirkt das Bildnis bedrückend und eindringlich trotz seiner strahlend kräftigen Farbtöne.
Elfriede Lohse-Wächtlers labile Verfassung verschlechtert sich zusehends. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wird ihre Arbeit der „entarteten Kunst“ zugerechnet. Schließlich erfährt die Malerin die Zwangshospitalisierung mit staatlich legitimierter Auslöschung: 1940 wird Elfriede Lohse-Wächtler im Rahmen der nationalsozialistischen Krankenmorde, der „Aktion T4“, in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein ermordet.
Die Ausstellung „Elfriede Lohse-Wächtler. Ich als Irrwisch. Hommage zum 125. Geburtstag“ läuft bis zum 9. Februar 2025. Das Ernst Barlach Haus hat dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet und bleibt an Heiligabend und Silvester geschlossen. Der Eintritt beträgt 9 Euro, ermäßigt 7 Euro. Für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre ist er frei. Der begleitende Katalog kostet vor Ort 19,50 Euro.
Ernst Barlach Haus
Baron-Voght-Straße 50a
D-22609 Hamburg
Telefon: +49 (0)40 – 82 60 85 |