Reiner Ruthenbeck in Neuss  |  | in der Ausstellung „Reiner Ruthenbeck“ | |
Die aktuelle Ausstellung in seiner Skulpturenhalle bei Neuss hat Thomas Schütte dem Schaffen von Reiner Ruthenbeck gewidmet. Der Bildhauer war Teil der Künstlergeneration, die in den 1960er Jahren die bestehenden Formen der Skulptur in Frage stellte und neue Arbeitsweisen entwickelte. Dabei war der 1937 geborene Ruthenbeck von den sinnlichen Eigenschaften bescheidener Materialien fasziniert und griff bevorzugt auf Papier, Holzlatten, Asche, Baumwollstoff oder Metallplatten zurück. Aus seinem Œuvre hat Kurator Dieter Schwarz frühe Arbeiten der 1960er Jahre, aber auch jüngere Werke zusammengestellt und gibt mit ihnen einen Überblick über Ruthenbecks Kunst.
Zu sehen sind etwa auch seine Fotografien von gewöhnlichen Alltagsobjekten, die in der Stille ihr eigenes Leben entfalten, etwa ein Wäschepaket in einem Fenster oder der sich im Wind bauschende Vorhang. Ruthenbecks Objekte sind häufig eine Begegnung mit dem Fremden im Vertrauten, etwa die an die Wand gelehnte „Leiter III“ von 1967/68. Auf den ersten Blick wirkt sie vollkommen normal. Doch hat Reiner Ruthenbeck die Sprossenabfolge leicht verändert und lässt sie viel zu nah aufeinanderfolgen, so dass sie eine Besteigung der Leiter schwierig macht. Ruthenbeck selbst notiert später zu diesen skulpturalen Werken, dass ihn „die Stile, die manche Dinge umgibt, besonders interessiert. Diese Stille kann von unterschiedlichem Charakter sein: dunkel, schwer, lastend – hell, schwebend – spannungsgeladen oder entspannt, manchmal voll geheimer Bedeutung, magisch, suggestiv und auch leer, tot: Totenstille.“
Seine ungewöhnlichsten Arbeiten sind die „Aschehaufen“, mit denen er um 1970 bekannt wurde. Die Haufen aus grobkörniger Schlacke werden von Vierkantrohren oder dünnen Stahlstäben gequert. So kreiert Ruthenbeck eine Situation von subtiler Spannung zwischen den von der Schwerkraft geformten Haufen und dem starren Stahl. Die Faszination für die sinnlichen Eigenschaften der Materialien setzt sich in seinen Arbeiten mit Holzlatten, Baumwollstoff und Metallplatten fort. Indem er die Materialien in Gegensatzpaaren anordnet, erzeugen sie eine das Materielle negierende Abstraktion und damit ein Gefühl von Einheit, Ganzheit und Ruhe. Im „Lamellenkasten“ verläuft der Stoff über Stahlstäbe, die auf einen oben offenen Stahlkubus gelegt sind. Starrer Stahl und weicher Stoff berühren einander. In „Möbel IV“ von 1968 hat Ruthenbeck dunkelrote Stoffstreifen über die obere Kante eines Metallgerüsts gelegt; sie bilden eine bewegte, sank wirkende Oberfläche und verdecken das Innere des Gestells, das geheimnisvoll unzugänglich bleibt. Aufgrund ihres Formats treten diese Objekte in unmittelbaren körperlichen Kontakt mit dem Betrachter, der darin die Vertrautheit von Möbeln sucht.
Reiner Ruthenbeck war gelernter Fotograf und unternahm in den 1950er Jahren zahlreiche Reisen nach Paris, wo er mit dem Surrealismus in Berührung kam. Nach eigener Aussage war er vom surrealistischen Umgang mit Dingen damals sehr fasziniert. Ihm sagte die Konfrontation mit einer zuvor übersehenen Realität zu, die sich ohne Eingreifen in die Umwelt, sondern durch bloßes Beobachten offenbart. Zwischen 1962 und 1968 studierte er bei Joseph Beuys an der Kunstakademie Düsseldorf. Seine erste größere Ausstellung erhielt er 1971 im Westfälischen Kunstverein in Münster, danach 1972 im Stedelijk Museum in Amsterdam. Sein Schaffen wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter 1992 in Kassel mit dem Arnold-Bode-Preis, 2000 dem Hamburger Lichtwark-Preis und 2006 mit dem Wilhelm-Lehmbruck-Preis in Duisburg. Von 1980 bis 2000 hatte Ruthenbeck eine Professur an der Kunstakademie Münster inne. Er starb 2016 in Ratingen.
Die Ausstellung „Reiner Ruthenbeck“ läuft bis zum 7. Dezember. Die Skulpturenhalle Neuss hat freitags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 5 Euro, für Schüler*innen und Studierende ist der Besuch kostenlos. Begleitend zu der Schau ist eine Publikation erschienen, die über das Kontaktformular der Stiftung erhältlich ist.
Skulpturenhalle – Thomas Schütte Stiftung
Berger Weg 16
D-41472 Neuss
Telefon: +49 (0)2182 – 829 85 20 |