| | Kenneth Noland, Via Media (Suddenly), 1963 | |
Jeder Schuss ein Treffer: Kenneth Noland sah sich als „one-shot painter“. Denn er bediente sich der „soak stain“-Technik und damit einer speziellen Farbmischung auf ungrundierter Leinwand, die schnell in den Malgrund eindringt, sich mit ihm verbindet und keine Korrekturen zulässt. Die Konsequenz war ein schnelles Arbeiten und ein unerschütterliches Vertrauen in Gestaltung und Wahl der Mittel. Zudem besaß Noland, wie er einmal selbst sagte, die Kraft und Nerven, der Versuchung zu widerstehen, doch noch irgendwelche Änderungen vorzunehmen. So entstanden ab den späten 1950er Jahren seine runden „Targets“, die „Stripes“ und die V-förmigen „Chevrons“, mit denen Noland zu einem wichtigen Vertreter der Farbfeldmalerei avancierte. „Via Media (Suddenly)“ von 1963, die jetzt von Ketterer für 600.000 bis 800.000 Euro angeboten wird, ist ein solches mit drei Winkeln in Schwarz, Rot und Orange versehenes Gemälde. Die dreifache Pfeilform, die an militärische Dienstgrade, antike Dekore oder Hinweisschilder des Alltags erinnert, entwickelt mit ihren nach unten gestemmten Schenkeln eine bezwingende Dynamik, gehörte zur legendären Sammlung von Reinhard Onnasch und kann mit einer illustren Ausstellungshistorie aufwarten.
Als Maler war Robert Ryman ein Autodidakt. Der ausgebildete Jazz-Musiker kam durch seine Tätigkeit als Aufseher im New Yorker Museum of Modern Art ab 1953 in Kontakt zur Kunstwelt. Nach Anfängen im Abstrakten Expressionismus reduzierte er seine Farbskala ab den 1960er Jahren auf Weiß, konzentrierte sich auf Variationen verschiedener Farbaufträge und Maltechniken und wurde somit einem der bedeutendsten Künstlers des Minimalismus und der Analytischen Malerei. Sein Gemälde „General 52’’ x 52’’“ von 1970 vereint exemplarisch seine gestalterischen Ideen: es ist weiß, quadratisch, seriell konzipiert und analytisch berechnend. Für die 15teilige Werkserie „General“ grundierte und versiegelte Ryman die Leinwand zunächst mit einem matt glänzenden Speziallack. Mittig und mit einem nicht allzu großen Abstand zum Bildrand, der immer sichtbar ist, brachte er mit Emailfarbe ein mehrfach geschichtetes und geschliffenes hochweißes Quadrat auf – trotz weicher Übergänge im größtmöglichen Kontrast zum Rohweiß der Leinwandgrundierung. Da die „General“-Serie mit Museums- und Documenta-Weihen versehen ist, stehen bei Ketterer jetzt 1 bis 1,5 Millionen Euro auf dem Preisschild.
Globaler Zuschnitt
Überhaupt ist der „Evening Sale“ in dem Münchner Auktionshaus mit internationaler Kunst der 1950er bis 1970er Jahre gut ausgestattet, die in dieser Häufung sonst nur in London, Paris oder New York zu finden ist. Dazu gehören Alberto Burris progressives Materialbild „Legno P 1“, 1958 aus Holzfurnieren zusammengesetzt (Taxe 900.000 bis 1,2 Millionen EUR), Piero Manzonis 1959/60 zu unregelmäßigen Rechtecken zusammengenähte und mit Kaolin rein weiß gekalkte Leinwand aus der Serie „Achrome“ (Taxe 400.000 bis 600.000 EUR) oder Ed Ruschas hellgelbes Licht, das auf einem Pastell des Jahres 1975 von oben in das Dunkel einfällt und das „Miracle #69“ auslöst (Taxe 180.000 bis 240.000 EUR). Ein seltener Gast im deutschen Auktionsmarkt ist Friedel Dzubas. Der 1915 in Berlin geborene Jude floh kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in die USA, befreundete sich mit dem einflussreichen Kunstkritiker Clement Greenberg und lernte in New York Willem und Elaine de Kooning, Franz Kline, Jackson Pollock, Adolph Gottlieb und Helen Frankenthaler kennen, mit der er sich 1952/53 ein Wohnatelier teilte. Seine „Viking Voyage“ von 1975 ist ein über drei Meter breites Querformat, das auf erdig grauem Grund fließende expressive Farbblöcke ausbildet und nach Erfahrungen mit der barocken Deckenmalerei eines Tiepolo einen unendlichen Raum generiert (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR).
