Eugen Gomringer wird 100  |  | Eugen Gomringer, Begründer der Konkrete Poesie, kann auf hundert Lebensjahre zurückblicken | |
Eugen Gomringer, Begründer der Konkreten Poesie, hat gestern seinen 100. Geburtstag gefeiert. Der bolivianisch-schweizerische Schriftsteller, der 2022 mit der Auszeichnung „Pro meritis scientiae et litterarum“ des Freistaats Bayern geehrt wurde, publizierte seine Dichtkunst ab 1956 in grafisch-bildkünstlerischer Gestaltung und wurde daher von Max Frisch als „Spracharbeiter“ bezeichnet. Nach eigenen Aussagen des Wortschmieds war es der Besuch einer Ausstellung zu Konkreter Kunst, die ihn zur Konkreten Poesie inspirierte. Das Arbeiten mit Worten war allerdings eine eher brotlose Kunst, auch wenn Max Bill und Hermann Hesse den Poeten dazu ermutigten. Um über die Runden zu kommen, arbeitete Gomringer von 1954 bis 1957 als Sekretär für Max Bill an der Hochschule für Gestaltung in Ulm, als Werbetexter, von 1961 bis 1967 als Geschäftsführer des Schweizer Werkbundes und von 1967 bis 1985 als Kulturbeauftragter für die Rosenthal AG in Selb.
Etwa 30 Jahre lang war Gomringer, der von 1944 bis 1952 Nationalökonomie und Kunstgeschichte in Bern und Rom studiert hatte, für die Werbung der Schweizer Warenhauskette ABM zuständig und nutzte hierfür auch die Wortspiele der Konkreten Poesie. In seinen Gedichten war es seine früheste Methode, zwei Wörter zusammenzubringen, umzustellen und Inversionen zu bilden. Eugen Gomringer erklärte, dass die Konkrete Poesie eine Art Nachfahre der Konkreten Kunst sei. Ihn habe seinerzeit Max Bills Bild „Sechs gleiche lange Linien“ geprägt, und das habe er in Sprache umsetzen wollen. „Ich möchte auch so einfach sein und dabei so stark.“ Während seiner Anstellung bei Rosenthal beauftragte ihn Philip Rosenthal, hundert Künstler für Rosenthal zu gewinnen. Das gelang ihm etwa mit Salvador Dalí, Ernst Fuchs, Friedensreich Hundertwasser oder Victor Vasarely, die Entwürfe für den Porzellanhersteller fertigten.
Die Kontakte zur Kunst zogen sich weiter zur Documenta 4: Der Schriftsteller war von 1966 bis 1968 Mitglied des Rates der Schau in Kassel unter der Leitung von Arnold Bode. So wählte Gomringer die Schweizer Beiträge der Documenta 4 aus, darunter Werke von Richard Paul Lohse, Karl Gerstner, Christian Megert und Dieter Roth. Nach Franken führte ihn 1986 eine Gastprofessur für Poetik in Bamberg, 1988 wurde er Intendant des Internationalen Forums für Gestaltung in Ulm. Sein Gespür für Kunst mündete zudem in eine gelungene Kunstsammlung, die Eugen Gomringer 1992 dem Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt verkaufte. Weitere Werke vermachte er der Stadt Rehau. In seinem oberfränkischen Wohnort gründete er 2000 das Institut für Konstruktive Kunst und Konkrete Poesie (IKKP). Acht Jahre später wurde er für seine Verdienste mit dem Bayerischen Verdienstorden geehrt.
Eugen Gomringer kam 1925 als Sohn eines Schweizers Kautschuk- und Gummifabrikanten und einer Bolivianerin in Bolivien zur Welt, wuchs aber bei seinen Großeltern in der Schweiz auf. Später begründete er die Zeitschrift „Spirale“ und die „gomringer press“, gab die Buchreihe „konkrete poesie – poesia concreta“ heraus und war 13 Jahre lang Professor für Theorie der Ästhetik an der Kunstakademie in Düsseldorf. Des Weiteren schrieb er mehrere theoretische Arbeiten zur Konkreten Kunst. In Rehau baute er gemeinsam mit seiner 2020 verstorbenen Frau Nortrud Gomringer ein Archiv und eine umfängliche Sammlungen auf, sodass dort das IKKP als international renommiertes Zentrum Konkret-Konstruktiver Kunst entstehen konnte. Zudem ist Eugen Gomringer seit 1971 Mitglied der Berliner Akademie der Künste.
Dass Gomringers Kunst immer noch Sprengkraft besitzt, bewies 2017 sein Gedicht „Avenidas“ aus dem Jahr 1951 an der Fassade der Alice Salomon Hochschule in Berlin, das einen Eklat auslöste. Der Allgemeine Studierendenausschuss übte Kritik an der Wandgestaltung mit dem Gedichttext, da dieser nach seiner Auffassung Frauen herabsetze. Die Hochschule knickte ein, ließ Gomringers harmlosen spanischen Text „Alleen / Alleen und Blumen / Blumen / Blumen und Frauen / Alleen / Alleen und Frauen / Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer“ übermalen und ihn durch einen ebenso harmlosen, aber politisch korrekten Text der Lyrikerin Barbara Köhler ersetzen. Ein Bielefelder Ehepaar, eine Wohnungsgenossenschaft in Berlin und auch die Stadt Rehau haben Gomringers Gedicht „Avenidas“ daraufhin an ihre Häuserwände malen lassen. Zu seinem Jubiläum präsentiert Rehau im Foyer des Rathauses die Ausstellung „100 Exponate zum 100. Geburtstag“, die 100 Bilder, Bücher und Objekte Gomringers beinhaltet und sein Wirken würdigt. |