Der Pole Wojciech Fangor experimentierte als Op-Art-Vertreter mit der Wahrnehmung von Farbe. Konzentrische Kreise mit fließenden und pulsierenden Farbflächen vermitteln bei ihm den Eindruck einer flirrenden Bewegung, einer Auflösung räumlicher Grenzen. Der Betrachter verliert sich dabei in nebulösen Farbverläufen, so auch bei Fangors graublauem Farbkreis „M 77“ von 1968 (Taxe 400.000 bis 600.000 EUR). Internationalen Anspruch erhebt auch Gerhard Richters schwarz-weißes Frühwerk „Stadtbild“ von 1968. Es ist das erste einer Reihe von acht Stadtbildern, in denen Richter Fotovorlagen nutzte, um sein meisterliches Spiel zwischen Abstraktion und Figuration zu entfalten. Dabei interessierten ihn die ausdruckslosen Betonbauten der Zeit als Symbole des Aufschwungs, bei denen er die Konturen verwischte und damit seine berühmte malerische Unschärfe erzielte (Taxe 350.000 bis 450.000 EUR). Eher auf den deutschen Markt ist die informelle Malerei von Ernst Wilhelm Nay ausgerichtet. Der Katalog hält etwa sein Gemälde „Federgrau“ von 1958 aus der Werkreihe der „Scheibenbilder“ bereit, bei dem Nay zugunsten einer größeren Lebendigkeit die Scheibe in wabernde Farbwolken auflöst (Taxe 140.000 bis 180.000 EUR), ebenso das zwei Jahre ältere, klassischere Scheibenbild „Sonnenzirkel“, das mit seinem dominierenden Kolorit aus Rot, Gelb und Orange die hohe Energie unseres Zentralgestirns ausstrahlt (Taxe 400.000 bis 600.000 EUR).
Die deutschen Klassiker
Die Kunst der deutschen Moderne kommt bei Ketterer ebenfalls nicht zu kurz. Zeitlich startet die Offerte mit einem Triptychon von Max Slevogt aus dem Jahr 1899. Seine biblische Erzählfolge „Der verlorene Sohn“ gehörte seit 1956 zum Bestand der Staatsgalerie Stuttgart und wurde vom Land Baden-Württemberg erst heuer als Nazi-Raubkunst an die Erben des sozialistisch-kommunistischen Schriftstellers und Kunstsammlers Eduard Fuchs restituiert (Taxe 150.000 und 250.000 EUR). Als zweiter Vertreter des deutschen Impressionismus stellt sich Max Liebermann mit einer in Themenwahl und Malweise typischen Berliner „Allee mit Spaziergängern und Automobilen“ von 1924 vor (Taxe 350.000 bis 450.000 EUR). Auch einige illustre Sammlungszusammenhänge bereichern das Ketterer-Angebot. Da wären zunächst Alexej von Jawlenskys farbleuchtende Landschaft „Berge in Oberstdorf“ von 1912 aus der Sammlung Hermann Gerlinger, die der Expressionist weitgehend vom Naturvorbild losgelöst, in eine runde Form komprimiert und zu einem mystisch stilisierten Naturportrait geformt hat (Taxe 700.000 bis 900.000 EUR), oder Hermann Max Pechsteins hell leuchtendes „Stillleben mit Orangen“, blauen Krügen und Tulpenvase von 1909. Es gehörte einst William Landmann, der 1891 in Schifferstadt zur Welt kam, als Jude 1936 mit seinen Werken zuerst nach Amsterdam floh und später dann nach Kanada emigrierte. Seine Sammlung überstand Nazi-Zeit und Zweiten Weltkrieg unbeschadet im Amsterdamer Stedelijk Museum. Die Schätzung hat sich gegenüber dem Erstauftritt vor einem Jahr bei Ketterer um 100.000 Euro auf 200.000 bis 300.000 Euro reduziert.
Otto Dix schuf Mitte der 1920er Jahre für seine Stieftochter Hana Koch ein Bilderbuch in vierzehn großformatigen Aquarellen. Das fantastische Kompendium aus Historie, Märchen und biblischen Themen blieb bis 2016 im Besitz der Familie, war bis dato unbekannt und ging über die Düsseldorfer Galerie Remmert und Barth in süddeutschen Privatbesitz über, der dafür nun 250.000 bis 350.000 Euro sehen will. Über zwei Jahrzehnte hing August Mackes sommerlicher Blick „Unser Garten mit blühenden Rabatten“ von 1912 als Leihgabe einer norddeutschen Sammlung in der Hamburger Kunsthalle. Mit den musealen Weihen soll er nun 300.000 bis 400.000 Euro erzielen.
Prominent besetzt ist die Auktion mit Werken aus dem Besitz von Else und Berthold Beitz. Der 2013 verstorbene Krupp-Manager hatte sich in den deutschen Expressionismus vernarrt. Von Emil Nolde besaß er etwa die stimmungsreiche, abendlich leuchtende „Landschaft mit Seebüllhof“ aus der norddeutschen Marsch von 1930 (Taxe 600.000 bis 800.000 EUR) oder das im beinahe identischen Kolorit abgefasste, geheimnisvoll exotische Frauenbild „Vera“ von 1919 (Taxe 400.000 bis 600.000 EUR). Das einfache Leben an den deutschen Küsten griff Karl Schmidt-Rottluff 1921 bei einem Aufenthalt in Jershöft in Hinterpommern auf: Seine „Fischer auf der Düne“ glühen wie der Sand in kräftigem Rot und setzen sich von dem tiefblauen Himmel ab (Taxe 400.000 bis 600.000 EUR). Höherpunkt der Beitz-Suite und der gesamten Versteigerung ist Max Beckmanns Spätwerk „Großer Clown mit zwei Frauen und kleinem Clown“, das er im November 1950 wenige Wochen vor seinem Tod ein letztes Mal angerührt hat. Beckmann spielt hier noch einmal sein großes Welttheater und hat sich in dem gealterten Narren, wie sein Tagebucheintrag „Ein lächerlicher alter Clown bin ich und nicht’s anderes“ vermerkt, wohl selbst gesehen. Für dieses melancholische künstlerische Vermächtnis hat Ketterer nicht allzu hohe 1,4 bis 1,8 Millionen Euro veranschlagt.
Der Bildhauer Karl Hartung beschritt bereits in den 1930er Jahren den Weg in die Ungegenständlichkeit. Davon zeugt seine Bronze „Durchlöcherte Form“, eine amorphe Wachstumsstruktur von 1935. Der braun-grün patinierte Lebzeitenguss soll 70.000 bis 90.000 Euro einspielen. Im Kontrast dazu steht das Schaffen Stephan Balkenhols, der sich wieder auf das Menschenbild besinnt und seine Figuren archetypisch ohne individuelle Merkmale aus Holz schnitzt. Als Schlüsselwerk seines Œuvres bezeichnet er selbst das überlebensgroße nackte Duo „Mann und Frau“ von 1983, eine moderne Umsetzung des ersten Menschenpaars Adam und Eva (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR). Abstrakt wird es dann wieder bei Katharina Grosses mit Erde angereichtem, wandfüllendem Farberlebnis von 2009, das mit seinen reliefartigen Strukturen und den Farbseen eine haptische Tiefenwirkung erzeugt (Taxe 150.000 bis 250.000 EUR), bei Daniel Richter und seinem Schwarz-Weiß-Bild „Wenn wer dt. Meister oder wer wird deutscher Meister“ von 1999, das trotz des Titels nur Gitter- und Streifenmuster, Kreise, Schlangenlinien und Farbballungen ausbildet (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR), oder bei Peter Halleys akkurat aus rechten Winkeln aufgebautem Neo-Geo-Quadrat „Station“ von 1992 in knalligen fluoreszierenden Farben (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR).
Der „Evening Sale“ von Ketterer startet am 6. Dezember um 17 Uhr. Eine Besichtigung der Auktionsobjekte ist noch bis zum 5. Dezember möglich. |